Viel Wirbel zu Recht: H&M und der Rassismus-Vorwurf

10. Januar 2018 von in ,

Es war gestern sicher auch in all euren Social-Media-Kanälen: die Bilder der neuen Kindermode-Kampagne, die H&M in England bewirbt. Zu sehen sind zwei Jungs – einer schwarz, einer weiß – in beschrifteten Hoodies. Auf dem Hoodie des weißen Kindes steht „Mangrove Jungle Survival Expert“, auf dem des schwarzen Kindes „Coolest Monkey in the Jungle“. Lasst das kurz sacken. Wenn ihr das Problem nicht seht, dann besteht eine Chance von geschätzt 99,9 Prozent, dass ihr weiß seid.

Es scheint, als würden Kontroversen wie diese wiederkehren wie kleine Stürme, nur nicht als Folge von Wetterbedingungen, sondern von einer verqueren Marktlogik, die immer absurdere PR-Auswüchse hervorbringt: Vergangenes Jahr in Form der unpassenden Pepsi-Werbung, in der Kylie Jenner Polizisten auf einer Demo mit Softdrinks besänftigt, oder der Dove-Werbung, in der sich eine schwarze Frau in eine Weiße verwandelt, als wäre das das erstrebte Ziel der Schönheitskur.

Dass die Bilder dieser Kindermode-Kollektion durch alle Instanzen des Megakonzerns bis zur Veröffentlichung gingen, ohne dass der rassistische Unterton bemerkt und diskutiert wurde, scheint schier unmöglich – selbst wenn H&M keine einzige schwarze Person oder jemandem mit einem Gewissen in ihren Chefsesseln sitzen hat (was nicht sehr unwahrscheinlich ist). Wir leben in 2018 und H&M hat sicher sehr fähiges Marketingpersonal, das sich darüber im Klaren gewesen sein muss, dass hier eine Kontroverse ausgelöst werden wird. Alle anderen Kinder der Kampagne sind weiß. Der schwarze Junge wurde ausgerechnet in diesen Pullover gesteckt.
Die absolut schreckliche Schlussfolgerung lautet: Hier wird bewusst mit Rassismus PR gemacht, frei nach dem Motto „jede Publicity ist gute Publicity“. Hier wird der Aufschrei einer Bewegung genutzt, um mehr Kapital zu generieren – noch dazu von einem Konzern, der sich in puncto Fairness und Menschlichkeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Zwar kam die obligatorische, halbherzige Entschuldigung, aber was bleibt? Die Publicity. Kapitalismus in Reinform, Ladies and Gentlemen.

In den sozialen Medien wird nun argumentiert, dass nur ein Rassist diese Werbung als rassistisch sehen könne, denn die Welt sei ja „längst viel weiter“. Wer sich davon getriggert fühle, der lebe in der Vergangenheit. Das ist leicht gesagt, wenn man nicht selbst von Rassismus betroffen ist. Dass man als weiße Person Rassismus nicht sieht, wenn man sich nicht aktiv damit befasst, ist logisch: Denn es widerfährt einem nicht. Für eine Person of Color hingegen kann es nur lächerlich klingen, wenn jemand behauptet, wir wären längst über solch plumpe Formen von Rassismus hinweg. Ganz besonders in diesem Fall: Es gibt eine jahrhundertelange Geschichte rassistischer Beleidigungen gegen Schwarze, die mit dem Vergleich mit Affen zu tun haben, wie auch Fabienne von This is Jane Wayne in ihrem offenen Brief an die Welt und Autor Oliver Rasche klar macht.

Ihr habt es bestimmt alle mitgekriegt: H&M hatte in England eine Kollektion für Kinder unter anderem mit diesen beiden Bildern beworben. Seit dem gab/gibt es Aufruhr im Netz weil viele das Bild des schwarzen Jungen aufgrund des von ihm getragenen Hoodies mit der Aufschrift „Coolest Monkey in the Jungle“ als rassistisch und diskriminierend betrachten. Gleichzeitig gibt es scheinbar die weit verbreitete Meinung, dass alle die das als rassistisch sehen selbst rassistisch sind weil sie darauf aufmerksam machen und spalten wollen zwischen schwarz und weiss. All diesen Menschen die so argumentieren habe ich etwas zu sagen: Es kann nicht ernsthaft eure Logik sein mit der ihr versucht den strukturell vorhandenen Rassismus einfach abzutun! Wie menschenverachtend, geschichtlich uninformiert und empathielos muss man eigentlich sein um sowas behaupten zu können? Glaubt ihr ernsthaft wir wollen so gesehen werden und drängen uns selbst in die Opferrolle? Glaubt ihr das macht uns Spaß immer wieder verletzt zu werden, wütend zu sein und dafür zu kämpfen als gleichwertige Menschen behandelt zu werden? Selbst wenn ihr behauptet nicht rassistisch zu sein und keine Farbe zu sehen, selbst wenn ihr nicht die unglaublich schrecklichen Details der jahrhundertelangen kolonialen Ausbeutung kennt, die dem schwarzen Kontinent und all seinen Kindern und Kindeskindern angetan wurde und die bis heute wirtschaftlich, politisch und psychologisch nachwirkt, selbst wenn ihr nicht wisst, dass schwarze Menschen im letzten Jahrhundert hier in Zoos ausgestellt und begafft wurden so solltet ihr doch einfach rein menschlich die Fähigkeit haben Respekt und Mitgefühl zu entwickeln wenn Menschen zeigen, dass sie sich durch etwas wieder und wieder erniedrigt fühlen. Wie kann man sich als jemand der nicht betroffen ist herausnehmen drüber zu entscheiden ob jemand anderes diskriminiert wird? Ihr macht euch so stark uns wissen zu lassen dass wir aus eurer Sicht rumheulen, warum? Habt ihr eine Vorstellung wie hoffnungslos das macht? Wir wollen alle die schreckliche Geschichte hinter uns lassen aber das geht nur in dem man sich auf Augenhöhe damit auseinandersetzt und versucht Verletzungen zu heilen.#BSMG

