Wenn von Hexerei und Spiritualität die Rede war, dann habe ich lange Zeit an Astro-TV, Professor Trelawney aus Harry Potter und kitschige Shirts mit Wolf-Optik gedacht. Aber die Hexerei entledigt sich gerade ihrem schrulligen Image – zum Glück, denn selbst für rational veranlagte Menschen wie mich bietet dieses riesige Feld sehr viele spannende Erkenntnisse. Für mich hat es vor knapp zwei Jahren angefangen, als ich dem Tarotkartenlegen eine Chance gegeben habe – nachdem ein Freund mich davon überzeugt hatte, dass es sich dabei nicht um Wahrsagerei, sondern vor allem um ein psychologisches Tool handelt, bei dem mehr über sich selbst erfährt.
Seitdem bin ich offener für spirituelle Praktiken, die ja alle im Endeffekt dem Zweck dienen, uns selbst besser zu verstehen und uns mit der Welt um uns zu verbinden.
Zwei Profis auf dem Gebiet der spirituellen Praxis sind Carina und Esra aus Nürnberg und Oberfranken. Die beiden Anfang-30-Jährigen kennen sich nicht nur mit Tarot aus, sondern auch mit etwas fortgeschrittenen Praktiken wie Räuchern, Hand- und Kaffeesatzlesen, Horoskopen, Mondphasen oder Meditation. In ihrem gemeinsamen Podcast „2×3“ erklären sie alles, was man zum Hexen so braucht – ohne dabei nach Astro-TV zu klingen. Ich habe sie gebeten, mir ein bisschen von ihren Erfahrungen zu berichten – und für den Einstieg zu erklären, wie Tarot eigentlich funktioniert.
Liebe Esra, liebe Carina: Ihr beide seid sowas wie moderne Hexen. Was bedeutet das eigentlich?
Carina: Die meisten modernen Frauen wären vor 500 Jahren auf dem Scheiterhaufen gelandet – nicht, weil sie Hexerei betreiben, sondern weil sie unabhängig, selbstbewusst und schlau sind und nicht in das gesellschaftliche Bild gepasst hätten. So waren auch die Frauen, die früher als Hexen verfolgt worden sind. Diese Unabhängigkeit und der Wissensdurst sind zwei Gründe, warum ich mich damit identifiziere. Im Grunde genommen bedeutet „Hexe sein“, dass man sich seiner eigenen Macht bewusst wird und beginnt, auf seine Intuition zu hören. Dementsprechend kann jede Person eine Hexe sein – das ist für mich ein völlig geschlechtsloser Begriff.
Esra: Es ist eine selbstbestimmte Lebensart. Egal ob Kräuter, Steine, Meditation, Tinkturen oder auch Divination: Man beschäftigt sich aktiver mit der Welt – man sieht und schätzt sich selbst ganz anders. Aber tatsächlich passen die gängigen Klischees trotzdem häufig auf uns. Wir haben schwarze Katzen, viel zu viele Kerzen, einige Wahrsageartikel und verehren Stevie Nicks.
Carina: Trotzdem sollte man sich nicht länger als schrullige Katzenlady fühlen müssen, wenn man zum Beispiel laut sagt „Ich habe heute Morgen Karten gelegt!“.
Wie habt ihr beide euch gefunden und wie seid ihr auf die Idee für euren Podcast gekommen?
Carina: Wir haben uns in der Schule kennengelernt. Das dürfte jetzt gute 17 Jahre her sein. Danach haben wir uns dann für einige Jahre aus den Augen verloren.
Esra: Ich bin zwischenzeitlich Mutter geworden und weil wir an verschiedenen Orten leben, war der Kontakt nur noch sporadisch. Vor zwei Jahren hat sich das schicksalhaft geändert. Die Spiritualität hat uns wieder zusammengeführt.
Carina: In unserem wiederaufgenommenen Kontakt hat sich schnell die gemeinsame Leidenschaft herauskristallisiert. Weil es aber so wenig kollektive Ressourcen gibt, wollten wir mehr Infos sammeln. Erste Idee: Ein Buch. Das ist natürlich kläglich gescheitert, bevor wir jemals angefangen haben. Sind wir ehrlich: So ein Buch ist extrem viel Aufwand.
