Von der Tinder-Haterin zur Braut: Wie ich mein erstes Tinder-Match gleich heiratete
Es ist Frühling 2017. Ich fahre mit einigen Freundinnen für ein Wochenende nach Holland. Meine beste Freundin sitzt am Steuer, ich gleich hinter ihr, sodass wir uns beim Sprechen durch den Rückspiegel in die Augen sehen können. Für versteckte Botschaften, für offensichtliche Lachfältchen oder für, wie sich später herausstellte, unausgesprochene Meinungen. Plötzlich erzählt sie verlegen davon, dass sie jemanden auf Tinder kennengelernt hat. Während die anderen beiden sich freuen und neugierig nachfragen, gröle ich völlig hysterisch und ohne jegliches Feingefühl darauf los. Ich degradiere Dating über Tinder (wie immer) und lobe etwas zu verbissen die alten guten Romantikvorstellungen (wie immer). Nachdem ich ihr viele schmollende Blicke zuwerfe und meinen Tobsuchtsanfall langsam in den Griff bekomme, sprechen wir die komplette Fahrt nicht mehr miteinander.
Am Ende sprachen wir nie mehr über diesen „Vorfall“, also meine enorme Antipathie, die ich diesem Portal gegenüber hegte. Auch nicht, als sie mit ihm zusammenzog. Auch nicht, als ich merkte, wie glücklich sie miteinander sind. Auch nicht, als sie heirateten.
Wie sollte ich ihr dann erklären, dass ich nur ein Jahr später jemanden über Tinder kennenlernte – und gleich heiratete?
Sonntagabend: eine Badewanne, eine App und ich
Ein Jahr später, Sonntagabend im Oktober: Ich, leicht Glücks-benebelt von einem Wochenende mit mir allein, in der Badewanne liegend. Widerwillig lud ich mir die App „Tinder“ herunter. Und zwar, nachdem mir ein dahergelaufener Typ viel zu überschwänglich sagte, er habe dort „die Liebes seines Lebens“ getroffen. Bis heute weiß ich nicht, wieso ausgerechnet DAS mich überzeugte, denn nichts wollte ich zu dieser Zeit weniger, als die Liebe meines Lebens finden. Während ich die App passiv-aggressiv herunterlud, meckerte ich an allem herum (Icon hässlich, App lädt zu langsam). Kaum wurde der Download-Sound ausgelöst, bereute ich es schon direkt. Das wird doch nichts, sprach ich mir zu. Dann ging es los.
Ich weiß nicht, wie schrumpelig meine Haut an jenem Abend gewesen sein musste, aber ich vergaß die Zeit, weil dieses Swipen (die Erfinder sind wirklich raffiniert) so viel Spaß machte. Ich swipte oft nach links, selten nach rechts.
Irgendwann ploppte ein, für Tinder-Verhältnisse lässiges, Urlaubsbild von einem glücklichen Mann auf, der, anders als die anderen, keine Nahaufnahme von seinem Seitenprofil, mit ungefragtem Schmollmund, auswählte. Die Bildunterschrift lautete: „1,90 Meter, weil so etwas hier scheinbar eine Rolle spielt.“ Fand ich ein bisschen lustig: Swipe. Match. Lange Nacht.
Montagmorgen: ein Büro, keine App und ich
Keine 24 Stunden später, Montagmittag im Büro: Tinder-Icon lange gedrückt halten, löschen. Wieso? Weil ich – leichtgläubig und unwissend der inoffiziellen Tinder-Policy gegenüber – Nummern mit dem 1,90-Typen austauschte und in jener Nacht ungefähr zwei Stunden schlief. Er war eben charmant, nicht aufdringlich. Er erwähnte im ersten Satz meinen Hund. Schrieb etwas über mein Lieblingsbuch. Er war überdurchschnittlich witzig, aber nicht um jeden Preis. Er war interessiert, aber nicht gruselig löchernd.
Natürlich hätte ich die App auch behalten können, wir hatten uns ja gerade erst „kennengelernt“. Genau genommen kannten wir uns nicht einmal. Aber ich suchte nur nach einem Grund, diese App wieder von meinem Smartphone zu entfernen. Schnell genug, damit niemand mir auf die Schliche kommen könnte. Mir, der Tinder-Verpönungskönigin. Also löschte ich nach ungefähr 18 Stunden die App, begleitet von einem kleinen, vielleicht zu der Zeit naiven Bauchgefühl, jemand Besonderen kennengelernt zu haben.
