Warum ich mit dem westlichen Umgang mit Yoga struggle
Es ist Donnerstagmorgen und ich laufe in den vierten Stock eines Hinterhofgebäudes in Berlin Schöneberg. Dass der Aufzug kaputt ist, macht mir wenig aus*. Mein eigener Aufwärtsschritt wärmt mich auf, nachdem mich der kalten Wind draußen richtig durchgepustet hat. Oben angekommen, ziehe ich meine Schuhe aus, entledige mich meiner Jacke und checke ein: ‚Mindful Morning: Yoga & Meditation‘. Eine meiner Routinen, die ich aus Bali mitgenommen habe, ist die morgendliche Yoga-Stunde. Ich gehe oft, denn es tut mir gut.
Nachdem ich meine Tasche sowie die restlichen Klamotten abgelegt habe, suche ich mir eine Matte und zwei Blöcke. Es ist schon relativ voll, niemand macht Platz. Ich frage nach, ob ich mich hier nieder lassen darf, wenn alle rutschen, sei das kein Problem. Viele widerwillige Blicke und Seufzer später, liege und dehne ich mich. Die Person neben mir ist eine normschöne Yogi – quasi ein direkter, lebensechter Download aus der Instagram-Bubble: Groß, schlank, blond, eingepackt in das volle Lululemon-Set scrollt sie noch durch ihr neues Iphone und trinkt große Schlücke aus ihrer Wasserflasche. Damit ist sie leider ein perfektes Beispiel dafür, was der Westen an Yoga nicht verstanden hat.
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Mir geht es nicht um einzelne Personen, sondern um Tendenzen, die nicht im Sinne von Yoga sind, so wie es ursprünglich praktiziert wurde.
Zum Einen mag ich es persönlich nicht, wenn Leute ihre mobilen Endgeräte in der Nähe der Matten haben. Ich liebe meines auch wirklich sehr, aber die kurze Zeit, die ich mir am Tag nehme – die wir uns allen in diesem Raum nehmen – sollte nicht von elektronischen Geräten oder anderen Utensilien, die herumfliegen, unterbrochen werden. Zum anderen frage ich mich: Warum fangen wir nicht schon vor der Stunde an, mindful zu sein und zum Beispiel proaktiv Platz zu machen? Oft beschleicht mich das Gefühl, dass viele nur wegen der körperlichen Ertüchtigung hier sind. Dabei ist Yoga ursprünglich lediglich eine Vorbereitung für das lange Sitzen während der Meditation gewesen.
Auch komme ich nicht umhin, mich zu fragen, ob wirklich alle, die Lululemon tragen, kein Bewusstsein dafür haben, dass der Gründer seine Marke bewusst so genannt hat, weil Japaner:innen das L nicht aussprechen können? Und dass die Marke alleine aus diesem Grund schon nicht mehr unterstützt werden sollte. Wenn mein Blick durch den Raum wandert, fällt es mir manchmal richtig schwer, die Linie zu zwischen Akzeptanz und Unverständnis zu ziehen.
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Yoga heißt auch, das anzunehmen, was da ist und mit vielen Gefühlen zu sitzen.
In der Meditation werden Gedanken beobachtet, ohne zu verurteilen. Urteile ich nicht selbst über die Personen, die sich selbst bei ihren Übungen filmen? Anfangs habe ich nichts gesagt, aber ich selbst habe mich schon oft so unwohl gefühlt, mich auch auf diesen kleinen Bildschirmen zu sehen und konnte mich auf meine Übungen nicht mehr konzentrieren. Ein gutes Studio unterbindet das auch eigentlich und animiert dazu, alles Unnötige aus dem Weg zu räumen. Der Kopf und unsere Gedanken sollen klar sein. Die Konzentration sollte auf der Atmung liegen. Und ganz wichtig:
Yoga fängt nicht auf der Matte an und hört auch nicht dort auf.
Die Übungen, die wir schließlich zu mehr als 40 Leuten in dem Raum absolvieren, sind gar nicht dafür ausgelegt. Ursprünglich ist Yoga dafür gedacht, dass eine Person unterrichtet und eine Person unterrichtet wird. Aus dem 1 on 1 wird ein 1 on 40+, und viele Lehrende geben auch nur ganz partiell Hilfestellungen und Anpassungen. Manche sind wie auf ihrer eignen Matte vorne gefangen. Logisch ist, dass die Übungen vorgemacht werden müssen. Aber wenn der repetitive Teil anfängt, dann wäre es an der Zeit, Schultern geradezurücken, zu schauen, dass die Knie über den Füßen im richtigen Winkel bleiben, und und und. Es ist natürlich nicht möglich, alle zu korrigieren bei so einer hohen Anzahl, aber eben deswegen ist Yoga auch nicht dafür ausgelegt. Oft sehe ich Posen und Haltungen, von denen ich weiß, dass sie auf lange Sicht dem Körper schaden können. Ich bin keine ausgebildete Lehrkraft, aber so offensichtlich sind die Fehlstellungen.
