The Wasted Hour: Im Gespräch über Mode, Inspiration und Subkultur mit Martin Hufnagel
Kurz vor Weihnachten fand ich mich in meinem alten Stadtteil wieder, den ich seit Ewigkeiten nicht zu Gesicht bekommen hatte, genau wie die Menschen, die ich an diesem Abend traf: Das 10-jährige Abi-Treffen stand an, und da standen sie plötzlich wieder vor mir, die Menschen, mit denen ich neun Jahre verbracht und die ich zehn Jahre lang nicht gesehen hatte.
Einer davon stach heraus: Eine wahnsinnig elegante und stilvolle Version eines Menschen, der seinen ganz eigenen Weg eingeschlagen zu haben schien. Martin erzählte mir in den nächsten Stunden von seinem Leben nach unserem Abi, von Hamburg und Paris und einer inspirierenden Zeit bei Acne, von einem Jura-Studium und der aufkeimenden Idee, einen Ort der ganz eigenen Inspiration zu schaffen. Und schließlich dem Mut, genau diesen Inspirations-Ort zu schaffen: Mit The Wasted Hour, einem Onlineshop, der sehr viel mehr ist als nur das, wo sich all die Inspiration und Energie bündelt, die ich schon auf den ersten Blick an diesem Abend spürte.
Was Martin mit The Wasted Hour für einen Ort geschaffen hat, inspirierte mich sehr, auch über diesen Abend hinaus. Und so habe ich mich ein bisschen mit ihm unterhalten, um sein geballtes Inspirations-Paket auch hier zu teilen!
The Wasted Hour ist ein Konglomerat deiner Inspiration auf vielen Ebenen. Was definiert für dich The Wasted Hour und was gibt es alles zu entdecken?
The Wasted Hour ist ein Online Shop & Magazin, ein unabhängiger Raum für Designer, Künstler und Kreative. Der Shop ist die Anlaufstelle für selektierte Mode, Accessoires, Inneinrichtung und Musik. Das Magazin die Möglichkeit, die Marken und deren Macher umfassend in Form von geschriebenen Beiträgen oder Podcasts kennen zu lernen. Zusätzlich kann man sich dort auch durch anderen Content, wie Fotoserien oder geschriebene Beiträge, inspirieren lassen.
Wir haben uns zehn Jahre nicht gesehen, in der Zeit hat sich einiges getan: Wie sah dein Weg zu The Wasted Hour aus?
Nach dem Abitur bin ich nach Hamburg gezogen um dort meinen Zivildienst zu machen. Durch das Gehalt und die fast nicht vorhandenen Lebenskosten hatte ich das erste mal Geld, mir die Klamotten zu kaufen die ich haben wollte. Anschließend habe ich, auch in Hamburg, angefangen Jura zu studieren und nebenbei im Einzelhandel zu arbeiten. Acne hatte in Hamburg seinen ersten, eigenen Store außerhalb Skandinaviens eröffnet und ich wusste, ich will dort arbeiten. Das hat zum Glück im zweiten Anlauf funktioniert und das inspirierende Arbeitsumfeld und die Schnelligkeit waren die perfekte Ergänzung zu meinem Studium.
2014 hatte ich durch ein Stipendium die Möglichkeit in Paris zu studieren, doch aufgrund meiner mangelnden Sprachkenntnisse und des brutalen Frontalunterrichts habe ich nur die erste Woche wirklich in der Universität verbracht. Glücklicherweise konnte ich auch dort für Acne arbeiten und hatte durch meine inspirierenden Kollegen einen wunderbaren Zugang zur Pariser (Sub)kultur. Spätestens hier habe ich begriffen: es gibt so viele tolle Designer, Marken und Künstler die außerhalb des allgemein bekannten Kosmos stattfinden.
Wo kommen sie her? Was inspiriert sie? Was kommt als nächstes? Und warum sind sie nicht so bekannt, wie sie es verdient hätten?
Das hat mich immer brennend interessiert.Deswegen kam mir nach dem abgeschlossenen Studium während einer Reise die Idee ein digitales Magazin zu starten um über alle meine Entdeckungen zu schreiben.
Als ich die Idee meinem Mann präsentiert habe war er auch ganz begeistert, stellte aber die wichtige Frage: Du fragst dich ja auch immer, wo man die Sachen bekommen kann – wieso verkaufst du sie nicht auch noch? Und so war die Idee des Magazins & Shops geboren – im Juni 2018 sind wir mit zwei Marken online gegangen.
Was sind für dich aktuell die wichtigsten Strömungen der Mode und im Design?
Durch das vielerorts gegenwärtige Bewusstsein des Klimawandels versuchen viele Brands einen nachhaltigen Weg zu finden, ihre Kollektionen zu produzieren. Da aber Nachhaltigkeit kein fest definierter Begriff ist, ist es spannend zu sehen, wie jedes Label das für sich auslegt und lebt. Außerdem wird der starre Rhythmus von zwei Saisons pro Jahr, schon vor Corona, immer mehr aufgebrochen und überwunden.
