Trans-Aktivistin Joanne Lockwood über Diversity & Gleichberechtigung im Job
Dieser Artikel erschien zuerst auf Refinery29 von Katja Schweitzberger
Es gibt wohl kaum Menschen, die vor einem Bewerbungsgespräch nicht wenigstens aufgeregt sind. Selbst bestens vorbereitet bleiben Ungewissheiten und nach deiner Performance des Jahrtausends möchtest du die Stelle natürlich auch bekommen. Für Ego streicheln und einfach mal hingehen haben wohl nur die wenigsten Zeit und Geld. Das wissen auch die Veranstalter der Messe Hiring Success, bei der sich alles um die Menschen dreht, die ein Unternehmen zum Erfolg machen. Dazu gehören Frauen genauso wie Männer, cis- und transgender Personen. Laut einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2010 werden 30 bis 40 Prozent der transgeschlechtlichen Menschen bei Bewerbungen wegen ihres Trans*-Seins trotzdem nicht berücksichtigt.
Damit dieser Wert in Zukunft bei Null Prozent liegt, kämpft Diversity- und Inklusionsspezialistin Joanne Lockwood aus Portsmouth, England. In Berlin haben wir sie bei der Hiring Success getroffen, wo sie selbst über Trans*themen aufklärt und mehr über die Einstellungskriterien der Industrie erfährt. Wenn es um die Geschwindigkeit eines Konzerns wie Microsoft geht, sind „Transgender-Individuen nicht unbedingt die einfachsten potenziellen Kandidat*innen“, sagt Lockwood. Doch sie weiß, dass Gleichberichtigung möglich ist: „Aufklärung und Bildung können an der Situation von trans* Personen etwas ändern.“ Im Interview spricht Lockwood über ihre frühere Arbeit im IT-Bereich, über Vorurteile und das passende Unternehmensumfeld – Karrieretipp inklusive. Wenn wir jetzt nur noch die Zeit bis zu den Null Prozent vorspulen könnten…
Warum spielen Gender und Sexualität überhaupt noch eine Rolle im Arbeitsumfeld?
Wir leben in einer binären Welt, die Erwartungen an die Geschlechter hat. Menschen haben sich in Stämmen so weit entwickelt, nun sind wir heute umgeben von hierarchischen Strukturen wie der Kirche und dem Staat, in denen wir uns ganz bewusst dazu entscheiden müssen, zusammenzuarbeiten. Wenn Menschen in diesem Zusammenhang anders sind, dann kann das störend sein. Es gibt Gender-Identitäten, die Angst durch einen Mangel an Vertrauen auslösen können. Das sollte nicht so sein. Aufklärung und Bildung können daran etwas ändern. Man muss sich einfach nur mal mit einem Mitglied der LGBTQ+-Gemeinde unterhalten.
„Direkt sind mir zwar nie Vorurteile begegnet, doch ich bin mir sicher, dass manches deswegen nicht passiert sind, zum Beispiel eine Einladung, die nicht ausgesprochen wurde, oder ein Vorstellungsgespräch, das nicht stattgefunden hat.“
Wenn du eine trans* Person vor ihrer Veränderung kennenlernst, dann kann es sein, dass du danach einen neuen Menschen antriffst. Das kann für die Person selbst sehr schwierig sein und für alle Menschen in ihrem Umfeld. Für Recruiter ist es eine Herausforderung, jeden Menschen als Individuum zu sehen. Viele sagen zu mir, dass sie mit mir als Person kein Problem haben. Trotzdem denken Arbeitgeber darüber nach, was die Kundschaft denken könnte. Die Phobie wird quasi weitergegeben. Würdest du mich anstellen? Würdest du mich mit deinem Abverkauf beauftragen? Das sind Fragen, die sich eine transgender Person stellt. Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin fragt sich, ob wir dann womöglich Kund*innen verlieren. Diese Wahrnehmung kann problematisch sein. Psychische Probleme können während der geschlechtlichen Anpassung auftreten. Trotzdem gehen alle Menschen in ihrem Leben mal durch schwierige Phasen. Ein guter Arbeitgeber sollte dann für sie da sein. Man muss sich um die Angestellten kümmern, sie müssen wissen, dass sie wert geschätzt werden.
Was ist der Grund dafür, dass trans* Personen so wahrgenommen werden?
Sie bringen oft Reibung mit sich und können von der Norm abweichen. So wie es eigentlich alle Individuen tun können. Sie sind Teil einer vielfältigen, inklusiven Welt. Cis-Menschen müssen oft nicht so viel kämpfen, deswegen wertschätzen sie ihre Position vielleicht nicht so sehr oder sind weniger engagiert dabei, diese zu halten, nachdem man ihnen eine Chance gegeben hat. Wenn du das Gefühl hast, für eine Stelle gemacht zu sein, dann bist du womöglich weniger dankbar. Wenn ich der Meinung bin, dass ich eine Position verdiene, bin ich schneller weniger motiviert mich immer wieder aufs Neue zu beweisen.
Sind dir in deiner Karriere Vorurteile begegnet?
Nicht direkt. Ich bin mir aber sicher, dass gewisse Dinge auf Grund von Vorurteilen nicht passiert sind, zum Beispiel eine Einladung, die nicht ausgesprochen wurde, oder ein Vorstellungsgespräch, das nicht stattgefunden hat. In sozialen Kontexten sind Menschen warm und interessieren sich für mich. Veranstaltungen wie diese inkludieren mich. In meinem Privatleben ist es besonders schwierig für die Menschen, die mich vorher schon kannten, weil es ist, als würde man neu geboren werden. Wenn du jemanden aus deiner Schulzeit nach Jahrzehnten wiedertriffst, habt ihr euch womöglich auch so grundlegend verändert, dass es zu keiner einzigen Gemeinsamkeit mehr kommt.
