„Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“: Warum dieses Buch wirklich jede Frau lesen sollte
„Ich bin so froh, mein Freund hilft mir ja zum Glück hin und wieder und bringt die Kinder abends ins Bett.“ Ich stutze, und frage nach. „Wie er hilft? Es ist doch sein Job, er ist ja auch der Vater“, lache ich, in der Hoffnung, meine Verwunderung nicht zu sehr nach außen zu tragen. „Ja, aber er arbeitet ja auch viel.“ „Du auch“, sage ich. „Naja, gerade nicht“, entgegnet mir meine Bekannte. „Gerade kümmere ich mich nur um die zwei Kleinen.“ Atmen. Tief einatmen. Ich atme ein paar Mal, bevor ich antworte. „Du weißt schon, dass Care-Arbeit auch Arbeit ist. Vielleicht sogar der anstrengendere Job als der deines Freundes?“ Jetzt blicken mich zwei verwunderte Augen an. Ich fahre fort. „Du hast nie Feierabend, stehst mitten in der Nacht auf, bist immer verfügbar, planst eure Tage von morgens bis abends und bist froh, wenn dein Freund sich ein paar Minuten euren gemeinsamen Kindern widmet, damit du Mittag- und Abendpause in einem machen kannst.“ Die Augen werden größer. „Eigentlich wäre es doch nur fair, wenn ich euch gegenseitig abends und am Wochenende die Arbeit mit den Kids teilt. Und das fängt schon dabei an, dass du nicht mehr sagst, mein Freund hilft mir. Es ist sein verdammter Job als Vater.“ Neben mir seufzt es. „Ja, in der Theorie magst du ja vielleicht Recht haben, aber in der Realität sieht das eben anders aus. Wir sprechen, wenn du Kinder hast.“ Bäm. Jetzt seufze ich. Und verstehe. Und seufze. Habe Verständnis. Und wahnsinnig viel Wut in mir. Auf das System. Auf den langen Weg der Gleichberechtigung.
Für mich spielt Gleichberechtigung in einer Beziehung sowie Unabhängigkeit als Frau eine extrem große Rolle im Leben. Das mag zum Einen daran liegen, dass ich in einer Familie aufgewachsen bin, in der alle Frauen sehr unabhängig waren, ich als Kind einer Alleinerziehenden vorgelebt bekommen habe, wie es gehen kann, wenn man Mutter-Dasein und Karriere unter einen Hut bringen muss. Spoiler: It’s a hell of a ride. Und zum anderen, weil ich mich seit Jahren mit dem Thema beschäftige. Wie Frauen in der Gesellschaft stehen, wahrgenommen werden und vor allem, wie sich die Wahrnehmung und die Rolle der Frau verändert, sobald sie Mutter werden. Und auch wenn ich noch keine Mutter bin: Ich weiß, es ist der krasseste Einschnitt im Leben einer Frau. Und nicht nur auf emotionaler Ebene, sondern auch auf struktureller Ebene. Spätestens ab dem Zeitpunkt der Geburt verfallen Männer wie Frauen ganz schnell in alte Rollenmodelle – weil das System es nicht anders hergibt. Und sich daraus zu kämpfen, ist harte Arbeit.
Spätestens ab dem Zeitpunkt der Geburt verfallen Männer wie Frauen ganz schnell in alte Rollenmodelle – weil das System es nicht anders hergibt. Und sich daraus zu kämpfen, ist harte Arbeit.
Für mich fängt sie bereits im Vorfeld an. Indem ich einen Partner habe, der sich als Feminist bezeichnet. Der heute mehr weiß – salopp gesagt – als, wie er eine Waschmaschine zu bedienen hat, der den Mental Load trägt und vor allem meine Arbeit und meine Karrierewünsche sieht. Der sich bewusst ist, wie Frauen im System immer noch benachteiligt werden. Und der mit mir im Vorfeld spricht, wie wir uns die Aufgaben – falls wir jemals Eltern werden sollten – teilen. Dass jeder von uns ein glücklicher Elternteil sein kann, dass jeder von uns Karriere machen kann und gleichzeitig Einbußen hat. Und dass jeder von uns finanziell wie zeitlich ausgeglichen wird, wenn er mehr Care-Arbeit übernimmt. Wir als Team wollen vielleicht irgendwann Kinder, wir als Team tragen jede Konsequenz gemeinsam.
Es ist wichtig, sich besonders als Frau bewusst zu machen, wie sehr das System einen benachteiligt, wie schnell man in alte Rollenmodelle rutscht und dementsprechend – wenn man nicht aufpasst – auch in die Altersarmut.
So in der Theorie. Ja, ich weiß, in der Praxis und mit Kindern kann sich vieles ändern. Und trotzdem glaube ich, ist es wichtig, sich besonders als Frau bewusst zu machen, wie sehr das System einen benachteiligt, wie schnell man in alte Rollenmodelle rutscht und dementsprechend – wenn man nicht aufpasst – auch in die Altersarmut. Ich bin in einigen Gruppen, in denen ich immer wieder mit Erstaunen Frauen lese, die eine Familie gegründet haben, mittlerweile aber innerhalb der Ehe am Existenzminimum leben, weil der Mann sein Gehalt für sich behält. Er arbeitet ja, er leistet wirklich viel und hat sich seinen ruhigen Feierabend mit den Jungs verdient. Während die Frau vor Müdigkeit und mit 150 Euro Kindergeld auf dem Konto um 20 Uhr mit den Kindern einpennt, nur um 3 Uhr nachts wieder aufzustehen. Unbezahlt. Ohne Rentenvorsorge. Und wenn sie sich ein Wochenende Auszeit gönnt, sagt das Umfeld: „Was, wie kannst du deine Kinder ein Wochenende alleine ( insert: beim Vater) lassen?“ Du Rabenmutter. Der Vater hingegen bekommt das ganze Wochenende Nachrichten: „Brauchst du Hilfe? Gehts?“. Hat jemals einer die Mutter gefragt?
