Vegan essen: „Man kann nicht alles richtig machen“

17. Mai 2017 von in

Ich habe am 1. Januar beschlossen, mich vegan zu ernähren. Diese Entscheidung habe ich nicht gefällt, weil ich „sowieso kein großer Fleischfan bin und eh selten Milch trinke“, sondern weil ich mich verpflichtet fühle. Nicht, weil Tiere für mich sterben müssen, sondern weil sie für mich leiden müssen. Weil ich kein Grund für die Existenz von Massentierhaltungen sein möchte und ich die Vorstellung, dass Tiere für mich ein qualvolles Leben führen, als abstoßend empfinde. Nachdem ich mir lange genug einredete, ich würde nur Tiere essen, von denen ich wüsste, sie hätten ein gutes Leben geführt, trat ich irgendwann vor den Spiegel und hörte auf, mir etwas vor zu machen. Ich habe zwar die teuerste Milch im Supermarkt gekauft, aber auch von der wusste ich eigentlich nicht, wo sie her kommt. Das gleiche Spiel bei Eiern, Käse und Joghurt: Ich hatte kein Ahnung. Und deshalb habe ich beschlossen, es einfach sein zu lassen.

Wenn ich in einem Restaurant sitze und mir eine vegane Variante zusammen schustere, folgen oft Fragen. Auf „Wieso machst du das?“, gebe ich eine kurze Zusammenfassung meiner Einstellung zum Besten und erhalte im Gegenzug einen Vortrag, den ich vor einem Jahr noch selbst propagierte: Alles in Maßen, ausgeglichene und lokale Ernährung sind wichtig, Fleisch esse ich sowieso fast gar nicht mehr (und wenn dann nur das gute vom Bauern), Freiland-Eier und Käse vom Markt kaufe ich eh immer. Am Ende erklärt mir mein Gegenüber noch, dass sowohl der Soja-Anbau, als auch die Abholzung auch schlecht für die Umwelt seien, und sie deshalb lieber einen großen Bogen um Tofu und Soja-Produkte machen, weil: Man kann ja echt nichts richtig machen.

Ich will nicht belehren. Ich will keine Person sein, die sich vegan ernährt und anderen ihre Ideale aufdrückt. Deshalb sage ich meistens nicht mehr viel zu Monologen wie diese, die sich vor mir und sich selbst ihren Lebensstil rechtfertigen und ihren Egoismus mit einem Satz wie „Man kann ja echt nichts richtig machen“ abtun. Manchmal sage ich noch, dass es stimmt. Man kann nicht alles richtig machen. Aber man muss auch nicht alles falsch machen.

Wir, die in westlichen, wohlhabenden Großstädten leben und auf dem Wirtschaftsaufschwung Trampolin springen, haben es in der Tat schwer, irgendwas richtig zu machen. Was objektiv betrachtet eine minimale Einschränkung bedeutet, fühlt sich subjektiv wie Selbstgeißelung an. Wir sind tagtäglich mit Verführungen konfrontiert und der Verzicht strengt an. Schokotarte! Burger! Pizza! Und das Angebot verführt natürlich weiter: Amazon! Plastikverpackungen! Flugreisen! Industriezucker! Onlineshops! Wir sind Mäuse, die jeden Tag aufs Neue versuchen, den Überfluss an Mausefallen zu umgehen – aber der Köder schmeckt einfach so gut. Also lassen wir nach, essen den Käse und tun die Konsequenten ab mit: „Was solls. Ich kann sowieso nichts richtig machen.“

 
Die Sache ist nur die: Es stimmt, wir können nicht alles richtig machen. Aber wir müssen auch nicht immer alles falsch machen.

 Jede kleine Einschränkung, jeder kleine Verzicht in unserem Leben, hat Einfluss auf uns und unsere Umwelt. Wer versucht, sich nicht mehr so sehr auf Kosten anderer zu ernähren, ist kein Heuchler, weil er die verpackte Zucchini von Netto kauft und nicht die Bio Zucchini vom Markt. Jeder tut so viel er kann, doch dafür muss man erstmal anfangen, überhaupt etwas zu tun. Man führt kein tristes Leben im Schatten der Selbstgeißelung, wenn man sich in Verzicht übt und dann und wann seinen Gelüsten widersteht. Sei es in Form von Konsum-Stopp, veganer oder vegetarischer Ernährung oder die Reduzierung von Plastikmüll, um nur mal ein paar Beispiele zu nennen.

