Unerfüllter Kinderwunsch: 4 Frauen erzählen ihre Erfahrungen

8. Mai 2023 von in

Triggerwarnung: unerfüllter Kinderwunsch

Wenn es ums Kinderkriegen geht, hört man meist nur von zwei Situationen: Von Eltern, die glücklich, dankbar oder auch mal überfordert von ihren Kindern und dem Familienleben sind. Oder von Menschen, die sich ganz bewusst gegen Kinder entschieden haben und auch mit dieser Entscheidung im Reinen sind.

Wovon man allerdings viel zu wenig mitbekommt, ist von den Menschen, die ungewollt ohne Kinder leben. Die sich Kinder gewünscht hatten, bei denen es aber einfach nicht klappen mag. Die irgendwann in ihrem Leben von der Tatsache überrollt werden, dass es nichts werden könnte mit dem Kinderkriegen, auch wenn sie diese Option davor niemals im Kopf gehabt hätten. Die vielleicht sogar schon Kinder haben, aber deren Kinderwunsch beim zweiten oder dritten Kind nicht mehr in Erfüllung geht. Oder die den Weg der künstlichen Befruchtung einschlagen, mal mit Erfolg, mal ohne, aber immer mit sehr viel emotionaler und physicher Kraftanstrengung.

Wenn es einfach nicht klappen mag mit dem Schwangerwerden, oder wenn die Schwangerschaften einfach nicht bleiben wollen, verstummen viele Menschen. Die Trauer über den unerfüllten Kinderwunsch ist oft groß, dazu mischt sich Scham und das Gefühl, die einzige Person zu sein, bei der es einfach nicht klappen mag. Man zieht sich zurück und wird übersehen – und das große Problem des unerfüllten Kinderwunsches ebenfalls.

Das wollen wir ändern und in diesem Artikel ganz bewusst über Erfahrungen des unerfüllten Kinderwunschs sprechen. Denn das Problem betrifft viele, und alleine fühlen sollte sich niemand damit. Wir haben in der amazed-Community dazu aufgerufen, eure Geschichten zum unerfüllten Kinderwunsch zu hören. Hier erzählen vier Frauen ihre Erfahrungen.

Olivia, 34

Ich war mir immer sicher, ich werde Mutter sein. Ich hatte nie einen großen Kinderwunsch, aber Kinder, die wollte ich irgendwie schon. Dass ich einmal vielleicht keine Kinder bekommen können würde, daran habe ich nie gedacht. Regelmäßiger Zyklus, gesunde Lebensweise, alle Werte im Lot und trotzdem wurde ich nicht schwanger.

Nach einem Jahr besuchten mein Partner und ich eine Kinderwunschklinik. Selbst vor dem Besuch war ich noch sicher, ich bräuchte nur einen hormonellen Anstupser. Dass es nicht klappen könnte, ich vielleicht für immer kinderlos bleiben würde, daran dachte ich ehrlicherweise nie. Bis mich die Ärztin in der Kinderwunschklinik ansah und sagte: Sie können nur sehr, sehr schwer schwanger werden. Vielleicht sogar nie. Auf jeden Fall nicht natürlich. Mithilfe einer Kinderwunschbehandlung wahrscheinlicher. Und doch alles sehr unwahrscheinlich.

Danach? Surreal. Es sind ein paar Monate vergangen, wir stehen noch am Anfang, die Kinderwunschbehandlung ist unser nächster Schritt. Und doch fühle ich mit allen, die einen unerfüllten Kinderwunsch mit sich tragen. Die vielleicht niemals Eltern werden dürfen. Oder die einen harten Weg haben und hatten.

Was macht man, wenn einem viele Chancen auf ein Kind genommen werden, während um einen herum alle ganz leicht schwanger werden? Trauern. Ich trauere um die verpassten Chancen, um die Möglichkeit, auf natürlichen Wege schwanger zu werden, um die Leichtigkeit, die andere haben dürfen und ich nicht. Ich trauere darum, dass ich vielleicht niemals Mutter sein werde, und wenn doch, dass es ein langer Weg ist, der mir bevor steht. Ich trauere darum, dass ich plötzlich Angst um meine Beziehung habe, um die Hürden, die uns das Leben in den Weg legt und darum, dass ich mich für meine Freundinnen zwar freuen kann, und es dennoch schmerzt.

