Warum das Tragen von Lingerie ein feministischer Akt sein kann: Im Gespräch mit Marlies Dekkers

3. Dezember 2020 von in ,

Alle zwei, drei Jahre überkommt es mich. Dann stürme ich in die Stadt und kaufe mir endlich mal wieder schöne Unterwäsche. Nicht die, die ich jeden Tag trage und liebe und die vor allem eines ist – bequem -, sondern Unterwäsche, die irgendwie ein bisschen hübscher aussieht. Die zwar niemand sieht außer mir, die mir aber ein gutes Gefühl gibt. Weil ich mich wohl in meinem Körper fühle und mir das selbst ein bisschen zeigen will. In solchen Momenten ärgere ich mich dann, dass ich nicht viel öfter schöne Unterwäsche trage. Weil einen Anlass braucht es ja nun wirklich nicht. Es reicht ja, dass ich mich gut fühle und das irgendwie auch ausstrahlen will.

Unsere Sozialisation durch Medien und Filme sagt uns Frauen dennoch: Kauf dir neue Unterwäsche, wenn du einen neuen Mann kennengelernt hast. Oder wenn du bei einem Date besonders überzeugen willst. Oder du einen Mann überraschen willst. Oder die Silvesternacht besonders aufregend sein soll. Findet ihr den Fehler?

Unterwäsche sollten wir vor allem nur für uns tragen. Weil sie uns gut fühlen lässt und das erste ist, was wir jeden Tag anziehen. Das kann der bequeme Baumwoll-BH sein, oder das Spitzenteil, das einem Hollywood-Film entsprungen scheint. Es ist egal, wie wir sexy und schön definieren, hauptsache, wir tragen diese Wäsche erstmal nur für uns. Wenn wir uns gut fühlen und sich unser Partner auch noch über schöne Wäsche, freut: win win. Nur für ihn allein sollten wir uns in nichts zwängen, was wir nicht fühlen.

Die Wäsche-Designerin Marlies Dekkers sieht das ähnlich. Sie setzt sich dafür ein, dass Frauen schöne Unterwäsche vor allem für sich entdecken. Um ihren Körper zu feiern und ihre Weiblichkeit zu umarmen. Doch funktioniert das? Denn keine andere Mode ist so sehr darauf fixiert, die Frauen für Männer in Szene zu setzen, als die ihre. Marlies Dekkers sagt: Ja, aber es ist noch ein langer Weg.

Wir haben mit der niederländischen Designerin gesprochen, warum sich schöne Unterwäsche und Feminismus nicht ausschließen, unser Körperbild oft verschroben ist und Krisen uns stärken.

Das ist eine Frage, die ich tatsächlich häufig gestellt bekomme. Das „Problem“ ist nicht die Lingerie an sich, sondern unsere Definition von Feminismus oder einer Feministin. Für mich bedeutet Feministin zu sein, dass ich mich für soziale, politische und wirtschaftliche Gleichberechtigung beider Geschlechter einsetze. Um das zu erreichen, haben gerade frühere Feministinnen ihre ganze Weiblichkeit beschnitten, indem sie beispielsweise ihre Haare schnitten und ihre BHs verbrannten. Gott sei Dank ist das heute nicht mehr so. High Heels zu tragen, Lippenstift oder wunderschöne Dessous zu tragen macht uns nicht zu schlechteren Feministinnen. Ich verwende gerne auch die Bezeichnung „Feminine Feminist“: Wir können gleichberechtigt neben Männern stehen, während wir zeitgleich unsere feminine Seite feiern.

Diese Frage schließt übrigens auch an einem anderen wichtigen Punkt an: Die Lingerie-Industrie hat noch einen langen Weg vor sich. Es hat mich persönlich immer fasziniert: Wir haben hier ein Produkt, das für Frauen entworfen wird, damit sie Männern gefallen. Da werden in Fotoshootings Frauen wie ein wunderschönes Bonbon verpackt und in einem Schlafzimmer drapiert, als ob es ihre einzige Aufgabe im Leben ist, auf ihre Ehemänner zu warten. Ich entwerfe Lingerie aus einem feministischen Ansatz heraus: Ich möchte, dass Frauen sich selbst und ihre Sicht auf sich (wieder-) entdecken.

