Trend Acrylnägel: Die politische Geschichte der Nail Art

21. Januar 2022 von in

Foto & Artwork: @nailsvoninge

Viel spannender als die Beauty selbst ist die Geschichte der Kosmetik. Denn sie hat seit ihres ersten dokumentierten Auftrittes irgendwann in der Antike immer wieder zu Aufruhren geführt. Im 18. Jahrhundert waren Rouge und Lippenstift ein Schönheitsideal für alle Geschlechter, die sich in der Rokoko-Epoche mit rosapinken Bäckchen sowie roten Lippen bemalten. Als dann ungefähr hundert Jahre später der erste Lippenstift auf den Markt kam, wurde er kurze Zeit zu einem Symbol der reichen Oberschicht, da er natürlich unglaublich teuer war, und ihn sich nur die wenigsten leisten konnten. Doch schon bald bekam er viel Konkurrenz und wurde – bis heute – zu einem Massenprodukt. Viele konnten ihn sich leisten – dementsprechend fiel auch sein Status. Er wurde lange Zeit fast ausschließlich von Sexarbeiter:innen und Schauspieler:innen getragen, bis die erste Frauenbewegung 1912 in knallrotem Lippenstift für das Frauenwahlrecht demonstrierten. Seit dieser Zeit bis heute gilt der Lippenstift-Index aufgrund seines neuen Images als bezahlbares Symbol der selbstbewussten Frau. Jener Verkaufs-Index des Lippenstifts stieg in Zeiten der Krise und fiel im wirtschaftlichen Boom. Bis zur Corona-Krise.

Die Geschichte der Nagelkunst

Parallel zu Lippenstift und Rouge verlief die Geschichte der Nail Art. Sie begann nur schon viel früher. Es gibt schon Legenden um die erste Maniküre von Griechischen Göttern, hin zu Hennakunst in Indien, die ersten Kunstnägel der Geschichte in der chinesischen Zhou Dynastie (um 770-250 vor Jahreszählung), Nail Art von Kleopatra und der Inkas. Dann, im späten 19. Jahrhundert, galt es im chinesischen Kaiserhaus als besonders chic, lange Kunstnägel über zehn Zentimeter zu tragen. Sie wurden nur auf einem oder zwei Fingern getragen und mit chinesischen Glückssymbolen beschmückt, und waren ein Zeichen des Reichtums und der Elite. Zu dieser Zeit waren Kunstnägel extrem teuer. Lange Nägel bewiesen außerdem aufgrund ihrer Unpraktikabilität, dass ihre Trägerinnen keine körperliche Arbeit nötig hatten. Zwar hatte die Black Community Acrylnägel nicht erfunden, doch seit ihrer Verbreitung der letzten Jahrzehnte eine maßgebliche Rolle in ihrer Prägung gehabt. Die Geschichte der Nail Art läuft nicht zeitgleich zu der des Rouges und Lippenstifts, doch sie mündet in einer ähnlichen Debatte.

 

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Der Klassismus um Nail Art

Als Nail Art – ebenso wie Lippenstift und Rouge – für die breitere Masse verfügbar war, wurde sie von der weißen Mittel- bis Oberschicht als „Trash“ verpönt und vom Patriarchat sexualisiert. Plötzlich wurde aus dem einstigen Luxusgut „Nail Art“ eine politische Debatte, die bis heute geführt wird. In den Achtzigerjahren bestimmte die individuelle Form und Ästhetik der Nail Art die soziale Klasse, Geschlecht und Status einer Person – und das aus der Sicht des weißen Patriarchats. Übrigens war das Prinzip schon ähnlich wie in der Antike, in der die Nagelfarbe den gesellschaftlichen Status eines Mannes angab. Es gab zwar keine klaren Richtlinien, doch rückblickend lässt sich ein Muster dafür erkennen.

 

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“Women’s choices of nail styles and services reflect the social construction of beauty, which is not based on natural or biological traits but upon socially conditioned tastes that are deeply entrenched in gender, race and class differences”

So beschrieb es auch schon Professorin Miliann Kang in ihrem Buch „The Managed Hand: Race, Gender, and the Body in Beauty Service Work“. Beispielsweise standen eine zurückhaltende French Maniküre oder blasse und pastellige Farben stellvertretend für eine weiße, heteronormative Mittelschicht. Lange Acrylnägel, knallige Farben und Airbrush-Techniken jedoch wurde als hyper-sexualisiert, stigmatisiert – und vornehmlich von Schwarzen Personen, People of Color, Sexarbeiter:innen, queeren Personen und all jenen getragen, die sich von der heteronormativen, konservativen und/oder weißen Mehrheitsgesellschaft distanzierten.

 

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Florence Griffith-Joyner war Friseurin und Nail Designerin, bis sie anfing, für die Olympiade zu trainieren. 1988 brach sie, mittlerweile auch Flo Jo genannt, alle Rekorde und wurde dreimal Olympiasiegerin und Weltmeisterin. Ihre Rekorde sind bis heute ungebrochen. Doch neben ihrer bahnbrechenden Olympiarekorde war Flo Jo mindestens genauso bekannt für ihre einzigartigen Looks und die individuelle Nail Art, die sie während der Olympiade trug. Ihre auffällig langen und ikonischen Nägel polarisierten. Sie wurden von der Presse zerrissen, gehypt, geliebt, nachgeahmt. Flo Jo war in der politischen Bewegung der Nail Art eine wichtige Person, da sie mit ihren Acrylnägeln die Klassismus-Debatte aufrührte und provozierte.