Ansonsten finde ich es super, dass auch kleinere Brands mit geringeren Mitteln durch die Digitalisierung die Möglichkeit haben, entdeckt zu werden und mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
Und was sind für dich die wichtigsten Trends 2020?
Durch eine schnelle technische Entwicklung werden immer mehr, bisher unbekannte Materialien neu entwickelt, verbessert und verwendet. Auf der letzten Fashion Week im Januar hatte ich öfters Fake Leather in der Hand, dass sich fast genauso angefühlt hatte wie echtes.
Viele Brands entwickeln außerdem nicht jede Saison eine komplett neue Kollektion, sondern versuchen, durch Kontinuität ihre eigenen Klassiker zu entwickeln und etablieren. Außerdem ist es schön zu sehen, dass im Zuge des Collabo-Hypes auch immer wieder tolle Produkte entstehen können. Nicht bloß dadurch, dass zwei Marken einfach ihr Logo auf ein Produkt drucken, sondern dass beide ihre jeweilige Expertise verbinden um etwas Neues zu schaffen.
Wo wir gerade bei Logos waren: nachdem in den letzten Jahren viele Brands ein neues Logo aufgelegt oder ein altes aus dem Archiv gekramt haben, um noch mehr Logo T-Shirts zu verkaufen, scheint dieser Trend überstanden.
Was sind deine wichtigsten Quellen der Inspiration?
Musik (hier geht’s zur The Wasted Hour Spotify Liste), Skateboarding, das Nachtleben und Bildbände. Besonders inspiriert haben mich folgende:
Wen verfolgst du auf Instagram besonders gerne und warum?
Der Skateboarder Ishod Wair – für mich der inspirierendste Streetskater der letzten Jahre.
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Der Ports-V-Designer und Fotograf Milan Vukmirovic – mit seiner jährlich erscheinenden Zeitschrift Fashion For Men hat er mich nicht unwesentlich darin beeinflusst, The Wasted Hour zu starten.
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Und die Fotografen Tag Christof, Alyssa Boehle und Catherine Costanzo motivieren mich mit jedem einzelnen Beitrag, selber Bilder zu machen.
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Welche Kollektionen haben dich in der letzten Zeit besonders inspiriert?
Dries Van Noten, Spring 2014 Menswear: Dries Van Noten ist für mich einer der wenigen Designer, der seit Jahren konstant, und immer wieder auf einem absurd hohen Niveau seine Kollektionen präsentiert. Die Spring/ Summer 2014 ist für mich bis heute mein persönliches Highlight, da nie wieder jemand florale Prints so vielfältig und überraschend präsentiert hat.
Bethany Williams, Autumn-Winter 2020: Mit dieser Kollektion hat Bethany Williams bewiesen, mit welchen Materialien und Kollaborationen man Nachhaltigkeit und soziales Bewusstsein als Fashionbrand im Jahr 2020 auf ein anderes Level heben kann.
Phoebe English, Spring-Summer 2020: Erfreulicherweise gewinnt ein Teil der London Fashion Week ihren Ruf als Vorreiter zurück: nämlich in Sachen Nachhaltigkeit und alternativer Produktion.
Phoebe English zeigte mir ihrer Spring Summer Kollektion wie elegant und stylisch Upcycling und Zero Waste aussehen kann.
Martine Rose, Spring-Summer 2019: Angefangen vom Setting der Show bis hin zu den Klamotten hat mich die scheinbar mühelos gelungene Verbindung von Referenzen aus den 90ern mit der Gegenwart nachhaltig beeindruckt.
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Yang Li, Fall RTW 2019: Eine Fashion Show stellt für jeden Brand eine unglaublich hohe finanzielle Belastung dar. Deswegen war ich nachhaltig davon beeindruckt wie Yang Li letzten Jahres die sozialen Medien genutzt und seine Kollektion einfach digital präsentiert hat: Durch gleichzeitige Posts von 27 verschiedenen Frauen auf Instagram.
Nach welchen Kriterien kaufst du für The Wasted Hour ein?
Ich kaufe bei den Labels auf den Messen in Paris oder direkt vor Ort in Hamburg ein. Das Wichtigste Kriterium ist, dass die Sachen in mir etwas auslösen müssen, wenn ich sie sehe oder fühle. Nachhaltigkeit ist immer ein Pluspunkt und natürlich muss ich auch darauf achten, dass der Verkaufspreis für die Kunden noch Sinn macht.
Erzähl uns ein bisschen mehr zu den Brands – welche Marken hast du für The Wasted Hour ausgewählt und warum?
Hier mal ein Auszug:
StoryMfg – das Ehepaar Katy und Saeed haben sich ganz der Nachhaltigkeit verschrieben. Ihre Klamotten werden handgefertigt und nur mit natürlichen Mitteln, wie Pflanzen oder Sonnenstrahlen, gefärbt.
