Über Depression und mögliche Wege, mit ihr umzugehen – Eure Geschichten Teil 1

25. Mai 2021 von in

Triggerwarnung: Depression / Angstzustände

Depression ist ein Thema, über das man nicht gerne spricht. Das Wort Depression fühlt sich so groß und wuchtig an, so existenziell und dramatisch. Und natürlich sollte die Krankheit ernstgenommen werden, so wie jede andere Krankheit auch. Damit das geschieht und Depressionen in der Gesellschaft anerkannt wird, muss jedoch mehr darüber gesprochen werden. Allerdings finden Depressionen meistens verschlossen hinter Türen statt, verschlossen in der Seele, werden überspielt und verheimlicht. Doch Depressionen, depressive Phasen, Angstzustände, Panikattacken und kreisende Gedanken sind weiter verbreitet, als man denken möchte. Dabei kann man sich nicht an Statistiken orientieren, da die Dunkelziffer so immens groß ist und sich die wenigsten Menschen mit Depressionen oder Angstzuständen helfen lassen wollen. Weil sie denken, ihre Probleme seien zu unwichtig, um eine Therapie zu beginnen. Weil sie Angst davor haben, sich einen Therapieplatz zu suchen. Weil sie überfordert vom Angebot sind und gar nicht wissen, wo sie anfangen sollen.

Wir haben euch gefragt und intime und unglaublich wichtige Geschichten bekommen. Ihr erzählt uns von eurer Depression: Wie ihr sie erkannt habt, wie ihr heute mit ihr lebt und was euch geholfen hat und immer noch hilft in wiederkehrenden Episoden. Denn auch wenn die Krankheit hinter verschlossenen Türen stattfindet, seid euch sicher: Ihr seid nicht alleine.

Über Depression und mögliche Wege aus depressiven Episoden – Eure Geschichten Teil 1

Anna

Ich bin aktuell wegen einer mittelschweren Depression krankgeschrieben und in Therapie – befinde mich aber auf dem Weg der Besserung und kann sogar schon deutliche Erfolge der Verhaltenstherapie, die ich seit November 2020 besuche, verbuchen. In einem Zeitraum von knapp über einem halben Jahr kann sich also schon so einiges ins Positive wenden.
Panikattacken, niemals endende Grübelschleifen, die schon am frühen Morgen anfingen, bevor man überhaupt aus dem Bett aufgestanden ist, sowie extreme Unruhezustände, die mich irgendwann selbst in den kleinsten Alltagssituationen begleitet haben – von all dem bin ich seit einigen Wochen befreit.

Stattdessen habe ich das Gefühl, dass ich mich langsam aber sicher wieder selbst erkenne und zu dem Menschen werde, der ich vor meinen depressiven Episoden war.

Ohne die Therapie, den Entschluss, meinen toxischen Job vorerst aufs Eis zu legen und die Unterstützung meiner Schwester und Freunden, wäre ich sicherlich noch weiter in mein schwarzes Loch abgerutscht. Aber ganz ehrlich: Die Suche nach der Therapie ist alles andere als leicht – gerade wenn man schnell Hilfe in Anspruch nehmen möchte, weil man es nicht mehr in seinem eigenen Kopf aushält.
Ich musste wirklich um meinen Platz kämpfen, viele Telefonate führen – was der blanke Horror für mich als Telefonphobikerin ist – und zahlreiche Ersttermine über mich ergehen lassen. Nebenbei muss man dann noch mit ständigen Absagen und zahlreichen Ablehnungen der Krankenkassen umgehen können. Alles nicht leicht, weil man ohnehin schon denkt, die ganze Welt sei gegen einen. Am Ende waren es der ganze Stress und die Nerven natürlich wert.

Gebt nicht auf – egal wie abgedroschen es klingt.

