Hot Girl, Healing Girl oder Organic Girl Summer? Der Sommer als Lifestyletrend

12. Juli 2023 von in

Dieser Artikel ist zuerst im August 2022 erschienen.

Es ist Sommer 2022. Die Launen der Leute werden besser. Die Luft flimmert, und die Stadt blüht auf. So wie man es eben kennt, wenn die Temperaturen steigen. Doch irgendetwas ist anders – seit 2020 hat sich etwas verändert, der Sommer ist nicht mehr das, was er mal war. Es gibt faktisch (oder zumindest laut des World Wide Webs) keinen normalen Sommer mehr, sondern dafür eine Vielzahl an Sub-Sommern, die mit bestimmten Lebensanleitungen verknüpft sind. Wie Eissorten in einer hippen Gelateria. Oder fast so, als würde man sich ein relativ kompliziertes Set Gartenmöbel kaufen, deren Bedienungsanleitung einen Schritt für Schritt durch den Aufbauprozess führt.

Der Sommer ist also zum Lifestyletrend geworden und seine unterschiedlichen Arten kommen auf keinem Beipackzettel, sondern werden auf Plattformen wie TikTok innerhalb von kürzester Zeit hinuntergebrochen. Es ist also Sommer 2022, und wir machen ihn zur Performance mit fancigen Namen wie Hot Girl Summer, Feral Girl Summer, Organic Girl Summer und diversen anderen bezeichnenden Kategorien. Fast so, als würde einfach nur Sommer so ganz ohne Termine und mit leicht einem Sitzen nicht mehr reichen.

Wann ist Sommer eigentlich zu so einer Anstrengung geworden, bei der es um mehr geht, als sich schwitzend über die Temperaturen zu beschweren?

Denke ich, während ich die letzten Wochen in meinem TikTok-Feed immer mehr Versionen von ein und derselben Saison sehe. Die mich dazu auffordern, irgendwas aus der Zeit zu machen, in der die Temperatur zwischen 16 und 36 Grad ist. Und irgendwie finde ich das anstrengend, weil ich gar nicht weiß, ob ich dafür überhaupt die körperliche und geistige Kapazität habe. Mein Hirn schmilzt und ich will es manchmal einfach nur schockfrosten. Also warum dieser Aufwand im Internet? Sommer ist doch eigentlich all das, was passiert, wenn man einfach mal die Seele baumeln lässt und sich verschwendet, oder?

 

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2022 ist die Terminologie „Summer“ so fluide wie Eiscreme bei 36 Grad

Alles begann 2019, als durch Meghan the Stallion der Hot Girl Summer (HGS) zum Meme wurde. Mit passendem Song, aus dem das Internet einen Lifestyle zu stricken begann – natürlich Crochet, denn das ist auch so ein Trend, der damit zusammenhängt. Der HGS wurde also synonym zum „Sommer unseres Lebens“ für den The Stallion als selbst ernannter „Hot Girl Summer Coach“ eine klare Richtung vorgegeben hat: „Es geht um junge Frauen – und Männer –, die kompromisslos sie selbst sind und einfach eine gute Zeit haben, ihre Freunde unterstützen, zu sich stehen und einen Scheiß darauf geben, was andere Leute dazu zu sagen haben.“ So schön, so gut klingt das Ganze erst mal nach einer ordentlichen Ladung Empowerment und Selbstermächtigung. Einem Vibe, bei dem alles erlaubt ist, was man gerade fühlt.

Die Hauptsache ist nur, dass Genuss an erste Stelle steht und uns aus dem Tiefschlaf holt. Denn laut The Stallion ist das Girl in Hot Girl Summer so fluide wie Eiscreme bei 36 Grad im Schatten. Und somit alle mitgemeint, wenn es darum geht, sich nach neuen Möglichkeiten auszustrecken und sich selbst (wieder) zu fühlen. Eben rausgehen und sich verschwenden, denn vor allem nach den letzten Sommern mit Handbremse fühlt sich alles an wie das Erwachen aus einem endlosen Winterschlaf. Und [insert your favorite version of] Summer ist die einzige Mahlzeit, die den kollektiven Lebenshunger stillen kann. Der Sommer eben, der erst die FOMO und dann die JOMO sättigt. In dem er jede Kleinigkeit bis ins Maximale romantisieren. Was schön ist, aber dadurch wird alles auch irgendwie anstrengend. Weil wir auf einmal mit dieser Idee, diesen Idealen und festen Rahmenvorstellungen von „Summer“ mithalten müssen.

