The Talk: Ich will keine bessere Hälfte

19. Juni 2019 von in

Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben in einer glücklichen Beziehung. Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass es so etwas überhaupt gibt. Nachdem ich mich in der Vergangenheit mit Partnern so laut angeschrien habe, dass die Wände wackelten, und Passanten stehen blieben, um mich zu fragen, ob sie mir helfen könnten, war ich felsenfest davon überzeugt, dass Beziehungen nichts für mich seien und ich alleine besser dran wäre. Nun sitze ich in meiner Zweizimmerwohnung und erzähle von meinem letzten Spaziergang oder empfehle gemeinsam erfundene Pasta-Gerichte, wenn sich jemand nach meiner Beziehung erkundigt. Ekelhaft schön habe ich es. Es ist so, wie ich mir nie erträumen wollte und diese Erkenntnis zwang mich, meinen allumfassenden Beziehungshass über Bord zu werfen und ihm etwas abgewinnen zu müssen.

Zunächst zähneknirschend, doch wohlwissend in der Annahme, Beziehungen hätten meine ehrliche Toleranz verdient, wenn ich am eigenen Leibe erfahre, dass sie gut sein können. Na gut, ihr doofen Liebesgötter, ihr habt gewonnen! Ich hatte Unrecht.

Doch eins kann mir keiner (eins kann mir keiner!) nehmen und das ist die Überzeugung, dass alles ein Ende hat (nur die Wurst hat zwei). Wenn ich in der Öffentlichkeit darüber spreche, dass ich mich gelegentlich mit dem Gedanken auseinandersetze, dass meine ziemlich perfekte Beziehung irgendwann zu Ende sein könnte, werde ich ganz schön häufig eingestaucht. Ich sei eine Pessimistin, heißt es dann, und würde meine Beziehung in den Ruin treiben.

Die selbsterfüllende Prophezeiung

Stichwort self-fulfilling prophecy! Dieser Spruch besagt, dass eine Erwartungshaltung ihre eigene Erfüllung selbst bewirkt. Komischerweise kenne ich viele Frauen und Männer, die eine völlig andere Erwartungshaltung in ihren Beziehungen hatten – nämlich die, für immer und ewig zusammen zu bleiben – und diese selbsterfüllende Prophezeiung bewahrheitete sich bei vielen Menschen leider auch nicht. Wieso soll ich als Single daran glauben, dass ich alleine glücklich werde, wenn ich jenen Glaubenssatz in einer Beziehung über Bord werfen muss?

Ganz schön heuchlerisch, diese Beziehungen. Es scheint, als könne man kein fröhliches Leben in trauter Zweisamkeit führen und gleichzeitig eine realistische Einstellung zum Leben haben. Als wären Trennungen in Beziehungen ein schreckliches Tabu-Thema: „Wie, du glaubst nicht an die Liebe?“, oder „Du denkst aber ganz schön weit voraus“, wirbelt es mir um meine Öhrchen, wenn ich leise anklingen lasse, dass ich auch mit einem Partner an meiner Seite auf eigenen Beinen stehen möchte, einen eigenen Freundeskreis haben und ein eigenes Konto. Nicht nur, weil ich Angst vor einer Trennung habe, die natürlich nach wie vor ein schlimmer Schlag ins Gesicht wäre (seien wir ehrlich, ich hab‘ eine Scheißangst davor!).

Die bessere Hälfte

Sondern, weil ich schlicht und ergreifend mein eigenes Leben wirklich gut finde. Ich lebe es gerne, unabhängig von einem Partner, der so genannten „besseren Hälfte“. ‚I am not a half‘, heißt es, und mein Freund im Übrigen genauso wenig.