Und das ist genau mein Antrieb: Meine Dessous sollen die Schönheit der Trägerin umrahmen und sie selbstbewusst hervortreten lassen.


Ein guter Punkt. Was macht schöne Unterwäsche mit uns?

Unterwäsche ist das erste, was wir am Morgen anziehen. Gibt es einen besseren Weg in den Tag zu starten, als sich im Spiegel zu sehen und daran erinnert werden, wie schön man ist? Schöne Unterwäsche kann uns einen Selbstbewusstseins-Boost geben, der den ganzen Tag anhalten kann. Mit diesem Selbstbewusstsein durchsteht man noch so jede Herausforderung am Tag.

Warum sollten also Frauen* deine Lingerie tragen?

Ich träume davon, dass sich jede Frau jeden Tag wunderschön und stark fühlt. Und mit meiner Wäsche versuche ich meinen Teil  dazu beizutragen. Ich wünsche mir, dass sich die Frauen, die meine Mode tragen, selbstbewusst und wunderschön fühlen. Schönheit und Komfort schließen sich nicht aus: Ich verwende extra besondere Polsterungen im Cup, die besten Stoffe sowie die stärksten Träger, damit meine Wäsche so gemütlich wie möglich ist.

 

 

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Inklusivität und Body Positivity sind wichtige Themen für dich und dein Label: Wie schwer ist es heute als Brand, die Bedürfnisse aller Kund*innen und ihrer Körper zu befriedigen?

In einer idealen Welt würde ich Wäsche für jede einzelne Frau machen, aber wenn wir ehrlich sind: Das braucht sehr viel Zeit und Geld. Jedesmal wenn ich ein Design in einer anderen Größe kreiere, muss ich die ganze Form re-designen. Eine Frau mit einem 70B-Körpchen hat anderen Ansprüche an einen BH als eine Frau mit einer 85F. Wir versuchen, den verschiedenen Körpern von Frauen mit breiteren Trägern, höheren Körbchengrößen sowie extra Polsterungen gerecht zu werden, aber wir können aus Kostengründen nicht jede Größe aufnehmen. Wir sind trotzdem stolz darauf, eine Größenrange von 70A bis 85G anbieten zu können.

Was würdest du Frauen sagen, die unsicher sind, sich in sexy Unterwäsche zu zeigen?

Sich stark und sexy zu fühlen, ist ein Gefühl, das jede Frau anders empfindet. Manche fühlen sich in ihrer nackten Haut super wohl, andere nur, wenn sie bedeckter unterwegs sind. Aber ich verspreche euch, mit dem Wissen, was man unten drunter trägt, fühlt man sich auch in einem dicken Rollkragenpullover gleich ein bisschen besser. Also würde ich ihr sagen: Probiert schöne Unterwäsche erst einmal für euch selbst aus und schaut, was passiert.

„Learning to love your body is a challenge“ steht auf einem Instagrampost auf eurem Instagram-Account geschrieben. Wie hast du gelernt, deinen Körper lieben zu lernen?

Der Post ist ein Zitat einer Frau, die Brustkrebs überwunden hat und eine Mastektomie hatte. Sie machte anderen Frauen Mut, dass es sich lohnt, den neuen Körper und seine Veränderungen trotz aller Herausforderung anzunehmen. Denn wenn wir ehrlich sind: Solange wir gesund sind, ist es doch ein leichtes, den eigenen Körper zu lieben. Natürlich wird es uns schwer gemacht, denn wir streben alle diesen „perfekten Körper“ an, der uns von den Medien schon viel zu lange suggeriert wird. Würden wir einen Baum als zu schwer, zu groß oder zu schmächtig beschreiben? Nein! Warum machen wir das dann mit uns Menschen? Seit ich das erkannt habe, sehe ich meinen Körper in einem anderen Licht. Ich bin einzigartig und das ist das, was mich schön macht!

Würden wir einen Baum als zu schwer, zu groß oder zu schmächtig beschreiben? Nein! Warum machen wir das dann mit uns Menschen?

 

 

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Und wie hat deine Wäsche diesen Selbstliebe-Prozess unterstützt?

