The Talk: Autonomie aufgeben
Unabhängig bleiben. Die große Regel, die über jeder Annäherung schwebt. Tatsächlich scheint eines in allen Techtelmechteln, Beziehungen, Affären und Flirtereien gleich zu sein: Wer sich vom Anderen abhängig macht, ist der Verlierer. Emotionale Distanz ist schon bei ersten Annäherungen der Schlüssel zur Coolness, Zurückschreiben niemals sofort und sowieso ist die Woche schon so vollgebucht, wer würde sich denn auch zweimal hintereinander treffen? Affären funktionieren am besten, wenn sie nur der Zuckerguss auf dem sonst glücklich erfüllten Leben sind, und auch in der Beziehung wird bewertet: Läuft sie ihm mehr hinterher als er? Ist er ihr Schoßhündchen oder hat er sie in der Hand? So emotional aber auch! Und was sollen überhaupt Forderungen?
Als Teenager steckte ich durchgehend in langen Beziehungen und machte mir über Regeln und Ratschläge überhaupt keine Gedanken. Noch nie verletzt war alles für mich selbstverständlich und ich genauso wie ich eben war: mal sensibel, mal fordernd, mal Pläne schmiedend und auch mal eifersüchtig. Dann kam der erste, mit dem alles nicht so seelenruhig und glatt lief. Der erste Liebeskummer, das erste plötzliche Abkühlen, das erste wertlos fühlen. Und plötzlich ging alles los mit den Regeln. Wenn ich heute mit meinem Freund streite und es jemand mitbekommt, ist es mir peinlich. Wenn ich ihn anrufe, während er Feiern ist, will ich nicht die stressige Freundin sein. Wenn ich Dinge fordere, habe ich das Gefühl, meine Unabhängigkeit einzubüßen. Und doch sind das alles normale Szenarien, die entstehen, wenn man sich näher kommt.
Wer einmal verletzt wurde, abserviert, geghostet, betrogen oder verlassen, der will das nie wieder erleben. Nicht mehr ins offene Messer laufen, also lieber ein Schutzschild anziehen. Und vielleicht sogar noch eins. Emotionale Distanz, da kommt kein Messer durch, und sowieso passt Gefühlsabhängigkeit ganz und gar nicht mehr zu unserem Selbstbild. Wir wollen selbstbestimmt sein, frei und uns die Rosinen aus Beziehungen herauspicken – aber der sein, der etwas fordert, der anstrengend ist oder Erwartungen hat, der sind wir auf keinen Fall.
„Entscheidend ist, Autonomie aufzugeben.“
Diese grausam klingenden Worte schreibt nun meine Lieblings-Soziologin Eva Illouz in der Zeit und schafft es mal wieder, ziemlich viel mit einem Satz zu entwaffnen. Denn damit formuliert sie genau das, was die Realität oft zeigt: Wie sehen die Beziehungen aus, die langfristig halten? Sind es die, in denen jeder möglichst unabhängig, cool und ungebunden bleibt oder die, die von außen betrachtet spießig wirken? Die Beziehungen, in denen gemeinsame Sofas gekauft, Urlaube ein halbes Jahr im voraus geplant, dem Anderen hinterhertelefoniert oder Pläne aneinander ausgerichtet werden?
„Körperliche Beziehungen halten oft durch institutionalisierte Rahmenbedingungen wie Ehen oder Routinen,“ sagt Illouz, und spricht der Fernbeziehung als höchste Form der unabhängig gelebten Beziehung einen entscheidenden Faktor ab: „Der Nachteil ist, dass das Einzige, was die Liebe am Leben hält, der Wille der beteiligten Menschen ist. Es gibt einen Mangel an Räumen, die wir teilen. Ein Auto, das wir besitzen, die gemeinsamen Freunde, die uns zu Hause besuchen: All das bildet einen institutionellen Rahmen, um Beziehungen greifbar zu machen. Wir brauchen etwas, das über den Willen hinausgeht.“
Kann Liebe funktionieren, wenn man auf Distanz bleibt? Wenn der Andere räumlich und emotional auf Sicherheitsabstand gehalten wird, man unabhängig und cool bleiben und bloß nicht zu viel fordern will? Wenn die Priorität der Auslandsaufenthalt, der eigene Stolz oder die Unabhängigkeit sind statt den gemeinsamen Schritten aufeinander zu? Emotionaler Abstand fühlt sich sicher an, doch liegt hier vielleicht genau der Schlüssel zu wirklicher Nähe. Ohne Angst vor Reibungen, Forderungen oder dem Verlust der Eigenständigkeit, wenn man auch mal Schwäche zeigt. Gefühle entstehen da, wo sie nicht unterdrückt werden – sondern da, wo Reibung entsteht:
„Es ist die Art des Widerstands, der notwendig ist, damit eine Begegnung eine Begegnung sein kann. In der Phänomenologie stellt das Andere etwas dar, das meinem Willen widersteht, das meine Routine-Denkweisen herausfordert. Was wird daraus, wenn ich den anderen mit einem Schalter einfach verschwinden lassen kann?“
Ob Fernbeziehung oder nicht – Liebe entsteht dann, wenn man den anderen wirklich an sich heranlässt. Die emotionale Distanz auflöst, Regeln übersieht und der ist, der man ist. Ohne Coolness und ohne Sicherheitsabstand. Und plötzlich wird aus der sicheren Autonomie etwas anderes, etwas neues.
