Erste graue Haare

Von ersten grauen Haaren und dem Versuch, sie zu lieben

19. Januar 2021 von in

Ich kann den Moment noch immer spüren. Es war August 2007, ich saß mit Amelie am Fenster unseres Pariser Hotelzimmerchens und blickte auf die Straßen von Montmartre. In der Hand eine Zigarette fühlte ich mich ziemlich wie in jedem Godard-Film, den ich bis dahin gesehen hatte, und ästhetisch so inspiriert wie noch nie. Mit Amelie, die mich als neue Bekanntschaft, die in Windeseile zur engsten Freundin geworden war, so umgehauen hatte wie noch keine war ich gerade in meiner Lieblingsstadt, die mich so inspirierte wie sonst keine. Und fühlte mich ganz plötzlich ein bisschen anders als zuvor, vom Gefühl her war ich plötzlich ein Stück älter geworden, und hatte das starke Bedürfnis, das auch irgendwie äußerlich sichtbar zu machen.

Bis Weihnachten sind mein Pony rausgewachsen und man kann meine Naturhaarfarbe sehen, teilte ich Amelie mit. Ich hatte die natürlichen Pariser Schönheiten vor Augen, die da unten auf der Straße vorbeiliefen, und fand plötzlich jegliche Färbeversuche, die ich bisher unternommen hatte, kindisch und daneben. Gefärbt hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt immer, ohne das Prozedere je zu hinterfragen. Mit 11 hatte ich knallrote Haare wie meine Freundinnen und das Gefühl, damit ein bisschen mehr die Hexe zu sein, als die ich mich vorübergehend fühlte. Mit 12 wurde aus dem Rot erst Rotbraun, dann Dunkelbraun. Ein Drogerie-Farbton, der leider nur ein paar Haarwäschen lang voll und satt aussah, dann aber seine dunklen Pigmente verlor und einen seltsamen Bordeauxschimmer hinterließ, den ich nicht hinterfragte, obwohl er die meiste Zeit meine Haarfarbe ausmachte.

Mit 16 also beschloss ich, meine Haare nicht mehr zu färben, und zog die Entscheidung auch durch. Vor Augen hatte ich seit den Tagen in Paris die natürliche Schönheit meiner natürlichen, dunkelblondhellbraunen Haare, in denen Bordeauxrot absolut nicht vorkommt, was für mich die Schönheit dieses Nichtfarbtons ausmacht. Viele nennen es Aschblond und greifen zur Haarfarbe, ich wiederum liebe das Ungesättigte des natürlichen Haartons, der in der Sonne golden glänzt und am Abend zu einem Hellbraun wird.

In diesen Weihnachtsferien nun stand ich zur Abwechslung mal in einem Tageslichtbad und föhnte meine Haare, als da plötzlich etwas anderes glänzte. Weiße Haare reflektierten die Sonne, als sie von der Föhnluft durchgewirbelt wurden, und ich sah zum ersten Mal: Ich habe nicht nur ein verirrtes graues Haar, ich habe einige davon. Weiße Haare um genau zu sein, die schon eine ganze Weile unentdeckt da sein müssen, denn sie sind so lang wie all die anderen.

Erste graue Haare

Nun liebe ich meine Haare in ihrer ganzen Pracht und Natürlichkeit, ich liebe meine Wellen und Krausen, ich liebe meine Haare glattgeföhnt, geflochten und hochgebunden. Und ich würde es niemals übers Herz bringen, auch nur ein einziges Haar auszureißen, auch kein weißes. Ähnlich schmerzhaft ist die Vorstellung, diese neue Veränderung meines Körpers einfach zu überfärben. Und damit der Ästhetik von Natürlichkeit, die mich damals so überkam, jetzt schon wieder Tschüss zu sagen.

