7 wichtige Erkenntnisse, die ich in meiner Therapie gelernt habe
Der Mai ist nicht nur mein liebster Monat, weil endlich alles blüht, die Bienen summen und ich den Frühsommer genieße, sondern auch, weil es der Mental Health Awareness Month ist – ein Monat, der sich ganz dem Thema mentale Gesundheit widmet. Wenn man mich persönlich fragen würde, sollten wir zwar das ganze Jahr nicht nur unsere körperliche, sondern auch mentale Gesundheit im Blick haben, aber wir wissen ja: Theorie und Praxis liegen immer recht weit auseinander. Und so ist es gut und wichtig, dass im Mai der Fokus auf das Thema gelenkt wird. Denn wir sprechen eben immer noch alle viel zu selten über unsere seelische Gesundheit. Oder erst dann, wenns schon zu spät ist.
Wie wichtig es ist, offen über dieses Thema zu sprechen, weiß ich als Angstbetroffene ganz genau. Offenheit ist wichtig, für mich, aber auch mein Umfeld. Für unsere Gesellschaft. Denn noch immer sind Themen rund um psychische Erkrankungen mit Scham und Angst belegt. Menschen trauen sich nicht, zur Therapie zu gehen, haben Angst vor Vorverurteilung, ihren Job oder ihr soziales Leben. Dabei ist es doch das einzig Richtige, sich Hilfe zu holen, wenn man selbst nicht mehr so genau weiß, wo oben und unten ist. Ich kann es also nicht oft genug sagen: Wer sich auf den Weg macht, sich Unterstützung holt, bei einem Therapeuten oder einer Psychologin anklopft, ist vor allem eines: sehr, sehr stark. Weil er oder sie das Problem erkennen und an sich arbeiten möchte. Damit das Leben wieder leichter, schöner, freier wird.
Deshalb gibt’s heute zum Mental Health Awareness Month meine persönlich wichtigsten 7 Learnings, die ich in meiner Therapie gelernt habe!
Du musst Grenzen setzt, denn es tut niemand anderes für dich
„Ja, natürlich kann ich das machen.“ „Aber klar doch, mir macht das nichts aus.“ „Ich arbeite gerne noch mehr Überstunden, gar kein Problem.“: Wir Menschen wollen gefallen, unserem Umfeld, im Job, im Alltag. Und so sagen wir alle gerne Ja, und nur sehr selten Nein. Tut man’s doch, wirkt man schnell irgendwie rabiat, unfreundlich, egoistisch. Dabei ist das Nein das wichtigste Wort, das ich in meiner Therapie gelernt habe. Ich musste lernen, Grenzen zu setzen, Menschen auch mal zu enttäuschen, Entscheidungen für mich zu treffen. Ich musste lernen, ganz klar zu kommunizieren, das möchte ich und das nicht. Auch auf die Gefahr hin, dass man Menschen vor den Kopf stößt oder als unangenehm auffällt.
Der Anfang war schwer. Es ist irgendwie nicht sehr gemütlich, wenn man immer Ja gesagt hat und plötzlich Nein sagt. Denn die Menschen um einen herum sind es anders gewohnt. Doch mit jedem Nein kam ich ein Stück mehr zu mir. Zu dem, was ich wollte und nicht nur aus Gewohnheit oder Gefälligkeit tat. Und am Ende gab’s auch immer öfter ein Ja. Eines von Herzen. Mein größtes Learning in den Jahren der Therapie war, dass ein Nein auch immer ein Ja für einen selbst sein kann. Oder auch: „If it’s not a hell yes, it’s a no“. Und dass niemand anderes für einen diese Grenzen zieht. Nur man selbst kann für sich einstehen.
Mein größtes Learning in den Jahren der Therapie war, dass ein Nein auch immer ein Ja für einen selbst sein kann. Oder auch: „If it’s not a hell yes, it’s a no“.
Um dich besser zu verstehen, solltest du deine eigenen Bedürfnisse kennen
Wer Grenzen setzen will, muss auch erstmal wissen, was er will. Wer bin ich und was tut mir gut? Was mache ich, weil ich es will, und was tue ich, weil es andere von mir erwarten? Warum fällt es mir schwer, Nein zu sagen oder warum entscheide ich mich für das eine, wenn mein Herz das andere will? Diese Fragen habe ich mir ganz viel in der Therapie gestellt, um herauszufinden, wer ich bin, wie ich leben möchte und was ich wirklich will. Heute weiß ich ganz genau, was mir gut tut, um zur Ruhe zu kommen, wann ich genug Energie für Angst-Konfrontationen habe und wie ich mich gegen Erwartungen anderer stemme. Denn Letzteres ist das Schwierigste im Durchsetzen eigener Bedürfnisse und Grenzen: Die Erwartungen anderer auch mal nicht zu erfüllen.