Esra: Aber einen Podcast kann man portionsweise machen – und es macht auch mehr Spaß für die, die zuhören. Mal davon abgesehen, dass man mit Podcasts auch Leute erreichen kann, die sich nicht explizit denken „Mensch, heute geh ich mal in die Buchhandlung und kauf mir ein Buch über Hexerei“. Was aber nicht ausschließt, dass irgendwann mal ein Buch von uns folgt.
Ich habe das Gefühl, dass Spiritualität und Okkultismus gerade einen großen Aufschwung erfahren. Woran liegt das eurer Meinung nach?
Carina: Ich denke, das kommt vom Wunsch nach dem „Mehr“. Die Menschen wollen sich wieder mit etwas Essenziellem verbinden – auch wegen der weltweiten Vorkommnisse, die die Menschen zur Ruhe und zum Nachdenken zwingt. Das Interesse an dem „Dahinter“ ist der aktuelle Zeitgeist. Und es geht auch darum, Kontrolle über das eigene Leben zurück zu gewinnen.
Und was haltet ihr vom momentanen Trend von Witchcraft-Ästhetik in Mode und Popkultur?
Esra: Ich hoffe, dass sich dadurch einige Menschen ernsthaft dem Thema zuwenden. Aber man muss dabei auch aufpassen: Es ist zwar alles erlaubt, was sich für einen selbst richtig anfühlt – das sagen wir im Podcast immer wieder –, aber der Respekt vor der Materie ist trotzdem sehr wichtig. Dahinter steckt sehr viel altes, überliefertes Wissen.
Carina: Dass sich mehr Leute dafür interessieren, wirklich damit identifizieren und an Lebensqualität gewinnen, ist genau das, was ich mir wünsche. Allerdings beinhaltet der Trend auch, immer total düster und „witchy“ zu sein… und das ist am Ende wirklich nur eine Modeerscheinung. Dieser Aspekt nervt mich auch etwas.
Eher rationalen Menschen wie mir fällt es oft ein bisschen schwer, einen Zugang zu spiritueller Praxis zu finden. Was sagt ihr Menschen wie mir, um sie für Praktiken wie das Tarotkartenlegen zu begeistern?
Carina: Probier‘ es einfach aus! Es sind „nur“ Karten. Die Karten selbst werden dein Leben nicht verändern oder dir etwas Gruseliges antun. Es ist eine Message: Von deinem Unterbewusstsein, von der Divine Source oder von irgendetwas da draußen – man kann es nennen, wie man will. Diese Botschaft kannst du als ein Werkzeug benutzen, damit du deinen Weg findest. Es geht um das Gefühl, in seiner Macht und seiner Mitte zu sein.
Esra: Man sollte spielerisch beginnen und muss zum Beispiel nicht immer die Standard-Liebesfragen stellen, sondern kann die Tarotkarten als Tool der Selbsterkenntnis nutzen. Was sollte ich an meinem Wesen ändern oder welche Eigenschaften hindern mich an meinem Erfolg? So kann man sich selbst reflektieren und neu kennenlernen. Die Antwort kommt nicht von den Karten, sondern von einem selbst.
In welchen Momenten hilft Tarot euch persönlich?
Esra: Ich würde den Tarotkarten niemals in wirklich ernsten Fragen zu hundert Prozent vertrauen – zum Beispiel, wenn es um Gesundheit geht. Aber es gibt dennoch einige Situationen, in denen ich sie gerne zur Hand nehme. Quasi als zweite Meinung. Es sind oft Fragen über meine eigenen Blockaden oder Ziele – und natürlich auch manchmal kitschige Liebesfragen.
Carina: Wenn ich nicht weiter weiß, dann können mir die Karten immer weiter helfen. Sie sind eine Momentaufnahme der Gegenwart und ein Transportmittel für Nachrichten. Wie und ob man dann damit in Resonanz geht, ist die eigene Wahl. Ein Beispiel: Sagen wir, die Karten sagen dir (mehr oder minder direkt), dass du dieses Jahr schwanger wirst. Diese Information löst in dir unmittelbar eine Ja- oder Nein-Reaktion aus. Wenn du ein klares „Nein“ empfindest, dann wirst du auch nicht schwanger werden. Das bedeutet aber nicht, dass die Karten gelogen haben. Sie haben nur gesagt, dass die Energie und Möglichkeit schwanger zu werden besonders hoch ist. Man hat letztendlich aber immer die Wahl.
Esra: Aus diesem Grund wird eine professionelle Kartenlegerin niemals klare Aussagen über Tod oder Gesundheit treffen.