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Ironischerweise sind es meist weiße Männer, die als selbsternannte Rassismus- und Sexismus-Experten behaupten, Kritik an Dingen wie diesen sei übertrieben und würde das Problem nur künstlich aufbauschen und betroffene Menschen erst „zu Opfern stilisieren“ – als würde diese Problematik nicht mehr existieren, wenn sie es nicht in die Medien schafft.

Nein: Menschen, die solche Formen von Rassismus nicht (an-)erkennen, sind nicht die wahren Antirassisten. Sie sind im Gegenteil nicht sensibilisiert dafür, dass Rassismus eine alltägliche Erfahrung für alle ist, die nicht weiß sind. Die sich Beschimpfungen aufgrund ihrer Hautfarbe auch im gottverdammten 2018 noch aussetzen müssen. Wer sich dann als weiße Person dazu berufen fühlt, Kontroversen wie diese als übertrieben einzustufen, ohne sich einmal mit einer von Rassismus betroffenen Person unterhalten zu haben, der hat ganz schöne Nerven. Wer es als übertrieben ansieht, das zu thematisieren und zu kritisieren, der muss dringend sein Privileg, nicht von Rassismus betroffen zu sein, als solches anerkennen lernen.

In solchen Diskussionen auch immer mit von der Partie: das Scheinargument, dass es doch viel wichtigere Probleme gebe, mit denen man sich befassen solle, beispielsweise der AfD im Bundestag – als wäre es nicht möglich, verschiedene Auswüchse von Diskriminierung gleichzeitig zu verurteilen, und als würde latenter Rassismus wie dieser nicht auch auf komplexe Weise mit einer rechten Partei im Bundestag korrelieren.

Das Beispiel H&M ist eines von vielen für die Art und Weise, wie verschiedene Formen von Diskriminierung mit dem entmenschlichten Kapitalismus Hand in Hand gehen, nach dessen Regeln wir leben.

Hat Pepsi größere Schäden davongetragen? Ist Dove jetzt insolvent? Wird H&M ernsthafte Konsequenzen erfahren?

Nein. Diese Konzerne sind zu wirkmächtig, als dass ihnen solche Kontroversen mehr anhaben könnten als ein paar Tage Negativschlagzeilen – oder in diesem Fall die Kündigung der Zusammenarbeit von „The Weeknd“ und einen kurzen Fall ihrer Aktie. Es wird nicht lange dauern, dann ist auch diese Kontroverse Schnee von gestern, H&M wieder beim Tagesgeschäft und ignorante Weiße wieder bequem auf ihrem Standpunkt, Rassismus sei längst besiegt. Dass Kontroversen wie diese in der Regel so ablaufen, ist nur eine von vielen Gründen, wieso Kapitalismus mit Moral unvereinbar ist.

The coolest KING ? in the world #kingod #blackkings #akomicsart #artlife

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6 Antworten zu “Viel Wirbel zu Recht: H&M und der Rassismus-Vorwurf”

  1. Hi, zur Dove Werbung würde ich dir gerne diesen Artikel auf bento ans Herz legen, da die Dove Werbung immer als Beispiel rassistischer Werbung heran gezogen wird. Als es mit dem Shitstorm los ging, war ich auch wütend auf Dove. Dann habe ich das Statement des dunkelhäutigen Models gelesen, das Gesicht der Kampagne, die nicht nur aus dem verkürzten Spot besteht. Sie bedauert, dass Dove sich nicht verteidigt hat und war stolz auf die Kampagne. Zudem sehr traurig was aus der Kampagne gemacht wurde. https://www.google.de/amp/www.bento.de/politik/rassistische-dove-werbung-so-reagiert-das-dunkelhaeutige-model-auf-die-vorwuerfe-1753403/amp/

