Nils in Israel Part 2: Die Reise nach Jerusalem
Ich kann empfehlen, keine Reise mit einem Holocaustmuseum beginnen zu lassen. Pascal wollte das. Aber Pascal schaut auch „Der Untergang“ zum Frühstück. Ich hatte mich ein bisschen gesträubt, schließlich bin ich um die Ecke von Dachau aufgewachsen. Wir sind als Kinder jedes Jahr einmal ins KZ gegangen, bis wir irgendwann selber den jüdischen makaberen Humor annahmen und uns über das Rauchverbot am Krematorium lustig machten. Wäre es nach meiner Schule gegangen, wäre ich schuld gewesen am Holocaust. Das ist zwar besser als in Österreich, wo niemand Schuld hat an nichts und die Hälfte der Leute Holocaustzweifler wählen, aber es ist immer noch ein bisschen scheiße. Nach zwei Stunden in diesem Museum in Israels Hauptstadt stand ich allein auf einem verglasten Haufen Lederschuhe und heulte.
Es war gar nicht das Schuldgefühl. Es war, dass das ganze Museum meine Sprache sprach. Dass sich die Szenen an Orten abspielten, an denen ich gelebt hatte, heute lebte und irgendwann noch leben würde. Dass die Leute in den Schwarzweißfilmen aussahen wie meine Nachbarn. Und dass ein paar Szenen wie die Nachrichten der letzten Woche aussahen.
Es war noch früher Nachmittag, aber wir brauchten eine Bar, in der wir bleiben konnten, bis es Nacht wurde. Dann wurde es Nacht, und es war gut, dass wir in einer Bar waren. Ein Typ reichte uns seinen Joint weiter und sagte „Genießt dieses…“ und dann machte er eine kleine Kunstpause, in der er die Luft anhielt und den Rauch zu uns blies und seine Stimme wurde ein bisschen höher, „…formidable Produkt”. Ich zog ein paar Mal und reichte ihn der Kellnerin weiter. Sie sagte, dass sie dann einschlafen würde und dann, dass sie „O” heiße. „Nur O?” „Nur O”. Nur O studierte Architektur und ich war zum zweiten Mal in diesem Land verknallt.
Ich hatte nicht gewusst, dass sich ein Mensch so elegant bewegen konnte. Sie hatte richtig krasse Augen und drum herum war Sommer. Alles was sie sagte, machte irgendwie Sinn. Sie sagte, dass die jungen säkularen Israelis in dem ganzen Konflikt in eine Lethargie gefallen sind. Sie sagte, Jerusalem sei die Stadt der Steine. Die Leute hätten es hier mit den Steinen. Die Klagemauer, ein großer Steinhaufen. Steine auf Gräbern am Olivenberg. Steine liegen dort, wo Jesus‘ Kreuz stand. Die Stadtmauern aus Stein. Die Meinungen aus Stein. Die Herzen auch. Überall Stein. Stein, von dem Mohammed in den Himmel aufgefahren ist. Stein, auf dem Abraham seinen Sohn fast geopfert hat. Wer sagt, dass das nicht der selbe Stein ist. Wer sagt, dass das nicht alles die selbe Geschichte ist. Sie sagte all das und ich schmolz mit dem magnifiquen Produkt in der Hand, die Ellbogen in den steinernen Tresen versinkend und mein Herz und meine Venen formten ein großes, rotes, steingewordenes O. Irgendwann standen wir schwankend auf, schwankten hinaus aus dieser Bar, die keinen Namen hatte, in die Dunkelheit mit ihren goldenen Lichtern. Wir mussten auf diesen Tempelberg. Sehen, was es mit diesen Steinen auf sich hatte.
