Toxic Masculinity – Über Bisexualität und das anerzogene Geschlecht

30. Juli 2018 von in

Illustration: Laura O’Connor via Juniqe

„Ich glaube, ich bin lesbisch“, ist ein Satz, den ich in meinem Leben nicht nur einmal zum Besten gab. Um ehrlich zu sein, hatte ich es sogar gehofft, als ich nach meiner letzten Trennung verstört feststellen musste, dass ich mich zu fast allen Männern, die mich umgaben, wohl einfach nicht hingezogen fühlte. Dass sie mir, gelinde gesagt, egal waren und meine feministische Einstellung irgendwo im Laufe der Zeit in einem Männerhass münden musste, ohne dass ich es hätte kontrollieren können. Irgendwas war jedenfalls komisch, und ich konnte einfach nicht sagen, wo es hakte und wieso ich nicht einfach eine stinknormale Hetero-Beziehung führen konnte, wie sie sie gefühlt alle um mich herum führten.

„Ich glaube, ich bin lesbisch“, sagte ich dann nach meiner letzten Trennung, da es beim Trennungsgespräch wieder darum ging, dass ich nicht so richtig bei der Sache sei, dass ich die Beziehung zu wenig wollen würde und zu distanziert wäre. Diese logische Konsequenz der neuen sexuellen Orientierung entsprang ein bisschen aus Verzweiflung, aber auf keinen Fall aus Wut oder Hass auf Männer. Eher auf mich selbst. Ich wusste einfach nicht weiter. Also versuchte ich, das Ufer zu wechseln, wie man so schön sagte. Und tauchte meinen Zeh vorsichtig in das unbekannte Gewässer der Frau. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, dachte ich mir und es schien mir einfach schlüssig, dass das andere Ufer das meine sei und dass genau jetzt meine Zeit dafür gekommen wäre, das Seepferdchen zu machen.

Das Ufer wechseln

Mehr als ein paar Knutschereien und Flirtereien hatte ich zwar davor mit Frauen noch nicht ausprobiert, ich war aber schon mal verknallt in eine Frau und grundsätzlich sehe ich bei Frauen bis heute eher zwei mal hin als bei Männern. Ich empfand mich – unabhängig von der ästhetischen Zuneigung – bei Frauen auch einfach verstandener. Frauen kapierten meine Probleme, Frau zu sein. Reden funktionierte irgendwie besser. Ich mochte die zarten und vorsichtigen Frauen, sie waren für mich wie Katzen und Männer wie Hunde. Und ich bin eben einfach ein Katzen-Typ, also schlief ich mit Frauen.

Das war auch alles schön und gut. Ich war überrascht, wie leicht mir die neue Erfahrung fiel, und nachdem die erste Panikattacke bei meinem allerersten Tinder-Date mit einer Frau überwunden war, war das alles eigentlich ganz einfach. Aber irgendwie stellte sich nicht das befriedigende Gefühl ein, das man haben sollte, wenn man die richtige Entscheidung getroffen hat. Es gab keine Lösung für mein Problem. Auch Frauen waren nicht zwangsläufig die Lösung, denn an gewissen Frauen, die ich datete, störte mich dasselbe wie an den Männern, die ich zuvor datete: Sie protzten mit männlich konotierten Charaktereigenschaften.

Ohne mich zu fragen nahmen sie mir etwas schwerere Gegenstände aus der Hand, sie versuchten händeringend, sich cooler, stärker und besser darzustellen, als sie waren und es war so schrecklich offensichtlich, dass ich mich zum Teil fremdschämen musste. Sie wollten dominieren. In jeder Lebenslage! Bei der Restaurantwahl, bei der Wochenendaktivität, einfach bei allem. Sie machten mich aktiv an und erwarteten von mir die passive Flirtrolle. Sie sprachen über Verflossene wie Trophäen. Sie ließen keine Schwäche zu, und wenn ich sie doch in einem schwachen Moment erwischte, erklärten sie mir, dass sie nur bei mir so wären und sich sonst niemandem öffnen würden. Es war immer dasselbe. Und ich verstand, dass ich kein Problem mit dem Geschlecht des Mannes hatte. Ich hatte ein Problem mit den männlich konotierten Eigenschaften, die viele Männer in sich tragen – aber auch viele Frauen, die ich kennenlernte.

Toxic Masculinity

Toxic Masculinity, oder auch toxische Männlichkeit, ist das Phänomen, das meinem langjährigen Problem einen Namen gibt. Die toxische Männlichkeit beschreibt dabei nicht die Verurteilung des Mannes selbst, sondern kritisiert gewisse Verhaltensmuster, die primär Männern anerlernt wurden, die aber ganz klar auch bei Frauen zu finden sind. Im Extremen kann man sich darunter James Bond aus den Sechzigern vorstellen, doch eine auch schon viel abgeschwächtere Form des toxischen Filmcharakters schreckt mich ab. Dominanz, das subtile Bedürfnis der Überordnung der Frau im Alltag, Kontrolle, kurz: Arschlochverhalten, sind nur ein paar der Folgen, die aus dem Glauben entstehen, Emotionen zu unterdrücken, bedeutete Stärke und Macht. Fehlende Empathie sich selbst, und seinem Umfeld gegenüber, aufgrund der Verschleierung der eigenen Gefühle. Es leiden viele Männer unter jenen Verhaltensmustern und werden der Rolle „Mann im Haus“ nicht gerecht und andere zelebrieren sie, doch am Ende geht es darum, dass diese anerlernte Stereotype noch in Massen vertreten ist – mehr dazu findet ihr zu Milenas Kolumne „Warum wollen Frauen immer mehr?“.

