Zehn Jahre Instagram – vom Fotoalbum zur Kulturmaschine

15. Januar 2020 von in

Es fing unschuldig an, damals, am 6. Oktober 2010. Es war der Tag, an dem zwei Entwickler aus San Francisco eine App namens Instagram veröffentlichten. Zwei Jahre später wurde sie für eine Milliarde Dollar aufgekauft – von Mark Zuckerberg. Damals hatte die Firma 12 Mitarbeiter*innen. Und heute, zehn Jahre später, ist Instagram die erfolgreichste Social-Media-Plattform nach Facebook.

Die App hat momentan etwa eine Milliarde monatlich aktiver Nutzer*innen – davon sind 71 Prozent unter 35 Jahre alt. Und gerade für die jüngeren Generationen – die Millenials und die Generation Z – ist sie inzwischen der wichtigste digitale Treffpunkt. Hier entscheidet sich, wer wir sind und wer wir sein wollen: Hier werden wir zu Marken, hier bilden und beeinflussen wir uns gegenseitig, inszenieren unsere Lifestyles und unseren exquisiten Meme-Geschmack. Der kulturelle Einfluss von Instagram ist kaum noch greifbar: Denn die App hat nicht nur einen ganz neuen Karrierezweig entstehen lassen, etliche Haustiere zu Internetstars gemacht oder absurde Schönheitsideale etabliert – sie kriecht mit ihrem Einfluss und ihren Algorithmen in beinahe jeden Aspekt des Lebens. Und man muss nicht mal bei Instagram angemeldet sein, um den Einfluss dieser App täglich zu spüren. Das liegt auch daran, dass Instagram heute viel mehr ist als das bloße digitale Fotoalbum, als dass es gestartet ist. Und egal, wie man zu dieser Plattform steht: Jetzt, nach zehn Jahren, kann man schon ein bisschen nostalgisch werden.

Deswegen kommt hier ein kleiner Rückblick auf zehn Jahre Internet-Kulturgeschichte: The Histrory of Instagram (so far).

2010: Mayfair und Inkwell

Am 16. Juli 2010 postete einer der Instagram-Gründer, Kevin Systrom (auf Instagram schlicht und einfach @kevin), ein Foto von einem Hund mit der Caption „test“.

 

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Ein Beitrag geteilt von Kevin Systrom (@kevin) am

Die Ästhetik dieses Bildes triggert Erinnerungen an eine Zeit, als es das Wort „Influencer“ noch nicht gab und man noch Digi-Cams benutzt hat, weil Smartphones so schlechte Bildqualität hatten. Es waren einfachere Zeiten. Es waren Zeiten, als man noch unschuldig nichtssagende, pixelige Fotos seines Morgenkaffees mit dem Hashtag #morgenkaffee hochgeladen hat und mit 5 Likes mehr als zufrieden war. Als Instagram im Herbst 2010 veröffentlicht wurde, war es eine der simpelsten Apps überhaupt: Ein Feed, ein Profil, ein paar Filter – das war’s. Und ausgerechnet die Filter – die heute so selbstverständlich zum digitalen Leben gehören wie Selfies und Hashtags – machten bei Instagram den Unterschied. Denn lange vor FaceTune und VSCO waren die Instagram-Filter – aus heutiger Sicht eher unästhetisch, damals totschick – eine echte Innovation. Viele nutzten die App nur, um Bilder zu bearbeiten, die dann bei Facebook oder vielleicht sogar noch bei SchülerVZ (gab es noch bis 2013!) landeten. Aber je mehr Leute sich anmeldeten, desto mehr wurde Instagram zu einer richtigen Plattform.

2012: Been there, done that

Selten hatten so wenige Zeilen Code so einen Einfluss auf die Welt wie die Geotag-Funktion, die 2012 auf Instagram verfügbar wurde. Dass man nun angeben konnte, wo ein Foto geschossen worden ist, revolutionierte die Tourismusbranche, hatte Einfluss auf Café- und Clubbesitzer*innen und auf eigentlich jeden, der will, das Leute einen bestimmten Ort aufsuchen. Sie sichert bis heute die Karriere von Millionen Travelbloggern. Sie führt dazu, dass Orte wie der Horseshoe Bend – ein pittoresker Flusslauf mitten im Nirgendwo in Arizona – heute von Instagram-Usern überrannt wird, die Schlange stehen für das perfekte Foto. Dank dem Geotag ändern Restaurants ihre Beleuchtung, um sie instaworthy zu machen und das kleine Dörfchen Hallstadt in Österreich musste ein Höchstlimit an Bussen festlegen, die es pro Tag rein lässt – weil Tourist*innen es überrennen.

 

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Ein Beitrag geteilt von Clara Bnf (@clara.bnf) am

2014: Ist Instagram der neue Blog?

Ist Instagram der neue Blog„? So heißt ein Artikel aus dem Amazed-Archiv, der mit unserem heutigen Wissen einen geradezu medienhistorischen Charakter bekommt. Amelie schrieb: „In Zeiten, in denen Buzzfeed als zukünftig wichtigste Internetseite propagiert wird, ist die Annahme, dass textlastige Seiten von der Bildfläche verschwinden, auch keine große Überraschung mehr. Der Mensch neigt zum Trash. Er arbeitet viel und will anschließend abschalten.“ Diese Angst, die zu Beginn dieser Dekade aufkam, hat sich bis heute gehalten – aber, hey, wir sind immer noch hier! Und bestätigen damit Amelies Prognose: „Denn auch wenn der Mensch dazu neigt, abschalten zu wollen, auch wenn er lesefaul ist, es wird zumindest eine Nische bleiben, die eben belegt werden muss.“