Heute höre ich sehr genau auf meine eigene Bedürfnis-Stimme und entscheide immer danach. Brauche ich heute einen ruhigen Abend oder eine wilde Party? Brauche ich eine Pause oder tut es mir gut, die To-Do-Liste schnellstmöglich abzuhaken? Brauche ich Sport oder gönne ich meinem Körper eine Pause? Durch das jahrelange Training kann ich heute – auch dank Therapie – sehr genau einschätzen, was ich brauche und dementsprechend handeln. Auch wenn das heißt, mal die tollste Party der Stadt abzusagen, weil meine Seele und Geist nach Me-Time und Badewanne verlangen.
Du musst dir Zeit für deine mentale Gesundheit nehmen
Ehrlicherweise dachte ich auch irgendwann mal, ich gehe jetzt ein, zweimal zur Therapie und dann hat sich die Sache. Tja, so einfach ist das Ganze eben doch nicht. Auch wenn ich in den Therapiestunden wahnsinnig viel gelernt habe, so ist die Arbeit danach die größte. Das Gelernte umzusetzen, es nachwirken zu lassen und neue Denkansätze und Ideen nach und nach ins Leben einfließen lassen. In vielen Momenten habe ich das alles schön nebenbei gemacht und mich dann doch gewundert, dass ich irgendwie immer wieder im selben Hamsterrad mit den selben Themen steckte.
Die Lösung: Man muss sich Zeit nehmen, für die eigene mentale Gesundheit und das Heilen. Man muss die Therapiestunden nachwirken lassen, Gedanken aufschreiben und vor allem – zumindest für mich als Angstpatientin – auch immer wieder eigene Konfrontationen und Herausforderungen suchen. Übung macht die Meisterin, nicht? Und so nehme ich mir heute immer wieder Zeit, die Therapiestunden nachwirken zu lassen und reduziere auch mal bewusst den Workload, um an mir zu arbeiten. Denn ich bin mein wichtigstes Projekt!
Therapie ist die anstrengendste und spannendste Reise – mit Höhen und Tiefen
Es wäre auch zu schön: Eine Therapie und mit jeder Stunde geht’s einem direkt besser. Pustekuchen. Mein härtestes Learning war wohl, dass Heilung niemals linear ist, und dass gerade eine Therapie auch erstmal ein Auf und Ab der Gefühle bedeutet. Kein Wunder, irgendwie operiert man ja am offenen Herzen, findet Schwachstellen, neue Themen und ganz viel Stärke. Und so ist es ganz normal, dass man auf dem Weg zur Besserung auch mal Täler durchwandert, Tränen trocknen und Alterlerntes zurücklassen muss. Veränderung tut eben manchmal weh. Therapie ist eine Reise, mit Höhen und Tiefen. Sie ist anstrengend, fordernd, aber vielleicht auch die spannendste, die man machen kann. Nämlich die zu sich selbst.
Therapie ist eine Reise, mit Höhen und Tiefen. Sie ist anstrengend, fordernd, aber vielleicht auch die spannendste, die man machen kann. Nämlich die zu sich selbst.
Ein schlechter Tag steht nicht für dein ganzes Leben
Immer wenn ich als Angsthäsin vor einer Aufgabe stand und sie nicht gemeistert habe, brach eine Welt für mich zusammen. Ich war wütend, sauer und enttäuscht. Und ich dachte vor allem: „Du wirst es niemals schaffen, dass..“ Die Wahrheit ist: Es ist ganz normal zu scheitern. Wie schon gesagt, Heilung ist niemals linear, wir sind Menschen und keine Roboter. An dem einen Tag klappt die Konfrontation, am anderen Tag ist man unausgeschlafen und schwach, sodass man nicht genügend Energie hat. In der Therapie habe ich gelernt, schlechte Tage nicht mehr als Omen für mein ganzes Leben zu sehen. Nur weil es an einem Tag nicht so gut läuft, bedeutet es nicht, dass es übermorgen genauso schlecht laufen wird. Jeder Anlauf ist eine Chance. Manchmal klappt’s, manchmal nicht.
Wir sind oft viel zu streng zu uns selbst
Wir sind unsere härtesten Kritiker*innen. Niemand ist so streng zu einem, wie man selbst. Scheitern wir, sind wir wütend, sauer und enttäuscht von uns. Scheitern unsere Freund*innen, sprechen wir ihnen gut zu und spenden Trost. Dank Therapie habe ich gelernt, auch zu mir netter, gnädiger und verständnisvoller zu sein. Einfach weniger hart ins Gericht mit mir zu gehen, meinen Anspruch zur Seite zu legen und einfach mal mich verbal wie emotional zu umarmen. Wir geben jeden Tag unser Bestes. Wenn’s nicht klappt, brauchen wir keine Schelte, sondern Liebe und Trost.