Nele, 38

Es ist wirklich schwer, seine Nische in der Gesellschaft zu finden, wenn man das Label „Unerfüllter Kinderwunsch, Fruchtbarkeits-Behandlungen, die aber mittlerweile erfolglos abgeschlossen sind, und nun auch so glücklich“ trägt. Auch, weil man sich selbst gar nicht so richtig einsortieren kann. Man gehört nicht zu den Eltern, klar. Man gehört aber auch nicht zu den gewollt Kinderlosen, auch wenn man kinderlos und trotzdem zufrieden ist. Die Argumentationsmuster passen nicht. Aber über den unerfüllten Kinderwunsch wird meistens nur im Rahmen von Behandlungen gesprochen, und darüber, was man gerade so alles versucht. Aus dieser Phase bin ich raus.

Unsere Story: Wir haben es sechs Jahre lang versucht, erst normal, dann mit Unterstützung. Von Insemination bis ICSI, das volle Programm der Kinderwunschklinik. Medizinische Gründe waren nicht so richtig erkennbar, eigentlich war sowohl bei mir als auch bei meinem Mann alles in Ordnung. Zwischendurch habe ich mir Unterstützung einer Therapeutin geholt, die bei mir eine Anpassungsstörung diagnostiziert hat. Die Therapie hat mir total geholfen, außerdem mein Blog „Die Sache mit den Wundern„, den ich in der Zeit geführt habe.

Wir hatten uns eine Grenze gesetzt. Eine bestimmte Zahl von Behandlungen. In unserem Fall: Alles, was die Kasse bezahlt und möglicherweise weitere Behandlungen, wenn noch befruchtete Eizellen eingefroren wären. Als diese Grenze erreicht war, haben wir eben aufgehört. Adoption kam für meinen Mann nicht in Frage. Und im Laufe der Jahre – sechs Jahre sind echt lang, wenn man gedanklich und mit den Gefühlen die ganze Zeit im Wartemodus ist – habe ich mich an den Gedanken gewöhnt, dass wir eben ein Paar ohne Kinder sind. Und das ist okay so.

Als Paar hat uns das enger zusammen gebracht. Wir wissen, dass wir uns auf einander verlassen können und auch Tiefs durchstehen können. Persönlich musste ich meinen Lebensplan ziemlich umkrempeln. Ich habe eine Umschulung gemacht und war insbesondere zu Corona-Hochzeiten froh, dass hier keine Kinder herumsprangen. Im Grunde genommen denke ich, es ist schon okay, wie es gekommen ist. Ich würde nicht so weit gehen, es als „besser“ zu bezeichnen. Aber wer weiß, wie es gekommen wäre, hätte es geklappt. Beruflich bin ich glücklicher als je zuvor. Privat geht es auch ziemlich gut. Ich denke, in der Situation selbst kann man es noch nicht sehen, aber es geht immer weiter. Das Leben endet nicht, wenn der Kinderwunsch nicht erfüllt wird. Und falls man das Gefühl hat, dass es doch endet, sollte man sich Hilfe holen. Man verpasst vieles, aber man verpasst eben auch die negativen Seiten der Elternschaft. Die Freiheit, die ich bei uns im Vergleich zu vielen Freunden sehe, ist sehr wertvoll.

Natürlich trauert man. Man trauert um das Kind, das man nie bekommen hat. Die Lebenspläne, die man umwerfen muss. Ich gehe auch davon aus, dass das immer mal wieder Thema sein wird in meinem Leben. Aber es bestimmt nicht meinen Alltag. Und ich hoffe, ich kann anderen Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind, ein bisschen Mut machen.

Merle, 38

Ich hatte immer dieses Bild in meinem Kopf: Zwei Kinder mit ziemlich kleinen Altersabstand. 

Kind 1 ließ schon etwas länger auf sich warten. Erst nach etwa 11 Monaten wurde ich schwanger. Und auch der Start ins Leben von Kind 1 war ganz schon holprig: Notkaiserschnitt in 32. Schwangerschaftswoche, Entwicklungsstörung und letztlich die Diagnose eines äußerst seltenen Gendefekts. Und damit schwarz auf weiß: Kind 1 hat eine Behinderung.

