Time Out! Was ich von meiner Social-Media-Abstinenz gelernt habe
Mein Kopf ist so leer wie das Dokument, das ich seit zehn Minuten anstarre. Ab und zu schweift mein Blick dann zum gegenüberliegenden Fenster und klettert auf die kahlen Äste des Baumes, der in den grauen Himmel ragt. Ich bin der lebendige Beweis dafür, dass es, je mehr man raus war, umso schwerer ist, wieder reinzukommen. Ich war zwischen den Jahren und im Jahresanfang raus. Sowas von raus. Und damit hatte ich offiziell etwas erreicht, was ich seit Ewigkeiten nicht mehr geschafft hatte. Ich hatte eine innere Ruhe walten lassen, die ich die letzten Jahre nicht mal im Urlaub kreieren konnte.
Vielleicht hätte ich damals einfach mal die Instagram-App löschen sollen, so wie ich es über die Weihnachtsfeiertage, Silvester und Neujahr gemacht habe. Geholfen hat es auf jeden Fall, meinen inneren Stress innerhalb kürzester Zeit aufs Minimum zu reduzieren. So sehr, dass es mich jetzt, wo ich mit einem ungewöhnlich leeren Kopf und einer selten da gewesenen Entspannung vor diesen Zeilen sitze, wirklich überrascht. Dass Instagram anstrengend sein kann, ist mir nicht neu, doch welche Macht die App über mein Wohlbefinden zu haben scheint, schon.
Das Gefühl bestätigte sich schon am ersten Tag, an dem ich reflexartig mehrmals auf das leere Feld drückte, an dem sich normalerweise das pink-violette Logo befand. Obwohl ich doch eigentlich nur eine Nachricht beantworten wollte oder auf die Uhrzeit sehen. Weiter noch entsperrte ich die ersten zwei Tage grundlos das Handy, sah auf den Bildschirm und stellte mir die Frage, was ich gerade überhaupt wollte. Die Antwort war einfach: auf Instagram. Einfach so, nur kurz, ohne Grund. Die Meinung, dass ich meinen Social-Media-Konsum verhältnismäßig gut unter Kontrolle hatte, war passé. Ganz schnell merkte ich, dass sich dieser Konsum selbstverständlich in meinen Tagesablauf eingefräst hat. Obwohl ich wusste, dass mir Instagram nicht viel gab außer Stress, und dass Insta-Storys kein Bedürfnis stillten, vermisste ich die ersten Tage meine Routine. Einen Grund gab es dafür nicht, außer, dass der Mensch ein Gewohnheitstier war. Aiaiai, hatte ich mich an Social Media gewöhnt.
Obwohl ich wusste, dass mir Instagram nicht viel gab außer Stress, und dass Insta-Storys kein Bedürfnis stillten, vermisste ich die ersten Tage meine Routine.
Auch Twitter und TikTok sollten in dieser Zeit geschlossen bleiben. Eine allgemeine Auszeit würde mir sicherlich gut tun. Das tat sie auch. Nach ein paar Tagen akzeptierte mein Unterbewusstsein, dass die Apps gerade nicht verfügbar waren. Das Handy wurde unwichtiger und lag irgendwo traurig und allein gelassen herum.
Als Weihnachten vorbei war, beschloss ich, meinen digitalen Konsum wieder ein bisschen heraufzuschrauben, um wenigstens ein kleines bisschen von der Welt da draußen mitzubekommen. Ich konsumierte Nachrichten auf SZ und Spiegel, unwichtige wie wichtige, suchte Vintage-Teile auf Vinted und Depop, sah Filme und Serien auf Mubi und Netflix, hörte Alben auf Spotify (ja. ganze Alben!) und spielte Kreuzworträtsel. Mit dieser Balance an Inspiration, Konsum, Freizeit und Bildung auf dem Handy kam ich gut zurecht. Alles war so einfach und übersichtlich. Und weit und breit keine Trigger von Bekanntschaften, die hier ein Buch schrieben, da im Urlaub waren und mit jenem die beste Zeit ihres Lebens zu haben schienen. Keine strengen Worte von irgendwem zu irgendwas. Keine Verurteilungen.
