Über die Scham der Wut

30. Januar 2024 von in

Plötzlich zeigte die Frau mir einen Vogel durch das Schaufenster. Keinen süßen Spatzen, über den hätte ich mich gefreut. Sie hielt sich ihren Finger, an dem noch Hackfleischknospen hingen, an die Schläfe. Sie fing an, sich mit der Kundin, die sich zuvor einfach durch mit hindurch geschlängelt hatte, als wäre ich gar nicht da gewesen, über mich zu echauffieren. Sie war wütend, ich war noch viel wütender. Später schämte ich mich für meine Wut. Aber wieso eigentlich? 

Ich bin gern in meiner Mitte. So mag ich’s am liebsten – und mein Nervensystem bedankt sich. Es gibt aber Dinge, die mich aus meiner inneren Mitte ins Weltall schießen, und zwar mit einem ordentlichen Tempo: Um das einzuordnen, musste man aktuell nur die Nachrichten einschalten. Darüberhinaus: Wenn Menschen sich schlecht benehmen, wenn sie Tiere oder Schwächere schlecht behandeln, wenn sie Gutmütigkeit ausnutzen, bis zu den mehr als offensichtlichen Gründen wie: Rassismus und Diskriminierung.

Wir können äußere Dinge nicht (immer) beeinflussen. Wir können aber beeinflussen, wie wir auf diese Umstände reagieren. Ob wir unseren Körper wirklich diesen Stress aussetzen. Das stimmt alles schon. Das heißt aber nicht, dass wir uns für unsere Wut schämen, oder noch schlimmer, sie gleich in uns reinstopfen, statt herauslassen sollen.

Ich schäme mich jedes Mal, wenn meine Emotionen entgleisen, sei es auch nur innerlich. Ich schäme mich dann, dass mein Körper diese Hitze vor Wut ertragen hat und dass ich mich wegen des Verhaltens anderer dazu hinreißen lassen habe. Aber gehört Wut nicht dazu, muss sie nicht raus, damit wir mit Energie weitermachen können? 

Wichtig: Ich spreche in diesem Text weder von Wut in Form von Gewalt oder Belastung anderer. Es geht hier in jedem Fall nur um Wut, die sich so äußert, dass wir einfach mal aussprechen, was uns wütend macht, weinen oder in unserer Wohnung allein (oder auch nicht allein) auch mal ins Leere schreien, wenn uns alles zu viel wird, ohne uns zu schämen.

Die Metzger-Lappalie: Was zuvor geschah

Fangen wir damit an, welche Kleinigkeit mich heute so wütend gemacht hat: Es war Rindertartar-Tag für meinen Hund. Nicht, weil er ein französischer Gourmet ist, sondern wegen seines sensiblen Magens. Die Sonne schien. Die Nachrichtenlage ist aktuell schwindelerregend (Ist sie das nicht immer? Ok, aktuell is sie besonders furchteinflößend), aber die Sonne schien, das lenkt für einen Moment gut ab. Es herrschte kalte, klare, vielversprechende Luft. Der Metzger, den ich zum Tataren des Tages auserwählte, war längst umgezogen. Das konnte ich nicht wissen, ich muss ja nie zum Metzger.

So lief ich gemeinsam mit meinem Hund eine Filiale weiter. Als ich 28 Minuten später dort ankam, war dort ein RIESIGES Schild mit dem Schriftzug HUNDE VERBOTEN an die Scheibe geklebt. Und auch, wenn ich es nachvollziehen kann, dass Hunde in Lebensmittelläden nichts zu suchen haben (und ob sie etwas zu suchen hätten!!), empfinde ich gleich eine Antipathie, die ich mir aber nie anmerken lasse. Die können da schließlich nichts für. Hygiene und so. Aber ich kann auch nichts für mein Empfinden. Ich trete dem ganzen also mit scheinheiligem Verständnis entgegen, frage mich dennoch, ob die Menschen in Italien nicht deshalb besser gelaunt sind, weil dort Hunde in Supermärkten erlaubt sind.

Ich hielt die Leine inklusive Hund noch draußen, steckte meinen zu dem Zeitpunkt noch glücklichen Kopf in den muffigen Laden. An der Theke eine Frau, die gerade das Messer hinschmiss, als hätte sie jemanden bedeutungslos damit erledigt, mit ihrer Zunge schnalzte und genervt den nächsten Kunden bediente. Ich ließ mich nicht von ihrer passiven Aggressivität verleiten, wartete eine kurze Gesprächspause ab und fragte mit freundlicher Stimme, ob ich den kleinen Hund vielleicht mitnehmen könne, wenn ich ihn auf dem Arm halte, ich müsse nur ku…

Während ich meinen Kopf so hineinsteckte, als wäre ich eine Katze, die in einer Katzenklappe festhing, quetschte sich einfach eine Kundin in den Laden. Sie hatte es wohl eilig mit der Wurst. Währenddessen verlor die stirnrunzelnde Frau hinter der Theke nahezu die Fassung. Es hätte eigentlich nur noch gefehlt, dass sie das Messer an der eiligen Wurstfrau vorbei direkt in mein Gesicht zielte, applaudierte und dann davon ausginge, dass das eine adäquate Reaktion auf eine einfache Frage gewesen wäre. 

