Der Valentinstag auf QWERTZ: Liebesbrief per IMessage

14. Februar 2024 von in
Dieser Artikel ist zuerst im Februar 2022 erschienen. 

Was schreibt man über einen Tag, dem man so gar nichts zu sagen hat? Der einen schon Wochen voraus mit Ankündigungen und speziell kuratierten Valentinstagskampagnen nervt – tja, guter Rat ist teuer. Aber vielleicht sollte ich nicht über den Valentinstag schreiben, sondern ihm vom Leben erzählen. Dem Druck, den er aufbaut. Den Verbindungen, die er vergisst. Und wie schwer es ist, ihn zu ignorieren, wenn zwei irgendwie involviert sind und sich einer über die unausgesprochene Regel des Schweigens am Valentinstag hinwegsetzt. Weil Kitsch und Kommerz eine bestimmte Verhaltensweise in den Köpfen der Menschen verankert hat, die ultimativ dafür sorgt, sich (ein einziges) Mal mitteilen zu müssen – mit romantischen Gesten und schmeichelnden Worten. Heute mal nicht durch, sondern mit der Blume.

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Habe vergessen zu vergessen, dass zu dieser Zeit des letzten Jahres das Leben Kopf stand und ich mich dort verloren habe, wo ich nie bleiben wollte. Zwischen den Zeilen, deinen Worten und dem Rauschen der Leitung, als wir uns gemeinsam woanders die Nächte um die Ohren geschlagen haben – mit der Stimme des anderen im Ohr. Im Februar, dem Monat, indem sich alle lieb haben oder so tun, als ob, wollte ich eigentlich Raum für alles lassen, aber nicht, dass mein erster Liebesbrief (am Valentinstag lol) ein ‚Auf nie mehr Wiedersehen‚ wird.
Und ich so lost wie lange nicht mehr. So nah am Wasser gebaut, dass meine Stimme am Zittern ist und ich mich bei jedem Satz neu fassen musste. Dabei fehlen mir nie die Worte. Und dennoch sitze ich stotternd auf dem halb welken Gras, während die Sonne durch den glasklaren Himmel bricht, und habe meinen ganz persönlichen Higel-Roberts-Jones-Moment (aka dramatische Gefühlseingeständnisse). Doch im Gegensatz zu dem von Romcoms forcierten Ausgang bin ich in erster Linie für mich selbst in den Ring getreten. „The eyes they never lie, chico“, aber ich trage Sonnenbrille – schütze mich mit Polarisation, weil ich nicht will, dass du siehst, dass ich die letzten Tage nicht geschlafen haben.

538 & Heartbreaks

Er trifft sie, und sie trifft ihn irgendwo im Internet, und aus anfänglicher Kuriosität werden schlaflose Nächte, in denen sich die Stimmen im Lautsprecher verlieren. Fast wie in den 90ern, nur dass die Telefonrechnung eine Flatrate ist und handgeschrieben höchstens der Einkaufszettel. Auf dem zwischen Cornflakes, Milch und Brot ein „ich find dich okay“ in Form von Erdnüssen steht, gegen die einer allergisch ist. Und trotz der Unterschiede lebt man in einer Blase, in der keiner so recht weiß, wo die Grenzen verlaufen und was erwartet werden kann oder auch nicht. Also vergehen die Tage, bis der Kalender sich bemerkbar macht und eine Vierzehn vor der Zwei auftaucht, die so bedeutungsschwer ist, dass ich mich dazu entscheide, ihr aus dem Weg zu gehen.

IMessage für dich – kündigt Siri deinen Namen an und ich stehe vor der Entscheidung, dich auf Read zu lassen oder über meinen eigenen Schatten zu springen. Happy Valentine’s Day – mit Feier-Berechtigung, die allen zusteht, nur nicht denen, die sich noch in der Schwebe befinden. Im Zauber des Anfangs. Im sich nicht definieren müssen. Im alles offen halten und irgendwo zwischen Allem und Nichts stattfinden können – blöd, wenn einen dann der Tag, der Commitment in den AGBs stehen hat, aus der Bubble zwischen Raum und Zeit reißt.

Die Kopie des rosaroten Ideals

Denn das Problem mit dem 14. Februar ist, dass er es gar nicht leiden kann, wenn sich Leute nicht einordnen lassen wollen. Er möchte Ordnung und einen klaren Fahrplan mit Endstation, große Gesten. Mit Date Nights und dem Versprechen von Happy Ends und glücklichen Fügungen als einziges Endszenario. Fast so, als würde die romantische Liebe eine Lücke füllen, die wir nicht selbst füllen können. Weswegen die Marketing-Maschinerie, vorausschauend wie sie ist, das Menü um eine zusätzliche Beilage erweitert hat. Eine, welche den unentschlossenen Singles (die in einem Bridget-Jones-gleichen Klischee von Hass und Schokolade stecken), ein Trostpflaster für ihren beziehungslosen Zustand zugesteht. Mit cleveren Gimmicks wie dem Single’s- oder Galentine’s Day.

Nichts ganzes, aber immerhin etwas, das einem rücksichtsvoll auch ein Stück vom Kuchen abgibt. Während man später lautstark zu „All by Myself“ im Pyjama singt – Rotwein und Ben & Jerrys inklusive. Schon witzig, dass diese Optionen, die einerseits abholen und beruhigen sollen, einen ebenso an der Nase herumführen. Weil der Abklatsch doch nur eine Kopie des großen, nach Rosen riechenden Ideals ist. Welche Liebesbriefe, Konfekt und alles in Rot zum doppelten Preis anbietet. Alle, die nicht mitmachen, als Verweigerer sieht und es einem schwer macht, neutral zu bleiben, da jedes „ich finde ihn nicht doof, nur problematisch“ falsch verstanden wird. Weil dort einfach keiner einen Platz hat, der nicht weiß, wo er hingehört – so wie ich vor genau 365 Tagen.