    • Danke für den Tipp, den Artikel werde ich gleich mal lesen. @THEA

      Ich habe nämlich bei all den Posts gegen H&M als erstes daran gedacht, wie sich der kleine Junge nun fühlt. Das hat offensichtlich niemanden interessiert. Ich denke, dass er sicher sehr stolz auf sein cooles Bild war und vielleicht liebt er ja auch Affen. Vielleicht hat er sich das Motiv sogar selbst ausgesucht. Oder dem weißen Jungen stand das Grün grün einfach nicht, ist schließlich eine schwierige Farbe.
      Wahrscheinlich hat sich der kleine Junge vorher gar nicht als anders empfunden, aber das wird sich wohl nun geändert haben. Zum Glück hat er wohl eine kluge Mami, die sich nun gegen diese Rassismus-Paranoia stark macht, sicher auch um ihren Jungen zu schützen.

      Ich persönlich finde es eher abstoßend, wie sich bei solchen Aktionen immer alle profilieren wollen, natürlich als Empörte getarnt.
      Insofern freue ich mich über die meisten Kommentatoren hier, die offensichtlich auch keine Verbindung in der Aufschrift des Hoodies und der Hautfarbe des Jungen gesehen haben. Das ist nämlich kein Schritt in Richtung Vergangenheit, sondern der richtige Blick für eine Zukunft ohne Rassismus. Und auf die freue ich mich als Teenager ganz besonders. Ich glaube nämlich nicht, dass eine neue Form von Rassismus als offener Rassismus daherkommen würde, sondern wahrscheinlich eher versteckt, vielleicht sogar getarnt als antirassistisch.
      Diese ganzen Hetzkampagnen machen in meinen Augen jeden guten Ansatz kaputt. Das dadurch wirklich Positives entsteht, habe ich noch nicht festgestellt. Kaputt machen geht offensichtlich immer leichter.
      LG Charli

  2. Hallöchen, also ich muss sagen mir ist es erst gar nicht aufgefallen und ich muss sagen auch nach den Titelseiten fand ich es nicht so tragisch wie soviele in den Medien. Ich bin weiß, aber mein Freund ist farbig. Ihm habe ich es auch gezeigt und ihm ist es auch überhaupt nicht aufgefallen und er hat auch gesagt er findet es gerade bei dieser Inszenierung überhaupt nicht schlimm. Man muss dazu sagen dass wir beide für Rassismus sensibilisiert sind da er leider ständig in eine „zufällige“ Personenkontrolle kommt. Ich glaube es liegt vielleicht auch daran dass es Kinder sind in der Werbung. Gerade Kinder machen doch kein Thema daraus und ich weiß nicht ob eine Mutter mit dunkelhäutigen Kindern immer darauf achten würde das auch die richtigen Tiere auf den Shirts zu sehen sind.

    • Es geht vorallem darum, dass keines der anderen Kinder diesen Pullover an hatte, und der Vergleich, dass der weiße Junge „jemanden Zivilisierten“ darstellen sollte mit den Statement auf seinem Pullover, dagegen wird der schwarze Junge als der coolste Affe im Dschungel deklariert, warum? Warum wird er mit einem Tier assoziiert? Weil Schwarze als Affen oder Gorillas bezeichnet wurden? Darüber muss man im Marketing reden.
      Man hätte beiden Kindern auch dasselbe abziehen können. Wenn beide die coolsten Affen im Dschungel wären, dann würde es ganz anders wirken und man könnte interpretieren, dass beide als „beste Freunde“ geshootet worden sind.

  3. Wenn man mich fragt, dann wäre mir persönlich der „survival expert“ mehr ins Auge gestochen ;)
    Das könnte man als nicht minder anstößig empfinden.

    Dennoch denke ich, dass zu jedem Zeitpunkt irgendeine Gruppe durch Aktionen anderer betroffen ist. Nur fällt es eben nicht immer auf oder es gibt keine Lobby für diese.

    Mich würde statistisch gesehen mal interessieren, wieviel % der Menschen, die die H&M Werbung als durchweg abstoßend empfinden, schwarz sind.

    Ich finde den Kleinen süß, egal, was er trägt und mir wäre das nicht so negativ aufgestoßen, weil mir egal ist, was andere Menschen früher (& sicher auch heute noch) assoziiert haben mögen.
    Für mich bleibt immer spielentscheidend, wie ICH über etwas denke.
    Die Meinung anderer ist dennoch zu respektieren, auch wenn man sie scheisse findet.

    Es wird immer welche geben, die rassistisch sind, solange es den Begriff Rasse und Bewertungen & History dazu gibt.
    Ich glaube manchmal, würde man aufhören in Schulen zu lehren, dass es früher extreme Rassenthemen gab und stattdessen einfach einen normalen Umgang pflegt, würde es sich eher biologisch „rauswachsen“ als wenn Rassisten dazu angehalten werden, NICHT so darüber zu denken.

    LG Ava

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