Kolumne: Warum ich 2019 gerne absage

9. Januar 2019 von in

Drei Tage lang mit niemandem sprechen. Am liebsten gar nicht das Haus verlassen. Mich mit einem Buch und einer Kanne Tee im Bett verschanzen, aus dem Fenster starren. Und mir ab und an die Decke über die Ohren ziehen und so viel schlafen, wie ich möchte.

Was sich vielleicht so anhören mag, wie eine kräftige Grippe, packte mich vor mehreren Monaten aus heiterem Himmel. Nur ohne die laufende Nase oder den Husten, dafür mit nicht minder komplizierten Kopfschmerzen. Ich hatte eine dieser Wochen hinter mich gebracht: Diverse Presse- und Redaktionstermine, ein Seminar, mehrere Abendveranstaltungen, Skype-Meetings, Telefonate, eine lange To-Do-Liste. Und Kontinuierliche Nachrichten auf dem Handy, die fragten: „Wann sehen wir uns endlich wieder?“, „Was ist der Plan fürs Wochenende?“, „Wollen wir mal wieder Essen gehen?“

Nach einem Samstagnachmittag mit einem alten Freund und einem Abendessen mit den Eltern war plötzlich Schluss. Anders als sonst, war ich nicht nur erschöpft, sondern plötzlich vollständig ausgebrannt – in Sachen Sprechen, Rausgehen, Unternehmungen und Verabredungen. Jede noch so lieb gemeinte Frage nach einem Wiedersehen, nach einer Verabredung, einem Kaffee, einer Party oder einem Tag am See löste in mir plötzlich nicht mehr das aus, was es sonst tat: wohlige Vorfreude und das Bedürfnis, alles so hinzuplanen, dass dafür Zeit wäre. Ganz plötzlich war da ein anderes Gefühl:

Keine Luft, keine Kraft.

Dieses Gefühl kenne ich schon länger. Ich habe aber gleichzeitig auch panische Angst vor dem Absagen. Wenn mich jemand fragt, ob oder noch besser wann ich Zeit habe, setzen sich sofort alle Zahnräder in Bewegung und ich versuche, Termine zu finden, an denen es gehen könnte, um den anderen nicht zu enttäuschen. Die Folge: Treffen mit Freunden, die eigentlich Freizeit sind und uns beiden Kraft geben sollten, wandeln sich in meinem Kopf zu weiteren Terminen in sowieso schon vollen Wochen.

Dass daran irgendwas nicht stimmen konnte, war klar. Und so beschloss ich, zur Abwechslung einfach mal das zu machen, was ich eigentlich wollte, und sagte ab: Die Wochenendpläne mit den Freunden, die Familientreffen, die Abendtermine, die „wann sehen wir uns endlich“-Verabredungen, einfach alles. Was blieb, war plötzlich Zeit, die sich wie Ferien anfühlte. Freie Abende mit Buch und Badewanne oder einfach gar nichts, Wochenenden mit keinem einzigen Termin, sondern freier Zeit zum in den Tag hineinleben. Und vor allem viel Zeit, um über alles nachzudenken.

Die erste Erkenntnis: Auch schon ohne Freund war mein Bedürfnis, Zeit alleine zu verbringen, da und ausgeprägt. Ich war sogar stolz, wenn ich zu Singlezeiten so unabhängig sein konnte, einen Freitagabend glücklich und zufrieden ganz alleine zu verbringen. Mit Freund allerdings wollte ich alles, nur nicht die sein, die es sich im Beziehungsnirvana gemütlich macht und nirgends mehr dabei ist. Und wurde so streng mit mir, dass ich versuchte, jedes Treffen durchzuziehen, egal ob ich überhaupt Lust darauf hatte. Und in meinem Leben alles zu haben, was auch vor der Beziehung da war, und noch mehr.

Ausflüge und Feiernächte, Sonntagsbrunch und Me-Time, Karriereziele und To Dos

Die zweite Erkenntnis: Egal ob Beziehung oder nicht, je mehr Arbeit und Verantwortung die Woche füllen, desto weniger Zeit und Kraft bleiben für Unternehmungen, die vor ein paar Jahren noch an der Tagesordnung waren. Es gibt zwei Möglichkeiten: Alles haben zu wollen, und die Tage vollzuplanen. Mit allen Freunden, die man einzeln und gesammelt sehen will, mit Ausflügen und langen Feiernächten, mit Brunch und Ausstellungen an einem Sonntag, mit romantischer Beziehungszeit, mit einzelnen und gemeinsamen Familientreffen, mit der regelmäßigen Yogastunde und dem Bücherstapel, mit Meditation und Me-Time, mit neuen Karrierezielen und der Wochen-To-Do-Liste. Oder man hört in sich hinein, entscheidet sich für ein paar dieser Dinge, für nur einen Teil des Ganzen, und stellt fest, dass dieser in Ruhe genossen sehr viel angenehmer ist. Je nach Phase kann sich das, worauf man sich fokussiert, ja jederzeit wieder ändern.

Die dritte Erkenntnis: Wenn ich etwas absage, geht die Welt nicht unter. Um genau zu sein ist absolut niemand sauer, vor allem nicht, wenn ganz viel Ehrlichkeit dazukommt. Wenn ich mich auf die Vernissage schleppen würde, und eigentlich schon auf dem Hinweg von ein bisschen verbleibender Zeit für mich im Anschluss träume, ist niemandem geholfen. Und wenn seltenere Verabredungen dazu führen, dass sie dann ohne Stress und Abhetzung stattfinden, dann doch lieber so.

Nach einigen Wochenenden ohne reden und ohne Termine kam sie langsam wieder zurück, meine Lust auf Menschen. Und ich fing an, so richtig ehrlich zu werden, zu mir selbst und zu allen anderen. Die ersten Male, an denen ich absagte, fielen mir wahnsinnig schwer. Doch die Treffen, die dann folgten, waren die, für die ich wirklich Kraft hatte, und sie waren so schön wie lange nicht.

Heute, und vor allem jetzt im neuen Jahr, sage ich gerne ab. Und lasse viel mehr zu, dass es auch mal nicht reinpasst. Die Sonntage gehören seit einiger Zeit nur mir, ohne Pläne oder Treffen. Und auch der erste dreiwöchige Urlaub meines Lebens ist in diesem Zusammenhang entstanden. Ich bin gespannt, was das Jahr bringen wird – diesmal hoffentlich ganz ohne Sozial-Burnout.

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2 Antworten zu “Kolumne: Warum ich 2019 gerne absage”

  1. Dieser Artikel spricht mir so dermaßen aus der Seele, dass ich gerade mitten im Büro ein paar Tränen verdrücken muss. Irgendwie dachte ich trotz aller Logik doch immer wieder, dass ich bestimmt die Einzige mit derlei Gedanken bin… Also: vielen Dank für diese Worte!

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