„Ein Unternehmen sollte sich für alle Angestellten gleich interessieren.“
Ich interessiere mich heute nicht mehr für die gleichen Dinge wie früher. Dadurch verändern sich auch Freundschaften. Vielleicht ist es ähnlich wie bei Freund*innen, die plötzlich Kinder haben und lieber zu Hause bleiben wollen, statt feiern zu gehen. Am Anfang meines Angleichungsprozesses wollte ich, dass alles so bleibt, wie es ist. Ich habe an Dingen der Vergangenheit festgehalten und dann doch gemerkt, dass es so nicht funktioniert. Ich kann nicht alles sein; ich muss Dinge gehen lassen.
Hat sich deine Einstellung zur Arbeit verändert?
Vor allem hat sich mein Blick aufs Leben verändert. Wenn ich zurückschaue, dann erkenne ich die Person, die ich war, kaum wieder. Ich sorge mich jetzt viel mehr um die Menschen um mich herum. Vorher habe ich mich um Geld gesorgt. Reden, sich auszutauschen und Erfahrungen zu sammeln ist viel wichtiger für mich geworden. Alles, was ich jetzt tue, widmet sich Menschen. Die Hormone haben mich verändert. Ich fühle mich viel freier. Ich bin leidenschaftlicher und zugleich entspannter. Das ist wohl ein halbes Ja. Ich bin definitiv glücklicher. Nichts von dem, was ich tue, fühlt sich wie Arbeit an. Und ich will die Welt verändern.
Außerdem weiß ich jetzt auch: Viele Probleme gab es nur in meinem Kopf. Ich bin heute immer noch verheiratet. Wir sind immer noch eine Familie. Es kann so funktionieren!
Was muss sich auf der Unternehmensseite verändern?
Wenn jemand noch nie eine Person nach ihrer Angleichung kennengelernt hat, sollte sich das ändern. Es geht ja nicht direkt darum, jemanden anzustellen, sondern darum sich generell für alle Menschen zu interessieren. Geht es einer Firma nur darum, Pride zu vermarkten oder ist es ihnen wirklich wichtig? Unternehmen sollten das vorleben. Es sollte kein leeres Versprechen, vielleicht aufgrund von internalisierten Phobien, sein. Unternehmen sollten das überwinden. Viele Bewerber*innen wollen nicht die erste LGBTQ-Person in einer heteronormativen Umgebung sein. Es fühlt sich besser an von anderen Personen der LGBTQ-Gemeinde willkommen geheißen zu werden. Viele Personen wollen nicht automatisch zu Repräsentant*innen werden, das setzt sie nur noch mehr unter Druck.
Hast du selbst manchmal Vorurteile?
Ich glaube, wir haben alle Vorurteile und sind manchmal voreingenommen. Da hilft es sich weiterzubilden. Finde heraus, was dich interessiert, engagier dich. So kannst du deine Vorurteile hinterfragen und loswerden. Am Anfang habe ich gedacht, dass es ein Problem sein könnte trans zu sein. Doch dann habe ich mich geoutet und war einfach ich selbst. Ich habe diese Phase überwunden. Am Anfang war ich extrem vorsichtig. Ich dachte, dass sich alle über mich lustig machen, dass mich alle anstarren. Das musste ich überwinden, um wieder ich sein zu können.
Wie bleibst du motiviert?
Wahrscheinlich durch die Menschen um mich herum. Jeden Tag treffe ich neue Menschen, die mich inspirieren. Ich kneife mich ständig selbst, weil ich inkludiert werde und ein Zugehörigkeitsgefühl empfinde. Ich genieße diese Reise. Das ist es, was ich machen möchte. Es gibt mir den Glauben daran, dass ich zähle und meine Stimme gehört wird. Das motiviert mich. Gerade gibt es ein Momentum für diese Entwicklung.
„Du bist immer du. Also fühl dich wohl mit dir selbst. Die Menschen werden dich lieben, wenn du mit dir selbst im Reinen bist.“
Wie wichtig war deine Angleichung für deine berufliche Veränderung?
Ich habe vorher 20 Jahre in der IT-Branche gearbeitet. Das ist irgendwann mühsam geworden. Es war immer das Gleiche. IT ist notwendig und braucht Innovation und fühlt sich irgendwann trotzdem wie eine Wiederholung der immer selben Sache an. Das hat mich frustriert. Außerdem war ich unsicher, ob ich in dieser Welt so akzeptiert werde, wie ich bin. Das ist alles zeitgleich passiert. Mein Geschäft hat mich zurückgehalten. Jetzt lebe ich mein neues Ich. Quasi die zweite Version and die gehört allein mir. Ich war Version 1, doch das war jemand anderes. Jetzt habe ich einen Neustart gemacht und lebe eine neue Leidenschaft.
Was ist dein wichtigster Karrieretipp für alle, die sich unsicher fühlen, ob sie in einer neuen Position willkommen geheißen werden?
Glaube an dich selbst. Es ist nicht einfach alles zu verändern, was du bist. Du musst dich in deiner Haut wohlfühlen. Sei du selbst. Denk über deinen Einfluss auf Menschen nach und was du damit erreichen willst. Sei mutig und selbstbewusst. Die Welt ist hart, ja, aber sie ist nicht unbedingt gegen dich. Gerade wenn du nicht aus einem privilegierten Umfeld kommst. Das musst du akzeptieren, um bessere Entscheidungen zu treffen. An vielen Orten auf der Welt spielt es keine Rolle, ob du trans oder cis bist. Du bist immer du. Also fühl dich wohl mit dir selbst. Die Menschen werden dich lieben, wenn du mit dir selbst im Reinen bist.