Diese Einleitung muss ich kurz vorwegnehmen. Denn bei meinem Kinderwunsch handelte es sich um einen sogenannten sekundären unerfüllten Kinderwunsch. Ja, auch bei schon einem Kind kann der Kinderwunsch groß und sehr belastend sein. Ich würde gerne sagen: Ich habe ein gesundes Kind. Aber das habe ich nicht. Ein sehr geliebtes Kind, aber kein gesundes. Und dann war da ja auch noch dieses verdammte Bild der „happy Family“ in meinem Kopf.

Kind 1 kam 2016 zur Welt. Nach einem Kaiserschnitt empfehlen Ärzte mindestens ein Jahr lang nicht direkt wieder schwanger zu werden. Daran haben wir uns auch brav und artig gehalten. Aber danach wäre ich lieber heute als morgen wieder schwanger geworden. In den ersten Monaten bleibt man noch relativ entspannt. Dann beginnt man mit Ovulationstests, die Romantik geht Flöten. Aber noch viel schlimmer sind die Fragen und Kommentare aus dem Umfeld: Wann soll denn das nächste kommen? Dann wird es ja Zeit für ein Geschwisterchen… probier doch mal XYZ… Dein Körper weiß ja jetzt wie es geht… entspannt euch, dann klappt es… Vielleicht solltest du etwas zunehmen… iss mehr dieses oder jenes…

Tja, danke für nix. Innerhalb kürzester Zeit dachte ich: Ich kann alles, nur nicht schwanger werden. Ich suchte die Schuld bei mir. Versuchte alles mögliche. Aber schwanger wurde ich trotzdem nicht.

Ende 2022 habe ich dann durch eine Bauchspiegelung erfahren, dass die Wahrscheinlichkeit, nochmal auf natürlichem Wege schwanger zu werden, bei mir gen Null geht. Meine Eierstöcke sind nicht durchlässig. Der Kaiserschnitt 2016 kann die Ursache dafür sein, aber gesicherte Gründe gibt es nicht. Und so verrückt es klingt: Die Diagnose war für mich wie eine Erlösung. Denn nicht ich habe etwas falsch gemacht, nicht ich war schuld, sondern in meinem Körper funktioniert etwas einfach nur nicht so, wie es soll. Das konnte ich für mich sehr gut akzeptieren.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ich durch eine künstliche Befruchtung schwanger werden würde, wäre sogar relativ hoch. Doch nach vielen langen und tränenreichen Gesprächen haben wir uns gegen diesen Weg entschieden. Gründe dafür gab es viele. Die Kosten. Und das Gefühl, unserem ersten Kind mit seinen besonderen Herausforderungen während der Behandlung und in der Schwangerschaft nicht gerecht werden zu können. Die Angst, noch ein behindertes Kind zu bekommen. Die Sorge, mit einem zweiten Kind aus dem Gleichgewicht zu kommen und unsere persönliche Belastungsgrenze zu überschreiten. Das schlechte Gewissen gegenüber dem nicht existierenden Kind im Schatten eines behinderten Geschwisterkindes aufzuwachsen. Das miese, schuldbeladene Gefühl, unbedingt ein gesundes Kind haben zu wollen.

Es ist übrigens auch interessant, wie viele Menschen zum Thema künstliche Befruchtung eine Meinung haben: „Probiert es doch mal… kostet ja nix…“ Oder auch die Gegenhaltung: „Wenn ihr nicht damit rechnet oder loslasst, dann funktioniert es…“ Und natürlich: „Aber nicht, dass ihr es dann bereut, wenn es zu spät ist…“

Wir haben uns von all dem frei gemacht. Sind komplett bei uns geblieben. Haben in uns reingehört. Waren schonungslos ehrlich. Letztlich entschieden wir uns für uns. Wir korrigierten das Bild im Kopf. Heute sind wir eine glückliche Familie. Ob mit einem Kind oder fünf. Eine happy party of three. Mehr brauchen wir nicht. 

Ich glaube, dass diese sehr bewusste Entscheidung für uns so etwas wie unsere Rettung war. Bei all dem, was wir nicht ändern können in unserem Leben, hatten wir hierbei endlich mal die Möglichkeit und die Chance, zu entscheiden.