JUNLI – in Shanghai formiert sich langsam aber sicher eine neue und spannende Fashion Szene. Für mich ist Jun Li mit seinem gleichnamigen Label einer der Vorreiter dieser neuen Bewegung. Jede seiner Kollektionen sind inspiriert von einem Moment oder einer Szene und dann exzellent in Mode übersetzt.
Rolf Ekroth – als ehemaliger, professioneller Poker Spieler kam Rolf Ekroth erst spät zur Mode. Aber so hat er angefangen, von seiner Kindheit in Finnland bis hin zu seiner Vorliebe für Animes, eine Vielzahl von Einflüssen in seinen Kollektionen zu verarbeiten.
Lou Dalton – von Männermode ist Lou Dalton seit ihrer Kindheit inspiriert. Mit ihrem gleichnamigen Label gelingt ihr der Brückenschlag zwischen traditioneller, britischer Mode und Moderne. Da ist es nur logisch, dass auch alle ihre Teile in Großbritannien gefertigt werden.
Design Studio Riess – die Tassen von DSR sind mein täglicher Begleiter. Jede Einzelne von ihnen wird von Hand hier in Hamburg gefertigt und hat die perfekte Größe für meinen Kaffee. Meine Lieblingsfarbe? Natürlich die babyblaue.
Isaac Reina – als ehemaliger Designer für Hermes nutzt Isaac seine Expertise für sein eigenes Label und kreiert zeitlose, elegante und hochqualitative Lederwaren, die in Spanien oder Frankreich gefertigt werden.
Saxen Studio – ‚Form follows function‘ – mit dem Baukastensystem von Saxen kann man sein Geschirr wunderbar kombinieren und präsentieren. Alle Teile werden von Jean-Luc in Frankreich designed und hier in Deutschland angefertigt.
JAN N JUNE – Anna und Julia haben eine Mission: Mode nachhaltig, stylisch und erschwinglich machen – und das gelingt ihnen mit jeder Kollektion noch besser. Noch ein Geheimtipp ist ihre Kollektion für Männer.
The Quiet Life – die Streetwear Marke aus Los Angeles ist keine Neuerscheinung. Seit 1997 verarbeitet das Team um Andy Mueller seine Einflüsse aus verschiedenen Subkulturen in wunderbaren Kollektionen.
Welche sind gerade deine 3 Lieblingsteile aus deinem Shop?
Cherry Peach Socksss / Cottweiler x Reebok Zig 3D Storm Black / Isaac Reina Pilot Bag
Du wohnst mittlerweile in Hamburg – welche 3 Orte sollte man dort nicht verpassen?
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Berta Emil Richard Schneider, Kampstraße 25-27, 20357 Hamburg:
Es gibt keinen besseren Ort, um die Nacht vom Vorabend beim Boozy Brunch einfach zu verlängern. Leckeres Frühstück, zuvorkommendes Team und exzellente Drinks.
Minus, Karolinenstraße 6, 20357 Hamburg:
Egal ob für das leckere Eis, die Getränke oder die Stimmung für den Start ins Wochenende: immer einen Besuch wert.
Sauter & Lackmann, Fachbuchhandlung, Admiralitätsstraße 71-21, 20459 Hamburg
DIE Kunstbuchhandlung im Hamburg. Einfach eintauchen und Stunden später mit einer Tasche voller Bücher und neu angeregt wieder zurück in die Realität kommen.
Wie wohnst du selbst?
Was hat die Corona-Krise für Auswirkungen auf The Wasted Hour und wie gehst du bisher damit um?
Glücklicherweise können wir unsere Ware noch verschicken. Deswegen will ich mich zuerst bei jedem bedanken, der kleine Unternehmen wie uns in dieser Zeit durch eine Bestellung unterstützt. Das bedeutet mir die Welt!
Der Corona Virus hat fast von heute auf morgen die Art und Weise, wie wir arbeiten, auf den Kopf gestellt. Auf der Fashion Week in Paris im März waren ganze Showrooms geschlossen und Shows konnten nicht stattfinden, da die Ware nicht produziert und geliefert werden konnte. Kurze Zeit später konnten wir auch die Auswirkungen in Deutschland spüren.
Mit meinem kleinen Team zusammen haben wir dann schnell beschlossen, von zu Hause aus zu arbeiten. Was mich besonders gefreut hat: Viele Kollaborateure haben uns angeschrieben und wollten etwas für unser Magazin machen. Sei es ein geschriebener Beitrag, eine Fotoserie oder ein Interview. Wir können die Umstände nicht ändern, aber wir können die kreative Energie bündeln. Sie ist da und kann nicht gestoppt werden.
Deswegen setzen wir unsere Mission fort: unseren Raum für Designer, Künstler und Kreative für euch offen zu halten und weiter zu füllen!
Vielen Dank für das Gespräch!