Gedanken wie „Vielleicht bin ich nicht krank genug für eine Therapie“, „anderen geht es schlechter als mir, ich schnappe jemandem, der es wirklich nötig hat, nur den Platz weg“, oder „vielleicht schaffe ich das auch alleine, ganz ohne Hilfe“ sollte man ablegen. Jeder hat ein Recht darauf, Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn man seine Lust am Leben verliert und einem alles nur noch über den Kopf wächst. Man muss mit diesen Gefühlen und diesem hilflosen Zustand nicht leben. Vor allem sollte man sich aber klar vor Augen führen: Diese Traurigkeit und Überforderung, die man fühlt und die Sinnlosigkeit, die man verspürt, wenn man an das Leben und die Zukunft denkt, ist nicht ein Teil der eigenen Persönlichkeit. Ich dachte halt immer: „So bin ich halt“. Das ist aber einfach nicht wahr. Es ist Teil der Krankheit – und diese lässt sich behandeln.

Eva

Ein echter, sehr unerwarteter Gamechanger, der (neben klassischer Psychotherapie) sehr zu meiner Genesung beigetragen hat, war eine Psychoedukationsgruppe, die ich nach meinem letzten Zusammenbruch besuchen durfte. Das ist sozusagen der Theorieunterricht in der Fahrschule, in der man fernab von der Praxis erklärt bekommt, was Sache ist. Ich dachte zwar anfangs „Ich bin ’ne alte Häsin, kenn ich alles, brauch ich nicht“, aber – weit gefehlt. Die nüchternen Infos über eine Krankheit, die ganz „normale“ Symptome mit sich bringt, hat mir sehr geholfen, den nötigen Abstand zu meiner Erkrankung zu bekommen, dass ich noch heute ganz begeistert von dem Format bin. Zu sehen, dass das nicht mein Charakter ist, der stinkfaul und pessimistisch durch die Weltgeschichte trottet. Sondern dass das einfach eine Krankheit ist, war wirklich heilsam.
Es ist sehr wichtig, dass man sich nicht mit der Krankheit identifiziert.

Ich bin früher als totale Verdrängerin durch mein Leben gelaufen. In einer Klinik habe ich von einer Therapeutin die Worte „Zuwenden und Hinfühlen“ gehört, und auch das war für mich ein Schlüsselmoment. Das Zuwenden und Hinfühlen hilft, um früher erkennen zu können, dass es wieder bergab geht und Widerstände und Grenzen zu erspüren. Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass man nicht weglaufen kann vor den Dingen, die einen beschäftigen. Sie verfolgen einen, bis man sie anschaut und rein lässt.

Dinge, die mir später geholfen haben, in denen es schon wieder besser ging, waren: gesunde Ernährung und Sport (das geht mitten in einer schweren depressiven Episode nicht so gut). Ich habe mal irgendwo gelesen, dass ein gewisses Maß an Ausdauersport pro Woche die Wirkung von Antidepressiva ersetzt. Da ich sieben Jahre lang eher unzufrieden mit den Pillen herumgedoktort habe, ist das für mich eine tolle Alternative. Ich mache Pole Dance und gehe regelmäßig Joggen. Dadurch komme ich sehr gut mit meinem Körper in Verbindung, der sich in den schlimmen Episoden anfühlt, als wäre er nicht mein eigener.

Und auch heute geht es mir nicht immer nur gut und ich bin gefasst darauf, dass mich diese Episoden immer wieder heimsuchen werden. Ich habe diese Tage, an denen alles zu viel wird und ich es eben nicht schaffe aus dem Bett aufzustehen. Aber ich habe einen Umgang mit dem Thema gefunden, der es mir oft leichter macht, das alles zu verstehen und zu akzeptieren. Dazu gehört auch, dass ich enge Freund:innen in meinem Umfeld aufgeklärt und informiert habe, was dann mit mir passiert. Ganz wichtig ist auch, dass ich mich entspanne und akzeptiere was ist.

Früher habe ich mich gegen die depressiven Episoden gewehrt und so sehr dagegen angekämpft, dass ich all meine Energie daran verloren habe. Je schneller ich akzeptiere, dass sie wieder da ist, desto schneller geht sie auch wieder, die olle Depresse.

