The Talk: Nach 2 Wochen zusammenziehen – blöd oder romantisch?

23. Juli 2018 von in

Dieser Artikel von Sophia Giesecke erschien zuerst auf Refinery29
Foto: Erica Gannett, Alexandra Gavillet

Wir haben uns online kennengelernt und eigentlich hätte unsere Beziehung so ablaufen müssen: Man schreibt sich ein paar Tage, dann trifft man sich in einer Bar oder in einem Café und so weiter. Früher oder später ist dann klar, dass man sich mag und dass da mehr laufen wird. Dann trifft man sich irgendwann nicht mehr in Bars, man macht keine Dates mehr aus, man trifft sich gleich zu Hause. Man trägt dann auch nicht mehr die Jeans, die den Po so schön betont, man trägt Jogginghose mit betonten Kniebeulen. Man liegt monatelang allen Freunden damit in den Ohren, ob man denn jetzt richtig zusammen sei oder nicht. Ein Krimi, der einen selbst in den meisten Fällen mehr interessiert als besagte Freunde. Ausgang ungewiss. Irgendwann, aber bis dahin können Wochen und Monate ins Land gegangen sein, ist man dann so richtig zusammen.

Dann folgen meist der erste gemeinsame Urlaub, die erste gemeinsame Wohnung, das erste gemeinsam Haustier, Kinder. Okay, dieses Szenario ist schon sehr klischeehaft, aber so oder so ähnlich haben wir es in unserer Gesellschaft gelernt und diesem Modell eifert auch ein Großteil meines Bekanntenkreises nach, jedenfalls die, die eine (monogame) Zweierbeziehung anstreben. Die Beziehung als safe space, das emotionale Zuhause, in dem wir uns fallen lassen können; die Beziehung, die wir mit einer Person eingehen, die all unsere Bedürfnisse erfüllt und die uns so liebt und akzeptiert, wie wir sind.
Da eben jene monogame Zweierbeziehung auch nur total konstruierter Quatsch ist, der lediglich dazu dient, bestehende Gesellschaftsstrukturen zu festigen, und keinesfalls in unserer Natur liegt, sondern während unserer Sozialisierung erlernt wurde, habe ich mir gedacht, ich kann den standardisierten Ablauf ja auch einfach mal etwas aufmischen. Denn wo es keinen richtigen und natürlichen Weg gibt, da kann man somit auch nichts falsch machen, oder? Für meinen Ex und mich war klar, dass nur eine monogame Zweierbeziehung in Frage kommt. Anstatt also ewig zu daten, beschlossen mein Ex und ich einfach schon beim ersten Date, dass wir eine Beziehung miteinander eingehen wollten. Und zwar so richtig.

Das Leben ist kurz. Wenn es passt, dann weiß man es einfach.

Wir sahen uns seitdem jeden Tag und verhielten uns einfach so, als wären wir bereits seit Jahren ein Paar. Inklusive Klotür offen lassen beim Pinkeln und all diesem komischen Kram. Im Nachhinein wirkt es fast wie eine Parodie auf die romantische Zweierbeziehung, wir haben all die Dinge, die man in Beziehungen eben so macht, bis auf die Spitze getrieben. Für ein paar Wochen lief es auch echt gut. Verdammt gut. So gut, dass wir uns gleich verlobt haben. Das perfekte Match schien gefunden, unsere Freund*innen waren happy für uns, einige ein bisschen neidisch, vielleicht gibt es so etwas wie die perfekte Beziehung ja doch. Hatten wir den Code für eine glückliche Beziehung geknackt? Nicht ganz.

Eigentlich sollte dieser Text ein anderes Ende haben. Es sollte um Mut zur Schnelligkeit gehen, darum, einfach zu machen und Vertrauen in das eigene Bauchgefühl zu haben. Jetzt muss ich den Schluss aber neu schreiben, denn das Experiment Turbobeziehung ist gescheitert. Das Gute an einer Beziehung, die so schnell so intensiv ist, ist ja, dass man den*die Partner*in sehr schnell sehr gut kennenlernt. Man weiß quasi innerhalb weniger Wochen, ob es passt oder nicht. Ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass es nicht passt. Wir haben uns immer mehr gestritten und ich war beinahe schon erleichtert, als ein Streit komplett eskalierte und er ging. Es scheint verlockend, sofort alles miteinander zu teilen und auf die Kennelernphase zu pfeifen, aber müssen in einer schnelllebigen Welt wie der unseren auch unsere Beziehungen ein dermaßen rasantes Tempo vorlegen?

Die Vorteile für den Weg, den wir gewählt haben, sind allerdings auch nicht zu verachten. Wir waren uns sehr schnell sehr nahe, haben sehr viel miteinander geteilt. Die Unsicherheit einer neuen Beziehung war quasi nicht vorhanden. Gleichzeitig haben wir aber eben auch sehr schnell gemerkt, dass es nicht passt. Wir haben uns viel Nähe geschenkt, alle fiesen Mauern abgerissen und dabei dann auch ganz zufällig Zeit gespart. Sich nach zwei Monaten zu trennen, tut weh, ist aber aushaltbar. Andererseits mussten wir nach dieser kurzen Zeit auch schon viele Dinge trennen, die wir voreilig zusammengeführt hatten, ganz zu schweigen von den peinlichen Konversationen, die entstehen, wenn man nach der neuen perfekten Liebe gefragt wird.

Man nimmt sich gar nicht mehr die Zeit, sich richtig kennenzulernen

Ich bin jedenfalls froh, dieses doch etwas extreme Experiment gewagt zu haben. Sonst hätte ich womöglich erst viel später gemerkt, dass etwas nicht passt. Auf gewisse Art und Weise hat unsere Vorgehensweise dieser schnelllebigen Gesellschaft in die Karten gespielt. Wir wollen alles und das bitte sofort. So nervenaufreibend und zermürbend die ersten Wochen und Monate einer neuen Beziehung sein können, so wichtig kann aber auch Langsamkeit sein. Also wieso nicht mal einen Gang zurückschalten und es etwas langsamer angehen? Also noch langsamer. Küssen beim zehnten Date, reden statt rammeln und die andere Person erst so richtig kennenlernen, bevor überhaupt irgendwas läuft. Das ist nur einer von unendlich vielen Wegen, eine neue Beziehung zu beginnen und wie bereits eingangs erwähnt, gibt es nicht die eine richtige Beziehungsart, da das komplette Modell von Beziehungen gesellschaftlich konstruiert wurde, was jeden Weg, der allen Beteiligten guttut, zu einem richtigen Weg macht. Auch, wenn dieser für Familie und Freund*innen vielleicht ungewohnt sein mag. Macht einfach euer Ding!

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