Reden und zuhören hilft
Machmal muss man sich die Dinge einfach von der Seele reden. Therapie ist der perfekte Ort, um sich auszulassen, Probleme anzusprechen und alles zu erzählen. Nur selten hört uns im Alltag jemand einfach nur zu. Erzählen wir unseren Freund*innen von Gedanken, Sorgen und Problemen, bekommen wir relativ schnell eine Reaktion. Ein Therapeut oder eine Therapeutin hört erstmal nur zu, lässt uns aussprechen und fragt gezielt nach, sodass wir am Ende selbst Lösungen finden. Dank Therapie habe ich nicht nur gelernt, dass es innerhalb der Stunde hilft, Dinge anzusprechen, auch im Alltag, in meinem Umfeld fresse ich nichts mehr in mich hinein. Ich spreche die Dinge immer sofort an, offen und ehrlich, sodass sie auch möglichst schnell wieder aus dem Weg geschafft sind. Hilft nicht nur mir, sondern auch meinem Umfeld. Und: Ich versuche auch mehr zuzuhören. Nicht sofort mit Ratschlägen um die Ecke zu kommen, sondern einfach nur zuzuhören. Meistens braucht es gar nicht mehr.
Gespräche mit einem außenstehenden Menschen sind extrem wertvoll
Und zu guter Letzt: Therapie ist dein Safe Space. Der Ort, an dem du alles erzählen kannst, ohne dass irgendwer dazwischen funkt. Hier kannst du komplett du sein, über Familie, Freund*innen und Job sprechen und ein außenstehender Mensch hört dir zu. Eine großartige Gelegenheit, um Dinge aus- und anzusprechen, die sonst im Verborgenen bleiben, weil man niemanden verletzen oder vor den Kopf stoßen will. Gleichzeitig bist du hier im Mittelpunkt, diese Stunde ist für dich, deine mentale Gesundheit und dein Leben. Ein außenstehender Mensch hört dir zu, ohne involviert zu sein. Mit neutraler Sichtweise gibt er Denkanstöße und hilft dir, dich und deine Liebsten besser zu verstehen. Diese Erfahrung ist extrem wertvoll, auch wenn sie im ersten Moment abschreckend wirken mag.
Ich soll mit einem Fremden sprechen? Ja, genau das hilft. Dank Therapie habe ich so viel über mich und Menschen generell gelernt, kann heute Strukturen und Verhaltensweisen von mir und anderen besser verstehen und vor allem liebevoller und verständnisvoller nicht nur mit mir, sondern auch mit anderen umgehen. Und wenn mich doch mal was nervt: Entweder ich spreche es direkt an, oder ich kotze mich zur Not in der Therapie aus. Denn dafür sind Safe Spaces da.
5 Antworten zu “7 wichtige Erkenntnisse, die ich in meiner Therapie gelernt habe”
Ich habe für mich gemerkt, dass in den letzten Monaten meine finanzielle Gesundheit auch auf meine mentale Gesundheit durchgeschlagen hat. Die Unsicherheiten, höhere Kosten, etc lassen mich schlechter schlafen und ich fühle mich deutlich weniger ausgeglichen. Bin jetzt gerade dabei hier aktiv daran zu arbeiten, um wieder besser schlafen zu können…
Absolut, das eine bedingt oftmals das andere, wird aber gerne negiert. Wenn man sagt „Geld beruhigt“ meint man die Nerven, die Sorgen, die schlaflosen Nächte, die es dann nicht gibt. Ich drücke alle Daumen, dass du die finanzielle Gesundheit in den griff bekommst, um dann langfristig auch wieder mental freier zu sein <3
Ich hatte heute auch die nächste Therapiestunde – seitdem ich im Januar angefangen habe – und kann das o.g. komplett unterschreiben. Meine Reise fängt gerade erst an, aber es tut mir jetzt schon so gut und ich bin so froh, dass ich am 23.12.2021 weinend nach einem Akut-Termin gefragt habe.
Ich wünsche dir ganz viel Erfolg, Kraft und tolle Erkenntnisse, auf dieser spannenden Reise :) Gut, dass du den Schritt gewagt hast! Er wird dich nicht nur positiv verändern, du lernst dich so so viel besser kennen!
[…] selbst am schwersten. Doch wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt habe, dann ist es das: Wir dürfen auf unser Bauchgefühl hören, wir dürfen eigene Grenzen setzen, und wir müssen all das tun, damit es uns langfristig wirklich […]