Immer noch unwissend, wie man sich beim Tinder-Dating verhält, planten wir schon ein Treffen, nachdem wir mehrere Nächte lang Nachrichten ausgetauscht hatten. Er selbst betonte, dass es verrückt sei, sich so früh zu treffen. Ich antwortete, dass solche beschwichtigenden Aussagen auch strategisch von einem Serienmörder getroffen werden können.
Februar: verliebt, verrückt, verlobt
Februar, im Jahr darauf: Wir verlobten uns. Dass das erstens ziemlich hirnrissig ist, weil man sich nach der kurzen Zeit nicht gut genug kennt, ist mir bewusst. Dass das alles, also die gesamte Geschichte, für die Außenwelt naiv rüberkommen muss, ist mir ebenfalls bewusst.
Ebenso der Fakt, dass das wirklich die Ausnahme statt die Regel ist, denn der Durchschnitt verbringt mehrere Jahre auf Tinder, bis ein tolles Match entsteht, oder es entsteht eben gar keins.
Das alles war absolut und zu keiner Zeit mein Vorhaben – im Gegenteil. Wenn ich auf etwas keine Lust hatte zu der Zeit, dann war das eine Beziehung, geschweige denn eine Verlobung?! Und ich hätte wirklich alles gedacht, aber nicht, dass ich meinen zukünftigen Ehemann über Tinder kennenlernen sollte. Knapp zehn Monate nach dem Match heirateten wir. Ganz klein und unaufgeregt. Heute sind wir fast fünf Jahre zusammen – und sehr glücklich. Glück gehabt.
Oktober: verheiratet und immer noch verrückt
Es war mir immer äußerst unangenehm, anderen zu erzählen, wie ich meinen Mann kennenlernte. Vielleicht, weil ich die App und die moderne Herangehensweise ans Dating (klingt, als wäre ich 102 Jahre alt) so herabwürdigte und ständig deren Resultate (klingt erneut, als wäre ich 102 Jahre alt) anzweifelte. Das kann doch nicht ernsthaft etwas werden, dachte ich immer. Und mit diesem Glaubenssatz fuhr ich gut und sicher, bis mich diese App, dessen App-Icon-Farbe ich bis heute nicht definieren kann, einholte.
Deshalb erzählten wir auch – bis in jüngster Vergangenheit – allen, dass wir uns über Facebook kennenlernten (als wäre das so viel besser). Umso verrückter, dass ich jetzt einen ganzen Text darüber schreibe. Aber langsam sollte ich wohl darüber hinweg sein. Ich stehe jetzt halt dazu. Ich meine, wie viele Menschen haben sich über Tinder kennengelernt und wie wunderbar ist das bitte?
Folgendes habe ich aus all dem Ich-hasse-Tinder-aber-heirate-mein-erstes-Match-Spektakel gelernt:
- Auf Tinder können einen auch in wenigen Stunden fragwürdige Nachrichten erreichen
- Verurteile nichts, was du nicht selbst ausprobiert hast
- Verurteile nichts, was deine Freunde glücklich macht
- Meinungen können und dürfen sich ändern
- Vermeide Sätze wie: „Früher war alles besser“, wenn du noch keine 80 Jahre alt bist
Tinder verdient eine Chance
Noch heute freue ich mich darüber, Liebesgeschichten zu hören, dessen Entstehungsgeschichten der realen Welt zuzuordnen sind. Allerdings habe ich auch verstanden, dass Online-Dating heute eben ein Teil des Ganzen ist und viele glückliche Paare miteinander vereint hat, die sich sonst niemals begegnet wären.
Wie hätte auch ich diesen Mann, dessen Nachnamen ich jetzt trage, sonst kennengelernt? Die Stadt, in der er zu dieser Zeit gewohnt hat, hätte ich niemals besucht. Sich mit wildfremden Menschen draußen, in Bars oder Clubs, zu unterhalten, gehörte nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Außerdem habe ich gerne und viel Zeit mit mir allein verbracht.
Keine Frage: Ich wäre heute auch als Single und ewige Tinder-Hasserin glücklich, das spricht doch wohl für sich. Aber jetzt kann ich das Glück halt mit jemandem zusammen zelebrieren. Dank jener Nacht, die mich zumindest für eine Millisekunde umstimmte.
2 Antworten zu “Von der Tinder-Haterin zur Braut: Wie ich mein erstes Tinder-Match gleich heiratete”
Der Text ist superschön geschrieben, macht Mut und zeigt, dass Liebe eben genauso unterschiedlich sein kann wie wir selbst :)
[…] liebste meiner Artikel auf amazed: Der Artikel über meine Ehe und wie es dazu kam, dass ich meinen Mann auf der Datingplattform kennenlernte, über die ich ständig schimpfte, wie […]