6 Antworten zu “The Talk: Autonomie aufgeben”
Es klingt so blöd altklug, wenn man es Singles erzählt – aber genau so ist es, liebe Milena, ein guter Text!
Wobei ich sagen muss: Ist Geld im Spiel, würde ich meine Autonomie niemals aufgeben! (Teilweise allerdings, kann auch gerade das ratsam sein.)
Diese emotionale Autonomie, die muss aber auch deswegen aufgegeben werden, weil man sie nur deswegen wirklich hat. Jemand, der immer krampfhaft an etwas festhält, wird davon ja viel mehr regiert und kontrolliert.
In finanzieller Hinsicht ist das natürlich wieder etwas anderes, da hast du sehr recht. Für mich wäre das höchste der Gefühle ein zusätzliches gemeinsames Konto für gemeinsame Angelegenheiten. Aber auch das ist wieder ein Schritt, den man sich als Single absolut nie vorstellen könnte, der dann aber mit der Zeit kommt und ein Zugeständnis an die neue Situation ist.
Ulala, ein sehr spannendes Thema! Eins, das mich sehr beschäftigt. Das stückweite Loslassen der eigenen Autonomie war für mich auch ein Schritt in eine emotionale Abhängigkeit. Die eigene Persönlichkeit und Identität vermischt sich mit der des Partners. Für mich bedeutet dies, sich alleine verletzlicher zu fühlen und nach 3 Jahren zusammen-wohnen, sich plötzlich nicht mehr sicher zu sein: wo wollte ich eigentlich mal hin? Was brauche ich eigentlich wirklich? Ein Zustand, der auch sehr schön sein kann, für mich aber eigentlich zu früh kam, so mit Anfang Zwanzig. Sollten denn nicht da der Auslandsaufenthalt und das Entdecken der eigenen Autonomie und Stärke erste Priorität sein?
Das ist genau der Punkt: In jedem Moment, in dem man die eigene Autonomie loslässt, fühlt man sich verletzlicher und emotional abhängiger, deshalb fühlt sich so etwas auch immer seltsam an. Letztendlich kann aber wenig entstehen, wenn man immer nur unabhängig sein will, und dass man sich nach drei Jahren Zusammenwohnen alleine verletzlicher fühlt, ist auch normal. Ob man diese Stufe einer Beziehung Anfang Zwanzig schon möchte, ist natürlich eine ganz andere Sache.
Was Frau Illouz da über Fernbeziehungen gesagt hat, fand ich aber einen ziemlichen Quatsch. Das klang so als ob man da stumpf nebeneinander her leben würde und nur auf whatsapp kommuniziert. Ich weiß ja nicht was genau sie darunter versteht, aber grundsätzlich zu behaupten, Fernbeziehungen fehlen „fundamentale Aspekte von Intimität“ und “ fordern keine Reorganisation nach den Bedürfnissen und der Subjektivität eines anderen.“ finde ich fast schon frech. Zumindest in den Fernbeziehungen, die ich so kennen, haben die Leute schon ein Bedürfnis, sich auch im echten Leben zu treffen und das erfordert durchaus eine Reorganisation von Bedürfnissen.
Oder allein die Aussage, Intimität beruht auf der räumlichen Nähe zweier Körper. Initmität entsteht ja wohl durch gegenseitiges Offenbaren und Anvertrauen und nicht dadurch, dass man sich in einem Radius von x Metern von einander aufhält.
Grundsätzlich glaube ich, dass man sich das Leben auch ziemlich schwer machen kann wenn man auf der einen Seite Autonomie und die eigenen Bedürnisse und auf der anderen Seite die Beziehung und die gemeinsamen Bedürfnisse als Gegensätze gegenüber stellt.
Ich denke, in den Beziehungen, die halten, kann das – mit Abwägungen – auch beides Bestandteil sien.
Das hast du sehr schön gesagt, im Idealfall ist sowieso alles einfach ganz leicht und Kompromisse ergeben sich von alleine. Ich fand den Gedanken einfach interessant, dass das stückweite Aufgeben von Autonomie eine Voraussetzung für die „Öffnung“ ist, denn das war vor allem am Anfang meiner Beziehung immer ein Punkt, an dem ich mich unwohl gefühlt habe – weil davor die Unabhängigkeit das allerwichtigste für mich war.