2015: Ein neuer Beruf

Um 2015 herum lässt sich der Urknall des Instagram-Influencers datieren – ein neuer Berufszweig, der eher aus Zufall entstand. Denn als Instagram zunehmend an Usern gewann, bekamen jene Accounts, die besonders authentischen und inspirierenden Content fabrizierten (auch wenn das natürlich Geschmackssache ist und oftmals nur aus dem gekonnten Zitieren von Wandtattoos besteht), plötzlich eine Menge Aufmerksamkeit. Schnell stürzten sich Firmen auf dieses neue Phänomen, weil es sich herumsprach, dass Menschen viel eher Dinge kaufen, wenn sie von jemandem empfohlen werden, dem sie vertrauen. Und das tun die Follower von Influencern: Sie sehen sie eher als Freund*innen denn als abgehobene Celebrities. Aber Influencer-Marketing kam anfangs etwas unbedarft daher. Da posieren Influencers schon mal mit Bifi in der Badewanne, mit einem Dyson-Föhn vor einer Kirche oder mit der elektrischen Zahnbürste am Pool.

 

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Ein Beitrag geteilt von N A T A L I E (@nallilore) am

Auch rechtlich wusste man anfangs nicht so ganz, wie man mit dieser neuen Spezies umgehen soll: Was man wie als Werbung kennzeichnen muss, war viele Monate lang Thema in Gerichtsprozessen. Inzwischen scheint der gemeine Influencer wieder auf dem absteigenden Ast zu sein und verschiedene Studien besagen, dass die Aufmerksamkeit in Zukunft eher bei Mikro-Influencern liegen wird: Die haben nur zwischen 1000 und 5000 Followers und weisen weitaus höhere Interaktionsraten auf. Wundert euch also nicht, wenn auch ihr bald für Bifi Bilder in der Badewanne machen sollt.

2016: Snapch… – äh, Instastories

Die Überraschung war groß, als im August 2016 plötzlich die Story-Funktion verfügbar wurde. Ich erinnere mich noch an meine allererste Instastory: Es war ein Foto mit dem Text „Stirbt Snapchat jetzt?“. Ich sollte irgendwie Recht behalten, denn der ziemlich freche Marketing-Move von Instagram, der im Endeffekt eine 1:1-Kopie von Snapchat war, machte die App irgendwie obsolet. Inzwischen dominiert die Funktion Instagram und hat die App in kurzer Zeit zu einem ganz anderen Medium werden lassen. Sie erlaubt es, dass wir nicht mehr nur noch statische Highlights unserer Erlebnisse und gelungene Selfies teilen, sondern dass wir buchstäblich alles inszenieren können, was uns vor die Linse läuft – egal, wie viel ästhetischen Mehrwert es hat. Das machte Instagram noch allgegenwärtiger und lässt uns nun noch länger vor dem Smartphone kleben.

2018: Filter-Mania

Auch dieses Update, das heute kaum von Instagram wegzudenken ist, hat sich das Unternehmen bei Snapchat abgeschaut: Die Face Filter, die seit 2018 innerhalb der Instagram-Stories verfügbar sind. So richtig durch die Decke ging die Funktion erst, als Instagram es 2019 zuließ, dass Benutzer*innen ihre eigenen Kreationen hochladen können – und begründeten damit nahezu eine neue Kunstform. Seitdem wimmeln sie in allen Variationen – von harmlos bis verstörend, von ästhetisch bis absurd – in allen Instastories. Und entzündeten auch Debatten: Die Beauty-Filter, die jedes Gesicht zu einem makellosen Model-Face machen, würden unrealistische Schönheitsideale befördern. Aus diesem Grund verbot Instagram 2019 die Schönheits-OP-Filter.

 

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Ein Beitrag geteilt von Amelie Kahl ~ amazedmag (@ameliekahl) am

2020: Kommt die post-digitale Bewegung?

Die Euphorie um Instagram hat in den letzten Monaten und Jahren einige Risse bekommen. Studien belegen, dass Instagram das soziale Netzwerk ist, das unserer psychischen Gesundheit am Meisten schadet. Denn neben den positiven Eigenschaften, die die App so unwiderstehlich machen – Selbstdarstellung und kreativer Austausch, Gemeinschaftsbildung, Zusammenhalt – ist es vor allem eine Sache, die uns vergiftet: Der Vergleich. Als Reaktion darauf hat das Unternehmen 2019 angekündigt, das Abschaffen der „Likes“ zu testen: Wir können nach diesem geplanten Update nach wie vor Bilder liken, können jedoch die Anzahl der Likes anderer nicht mehr sehen. Lediglich die Likes unserer eigenen Bilder werden uns angezeigt – ähnlich wie bei den Stories, bei denen nur wir selbst die eigene Reichweite zu sehen bekommen. Ob das Update durchgesetzt wird, ist nach wie vor unklar, aber sicher ist: Die Menschen werden langsam skeptisch. Abgesehen davon, dass neue Plattformen wie TikTok Instagram sowieso zunehmend die Show stehlen, machen immer mehr Menschen digitale Verschnaufpausen, hinterfragen ihren Smartphone-Gebrauch und versuchen, irgendwie einen halbwegs gesunden Umgang mit Apps wie Instagram hinzukriegen. In bestimmten Kreisen gilt es schon geradezu als schick, möglichst disconnected zu sein. Kommt also eine neue Offline-Bewegung auf uns zu? Wird der Smartphonegebrauch bald ähnlich geächtet wie inzwischen das Rauchen? Ich bin jedenfalls gespannt.

 

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Ein Beitrag geteilt von GABI ABRÃO + MEMES (@sighswoon) am

Bildcredit: Unsplash 

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