Ich litt wie ein Schwein. Es war Hochsommer, also um die vierzig Grad hinter den Mauern der Innenstadt Jerusalems. Mein Kopf tat weh, wegen der vielen Biere in der namenlosen Bar gestern. Meine Füße taten weh, weil ich entgegen aller Vernunft lederne Flip Flops von so einem Halunken vom Bazar gekauft hatte und jetzt in meinem eigenen Blut stand. Echtes Leder hat er gesagt, während mir die Dinger die Haut zwischen den Zehen aufschlitzten. Und ich litt auch ein bisschen, weil Dana, nachdem wir am Flughafen Nummern ausgetauscht hatten, nichts mehr von sich hören hat lassen. Aber hauptsächlich wegen meiner Füße. Es half nichts. Wenn Jesus die Via Dolorosa mit ein paar Holzplanken auf dem Rücken geschafft hat, dann würde ich auch das hier überleben. Alles roch nach Leid.
Es war die Art, wie mir Israelis schon oft begegnet waren. Dieser Touch unterschwelliges Selbstmitleid, das in manchen ihrer gebildeten Sätze durchsickert. Das Phlegma des ewigen Konfliktes. Der Sarkasmus derer, die mit Knöpfen töten. Die Empfindsamkeit der immer Verstoßenen, derer, die mit allen im Krieg sind und nirgendwo zu Hause. All dieses Leid lag hier in Jerusalem vor uns auf der Straße und wir trampelten in unserem arroganten Verständnis darauf herum. Wir trampelten die Steine empor, trampelten weiter, an zig Militärkontrollen vorbei und dann standen wir vor der Klagemauer. Beziehungsweise erstmal wieder an einer Militärkontrolle.
Du wirst in Israel alle paar Stunden kontrolliert. Ob du durch einen Busbahnhof möchtest, eine religiöse Türe, oder einen Supermarkt, du kannst deinen Rucksack eigentlich gleich offen lassen und all deine spitzen Gegenstände im Internet verkaufen, die brauchst du nicht. Links an der Mauer standen ein paar Männer in Kippas, schwarzen Mänteln und Zwirbelfrisuren. Sie wuschen sich die Hände mit goldenen Kelchen, die am Rand eines Brunnens standen. Einmal links, einmal rechts. Einmal links, einmal rechts. Rechts vorne war ein Bereich für Frauen in Kleidern und Kopftüchern. Alle zusammen beteten sie gegen die Mauer, die zum Fuße ihres heiligsten Ortes stand: dem Tempelberg. Drüben am Hang des Ölbergs lagen jüdische und islamische Gräber. Dort war Jesus in den Himmel gefahren. Die Juden glaubten, der Messias kommt vom Ölberg und schickt zuerst die dort Begrabenen ab ins Jenseits. Auch der Islam sagt, am Jüngsten Tag wird ein Seil vom Ölberg zum Tempelberg gespannt, auf dem die Gerechten dann gen Himmel schreiten dürfen. Mir soll wirklich nochmal einer erzählen, dass das nicht die gleiche Geschichte ist. Wir drei waren übrigens nicht besonders gerecht, deswegen mussten wir eine Holztreppe für Ungläubige nehmen, die über die Mauer hinweg und durch Wasserstaubanlagen hindurch auf den Tempelberg führte.
Hier oben, zwischen zwei umwerfenden Moscheen und ein paar Olivenbäumen, saß der Islam. Wie die Henne auf dem Ei. Und blickte nach unten zu den Juden, die mit gesenkten Köpfen gegen die Wand klagten, und rüber zu den Christen, die ihre Heiligtümer in feuchten Kellergewölben aufbewahrten und rüber zu Jesus, dessen Grab in einem dieser Keller lag, nur Meter entfernt von dem Ort, wo sein Kreuz gestanden hatte. Aber so ist es nunmal. Der Islam hatte den letzten Krieg gewonnen und sitzt nun im Felsendom, die Kuppel, die den Felsen umschließt, wegen dem sich über Jahrtausende die Menschen ihre Köpfe eingeschlagen haben. Im Namen Gottes. Im Namen des Himmels. Als hätten wir selbst keine Namen. Aber, wenn wir ehrlich sind, ging es noch nie um das Überirdische, um das Religiöse. Es ging immer schon um das hier. Das hier unten auf der Erde. Es ging immer nur um uns. Unser Essen, unsere Familien, unser Öl. Alles andere sind Ausreden. Nur darin sind wir gut, dachte ich, und betrat die heißen Steine des Plateaus vor dem Felsendom.