 

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Heute sind Acrylnägel ein riesiger Trend. Viele in meinem Umfeld tragen die bunten Krallen, und ich finde es richtig gut. Ich frage mich nur, warum die langen Nägel gerade jetzt so einen weit verbreiteten Hype erleben, wie vielleicht nie zuvor. Klar ist die Nail Art ein Comeback der 2000er. Im Millenium erlebten die Nails schonmal einen großen Boom. Doch Coronakrise tut sicherlich auch ihre Arbeit. Da die Schutzmasken unsere Gesichter verhüllen, ist der Verkauf von Lippenstift stark zurückgegangen. Stattdessen bekommt Nail Art eine Bühne, die sie in dieser Form seit Langem nicht mehr genossen hat. Fingernägel sind das ideale Accessoire in einer Zeit, in der man sein Gesicht nicht zeigen kann. Sie sind außerdem Rebellion, Protest, und eine besonders stilvolle Würdigung jener Personengruppen, die sie schon viel früher getragen haben. Der Trend wird natürlich aktuell maßgeblich in der Mode adaptiert, dominiert, angestoßen und spielen eine wichtige Rolle in Shootings.

 

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Acylnägel können politisch sein, müssen sie aber nicht. Die Sache ist nur: Wer sich einmal mit Nail Art beschäftigt hat, wird immer einen politischen, rassistischen und klassistischen Background in ihnen sehen. Kosmetik ist kapitalistisch, jedoch auch politisch, und gerade die Nail Art geht in eine Zeit zurück, in der noch keine Jahreszahlen dokumentiert wurden. Umso wichtiger ist es, sich über die Geschichte der Nails – wenigstens im Groben – klar zu machen. Denn wer über die Geschichte von Ikonen wie Florence Griffith-Joyner, aber auch Größen wie Diana Ross, Adina Howard, oder von Schwarzen Sexarbeiter:innen, Drag Queens, und der somit einher gehenden Bedeutung von Nail Art bewusst ist, der kann Acrylnägel nicht nur der Ästhetik wegen tragen. Aus einer Ästhetik wird ein Politikum, ein Protest, eine Provokanz, was die Nägel nur noch schöner und spannender macht, als sie sowieso schon sind.

 

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4 Antworten zu “Trend Acrylnägel: Die politische Geschichte der Nail Art”

  1. Hallo Amelie,
    Danke für den sehr tollen Beitrag, der viel angeregt hat bei mir.
    Wie ist dein Bezug zu Nail Art, wie trägst du deine Nägel? Wie fühlt sich das an, welche Erfahrungen hast du gemacht? Das frage ich nicht kritisierend, sondern ehrlich interessiert an deiner Erfahrung.
    Danke dir fürs Augen Öffnen. Darf ich noch fragen: Wie bist du auf das Thema gekommen, hast du Literatur-tipps (abgesehen von dem Verlinkten). Das würde mich sehr interessieren. Letztens hast du ein Bild von einem Buch von Gems gezeigt, hast du dir welche machen lassen? Was war das für ein Buch, kann ich mehr sehen? Überhaupt würde mich ein Einblick in deinen Berufsalltag total interessieren. Wie arbeitest, schreibst, findest du Themen, was beansprucht dich viel, was nervt, was hilft?
    <3

    • Liebe Liza, und liebe Evelin. Aktuell trage ich meine Nägel wie immer kurz und mit klarem Lack oder schwarzem Lack. Deshalb denke ich darüber nach, ich würde keine superlangen Nails wollen, aber vielleicht einen Ticken länger. Allerdings bin ich noch unentschlossen. Ich habe leider keine weiteren Literatur-Tipps als das, was ich verlinkt habe, sorry :(. Den Zahn Gem habe ich mir aufkleben lassen, ja! Ich finde Zahnschmuck richtig toll und überlege, mir das nächste Mal einen anderen oder auch mehrere machen zu lassen. Das Magazin war von https://www.instagram.com/gby_beauty/ – die sind aus NYC aber hatten einen Pop Up Store im Maria Black Store in Mitte :). Das waren jetzt mal grob die ersten Fragen. Was meint ihr denn, soll ich mir Nails machen lassen? Bin noch unentschlossen, weil sie wahrscheinlich im Alltag eher unpraktisch sind. Aber sie sehen so gut aus!
      Ich schreibe gerne bald mehr zu meinem (Berufs)-Alltag und darüber, was mich gerade so inspiriert und so weiter :). Bis dahin findet ihr im neuesten „In The Mood“ mehr über mich, was heute online ging. Danke euch für die lieben Kommentare! Liebe Grüße <3

  2. Hallo Amelie,
    warum gerade Acryl? Das reicht erbermlich nach Chemie, warum nicht Gelnägel? Gut, gab es damals nicht aber irgendwie bleibt deine Geschichte gefühlt in den 80 / 90 ern hängen und man erwartet noch ein Ende der Geschichte?!? Ich trage übrigens Gelnägel Naturfarben, auch mal länger…

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