Und doch sind graue Haare, erst eines, dann zehn, dann langsam 20 oder mehr, eine ganz schöne Herausforderung. Sie sind plötzlich da, kamen mit der 30 durch die Tür, und geben mir zum ersten Mal wirklich das Gefühl von Vergänglichkeit. Gerade weil der Moment, in dem ich meine Naturhaarfarbe endlich herauskommen lassen wollte, noch so präsent ist. Und weil ich diese Farbe, meine Farbe, meine Haare so sehr mag.

Natürlich sind die grauen Haare bisher nicht viele. Und nur bei genauerem Hinsehen existieren sie für alle außer mich überhaupt. Und doch merkte ich, wie ich mich innerlich schon darauf einstelle, von nun an mit regelmäßigen Ansätzen konfrontiert zu sein und diesen ganz besonderen leichten Goldschimmer in der Sonne nie mehr wiederzusehen. Noch ist es nicht so weit, aber ich weiß, dass auf 20 graue Haare weitere 20 folgen und noch mehr. Und ich weiß, dass ich mit 30 noch nicht bereit für komplett grauen Haare bin, so schön ich sie auch bei anderen Frauen in meinem Alter finde. Gleichzeitig finde ich die hellen Schlieren zwischen meiner Naturhaarfarbe sogar irgendwie schön, und stelle es mir viel netter vor, nach und nach graue und weiße Haare zwischen meiner Naturhaarfarbe zu finden, als ab sofort zu färben und damit immer einen Ansatz zu haben. Wie schnell das Ergrauen tatsächlich vor sich gehen wird, weiß schließlich auch niemand, und die Naturhaarfarbe ist etwas, was nie wiederkommen wird.

Und so schubste mich der Anblick im Tageslichtbad in einen kleinen Konflikt: Gebe ich meine geliebte Naturhaarfarbe nun früher oder später wirklich auf, um mich der Grau-Willkür zu entziehen? Und finde ich dann vielleicht endlich braune Haarfarben, die kühl, natürlich ohne Rotstich und nah an meinem Naturton sind? Oder kriege ich es vielleicht doch hin, mein langsames Ergrauen anzunehmen? Ist es vielleicht sogar total spannend, diesen langsamen Prozess beobachten zu können, eben weil man meistens lieber schnell drüberfärbt?

Noch weiß ich nicht, wie ich mit meinen weißen und grauen Haaren umgehen werde. Nur so viel: Diese Gedanken habe nicht nur ich. Wie also steht ihr zu euren grauen Haaren? Wer hat schon welche gesichtet, und was waren eure Konsequenzen?

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13 Antworten zu “Von ersten grauen Haaren und dem Versuch, sie zu lieben”

  1. Ich war 20 als meine Uni-Freundinnen an einem Vino-Abend die ersten grauen Haare bei mir am Hinterkopf entdeckten. An dem Abend war das ein Riesending, weil graue Haare bekommt man doch erst mit 40 oder doch nicht? In den nächsten Jahren stellte sich dann aber raus, dass viele meiner 20er Freundinnen & Freunde auch schon mit den ersten grauen Haaren gesegnet wurden. Richtig cool findet man das natürlich nicht und ich verfahre auch so, dass ich die vereinzelten Haare seitdem auszupfe. Das Konzept wird natürlich irgendwann hinfällig, wenn sich die Haare häufen. :D Bisher und mittlerweile bin ich fast 28 funktioniert das aber ganz gut. Irgendwann würde ich dann glaube ich färben aber finde es an älteren Frauen auch immer ziemlich schön, wenn sie irgendwann einfach dazustehen. Bis jetzt ist mir das nicht gelungen und ich will meine natürliche Haarpracht noch so lange wie möglich ohne graue Haare im Spiegel anschauen.

    • Ich glaube auch, dass ich schon viel länger graue Haare habe, sie mir aber jetzt erst wirklich aufgefallen sind. Ich hoffe einfach mal, dass sie nicht allzu schnell allzu viele mehr werden, dann bin ich ok damit!