„You can‘t pray“, sagte jemand. Ich sah auf.
„What are you,“ fragte mich der Typ, „Christian, Jew?“
„Nothing“, sagte ich und sah ihn an.
„You can‘t pray“, sagte er.
Ich sah ihn an.
„You can‘t sit“, sagte er.
Ich sah ihn an.
„Welcome“, sagte er.
Es war heiß hier oben, aber es war ein wunderschönes Plateau mit zwei Gotteshäusern und ein paar Olivenbäumen, unter denen ein paar Männer und ein paar Katzen saßen und Suren studierten oder Schach spielten. Ich hatte in 28 Jahren nicht so viel Religion gehabt, wie an diesem Tag. Und in meinem ganzen Leben nicht so viele Regeln befolgt wie hier. You can‘t pray. Genug mit dem Regelbefolgen, dachte ich. Genug mit langen Hosen und Geschlechtertrennung, genug mit Händewaschen und Züchtigung und Kippa und Bekreuzigen und besonders mit dem Betverbot. Ich wusste nicht, wie beten genau geht, aber ich wollte es versuchen. Das einzige Gebet, dass mir einfiel war das Vater Unser. Das reichte. Ich stellte mich vor einen großen Mülleimer auf dem Plateau und betete. Ich betete, bis der Müllmann vorbeikam und mich sein Tourette-Syndrom auf Arabisch beschimpfte. Oder es war so, dass er auch betete, nur etwas lauter als ich. Dann ging ich. Es war wirklich genug.
Der Ventilator auf dem Dach des Österreichischen Hospiz klang wie ein Propellerflugzeug, das über die Karibik schnurrte. Wie ein Perpetuum Mobile der Beruhigung. Es klang nach Pause und die brauchte ich. Jerusalem machte mich fertig. Die Regeln. Die Heiligkeit. Die ewigen Fettnäpfchen. Die Sonne hatte mir die Netzhaut aufgeschnitten. Und die Halunkenflipflops meine Füße. Gottseidank hatten sie hier in diesem Dachgarten Bier. Bier ist gut in Israel. Goldstar heißt es. Es ist gebraut mit Wasser, wo der Jesus drübergelaufen ist. Das kann nur gut sein. Wasser aus den Golanhöhen. In diesem Bier war Krieg drin und Blut und ewige Verdammnis. Dieser Terrassengarten mit seinen Orangenbäumen und Springbrunnen war so schön, dass ich mir schwor, irgendwann auch eine Wallfahrt zu machen.
Am Ende ist es doch auch irgendwie bequem, religiös zu sein. Sich das ganze Leiden anzutun, alles nach oben abzuschieben. Dann wird man wahrscheinlich nicht so schnell depressiv. Ich für meinen Teil war den Göttern für Sabich dankbar. Für billige Flugtickets. Und dass es so zauberhafte Menschen wie Dana gab, die mir in diesem Moment eine SMS geschickt hatte: Wann treffen wir uns? Und ich war dankbar, dass wir am nächsten Tag über alle Berge sein würden. In der Stadt der Sünde. Der Stadt der Hügel des Frühlings. In Tel Aviv.
4 Antworten zu “Nils in Israel Part 2: Die Reise nach Jerusalem”
Phlegmatie gibts nicht;)
Müsste Phlegma heißen
Toller Reisebericht! Musste mehrmals schmuzeln & an meine eigenen Erfahrungen zurückdenken.
Nils! So wahr, so eine Lesefreude. Bitte mehr davon! Toda raba :)
Eine wahnsinnig schöne humorvolle und ehrliche Liebeserklärung an Jerusalem! Danke! Bitte bitte mehr davon