Depressionen sind scheiße und es zieht sich alles wie Kaugummi, wenn man in einer solchen Phase steckt. Aber mein Leben ist mir zu wertvoll, als dass ich es an diese Krankheit verlieren möchte. Ich würde auch sagen, dass ich durch meine Erfahrungen auf diversen Therapiesofas heute ein einfühlsamerer, reflektierterer Mensch geworden bin. Was ich außerdem durch meine Krankheit gelernt habe, ist Dankbarkeit. Ich kann mich heute über einen stinknormalen Tag freuen, oder sogar über echte „Probleme“. Wenn es mal einen Konflikt gibt, über den ich ehrlich fühlen kann, ist das für mich ein tolles Erlebnis, weil ich oft genug erfahren habe, wie es ist, einfach gar nichts zu fühlen.

 

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Nathalie

Ich habe im Herbst 2013 gemerkt, dass ich depressiv bin. Ich habe mich selbst so unter Druck gesetzt, alles perfekt zu machen, dass ich in ein tiefes Loch gefallen bin. Zum Glück bin ich bei meiner Familie, vor allem bei meiner Mutter, sofort auf Verständnis gestoßen. Sie hat mich zu meiner Hausärztin geschickt und diese hat mich mit der Diagnose „persönliche Lebenskrise“ zum Psychiater überwiesen. Auch er hatte Verständnis für mich und diagnostizierte schließlich Zwangsgedanken und eine mittelschwere depressive Episode. Er verschrieb mir dann Medikamente.

Es hat allerdings sehr lange gedauert, bis ich akzeptieren konnte, auf ein Medikament angewiesen zu sein. Ich habe es eigenmächtig abgesetzt, was mich 2015 in das nächste Loch katapultiert hat. Also habe ich es wieder genommen. Im Herbst 2018 habe ich es unter Aufsicht ausschleichen wollen. Während der Zeit haben mein Freund und ich uns getrennt und ich hatte sehr viel Stress bei der Arbeit. Das Ende vom Lied war, dass ich meinen Alltag nicht mehr alleine meistern konnte, wieder bei meiner Mutter eingezogen bin und schließlich im November in einer psychiatrischen Klinik gelandet bin. Knapp drei Monate habe ich dort verbracht.

Seit diesem Jahr habe ich erkennt, dass ich mein Leben nicht so weiterleben will in der Hoffnung, alle Tiefs zu überstehen. Ich habe mich von ungesunden Routinen verabschiedet: Wie bis mitten in der Nacht auf Instagram und Tiktok unterwegs zu sein. Tiktok habe ich sogar gelöscht, weil mich zu viele Videos dort einfach getriggert haben. Diese Negativität möchte ich nicht mehr freiwillig in mein Leben lassen. Morgens stehe ich früher auf, um zu meditieren und um Stress zu vermeiden. Früher bin ich immer voller Selbsthass auf den letzten Drücker oder zu spät zur Arbeit gekommen.

Ich lerne gerade Grenzen zu setzen. Fällt mir tierisch schwer aber jedes Mal wenn ich es geschafft habe, fühlt sich das so gut an.

Am wichtigsten finde ich es jedoch, sich selbst zu akzeptieren. Das ist kein Witz und es hat einen Grund, warum die Selbstakzeptanz und die Selbstliebe einen immer größeren (auf Social-Media) einnehmen. Es gibt Dinge im Leben, die kann man zu seinen Gunsten verändern. Es gibt aber auch Dinge, die man einfach akzeptieren und annehmen muss. Bei mir zum Beispiel, dass ich nicht die stabilste Psyche habe und wahrscheinlich niemals haben werde. Aber ich lerne damit umzugehen, um mich mit meiner psychischen Erkrankung irgendwann einfach annehmen zu können. Das ist mein Therapieziel, dass ich seit zwei Jahren verfolge.

Wir wollen euch für eure Offenheit danken und den Mut, öffentlich über Depression zu sprechen.

 

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4 Antworten zu “Über Depression und mögliche Wege, mit ihr umzugehen – Eure Geschichten Teil 1”

  1. Könnt ihr eventuell auch mal Leute befragen, die Partner/innen von Depressiven sind/waren und wie man sich da vielleicht verhalten kann? VG

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