Kristin, 35

Ich lebe mit einer chronischen Erkrankung, nämlich Epilepsie. Und das seit Kindheitstagen. Dank meiner vielen Medikamente lebe ich inzwischen gut damit. Einige Nebenwirkungen machen es mir manchmal anstrengender, den Alltag zu leben, aber ich bin so froh, dass es diese Medikamente gibt. Sie ermöglichen mir ein normales Leben.

Allerdings kann ich, während ich sie einnehme, keine Kinder bekommen. Die Dosis und die Nebenwirkungen der zwei verschiedenen Medikamente würden dem Kind sehr schaden. Sie können starke Missbildungen bewirken, shronische Erkrankungen oder Frühgeburten auslösen. Nach Absprache mit Gynäkologen und Neurologen mussten wir also leider annehmen, dass wir kein Kind während meiner hochdosierten Medikamenteneinahme bekommen können.

Während den letzten Jahren hat mich das sehr belastet. Ich bin inzwischen 35 Jahre alt. So gut wie jede meine Freundin, fast mein gesamtes Umfeld hat eine Familie mit Kindern gegründet. Kinderlos sein ist nicht mehr „up to date“. Man fühlt sich, als hätte man das Wichtigste im Leben als Frau verpasst.

Ich bin tatsächlich Erzieherin von Beruf. Das klingt erstmal nach Ironie des Schicksals, aber es erfüllt mich. Ich liebe Kinder trotz allem. Es macht mich nicht traurig, sie um mich zu haben, ich spiele auch gern mit meinen vielen Patenkindern. Aber der Gedanke, wie gerne ich selbst eine Mama gewesen wäre, was für ein guter Papa mein Mann gewesen wäre, der bleibt. Und manchmal, da bringt er mich auch zum Weinen. Dennoch bin ich nicht unglücklich mit meinem Leben, ich bin nur nicht mit Absicht keine Mama. Ich habe diese Entscheidung nicht getroffen, sondern das Schicksal hat für mich entschieden.

Manchmal würde ich mir wünschen, die Menschen würden nicht dauernd danach fragen oder sogar noch nachbohren. Denn das tut mindestens genauso weh wie die Tatsache an sich, unfreiwillig kein Kind bekommen zu können.

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3 Antworten zu “Unerfüllter Kinderwunsch: 4 Frauen erzählen ihre Erfahrungen”

  1. Vielen Dank für den Artikel und eine fette Umarmung an alle Frauen deren Geschichten hier veröffentlicht wurden 💞
    Die Einleitung trifft es auf den Punkt, entweder man gehört zur Gruppe der Eltern (viele unerfüllte Kinderwunsch-Reisen enden zum Glück hier), oder zu der Gruppe der Personen die sich aktiv gegen das Elternsein entschieden haben.
    Wir sind nach fast 4 Jahren unerfüllten Kinderwunsches inkl. Fehlgeburten, unzähligen Operationen und Komplikationen sowie 11 ICSI Behandlungen am Ende unserer Kräfte in jeglicher Hinsicht: körperlich, psychisch und nicht zu vernachlässigen die finanzielle Belastung.
    Wir wollen wieder frei Leben und nicht den Zyklus und die Medikamente den Kalender und die Laune bestimmen lassen. Dennoch, glücklich ist anders.
    Und so sehr ich mich von der gesellschaftlichen Sicht auf Frauen frei mache, da ist immer noch dieser tiefe Wunsch Mutter zu sein. Das belastet das Selbstbewusstsein auch wenn der Kopf sieht dass dies Quatsch ist.
    Ich freue mich dass dieser Artikel ein Anstoß ist.
    Und zuletzt: dies ist nicht nur ein Frauen Thema…unsere Männer leiden gleichermaßen.

    • Danke, dass du deine Gedanken und Erfahrungen hier teilst – und mein großes Mitgefühl für deine Situation, die wirklich nicht leicht ist. Ich wünsche dir und deinem Partner ganz viel Kraft, euren Weg zu finden. Und danke auch für den wichtigen Gedanken, dass natürlich nicht nur Frauen unter unerfülltem Kinderwunsch leiden – in diesem Artikel haben einfach nur Frauen ihre Geschichte erzählt, natürlich leiden Männer darunter ganz genauso!

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