Ich habe meinen Blick auf meinen Körper verändert, auch mit dem Tragen von schöner Wäsche. Und das wollte ich auch anderen Frauen mit meiner Wäsche ermöglichen. Meine Lingerie soll die Schönheit jeder Frau unterstreichen und auch die Einzigartigkeit des weiblichen Körpers hervorheben. Ich möchte, dass sich Frauen im Spiegel betrachten und sagen: „Wow, das bin ich?“

Hast du einen Rat für junge Frauen, die noch damit hadern, ihren Körper so zu akzeptieren, wie er ist?

Beginne im Innen. Hör auf dich mit anderen zu vergleichen oder dich selbst dauernd zu kritisieren. Fokussiere dich stattdessen auf dich und feiere deine einzigartige Schönheit – außen wie innen. Triff nur Entscheidungen, die dein Selbstbewusstsein unterstützen und dir ein gutes Gefühl geben. Und irgendwann, eines Tages, auf der Reise des inneren Wachstums schaust du in den Spiegel und entdeckst die Liebe deines Lebens: dich!

Hör auf dich mit anderen zu vergleichen oder dich selbst dauernd zu kritisieren. Fokussiere dich stattdessen auf dich und
feiere deine einzigartige Schönheit

 

 

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2020 ist das Jahr der Krisen – vor allem für viele Labels und Shops. Für marlies|dekkers nichts Neues: Dein Label ging 2013 in die Insolvenz. Aber: Heute ist das Brand eines der erfolgreichsten Lingerie-Labels weltweit. Wie hast du den Mut und die Zuversicht gefunden, weiter an dich zu glauben und nach 2013 nochmal neu durchzustarten?

Ich habe nie aufgegeben. Mein Motto ist „Trau dich zu träumen, trau dich zu wachsen, und trau dich, präsent zu sein“, was meiner Meinung nach ein guter 3-Stufen-Plan für uns Frauen ist, um unser Potential zu entwickeln. Zuerst muss man seine tiefsten Wünsche und verrücktesten Träume herausfinden, egal, was Familie, Partner oder die Gesellschaft dazu sagen. Trau dich, an deinen Träumen festzuhalten. Als nächstes muss man gucken, wie man seine Träume auch verwirklicht bekommt. Hier geht es vor allem um Wachstum, Weiterbildung und manchmal auch darum, Opfer für den eigenen Traum zu bringen. Und irgendwann auf der großen Reise merkt man: Mein Traum wird langsam wahr. Es hat sich gelohnt, all die eigene Kraft einzusetzen, um den eigenen Wunsch zu erfüllen. Und dann ist man. Dann hält einen nichts mehr auf. Und genau das habe ich mir auch selbst bewiesen. Es war nicht immer einfach, es gibt Herausforderungen und manchmal verliert man auch den Mut. Aber es ist wichtig, dass nur man selbst für die eigenen Träume verantwortlich ist. Nur du selbst hast es in der Hand.

Das hast du schön gesagt. Glaubst du denn auch, dass Krisen im Privaten wie Geschäftlichen Chancen bieten?

Krisen machen oft Platz für Veränderung und Wachstum. Man ist plötzlich gezwungen, herauszufinden, was man wirklich leisten kann – und ganz oft passieren dann großartige Dinge!

 

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Und eine Abschlussfrage: Wo findest du Inspiration für deine Designs?

Ich lasse mich von meinen persönlichen Musen inspirieren: Das sind Frauen, die zeigen, wie stark die weibliche Kraft ist. Beispielsweise Amelia Earheart, die furchtlose Pilotin, die 1932 alleine den Atlantik überquerte und bewies, es gibt keine Grenzen für Frauen. Oder Krimiautorin Agatha Christi, die in ihren Büchern Frauen eine starke und mehrdimensionale Rolle gab, anders als viele Autoren. Und für die nächste Saison habe ich mir eine ganz besondere Muse ausgesucht – eine Frau, die mich inspiriert hat, auch meine Schwächen zu umarmen. So viel sei verraten: Sie war die Königin von Ägypten, aber ich nenne sie gerne die Comeback Queen.

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