Ein Studio möchte am Ende Geld mit dem Yoga-Angebot verdienen und je mehr Leute kommen, desto rentabler ist das Ganze – es macht Sinn, aber verweist hier auf ein weiteres Problem: Der Westen hat sich der Yogapraxis angenommen und verdient damit richtig Geld.* Es wird auf jahrhundertealte Praktiken zurückgegriffen, die ihren Ursprung in Indien haben – Stichwort kulturelle Aneignung**.
Oft passiert in westlichen Yogastunden eine Deplatzierung: Indische Gött:innen-Bilder wie der von Ganesha oder Kali sind präsent und viele wissen nicht, was sie bedeuten oder wofür sie stehen. Kulturelle Güter werden zu Interieur und aus dem Zusammenhang gerissen unerklärt gelassen.
Ebenso habe ich mir abgewöhnt, in Klassen zu gehen, bei denen am Ende ‚Namaste‘ gesagt wird. Das Wort wird in Indien hauptsächlich verwendet, um sich zu begrüßen, während es im Yogaunterricht inhaltslos und wie eine Floskel am Ende der Unterrichtsstunde und somit total außerhalb des Kontexts verwendet wird.
Auch das penetrante Wassertrinken während der Stunde ist überhaupt nicht gut: Danach ist eine gute Hydration wichtig und wird auch empfohlen. Die innere Hitze (Tapas) wird während der Yoga-Praxis gefördert und ein Entgiftungsprozess wird angeregt: Das Trinken von Wasser stoppt diesen und kühlt den Körper.
Auch ist Yoga für alle da und nicht nur für ein bestimmtes Milieu, das hierzulande vor allem weiß, weiblich, gut verdienend und schlank ist.***
Das geht oft zwischen den ganzen normschönen, schlanken Körpern verloren. Ich kenne nicht wenige Personen, die sich gar nicht erst ins Studio trauen aus Angst aus der Reihe zu fallen. Es fällt mir auch zum Teil schwer, wenn ich merke, wie die Blicke über meinen Körper heruntergleiten und irgendwo hängen bleiben. Ich würde meinen Körper als ‚normal‘ einordnen – nicht in eine oder andere Richtung ausbrechend, aber ich zähle oftmals in den Klassen schon eher zu den Personen, die etwas ‚mehr‘ sind.
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Yoga macht nicht irgendwo Halt – im Gegenteil.
Es eignet sich für alle Körperformen und jedes Alter. Das Wort ‚Yoga‘ bedeutet Einheit oder Einigung und war ursprünglich mal eine Lebenseinstellung.
Oft ermutige ich Freund:innen, mit zum Yoga zu kommen, wenn sie Hemmungen haben, alleine zu gehen. Denn Yoga ist für alle da, auch wenn die Nummern etwas anderes sagen. Die Yoga-Praxis, die heute im Westen ausgeübt wird, ist in einem bestimmten Milieu fest verankert: Eine weiße Mittel- bis Oberschicht.**
Ich kenne nicht wenige, die Yoga zur reinen Ertüchtigung machen möchte und auch das soll in Ordnung sein, aber warum dann nicht einfach zur Gymnastik, in einen Gym-Kurs oder Ähnliches gehen? Warum einer jahrhundertalte Tradition nicht wertschätzend gegenüber treten? Wenn wir alle ein wenig mehr Bewusstsein haben für die Dinge, die wir tun, dann können wir in der Zukunft vielleicht verwenden, dass eine Sache, ja eine Lebenseinstellung wie Yoga eine gewisse Exklusivität und Unnahbarkeit bekommt, wo sie doch genau das Gegenteil als Intention inne trägt.
*Somit ist das Studio aber automatisch nicht mehr zugänglich für Personen, die auf einen Aufzug angewiesen sind und eben nicht mehr barrierefrei. Bereits hier findet eine Selektion statt.
**Kulturelle Aneignung passiert, wenn Teile einer marginalisierten Kultur von einer anderen – zumeist priviligierteren Gruppe – zu deren eigenem Gewinn entfremdet werden, ohne die Ursprünge zu achten oder zu respektieren. Kritisch anzumerken wäre hier zudem, dass ich als weiße Person darüber schreibe.
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***Laut Statista hat die Mehrheit von den rund 3,3 Millionen Personen, die in Deutschland Yoga ausübt, ein hohes Jahreseinkommen