Dieser scheinbar traurige Gedanke der Endlichkeit des Turteltäubchenlebens gibt mir Kraft. Weil ich dadurch jeden Tag das, was ich habe, zu schätzen weiß. Und, noch viel wichtiger, weil ich mich als Ganzes fühle. Als Ich; ohne eine Hälfte von irgendwem zu sein. Mein Partner soll kein Prestige-Objekt sein, mit dem ich es in einem gewissen Lebensabschnitt geschafft habe, der deutschen Norm zu entsprechen. Ich will kein Beiwerk oder jemanden, der das ewige +1 füllen kann, schließlich habe ich dafür ziemlich fantastische Freunde und Freundinnen, die diesen Job problemlos übernehmen könnten.

Ich will turteln, zwitschern, Purzelbäume schlagen, in guten wie in schlechten Zeiten, in der ersten guten Beziehung meines Lebens. Weil da ein Mensch ist, der mich als Ganzes sein lässt. Und damit habe ich mich nie sicherer gefühlt.

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13 Antworten zu “The Talk: Ich will keine bessere Hälfte”

  1. !
    „They made us believe that each one of us is the half of an orange, and that life only makes sense when you find that other half. They did not tell us that we were born as whole, and that no-one in our lives deserve to carry on his back such responsibility of completing what is missing in us.“ John Lennon

  2. Ach, hab selten einen Text so mitgefühlt… Auch nach 17 Jahren glücklich-unabhängiger Beziehung (die ich für mich gar nicht gedacht hab) übe ich mich immer noch in diesen gedanklichen Unabhängigkeitsübungen und stelle mir das Ende schonmal vor… (war hart ist) und ernte dafür, ebenso wie für die getrennten Konten, teils massives Unverständnis.

    Aber das heißt ja nicht, dass man den Partner nicht liebt, sondern nur, dass man auch alleine ganz ist und glücklich und sich nicht von der Trennungsstatistik ausgenommen fühlt ;-)

  3. So ein wunderbarer Text, vielen Dank! Ich werde auch manchmal komisch angeguckt, wenn ich sage, dass ich im worst case einer Trennung, immer auf meine eigenen Beine fallen werde. Ich liebe meinen Freund heiß und innig und ich bin froh mein Leben mit so einer wunderbaren Person teilen zu dürfen und ich weiß auch, wie unglaublich gut wir es miteinander haben. Aber davon auszugehen, dass sich dieser Status nie verändern kann oder darf, das tue ich nicht. Ich finde auch diese Einstellung nimmt so viel Druck aus Beziehungen, der vermutlich unbewusst aufgebaut wird, mit dieser einen Person, die nun für immer alles für dich sein wird…
    Wir haben uns zu einem Zeitpunkt kennengelernt, an dem ich sehr glücklich war als Single und nicht bereit war, das zu akzeptieren was mit vor meinem jetzigen Freund „angeboten“ wurde, denn ich war auch schon ohne Freund ein „ganzer“ Mensch und nicht nur ein halber. Dieses Selbstbewusstsein auch alleine gut klar zukommen, den Dating Jungle gemanaged zu haben (mal mehr, mal weniger), auf eigenen Beinen zu stehen, tolle Freunde zu haben, davon profitiert meine jetzige Beziehung unglaublich, davon bin ich sehr überzeugt.

  4. guter text, danke!
    vor allem das „besser“ an der besseren hälfte finde ich grad voll verstörend, so erniedrigt man sich ja im prinzip selbst :/ oder wird erniedrigt, zb. wenn jemand fragt: „kommt deine bessere hälfte auch?“

    wie dumm ist das eigentlich? ich bin umgekehrt also nicht nur >nicht ganz< sondern auch noch schlechter, wenn ich allein bin und nur ein anderer mensch macht mich zu was besserem?
    wow! :D haha!

    bin grad richtig froh, single zu sein und absolut perfekt und ganz so wie ich bin. :D

    LG!!

  5. Entschuldige die Nachfrage aber ich bin leider neugierig: heisst das Du hast eine neuen Partner? Ich habe die Trennung von Deinem Verlobten recht fassungslos zur Kenntnis genommen Anfang des Jahres. Würde mich sehr freuen zu hören dass Du wieder glücklich vergeben bist.
    LG

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