Mir läuft bis heute das Wasser im Mund zusammen, wenn ich Steak auf einem Grill braten sehe. Ich träume manchmal von Käsespätzle und sehne mich nach verlaufendem Gorgonzola auf einer unverschämt großen Pizza. Und manchmal halte ich es nicht mehr aus, wie neulich, in dem Italiener meines Vertrauens, und bestelle eine Pizza mit extra viel Käse. Weil hey, man kann schließlich nicht alles richtig machen.

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13 Antworten zu “Vegan essen: „Man kann nicht alles richtig machen“”

  1. Hallo,
    Genauso geht es mir auch. Immer diese Vorträge, von anderen Menschen, die sich selbst und ihren Lebensstil rechtfertigen. Ich verlange immer nur, dass sich der andere bewusst wird, was sein Handeln für Konsequenzen hat.
    Ich kaufe seit zwei Jahren ausschließlich nur noch fair hergestellte Kleidung, außer vor zwei Wochen: ich habe eine Jeans in einem m.e fair fashion Store gekauft, von der ich erst an Kasse erfahren habe, dass genau diese Jeans nicht fair ist. Ja, ich habe die Hose gekauft, war mir aber bewusst, was ich damit kaufe und was für ein System ich damit unterstütze. Im Nachhinein denke ich mit, hätte ich die Hose lieber nicht gekauft, aber da hat dann auch mein „was solls“ gewonnen… Ich glaube, wir alle müssen uns einfach das tun, was uns schwer fällt, um in 30 Jahren nicht mit Atemschutzmasken durch Deutschland zu laufen

  2. Ich habe sehr lange überlegt mich vegetarisch oder vegan zu ernähren – aber ich würde damit einfach nicht klar kommen. Ich denke und so handle ich auch, dass man bewusst konsumieren sollte. Wir kaufen unser Fleisch beim Bio-Bauer (und da muss man halt dann das nehmen was es gibt), unsere Eier bekommen wir von einer befreundeten Familie, etc.

  3. Ich kann das alles nicht mehr hören und ignoriere inzwischen Leute, die mir versuchen zu erklären, dass meine vegetarische Ernährung Blödsinn wäre weil „dann musst du schon vegan werden“ oder „wie auch kein Fisch?“ oder „die Welt wird sich nicht ändern, nur weil du auf Fleisch verzichtest, also mach doch einfach worauf du Lust hast“. Man redet sich eh um Kopf und Kragen und wird die Meinung des Gegenüber nicht ändern, denn derjenige probiert auch in dem Moment dich von seiner Meinung zu überzeugen. Ich ignoriere es und mache mein Ding. Ich habe ein besseres Gefühl dabei und darum geht es mir.
    Voila.

  4. Guter Artikel! Ich finde auch diese „ganz oder gar nicht“ Einstellung in dieser Hinsicht richtig schlimm. Selber auf nichts achten, aber Veganer dann kritisieren wenn sie einmal nicht regional und Bio kaufen. Dieses Schwarz-Weiß-Denken muss auf jeden Fall aufhören.
    Zudem glaube ich, dass die ganzen Leute, die Veganer so haten, tief drin irgendwo einfach nur ein schlechtes Gewissen haben, das sie überspielen müssen.
    PS: Ich bin selber nicht vollkommen vegan, versuche aber so oft es geht auf tierische Produkte zu verzichten, aber hey, besser ein kleiner Schritt als gar keiner. :-)

  5. Sehr schön gesagt. Und Amelie, ich versichere dir: Es wird leichter! Mich machen Käsepizzen und sogar Milchschokolade (MILCHSCHOKOLADE!!!) nicht mehr an. Vor ein paar Monaten mal habe ich ein Stück Vollmilchschoki gegessen und mich krass erschreckt, wie heftig es mir den ganzen Rachen runtergebrannt hat. Vielleicht ist es ja auch gut, dass du so alle paar Monate mal ne richtig fettige Käsepizza isst – und dir dann diese schwere völlegefühl bewusst machst. Dieses anstrengende ich-kann-mich-jetzt-ne-stunde-nicht-mehr-bewegen-und-mir-ist-schlecht nach dem Essen gibt’s halt einfach nur mit Fleisch und Milchprodukten. :)

