Wie mich meine Trennung freigesetzt hat
Anne ist 33, überzeugte Remote-Workerin und steht mit einem Bein in der großen, weiten Welt, mit dem anderen noch in Berlin. Gerade ist sie in Australien, und wo die Reise des Lebens genau hingeht, steht noch nicht fest. Sie ist Yogi, Feministin und auf der Suche nach Stabilität in einem Leben, das gerade viel in der Schwebe ist. Mehr von Anne findet ihr unter @ach.ane auf Instagram, hier könnt ihr außerdem ihren Newsletter abonnieren!
„Bist du denn glücklich?“, fragt er mich. Mit Entsetzen nehme ich seinen Blick wahr, der mich von der Seite durchbohrt. Wohl wissend, dass dieser Moment ein Ende markiert. Und zwar das Ende unserer Beziehung.
Jene Frage hatte ich mir seit Jahren nicht einmal erlaubt, zu stellen. Ein dickes Nein bleibt in meinem Hals stecken. Ich muss nichts mehr sagen. Ich weiß, was jetzt passieren wird: Ohne mir wirklich in die Augen zu schauen, schifft er mit seinen Worten um die Tatsache, dass er unsere Beziehung nicht weiterführen kann. Es gebe da auch jemanden anderen, erfahre ich auf Nachfrage.
Die darauffolgenden Wochen ziehen sich wie Kaugummi, ich schlafe bei guten Freund:innen auf dem Sofa. Der Schmerz knallt so rein wie die Sonne in diesem Juli. Gerade haben wir uns doch in der ersten gemeinsamen Wohnung eingerichtet: zwei Zimmer mit Balkon, perfekt angebunden, die Miete zu zweit auch für mich als Noch-Studentin bezahlbar. Ich konnte die Wohnung nach meinem Gusto einrichten und statt in die Favoritenleiste sind Produkte für Schlaf- und Wohnzimmer direkt in den Warenkorb gelandet.
Fassungslos darüber, wie er fünfeinhalb Jahre in die Tonne tritt, suche ich nach Halt in meinen Prüfungen, sitze stundenlang bis tief in den Abend in der Bibliothek, kriege kaum etwas zu Essen runter und versuche für mich herauszufinden, was mein Zuhause nun ist, aus dem ich mich nun wieder vertrieben fühle. Nach Jahren der schlechten WG-Erfahrungen in Berlin war ich um die eigenen vier Wände endlich froh. Und das will ich mir auch nicht mehr nehmen lassen. So entscheide ich mich, allein in der Wohnung zu bleiben. Diesen Ort neu für mich zu definieren und weiterzumachen, egal wie. Denn ich fühle mich hier, immer noch, zu Hause.
Die Monate nach der Trennung bleiben hart, oft flüchte ich über das Wochenende nach Leipzig, kann an den freien Tagen nicht allein mit mir in der Wohnung sein. Vor allem, nachdem ich mitbekommen habe, dass seine neue Partnerin zwei Häuser weiter in meine Straße gezogen ist. Das muss einem in einer Stadt wie Berlin erstmal passieren. Ab dann schlüpfe ich mit gesenktem Blick durch meinen ehemals so geliebten Kiez. Ich will ihnen auf keinen Fall begegnen, bin dankbar um die nachlassende Sehkraft meiner Augen. Ich fühle mich eingegrenzt, fast in die Ecke getrieben. Nach meinen Streifzügen bin ich dennoch immer glücklich, wieder bei mir daheim zu sein, in meinem eigenen Bett zu liegen – auch wenn der Schmerz da draußen auf der Straße und irgendwie auch in den eigenen vier Wänden klebt.
Das erste Jahr als Single ist prall gefühlt und gefüllt mit vielen Begegnungen, neuen Gesichtern, Geschmäckern, Gefühlen und Orten.
Von Barcelona, nach Tel Aviv, über Kopenhagen und Rhodos wird mein Trennungsschmerz langsam runterreguliert. Bis er nur noch eine recht farblose Erinnerung ist, bei der ich mir heute nur noch schwer vorstellen kann, dass das doch ein langer Teil meines Lebens war.
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Als Corona eineinhalb Jahre nach meiner Trennung in Europa ankommt, sitze ich beim Aperol mit meiner Freundin U. in Lissabon – nichtsahnend, dass wir einen letzten Hauch Freiheit einatmen. Der Lockdown trifft mich wieder hart, meine neue Beziehung kriselt und ich fange an, Vollzeit von Zuhause aus zu arbeiten. Was als temporäre Lösung gelten soll, wird am Ende ein Dauerzustand. Ich beginne es zu mögen: Ich muss mich in keine Tram gen Friedrichshain quetschen, niemand kommentiert mehr mein Outfit oder mein Mittagessen, hinter mir wird sich nicht mehr vorbeigedrängt und stattdessen kann ich wirklich in Ruhe und produktiv arbeiten. In Schüben wird der Gang ins Büro erlaubt, oft lasse ich meinen Kolleg:innen, die Familie haben, den Vortritt. In meiner Zwei-Zimmer-Wohnung geht mir niemand auf die Nerven, und ich kann mir nur ausmalen, wie es die ganze Zeit daheim mit Kindern sein muss.