Ich solle gefälligst nicht so etwas Blödes fragen, ich könnte den Hund ja um die Ecke draußen anleinen (an der stark befahrenden Hauptstraße, nicht in Sichtweite, nachdem in Düsseldorf schätzungsweise mehr Hunde gestohlen werden, als überhaupt draußen angeleint), wenn ich „unbedient etwas kaufen“ müsse. 

Mehr als ein „Ist ja schon gut“, kam vor Schock nicht aus mir heraus, das nervt mich rückblickend natürlich. Ich verließ die Katzenklappe, nahm meinen Hund, der nicht verstand, wieso er nicht in sein Düfte-Paradies einschreiten durfte und ging – peinlicherweise – noch an dem riesigen Schaufenster der Metzgerei (Wofür haben die eigentlich ein Schaufenster?? Was soll da präsentiert werden??) vorbei. Da sah ich, wie die Frau sich noch über mich aufregte, die eilige Wurstkundin drehte sich zu mir um, zog die Schultern noch und kniff die Lippen zusammen, während die Verkäuferin mir den Vogel zeigte. 

Wütend für einen Vormittag 

Eigentlich, eigentlich machte mich das Verhalten der eiligen Wurstfrau noch wütender. Ihre Gestik und Mimik sollte mir sagen: Pech. So ist das Leben. Mit Sicherheit regte es mich deshalb so auf, weil ich mich immer einmische, wenn andere Menschen unfair oder schlecht behandelt werden. Ich kann das kaum ertragen.

Und auch, wenn das hier vergleichbar zu allem, was ich schon erlebt habe, eher eine Lappalie darstellt, konnte ich diese Reaktion nicht verstehen. Ich ging wütend nach Hause. Mein Herz pochte, mir war warm, ich konnte an nichts anderes mehr denken. Es heißt immer, man solle andere so behandeln, wie man selbst behandeln werden möchte. Grundgütiger. Ich hoffe, die Menschen, die manchmal ihren Scheiß abladen, als wären wir netten Menschen Müllhalden, leben nicht wirklich nach diesem Prinzip.

Diese Wut über so einen einfachen und eigentlich belanglosen Zwischenfall begleitete mich einen ganzen Vormittag. Zuhause angekommen: wütend. Gearbeitet: wütend. Gegessen: wütend. Ich ließ also zu, dass eine Frau, die sich einfach nur unpassend verhielt, meinen halben Tag ruinierte. Ist es nicht unangebracht, Wut über solch eine Kleinigkeit zu empfinden, wenn gerade so viel auf der Welt passiert? Eine typische Frage, die man sich stellt, während man sich so für die Wut schämt. Deswegen blieb ich äußerlich ruhig.

Statt die ganze Wut in mich hineinzufressen, hätte ich benennen können, was mich so wütend machte. Wenigstens Zuhause angekommen, hätte ich mal kurz der Wut einen Raum, in Form eines AAAARRRGHHHSSSS schenken können. Denn scheinbar war es für mich heute etwas Großes, es machte mich wütend. Und das war mir so peinlich, das sich es in meiner Brust hausen ließ.

Die Scham über Wut und was ich gemerkt habe

Wut gehört sich doch nicht, oder? Contenance gehört sich. Aktuell gibt es viele Gründe, um wütend zu sein. Wir wissen alle, wovon ich schreibe. Und auch, wenn das wiederum keine Lappalien sind, sondern wichtige, grundlegende, entscheidende und äußerst traurige Angelegenheiten, lassen wir unsere Wut darüber nicht aus, wenn uns manchmal alles zu viel wird.

Es geht nicht darum, unkontrolliert zu handeln. Es geht darum, unserer Wut einen Raum zur Entfaltung zu geben. Uns aufzuregen, wenn jemand unfair war, uns aufzuregen oder auch zu weinen, wenn wir etwas nur schwer ertragen können. Zu sagen: ich bin so wütend, statt: alles is ok. Nur, damit andere nicht denken, wir würden „überreagieren“. Wütend zu sein, aus der Haut zu fahren, innerlich hoch- und wieder herunterzufahren. Das ist natürlich. Wichtig ist, dass wir uns nicht die ganze Zeit über in so einem schrecklichen Stadium der Wut befinden, wenn wir die Wut aber wieder rauslassen, sei es nur kurz, können wir den Knoten besser lösen. Denn auch, wenn wir uns von negativen Gefühlen distanzieren möchten, so gut es geht, können wir unsere Gefühle nicht künstlich ignorieren. Sonst kommen sie immer wieder zu uns zurück..

Die Wut gehört zu uns, darf kommen, darf gehen

Bin ich ein wütender Mensch, weil ich aktuell wütend bin, wenn ich sehe, was in der Welt los ist? Nein. Bin ich ein wütender Mensch, weil mich eine Frau so behandelte und ich damit nicht umgehen konnte? Nein. Bin ich deswegen weniger positiv? Nein. Wut ist eine Emotion, die dazugehört. Sie macht uns nicht mehr oder weniger zu einem gelassenen oder positiven Menschen. Wenn wir mal wütend sind, sind wir nicht weniger gute Menschen. Ich glaub daran, dass uns Wut auch wieder Energie zurückgibt, wenn wir sie rauslassen, statt sie uns zu rauben, wenn wir sie in uns hineinfressen. Wütend zu sein, unsere Wut in Sport oder einem Heulattacke herauszulassen, erlöst uns und macht uns nicht weniger empfänglich für die schönen Dinge im Leben.

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