Ein Leben ohne die typischen Social-Media-Trigger war ein ziemlich Entspanntes. Keiner war lustiger, viraler oder moderner. Die innere Vergleicherei war dahin und die Erkenntnis machte sich breit, dass ich gar nicht mehr wusste, woran ich mich außerhalb von Social Media inspirieren wollte. Was mich beruflich motivierte, ohne mich mit Bekanntschaften im Internet zu vergleichen. Dieses verdammte Vergleichen, u guys! Es war für einen kleinen Moment einfach weg. Und nichts fühlte sich mehr wie Urlaub an.
Dieses verdammte Vergleichen, u guys!
Der allerbeste Effekt durch meine Abstinenz – die ich in diesen zwei Wochen übrigens ein paar, wenige Male durchbrach – war jedoch mein Schlaf, der sich schlagartig verbesserte. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal so konsequent gut geschlafen habe. Wie ein faules Murmeltier schlief ich zehn Stunden durch – und hatte immer noch nicht das Bedürfnis, das warme Bett zu verlassen. Für eine Person wie mich ein Meilenstein. Der ganz sicher nicht nur auf Social Media zu schieben ist, aber doch maßgeblich.
Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal so konsequent gut geschlafen habe.
Nun habe ich euch lang und breit erklärt, wie toll ein Leben ohne Social Media war. Für zwei Wochen. Heute ist aber der zweite Tag, an dem amazed zurück ist, und somit der zweite Arbeitstag in diesem Jahr. Meine Routinen kommen zurück, glücklicherweise. Schließlich will ich mich nicht mein Leben lang aus allem raushalten. Schließlich mag ich meine Routinen doch, meine Arbeit, meinen Alltag. Wie ist es möglich, einen gesünderen Social-Media-Konsum ins eigene Leben zu integrieren? Ist es überhaupt möglich? Diese Frage liegt unbeantwortet in meinem Hinterkopf herum. Ein paar mögliche Antworten gibt es schon, die ich die kommende Zeit ausprobieren will. Antworten wie: Social-Media-Zeiten und -Auszeiten nehmen, die konsequent eingehalten werden. Privates Instagram nur mit dem Browser öffnen. Sonntags Twitter, Instagram und TikTok nicht öffnen. Nach 18.00 keine der genannten Kanäle mehr nutzen.
Wie ist es möglich, einen gesünderen Social-Media-Konsum ins eigene Leben zu integrieren? Ist es überhaupt möglich?
Wenn man in allen Lebenslagen Routinen erlernen kann, wieso auch nicht in der Nutzung von Social Media? Ein langfristiges Abschotten einer digitalen Welt, mit der ich maßgeblich zu tun habe, ist für mich keine Option. So entspannt die letzten zwei Wochen auch waren, sie waren für mich eine Zeit der Erholung von etwas, womit ich zukünftig bewusster umgehen will. Noch bewusster. Denn am Ende ist es wie mit dem Konsum von Zucker, Alkohol, Kleidung, Serien und vielem mehr: Wer die Konsumgüter nicht unter Kontrolle hat, wird von ihnen kontrolliert. Und dann wird ein Spaß an der Freude schnell zur Krankheit. Einen bewussten Umgang kann ich auch in der Nutzung von Social Media finden, davon bin ich überzeugt. Und ein neuer Umgang beginnt immer erst einmal mit Verzicht.
3 Antworten zu “Time Out! Was ich von meiner Social-Media-Abstinenz gelernt habe”
Liebe Amelie,
Social Media nur vom Desktop zu verwenden, kann ich sehr empfehlen. Ich mache das schon länger so und habe das Gefühl, dass es dabei hilft, die Apps bewusster zu nutzen. Mein Laptop betritt nie mein Schlafzimmer und somit auch Twitter und Insta nicht, da mein Handy zu alt ist um die Webseiten überhaupt laden zu können. Das bringt meinem Schlaf viel :)
Viel Erfolg beim Finden deines persönlichen guten Umgangs mit diesem Internet.
Das finde ich einen genialen Tipp und werde das diekt mal versuchen. Ich followe zwar nur noch Accounts die mir gut tun oder mich fortbilden, aber ich habe auch diesen absurden Reflex in jeder freien Minute auf Insta rum zu scrollen und denke immer ich „verpasse“ was (wo auch sonst derzeit).
[…] ist, meinen Social-Media-Konsum langfristig unter Kontrolle zu bringen. Darüber habe ich bereits hier geschrieben, und auch heute gebe ich mir noch sichtlich Mühe, mich ihm in deutlich kleineren Dosen […]