Schritt für Schritt fange ich an, immer mal von anderen Orten aus zu arbeiten. Eine Woche in der Heimat, zwei Monate in Athen, dann wieder auf Korfu. Warum in meiner Berliner Wohnung sitzen, wenn es für alle Beteiligten quasi egal ist, wo ich bin?
Ich habe oft gedacht, dass ich eines Tages, so wie viele meiner Freund:innen, auch in einem der „besseren“ Bezirke wohnen würde und ich den Wedding irgendwann hinter mir lassen würde. Mit mehr Gehalt, ein bisschen Glück und dem richtigen Timing würde für mich sicher was Schickes in Kreuzberg, Prenzlauer Berg und den üblichen Verdächtigen rausspringen. Dazu kam es nie, denn mir war es das nicht wert. Die Hälfte meines Gehalts in Miete zu buttern oder mit fremden Personen zu wohnen. Meine Augen waren stets offen, aber ich fand nicht einmal ansatzweise etwas Vergleichbares. Stattdessen zog es mich immer wieder ins Ausland – vor allem dann, wenn es in Deutschland grau und kalt war. Und mit jeder Reise geht es für mich immer weiter weg.
Als ich in diesem Frühjahr aus Australien nach Berlin wiederkehre, ist eines anders: Ich fühle mich nicht mehr zu Hause, es fühlt sich nicht mehr gut an im eigenen Bett aufzuwachen. Ich weiß, ich muss hier weg. Wo ich bleiben werde, weiß ich noch nicht, aber Berlin ist es nicht mehr.
Ich kann mir plötzlich nicht mehr vorstellen, mich an einen Ort zu ketten, wenn ich merke, wie gut ich mich in Melbourne, Athen, Lissabon, auf Bali gefühlt habe. Als ich Anfang 2022 auf einem Dach in Süden Sri Lankas sitze und die pastellfarbenen Wolken des Sonnenuntergangs betrachte, kann ich gar nicht fassen, dass das mein Leben ist. Und dass ich all das nicht erlebt hätte, wäre meine damalige Beziehung nicht in die Brüche gegangen.
Es hat mir Freiheit gegeben, mit dem Roller durch Uluwatu, Bali zu fahren. Es hat mich mehr bereichert, jeden Tag zum Yoga in Ubud zu gehen, ich habe mich wohler mit meinen House Mates und deren drei riesigen Hunden in Australien und heimischer bei meiner Freundin A. an der Gold Coast gefühlt, als in all den Jahren zuvor.
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Was bis dato meine größte Krise war, hat mich am Ende freigesetzt.
Die Trennung, die ich damals durchlebt habe, markiert den Startschuss für eine langsame Abnabelung von einem Leben, das sich auf der Ziellinie des eher geregelten Lebens befand. Die Tür, die mir mein damaliger Partner vor der Nase zugeschlagen hat, war letztlich keine, durch die ich gerne gegangen wäre. So abgedroschen es klingen mag, aber das Universum regelt immer.
Jedes Nein, das ich bekommen habe – und diese eine Trennung war ein dickes fettes Nein – hat mich ein Stück näher zu einem Leben gebracht, zu dem ich heute Ja sagen kann und will.
Wenn ein ganzer Lebensentwurf vor den eigenen Augen zerfetzt wird, ist das schmerzhaft, manchmal traumatisch, aber am Ende immer damit verbunden, sich mit seinen eigenen Wünschen, Zielen, Bedürfnissen und Erwartungen auseinanderzusetzen. Heute bin ich einfach dankbar, dass mich der Schmerz nicht zu sehr in große Kompromisse gebeugt hat und ich meiner Neugierde auf so vieles da draußen nachgegeben habe.
Ankommen zu wollen ist legitim, aber eine Illusion. Man ist ja nicht fertig – selbst wenn man sich den gesellschaftlich anerkanntesten Traditionen von Heirat, Baby, Hausbau (Reihenfolge beliebig) hingibt. Wie fühlt man sich, wenn man all das getan hat? Was wartet denn hinter der vermeintlichen Ziellinie? Das große Glück oder einfach nur ein Alltag, der anders herausfordernd ist, mit einer Summe aller Sorgen, die eben doch immer gleich groß ist?
„Ich beneide dich so“, sagt meine Kollegin, als sie hört, dass ich meine Wohnung wieder untervermietet habe, um diesen Sommer erstmal nach Portugal zu gehen. Das Leuchten in ihren Augen verrät ihr Fernweh, und ich bin ehrlich glücklich, dass ich diese Freiheit habe, auch wenn ich damit nicht unbedingt an familienplanerischen und gesellschaftlich erstrebenswerten Meilensteinen vorbeikomme.