Wir als Gesellschaft messen mit zweierlei Maß. Ganz abgesehen von den strukturellen Bedingungen gilt vor allem eines: Mütter werden be- und verurteilt, Väter glorifiziert – wenn sie sich denn kümmern. Und das ist falsch.
Und so ist auch meine Bekannte, die zuvor sehr eigenständig und unabhängig ihr Leben bestritten hat, ja, sogar feministische Gedankenn zumindest aufschnappte und teilte, in die Falle getappt. Mit der Geburt der Kinder waren alle feministischen Ansätze vergessen. Es war klar, dass sie Teilzeit arbeitet, es war klar, dass sie automatisch mehr Care-Arbeit übernimmt, es war klar, dass sie 24/7 für die Kinder zuständig ist, während der Vater das Geld verdient, seinen Ausgleich hat und sich hin und wieder um die Kinder kümmert.
Kann man es ihr zum Vorwurf machen? Nein! Ich verstehe das. Das patriarchale System ist etabliert, wir alle werden in diese Strukturen hineingeboren und erzogen. Sich daraus zu manövrieren ist schwer. Gemeinsam mit dem Partner an einem Strang ziehen, die Care-Arbeit gleichberechtigt aufzuteilen, beruflich beide zurückstecken zu lassen, all das klingt in der Theorie so einfach, doch die Realität macht das zur Mammutaufgabe, der sich viele Frauen und Männer irgendwann – leider – einfach ergeben.
Ohne Anstrengung und Verausgabung ändert sich auch nichts. Ohne Kraftakt und Diskussionen bleiben wir Frauen und Männer immer an der selben Stelle stehen.
Nur: Ohne Anstrengung und Verausgabung ändert sich auch nichts. Ohne Kraftakt und Diskussionen bleiben wir Frauen und Männer immer an der selben Stelle stehen. Und: Frauen haben dabei das Nachsehen. Was helfen kann? Sich die Ungerechtigkeit bewusst zu machen. Schwarz auf Weiß zu sehen, wie viel noch falsch läuft und wie gemein es ist, dass immer noch mit zweierlei Maß gemessen wird.
Dass Mütter immer noch automatisch in Kindergarten- und Schul-Whatsapp-Gruppen eingeladen werden, weil „der Vater müsse doch bestimmt arbeiten“. Dass ein Vater, der mit seiner Tochter alleine zum Babyschwimmen geht, traurig angesehen wird, denn „die Mutter ist doch bestimmt gestorben“. Dass Mütter, die für sich einstehen und einen finanziellen Ausgleich für die Care-Arbeit verlangen, von anderen Müttern hören: „Aber ich liebe doch mein Kind, da kann ich doch kein Geld fürs Kümmern verlangen.“
Ich könnte euch noch tausende Beispiele bringen, wie Frauen – und insbesondere Mütter – benachteiligt werden, welche Bullshitsätze sie hören müssen und welche Bullshitsätze sich Frauen gegenseitig an den Kopf werfen. In der Hoffnung, die vielleicht bessere Frau, Partnerin und Mutter zu sein. Alles unterbewusst, alles eine Frage des Systems, in dem wir aufgewachsen sind. Alles ziemlich erschreckend. Doch bevor ich euch langweile, kann ich euch nur ein Buch ans Herz legen, das wirklich jede Frau – am besten bitte vor der Familiengründung – gelesen haben sollte.
„Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“ von Alexandra Zykunov. Alexandra hat 25 Bullshitsätze in ihrem Buch gesammelt. Sätze, die sie selbst als Frau und Mutter viel zu oft gehört hat. Sätze, gegen die sie sich immer wieder gewehrt hat. Sätze, die sie jetzt in diesem Buch mit Zahlen, Fakten und ganz viel Wut zerlegt. Überfällig, wenn ihr mich fragt.
Ich folge Alexandra schon lange auf Instagram, sie ist maßgeblich mit daran beteiligt, dass ich vieles, was Frauen droht, wenn sie Mutter werden, mit Schrecken erkannt und verstanden habe. Sie hat mir aber auch Mut gemacht, dass es sich lohnt, Mutter zu sein und gegen diese Bullshitsätze anzugehen. Menschen das System immer wieder vor Augen zu führen und die Bullshit-Haftigkeit zu entlarven, die Frauen und vor allem Mütter entgegengebracht wird.
Dieses Buch ist goldwert. Für alle Frauen und Mütter. Es liefert so viele Zahlen und Fakten, dass einem schwindelig wird. Ich war und bin wütend. Ich will nie wieder den Satz „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“ hören, solange nur eine einzige Frau in meinem Umfeld einen dieser Bullshitsätze hört. Und ich sag’s wie’s ist: Ich habe alle diese Bullshitsätze in meinem Umfeld so schon gehört. Und ich bin mir sicher, euch geht’s genauso.
Meine Konsequenz nach der Lektüre: Allen Frauen in meinem Umfeld dieses Buch zu schenken. Bewusstsein schaffen für die ungleiche Behandlung und die eigenen vom System geprägten Denkweisen. Und das Gespräch zu suchen, mit den Männern in meinem Umfeld. Auch ihnen dieses Buch zu geben, zum Lernen, Verstehen und Bewusstsein für die eigenen Privilegien. Und für all die Frauen, die sie treffen werden.
Das Buch „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“ von Alexandra Zykunov ist im Ullstein Verlag erschienen. Hier könnt ihr es bestellen.
Eine Antwort zu “„Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“: Warum dieses Buch wirklich jede Frau lesen sollte”
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