Es gab mal eine Zeit, da galt es als Zeichen dafür, dass man sein Leben nicht unter Kontrolle hatte, wenn man in seinem Auto gelebt hat. Dank des Vanlife-Hypes, der nun schon einige Jahre anhält, hat sich das geändert: Das Camping-Mobil ist inzwischen ein Statussymbol und steht für die moderne Freiheit und Abenteuerlust. Es bildet für viele einen perfekten Gegenentwurf zum schnöden Alltag mit Vierzig-Stunden-Woche, Terminen und Stress – und wir damit zum Objekt der Sehnsucht nach dem Ausstieg aus dem System. Und: Es ist ein neuer Absatzmarkt für reiselustige Influencer.
Carpe that fucking diem, oder?
Man braucht kein Profi zu sein um zu erkennen, woher die plötzliche Sehnsucht der Millenials nach einem Leben on the run wahrscheinlich kommt. Ohnehin gelten wir schon als die Generation Entscheidungsunfähig, belastet mit zu vielen Optionen und unerfüllbaren Erwartungen, bis weit in die Dreißiger unsicher, was wir eigentlich mit unserer Lebenszeit anfangen wollen. Natürlich wirkt da ein Leben ohne festen Wohnsitz, ohne Bürojob und mit täglich neuen Abenteuern ziemlich reizvoll. Carpe that fucking diem, oder?! Es ist auch der Wunsch nach Weniger, der das Vanlife so unwiderstehlich macht: Eine Art Marie-Kondo-Bewegung nicht nur für die Wohnung, sondern für das ganze Leben. Denn es zwingt einen in das Grundsätzliche und verspricht, all den unnötigen Ballast in Form von Besitz, Alltag, Luxus und Konsum aus unseren Leben zu verbannen. Aber kann einen der Umzug in ein Auto wirklich von alldem befreien?
Die Antwort lautet – leider – nein. Denn wie so oft auf Social Media neigt auch die #vanlife-Bewegung dazu, seinen Followern Ungemütliches und Unästhetisches zu verschweigen. Und das aus einem guten Grund: Denn Vanlife-Influencer sind finanziell abhängig von der Illusion von Freiheit, die sie uns verkaufen.
So beneidenswert wie möglich
Die Postings der selbsterklärten Vanlifer unterscheiden sich streng genommen nur wenig von denen nicht-motorisierter Influencer: Perfektes Interieur, makelloser Teint, malerische Sonnenuntergänge – und keine Spur von kaputten Ersatzteilen, der leidigen Suche nach einer richtigen Toilette, Bürokratie-Problemen beim Grenzübergang oder Pannen mitten im Nirgendwo. Dabei gehören diese Dinge – und das weiß jeder Mensch, der mal in einem Wohnmobil Urlaub gemacht hat – viel eher zum Vanlife als verlassene, malerische Strände. Denn Urlaub in einem Auto ist zwar aufregend und selbstbestimmt, aber eben auch verdammt anstrengend. Auf Instagram sieht das Vanlife trotzdem aus wie ein nie enden wollender All-Inclusive-Urlaub. Denn es gehört eben zum Influencer-Einmaleins, ein möglichst beneidenswertes Bild abzugeben. Da sind die selbsterklärten Vanlife-Hippies mit Followerzahlen im sechsstelligen Bereich keine Ausnahme.
Zum Influencer-Einmaleins gehört auch die Message „Du kannst das auch haben, wenn du willst!“.
Die Captions bekannter Vanlifer zitieren einen pseudo-inspirierenden Spruch nach dem Anderen, die alle sagen: „Fahr doch einfach los! Worauf wartest du?“. Aber so einfach ist das nicht. Denn wer unluxuriös in einem Auto leben will, braucht ironischerweise erst mal Geld. Die laufenden Kosten eines Campers unterscheiden sich nämlich nicht großartig von denen einer Mietwohnung – da braucht man erst mal einen Job, den man einfach von überall ausführen kann.
Das Vanlife ist ein echtes Privileg,
erfordert sehr viel Planung und Ressourcen und
hat in unserer spätkapitalistischen Realität
wenig mit einem sorglosen Hippie-Lifestyle zu tun.
Im Gegenteil: Es ist kein Gegenentwurf zum System, sondern wurde aus dem System heraus geboren. Mit „Aussteigen“ hat das wenig zu tun. Dass es uns trotzdem so verkauft wird, ist eine Art Teufelskreis. Denn Vanlife-Influencer finanzieren das harte Vanlife damit, es uns als möglichst leicht und sorglos zu verkaufen: Mit Bildern von glücklichen Millenials an Laptops in Hängematten. Dass zu diesem Leben oft trotzdem ein Acht-Stunden-Bürotag auf engstem Raum und ein Hetzen von Fotospot zu Fotospot gehört, wird unter den Teppich gekehrt.
Ein ironischer Zeitgeist
Das soll natürlich nicht heißen, dass der Urlaub oder das Leben in einem Camper nicht wunderschön sein kann. Nicht ohne Grund hält der Camper-Hype schon mindestens an, seit 1950 der erste VW-Bulli übers Band lief. Interessant ist allerdings die Umdeutung durch das #vanlife in den letzten paar Jahren: Noch vor einigen Jahren dachte man beim Wort „Wohnmobil“ an Dauercamper in Grillschürze, spießige Campingplätze und FKK-Strand. Dass das Reisen im Camping-Mobil jetzt hip ist, sagt etwas über unseren Zeitgeist aus: Über den Wunsch nach der Flucht aus dem Planbaren, weg vom Überfluss und hin zum Wesentlichen. Dass die #vanlife-Influencer bei diesem Versuch dann doch wieder Teil der Social-Media-Maschinerie werden müssen – das ist die Ironie dieser absurden Phase des Kapitalismus, in der wir uns befinden.
3 Antworten zu “Wie viel Wahrheit steckt im Vanlife?”
Meine Kollegin ist in ein Auto gezogen. Ohne viel Kohle, ohne Wohnung als Backup und ohne tolle Inneneinrichtung.
Und: sie hat darüber einen Film gemacht. Ungeschönt, echt & richtig toll. Mit allen Schattenseiten.
Und bevor morgen schon der nächste Teil rauskommt, solltet ihr euch den noch schnell gegen den ganzen Unmut hier anschauen:
https://youtu.be/WbPo4zqbSsw
Liebe Grüße!
DANKE für diese Worte, die gesagt werden mussten.
Das idealisieren des „Vanlifes“ (ich meine damit explizit nicht die zwei Wochen Jahresurlaub, sondern das permanente Leben im Camper) zusammen mit der von dir erwähnten „zieh einfach los, wenn du es nicht kannst, bist du zu spießig“, geht mir schon seit einer Weile ganz schön auf den Keks.
Spätestens aber, seit ich einen echten Aussteiger unter meinen Freunden habe, bei dem ich sehe, was der Ausstieg aus dem System wirklich bedeutet:
Keine Wasserversorgung insb. Abwasser, keine Geldressourcen, da aktive Einnahmequellen im Nomadentum bei den meisten Berufen einfach nicht geht, daher de facto keine Krankenversicherung, keine Altersabsicherung und keiner, der schaut, ob es einem heute gut geht.
Ja, man bekommt auch viel.
Aber dieses Leben ist super hart und man schwebt, wenn man nicht privilegiert ist, über das MacBook einen gut bezahlten Job machen zu können, stets am finanziellen Abgrund, mit allem damit verbundenen Stress.
Die Instagramisierung dazu finde ich daher nur noch nervig.
Danke für diesen Artikel, der die Wahrheit hinter diesem unsäglichen Hype mal beim Namen nennt.