 

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Der Sommer als Lifestyletrend: Heiß diskutierte Temperaturen und Oppositionen

Dagegen wurde schon 2021 im Internet gewettert: der Begriff Hot Girl Summer macht ganz schön viel Druck – denn niemand muss „hot“ sein, um den Sommer zu genießen. Man trennte sich unentschieden und überdachte das Konzept für das kommende Jahr. Was uns also 2022 erwartet, sind nun eher klickworthy Namen für normale Dinge wie einfach nichts zu tun. Romantisierende Begriffe wie Dolce far niente reichen nicht mehr aus, um daraus eine Lifestyle-Bewegung zu machen. Dafür braucht es mehr. Coole englische Wörter, die wiederum so viel besser unter Bildern und Videos als als Hashtags aussehen. Und was dort gezeigt wird, ist am Ende der gleiche Film aus unterschiedlichen Perspektiven. Jemand macht Dinge, die wir kennen, gibt ihnen einen neuen Namen und macht sie dadurch gleich viel aufregender. Im Sommer 2022 gehen wir also nicht mehr spazieren, sondern machen Hot Girl Walks und geben Banalitäten durch Rebranding mehr Substanz und Bedeutung. Damit sie auf einmal so viel wichtiger klingen als zuvor.

Und vielleicht geht es bei diesen ganzen Sommertrends ja auch genau darum: Dinge wichtig nehmen und Bedeutung zu erfahren. Denn wer performt, hat eine Bühne sowie eine Zuschauerschaft. Ist im Umkehrschluss vielleicht auch weniger allein oder zumindest relatable: „Wie, du macht auch jeden Tag einen Hot Girl Walk für deine stupid mental health? Omg, du bist auch so eine Little Miss ich gebe meinem Leben mehr it-Faktor, indem ich für alles einen Namen habe?“
Genauso könnte man den dort sichtbar werdenden Vibeshift beschreiben, der jeden einzelnen Vorgang in unserem Leben brandet. Genau diese kleinen Alltagsbrands dann wie Designertaschen sammeln und daraus einen Lifestyle kreieren, der sinnbildlich für Sommer steht. Die Zeit, in der man sich neu erfinden kann. Wie damals in den Sommerferien während der Schulzeit. Oder eben wie in Highschool Movies, in denen das hässliche Entlein nach dem Sommer zum Schwan wird.

Sommer ist ein Sehnsuchtsort, der keine Performance nötig hat

Dabei brauchen wir viel dringender Sehnsuchtsorte voller Leichtigkeit. Hedonismus ohne Performance. Denn die sorgt immer gleich dafür, dass es ein Barometer gibt, an dem sich gemessen und verglichen wird. Dabei war ja genau das die Intention, dass so etwas vermieden werden sollte. Egal für was für eine Art von Summer sich entschieden wird, es muss nicht zwangsläufig der Sommer unseres Lebens werden. Denn indem wir beginnen, die Außenwelt in vollen Zügen zu zelebrieren (unbeeinflusst und -beeindruckt von Social Media und der richtigen Welt) wird Sommer zu diesem endlosen, irrsinnig großen Gefühl. Erst dann, wenn es aus einem selbst kommt, beginnt diese Leichtigkeit, die man gerne sinnbildlich in Marmeladegläsern konservieren möchte und nach der man sich die andere Hälfte des Jahres immer aufs Neue sehnt.

Immer wieder diesen einen Song spielen, der nach Sommer schmeckt. Immer wieder den roten Bikini tragen. Immer wieder den gleichen abgesplitterten Nagellack. Immer wieder Zitronenlimonade und Wassermelonen. Immer wieder Sonnencreme und klebrige Finger. Immer wieder gleiches tun voller Nostalgie. So als wäre Sommer dieser eine Sehnsuchtsort, an den wir flüchten und uns erinnern. Uns in Erinnerung rufen, dass Sommer alles sein kann, was wir möchten. Wovon wir träumen oder eben nichts. Aber vor allem ist er Leichtigkeit, die befreit und keinen Druck ausübt. Nonchalant. Sich auch einfach mal fallen lassen. Druck ablassen und dann weiterleben, mit einer anderen Konsequenz – in der all das gecancelt wird, was uns canceln will. Stell dir vor, du lebst in diesem Utopia von Summer. Das ist dein Leben und du gehst hin. Zum Sommer, wie er dir gefällt.