  6. Hallo zusammen! Für alle die sich „ganz normal und ausgewogen“ ernähren und nicht viel Fleisch essen, schaut euch bitte mal den Bericht von Dr. Colin Campbell „Gabel, statt Skalpell“ an! Da denkt man sehr schnell um, wenn man sieht, wie man von der Gesellschaft veräppelt wird! Ich selbst schaffe es nicht immer ganz vegan, aber vegetarisch geht richtig gut! Und Milch und Milchprodukte nur eingeschränkt zu konsumieren, ist auch ein Schritt in die richtige Richtung! Man muss sich klar ein den natürlichen Geschmack von hauptsächlich pflanzlicher Nahrung gewöhnen, aber ihr werdet feststellen wie lecker Obst und Gemüse eigentlich sind und wie viele Geschmacksverstärker in industriell hergestellter Nahrung enthalten sind! Das kann ja nur krank machen!

  7. Es gibt sowohl gute Gründe für Veganismus als auch dagegen – beides sollte man gelten lassen!!! Bekehren und überzeugen wollen ist immer falsch und hängt meist mit mit der falschen Motivation zusammen, beziehungsweise einem wie auch immer gearteten inneren Konflikt zusammen, der meist eines am allerwenigsten bezwecken soll: dem Gegenüber wirklich Gutes tun.
    Und wer sich überlegen fühlt oder Lebensweisen und Ernährung (eigentlich eine banale Sache) entweder zur Religion hochstilisiert oder sich selbst damit eine höhere Bedeutung geben möchte, liegt leider furchtbar daneben.

      • Gründe dagegen würden sich vor allem auf gesundheitliche Aspekte beziehen. Ich kann Dir als Medizinerin nur sagen, dass man sich mit rein veganer Ernährung durchaus in Mangelzustände begeben kann, die sich beispielsweise in Nervenschäden, Blutbildungsstörungen oder in Zahnerosionen äußern können. Ebenso gibt es bestimmte Lebensphasen und Entwicklungsabschnitte in denen tierisches Eiweiß wichtige Funktionen erfüllt und die Resorption von pflanzlichem Eiweiß deutlich unterlegen ist.

      • Gründe dagegen würden sich vor allem auf gesundheitliche Aspekte beziehen. Ich kann Dir als Medizinerin nur sagen, dass man sich mit rein veganer Ernährung durchaus in Mangelzustände begeben kann, die sich dann zum Beispiel in Nervenschädigungen, Zahnerosionen und Blutbildungsstörungen äußern können. Zudem gibt es Lebensabschnitte (Schwangerschaft/Stillzeit), Entwicklungsphasen oder bestimmte Lebensumstände (Leistungssport), in denen tierisches Eiweiß/Eisen eine wichtige Funktion hat und die Resorption von pflanzliche Eiweiß deutlich unterlegen ist.

  8. Ich bin zwar (gerne!) vegan ohne Ausnahme. Was ich nicht verstehe, sind Äußerungen wie: „Ich hab mir auch schon überlegt, Veganer/Vegetarier zu werden, aber… blablabla…“. Hey Leute! Jede Mahlzeit zählt! Und wenn jemand Käse essen will, dann soll er eben welchen essen. Vielleicht nur 1x die Woche statt täglich, wie auch immer. Bewusstsein darüber, was man mit seinem (Konsum-)Verhalten bewirkt, ist m.M. nach das Wichtigste. Jeder wie er kann und will. Das Geheimnis des Könnens liegt im Wollen.

  9. Liebe Amelie, schön, dass du Veganismus thematisierst. Ich lebe auch seit Jahren vegan und stelle fest, dass es erfreulicherweise immer einfacher wird, da sich die Gesellschaft für diesen Lebensstil spürbar öffnet und es mehr und mehr vegane Optionen in Restaurants und Supermärkten gibt. Viel schwieriger ist es allerdings, schöne, hochwertige Schuhe aus Kunstleder zu bekommen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr als Modeexperten Mal ein Special dazu bringen würdet. :)

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