Was würdet ihr einer Person raten, die Tarot noch nie ausprobiert hat?
Esra: Man sollte sich ein Deck und ein Erläuterungsbuch zulegen. Dann heißt es einfach mal drauf loslegen – ohne Druck und mit kleinen Fragen. Ich empfehle für den Anfang Kipperkarten, da diese sehr einfach zu deuten sind. Danach würde ich die Rider-Waite-Karten benutzen. Das ist das bekannteste Deck, zu dem es auch die meisten Informationen online gibt. Und: Tarot sollte nicht zwischen Tür und Angel passieren. Eine kleine Meditation und Zeit für sich vor dem Legen führt in der Regel zu klareren Antworten.
Carina: Das wichtigste ist das Bauchgefühl! Wenn man zum Beispiel zu Beginn keinen Schimmer hat, was dieser gruselige Typ auf dem Pferd einem nun sagen will – dann googelt man ein paar Interpretationen und meistens fällt dann der Groschen. Die besten Ergebnisse bekommst du, wenn dir völlig egal ist, was rauskommt. Deswegen ist „für sich selbst legen“ so wahnsinnig schwer. Meistens ist es einem ja selbst nicht egal, was kommt – aber Wunschdenken ist leider völlig fehl am Platz.
Esra: Es gibt auch paar tolle YouTuber, die das Thema aufgreifen: „Hoodoo Delish“, „Ali’s Tarot“, und „The Witch of Wonderlust“.
Es gibt sehr viele verschiedene Arten, Tarotkarten zu legen. Manche ziehen jeden Morgen eine Tageskarte, andere legen komplexe Muster, um Antworten auf schwierige Fragen zu bekommen. Welche Variante ist eure liebste?
Esra: Ich lege gerne komplexe Muster, um hinter die Fassade der Frage schauen zu können. Tageskarten ziehe ich meist nur, wenn an dem Tag etwas Wichtiges ansteht oder ich etwas plane und eine Entscheidungshilfe brauche. Es gibt keine besondere Regelmäßigkeit.
Carina: Es kommt auf die Situation an. Ich stelle gerne Ja-Nein-Fragen und schaue mir die Antworten der ersten drei Karten an. Für einen generellen Überblick eignet sich immer das „keltische Kreuz“: Der Klassiker und das meistgelegtes Muster. Manchmal reicht mir aber auch nur eine einzelne Karte.
Habt ihr eine besonders spannende Anekdote zum Thema Tarot? Lagen die Karten mal besonders offensichtlich richtig?
Esra: Ich habe vor kurzem für Carina die Karten gelegt. Zu dem Zeitpunkt hatte sie einiges vor. Die Antwort der Karten lautete: Sorry, aber das wird nichts mit deinen Plänen – du wirst einen Stillstand erleben. Erst dachten wir an einen erneuten Lockdown, aber nein: Zwei Tage später brach Carina sich den Fuß.
Carina: Ja, das stimmt leider. Das ist eine von vielen, vielen Geschichten, die den Rahmen sprengen würden. Mehr Alltagsanekdoten gibt es aber in unserem Podcast.
Esra: Manchmal, wenn wir legen, fällt schon beim Mischen die ein oder andere Karte raus. Vom Ego gesteuert passt einem oft die Antwort nicht und man sagt sich „Ach, das war Zufall – ich misch weiter“. Einfach, weil man hofft, man bekommt eine bessere Antwort oder gar die, die man sich wünscht. Da die Karten aber nicht lügen, kommt es erstaunlich oft vor, dass direkt wieder dieselbe Karte aus dem Deck fällt. Eine sehr deutliche Antwort.
Carina: Das sind immer schaurige Momente und eine ultimative Bestätigung, dass die Antwort eindeutig ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass zweimal oder manchmal gar dreimal hintereinander ein und dieselbe Karte fällt, könnt ihr euch selbst ausrechnen. Das Rider-Waite-Deck hat 78 Karten.
Habt ihr auch Lust bekommen auf ein bisschen Hexerei und Kartenlegen? Der Podcast von Esra und Carina ist ein guter Einstieg. Ihr findet ihn auf Spotify und auf allen anderen gängigen Plattformen. Ihr könnt den beiden auch bei Instagram folgen.
Bildcredits: @dr.soed
Eine Antwort zu “Tarot und Witchcraft: Im Gespräch mit zwei modernen Hexen”
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