Das sind die heißesten Sommer-Empfehlungen von TikTok

Der Sommer als Lifestyletrend: Hot Girl Walk

Ein circa sechs Kilometer Lauf, bei dem man sich mit diesen drei Dingen beschäftigt: Was sind deine Ziele? Wofür bist du dankbar? „Du bist Hot“ manifestieren. Benefits vom Hot Girl Walk sind: die eigene Fitness zu verbessern sowie die mentale Gesundheit.

@cearakirk my take on the #hotgirlwalk! (Originally by hot girl @exactlyliketheothergirls but my spin on it 🤓) #hotgirlsummer #walk ♬ Juless Edits – Shou

Der Sommer als Lifestyletrend: Fugly Hag Stroll

Die Gegenbewegung zum Hot Girl Walk. Tägliche Spaziergänge in einem „Ugly“-Outfit oder einem coolen „Wohlfühl-Look“, bei denen man eine empowernde Playlist hört. Der Sinn und Zweck ist es, das Laufen um des Laufens willen zu tun, ohne das ganze Drumherum (Was trage ich, wie nehmen mich andere wahr und wie produktiv ist das Ganze auf einer sportlichen und selbstoptimierenden Ebene).

@kateglavanim reinventing the wheel♬ Doja – $NOT & A$AP Rocky

Der Sommer als Lifestyletrend: Feral Girl Summer

Dieser Trend hat sogar eine eigene Hymne. Es geht darum „normal“ zu sein und sich in das Chaos des Lebens zu werfen. Quasi so wie in dem M.I.A. Song „live fast die young bad girls do it well“. Eben all die Dinge zu machen, die sich gut anfühlen und die man immer schon einmal erleben wollte  – bis man genug davon hat. Partys, Dates und Herzen brechen. Hier gibt es keine Limits und alles ist erlaubt, solange es Spaß macht und man selbst der „Main Charakter“ ist.

@salemilese it’s FGS 🐀 #feralgirlsummer #summersong #ratgirl ♬ feral girl summer – salem

Der Sommer als Lifestyletrend: Healing Girl Summer

Bei diesem Sommerkonzept geht es darum, sich mit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen sowie Struggles auseinanderzusetzen. Das mentale Wohlbefinden steht im Vordergrund sowie Spiritualität, Selbstliebe und Selbstheilung aka Selfcare. Der Wunsch danach kann aus einem selbst kommen oder die Ursache einer Trennung oder anderen Erlebnissen sein.

@nicoleeeluceroo healing girl era 🫶🏽 #healingtiktok #healinggirlsummer #wellnesstok ♬ original sound – Valeria Torres

Der Sommer als Lifestyletrend: Organic Girl Summer

Die Organic Girls legen Wert darauf, so natürlich und bodenständig wie möglich zu sein. Was gleichzeitig bedeutet, eine gesunde Work-Life-Balance zu haben, bei der darauf geachtet wird, genügend zu Schlafen, zu Trinken und sich ausgewogen zu ernähren. Denn der Körper ist ein Tempel und wer damit im Einklang ist, erfüllt alle Voraussetzungen für den Organic Girl Summer.

@itsreallygiselle ✨ORGANIC GIRL SUMMER✨ #fyp#fypシ#viral#fürdich#pov#frankfurt#069 ♬ Heartbroken 2022 – T2 & ARPA

Ach ja, und wenn ihr euch fragt, wie ich meinen Sommer verbringe, dann gibt es dazu nur eins zu sagen: jeden Moment auskosten und nicht stillstehen, sondern rausgehen und leben. Ja zu allem sagen und gucken, wo mich das hinführt. Eben ganz schön abenteuerlustig sein und gar nicht vernünftig, weil der Kopf mal beiseitegelegt wird und nur der Bauch entscheidet. Das muss nicht zwangsläufig wirklich sinnstiftend sein, sondern einfach nur eine nette Anekdote ergeben, die dann anfängt mit: „Weißt du noch damals im Sommer…“.

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3 Antworten zu “Hot Girl, Healing Girl oder Organic Girl Summer? Der Sommer als Lifestyletrend”

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