Ich definiere mich nicht über mein Geschlecht. Es ist mir egal, dass ich eine Frau bin. So gerne ich Beyoncé auch mag, ich kann mich nicht mit ihrer Einstellung zu sich selbst und zum Frau-sein identifizieren. Ich fühle mich genauso weiblich, wie ich mich männlich fühle und wenn mich jemand fragen würde, ob ich es mag, eine Frau zu sein – ich hätte keine Antwort. Es ist ja nicht so, dass ich es mir hätte aussuchen dürfen. Dadurch, dass mir meine Weiblichkeit nicht am Herzen liegt, liegt mir genauso wenig Männlichkeit am Herzen und das ist eine sehr befreiende Erkenntnis.

Heute bin ich wieder mit einem Mann zusammen, weil er mich  – unabhängig von der Anziehungskraft – als Mensch beeindruckt. Er muss keinem etwas beweisen. Er ist nur so dominant, wie ich es gerne mag. Er gibt mir nicht das Gefühl, eine Frau zu sein, sondern viel mehr: ein Mensch zu sein, den er respektiert. Und mich macht nichts mehr an, als genau das.

Befreiung von der eigenen Stereotype

Sich seiner Stereotype zu entledigen ist nicht einfach. Und auch nicht zwingend notwendig! Einige Menschen fühlen sich in ihrer anerzogenen Rolle wohl, und das ist dann ganz fantastisch. Ein Großteil unseres Verhaltens ist anerzogen und sich grundsätzlich dagegen zu sträuben, wäre nicht nur der falsche Weg, er wäre endlos und der Kampf ein Loch ohne Boden.

Doch hilfreich ist innehalten und sich immer wieder selbst zu hinterfragen. Wieso verhalte ich mich so, wie ich mich verhalte? Mag ich mich so, wie ich bin? Werde ich den täglichen Herausforderungen des Lebens gerecht? Fühle ich mich wohl in meiner Haut? Mag ich mein Umfeld? Wenn man eine dieser Fragen mit Nein beantwortet, dann muss man nicht verzweifeln. Im Leben wird man die eine oder andere Frage – manchmal sogar alle Fragen – immer wieder mit Nein beantworten müssen. Wichtig bleibt dann die Möglichkeit, auf den Grund des Problems zu kommen und die Kraft und den Mut zu besitzen, ein paar Ansichten oder Verhaltensweisen über Bord zu werfen.

Denn (und das ist die befreiende Erkenntnis) wir können alles ändern, wenn wir nur wollen.

 

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8 Antworten zu “Toxic Masculinity – Über Bisexualität und das anerzogene Geschlecht”

  1. Ein sehr guter Artikel! Ich bin auch zu einem ähnlichen Schluss gekommen, mich selbst (und alle anderen auch) einfach als Menschen zu sehen. Und mein Interesse nicht von vornherein auf ein Geschlecht zu limitieren. Es hat etwas befreiendes wenn man so ein weiteres gesellschafftliches Label abstreifen kann, und seis nur mental.

  2. Was für ein schöner und absolut schlüssiger Artikel- besonders der Satz: er gibt mir nicht das Gefühl eine Frau zu sein, sondern ein Mensch. Wenn es so ist, ist eine Beziehung perfekt..ich habe auch so einen Mann und empfinde das als wahres Glück endlich nicht mehr nur als Frau gesehen zu werden.

  3. Netter Artikel, habe gleich danach noch einen zweiten von dir gelesen erster Satz dort „ich liebe es eine Frau zu sein“
    Ja was denn nun?

    • Keine Ahnung, von welchem Artikel du genau sprichst, aber vermutlich habe ich mich in ihm unglücklich ausgedrückt, oder er ist schon über ein halbes Jahr alt und die Erkenntnis war noch nicht so da, wie sie jetzt ist.

      Liebe Grüße!
      Amelie

  4. Liebe Amelie,
    Danke für den Artikel!
    Er führt mir Eigenschaften, die ich häufig selbst an mir ablehne, vor Augen: toxic masculinity. Endlich gibt es einen Namen für diese Verhaltensweisen und eine Erklärung.
    Ich bin laut, brüste mich mit Vergangenem, bin kalt und abweisend statt empathisch und mitfühlend.
    Für mich stellt sich die Frage, wie lege ich diese Verhaltensmuster ab?
    Ich weiß, dass ich diese Muster vor langer Zeit zum Schutz vor Verletzung meiner sensiblen, mitfühlenden, naiven Persönlichkeit angelegt habe.
    Was würdest du dir als als Mensch von einem Menschen mit der Diagnose „Toxic Masculinity“ wünschen? Wo gäbe es eine Balance der Eigenschaften für dich?

    Frede

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