Just saw a girl on TikTok say a dude was “lovebombing” her because he said he “wishes they were still hanging out” after the first date…let’s just hang it up and unplug the internet I’m begging.

— Lord Lakyn (@OgLakyn) February 3, 2022

Valentinstag: Drama, Briefe, Datensets

Fragt man Google nach der Entstehung des Tags der Liebenden, so findet man eine Vielzahl an unkonkreten Überlieferungen, die sich alle in einem Punkt einig sind: Es geschah an einem 14. Februar ganz ohne Happy End. Denn in jeder Version geht es mit dem Namensgeber auf unterschiedlich tragische Weise zu Ende: er verlor (quite literally) seinen Kopf. Irgendwie ziemlich konträr, dass wir trotzdem ein Fest um Glück und Zuversicht feiern – aber vielleicht ist das auch der letzte Funke Hoffnung und ich bin einfach nur zynisch, weil ich nicht an Gefühle glaube, die sich nicht entscheiden können. Die irgendwo auf Festplatten und Clouds konserviert werden, weil Stift und Papier fast steinzeitliche Werkzeuge zu sein scheinen. Um Briefe zu schreiben, von denen meine Oma eine ganze Kiste hat.

Papier voller Buchstaben aus blauer Tinte, die chronologisch geordnet ein ganzes halbes Leben füllen. Während wir in der Neuzeit nicht ansatzweise so liebevoll mit unseren Gefühlen umgehen – zu groß die Angst vor Zugeständnissen, wenn sie die digitalen Formate verlassen und als Love Bombing eine Analogie mit Ghosting und Fake Love bilden. Also paraphrasieren und pressen wir sie reihenweise in Zeichen. Je kürzer, je besser. Das „ich mag dich“ zum Emoji degradiert – LVE.

 

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Die Valentinstags-Etikette für Unentschlossene

Kein Wunder, dass es uns also schwer fällt, diesen Tag voll halb gemeinter Ernsthaftigkeiten beim Wort zu nehmen. Und auch ich schreibe dir von meinen Gefühlen auf Qwertz mit „haha“ dahinter, damit es nicht so echt wirkt und nur hier bleibt – im digitalen Raum. Heruntergerechnet. Mehr Petit Four. Denn es gibt zwar klare Richtlinien und Erwartungshaltungen für das Prozedere am Valentinstag, aber nur für alle, die einen oder keinen Partner haben. Und irgendwo zwischen Routine und ganz großen romantischen Gesten liegt eine Perspektive, über die niemand spricht. Weil die Leute selbst nicht darüber gesprochen haben. Weil sie in keins der beiden Szenarien passen, die an diesem Tag ihren großen Moment feiern.

Was genau ist hier die Etikette?

Wie kann und darf ich mich verhalten?

Denn ganz abseits von den cringe-worthy Vorschlägen für rosaroten Perfektionismus, da lauert das Leben. Und das ist verdammt kompliziert. Weil man oft nicht weiß, wie man sich verhalten soll und vor allem kann. Was ist der Möglichkeitsspielraum und was kann ich erwarten von jemandem, der mehr ist als fremd, aber weniger als ein wirklicher Teil von mir? Mehr so Regelmäßigkeit in der Adoleszenz oder eben eine reine Körperlichkeit. Zwischendrin-Zustände, die am Valentinstag in etwas hineingezerrt werden. Und das liegt nicht per se an dem Tag. Sondern mehr daran, was aus ihm gemacht wird: Ein Erwartungsbarometer. Welches sehr zerstörerisch austeilt, wenn es nicht genug bekommt. Und daher mit Vorsicht zu genießen ist – wie gute Schokolade, die für den idealen Genuss Langsamkeit und Bedacht fordert.

Gefühle müssen einstecken, bei der obersten Regel des goldenen Schweigens

Dieser Raum, in dem man sich bewegt, fühlt sich an wie Begrüßungsbarrieren nach der Pandemie. Wenn man Leute trifft, die man zu wenig kennt, für eine herzliche Umarmung aber zu oft gesehen hat, um ein einfaches Hi anzudeuten. Und Händeschütteln ist immer irgendwie deplatziert. Also bleibt es (am Valentinstag und auch generell) bei einem gedachten: Manchmal würde ich dir gerne von meinen Gefühlen schreiben – tippe die Nachricht und lösche sie gleich wieder, weil sich auf dem Screen keins der Worte richtig anfühlt.

Dabei gibt es im Griechischen acht verschiedene Namen für Liebe – die niemandem über die Tasten kommen, der sich im Nimmerland befindet. Einem Ort, an dem alles Mögliche (un)möglich ist und den keiner verlassen möchte, weil er süchtig macht und wir uns nicht der Realität stellen müssen. Die uns im Februar überall vor den Kopf stößt, denn selbst die targeted Ads stehen vollkommen auf Date Modus. Nur du und ich schreiben uns keine digitalen Liebesbriefe mehr und mittlerweile bekomme ich auch kein Herzrasen mehr, wenn Siri ankündigt: IMessage für dich – die ist jetzt nämlich in 90 Prozent der Fälle von O2.

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2 Antworten zu “Der Valentinstag auf QWERTZ: Liebesbrief per IMessage”

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