  2. Irgendwie werden meine Haare bis jetzt nicht grau, sondern nur krauser und drahtiger. Besonders schön fand ich sie noch nie, aber mein Gott, ob sie jetzt trocken und frizzy sind oder nicht ändert nichts an meinem Leben. In meinen Zwanzigern habe ich so viel Zeit und Geld und Gedanken meinen Haaren gewidmet (looking at you curly girl method), dass ich jetzt einfach zu faul bin ?

  3. Mein erstes graues Haar hat mal ein Date entdeckt .. beim Spazierengehen. Ich war SO geschockt. Vor allem, weil ich erst 24 war. Meine Mama hat mir dann eröffnet, dass sie schon mit 17 ein graues Haar hatte. Ohweia.

    • Oh nein :D Ich glaube, einzelne graue Haare kommen früher, als man denkt. Aber das komplette Ergrauen passiert doch selten in den 20ern. Ich bin total gespannt, wie schnell das bei mir weitergeht!

  4. Oh Milena, das ist genau das Thema, das mich seit einem Monat beschäftigt! ich habe 10 Jahre lang meine Haare blondiert, und bin nach Corona auf meine Naturfarbe umgestiegen – Dunkelblond, wie bei dir. Und dann, oh weja, habe ich sehr viele grauer Haare entdeckt (bin 39).

  5. Hallo Milena,
    Ich habe auch graue Haare (da ich aber von Natur blond bin, mischt sich das irgendwie unauffällig). Ich hatte das letzte Jahr mittellange Haare bis zur Schulter und auch noch Reste vom Hellblond mit drinnen. Wollte wieder zu meiner Naturhaarfarbe zurück, weil mir dieses extreme Blond überhaupt nicht mehr gefallen hatte. Die Farbe war schon 6-7 cm herausgewachsen, meine Haare waren durch das jahrelange Blondieren total kaputt.
    Dann kam Corona. Ich war im Lockdown (kann von zuhause aus online arbeiten) und da habe ich eines Tages meinen Mann gebeten, mir Glatze zu schneiden (mit dem Haarschneider, der sonst nur für ihn bestimmt ist). Jetzt ist es ein Jahr her, die Haare sind wieder gut gewachsen, war zwischendurch auch schon mal wieder beim Friseur. Meine Haare sind jetzt mittelblond und mit hellgrauen Strähnen durchzogen. Durch den radikalen Schnitt haben sich die Haare total erholt, sie sind jetzt dick und glänzend und ich werde den Teufel tun, sie noch mal zu färben! So eine tolle Haarqualität hatte ich das letzte Mal als Kind…:-))
    Ich weiß schon was du meinst mit den französischen Frauen, habe auch eine gute Freundin aus Frankreich. Sie hat auch wunderschöne, glänzende braune Haare und würde sie niemals färben. Sie meinte mal zu mir, sie wundert sich, daß die deutschen Frauen so erpicht darauf sind, ihre Haare mit schlechten Haarfarben zu „versauen“, in Frankreich stehen die meisten Frauen zu ihrem Grau. Das muß auch nicht altbacken aussehen, getuschte Wimpern und rote Lippen machen schon sehr viel aus und die grauen Haare sollten natürlich auch gepflegt werden (Kuren und Spitzen schneiden lassen)…
    Liebe Grüße, Kath

    • Wooow, so ein mutiger Schritt! Danke für deinen Bericht :) Ich finde es auch viel wichtiger, dass die Haare gut gepflegt sind, da hast du total recht.

  6. Ich hasse meine grauen Haare. Jedes einzelne!
    Es macht mich älter, und zudem sind sie viel dicker als die anderen Haare und spröde. Auch wenn die Färberei nervt, das Ergebnis – endlich wieder Farbe im Haar! – macht mich gücklich.
    Soll jeder so, wie er will, für mich ist grau einfach nichts.

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