Soll ich oder soll ich nicht: die Macht der Veränderung

16. Oktober 2023 von in ,

Es ist kuschelig. Hier in meinem Alltag. In meinen gewohnten vier Wänden, umgeben vom lieb gewonnenen Umfeld, den Straßen, die ich kenne und den immer selben Routinen. Eigentlich gefällt es mir ganz gut in meiner Bubble. Aber irgendetwas in mir ist unruhig. Fragt sich „Was wäre, wenn?“. Was wäre, wenn ich meine Komfortzone verlassen und nochmal etwas Neues wagen würde? Und ich spreche hier nicht von einer neuen Wandfarbe oder davon, endlich mal das Restaurant auf der anderen Seite der Stadt auszuprobieren. Ich denke da an etwas Grundlegendes, etwas Lebensveränderndes. Etwas, das ebenso viel Euphorie wie Angst in mir auslöst. Aber wieso Angst? Wieso habe ich Angst vor etwas, wonach mein Herz doch ganz offensichtlich irgendwie strebt? Und wieso möchte ich mich verändern, wenn ich doch eigentlich ganz zufrieden bin, so wie es ist?

Ich glaube, Veränderung ist eine der wenigen Konstanten in unserem Leben.

Auf sie können wir uns verlassen. Sie wird kommen, ob wir wollen oder nicht. Manchmal steuern wir sie an, manchmal kommt sie unverhofft, manchmal unerwartet. In einigen Fällen ist sie der Türöffner zu etwas Großartigem, in anderen wiederum wünschen wir uns, wir wären verschont geblieben. Die bewusste, die selbst gewählte Veränderung, um die es hier gehen soll, bringt in meinen Augen vor allem im Vorwege ziemlich viel durcheinander. Denn wir haben (zu) viel Zeit zum Planen, zum Überlegen, Umwerfen, Realisieren – ganz einfach zum Zerdenken.

Aber was und wieso zerdenken wir eigentlich? Ist es einfach das „Raus aus der Komfortzone“, das es uns ungemütlich werden und die ersten Zweifel hinter dem so heimelig gewordenen Alltag hervorblitzen lässt? Oder befürchten wir Schlimmeres? Könnten wir eine ganz passable Situation gegen etwas tauschen, was uns am Ende entgegen der Erwartungen doch nicht glücklich macht? Könnten wir gar für unser mögliches Scheitern verurteilt werden?

Unbekannter Zauber vs. Gewohnheitsduselei

Dass Veränderungen zu einem Teil Unbehagen in uns auslösen, ist ganz normal. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – und hierbei handelt es sich nicht nur um ein Sprichwort, sondern um die Wahrheit. Wir sind darauf angewiesen, gewisse Dinge in unserem Leben immer und immer zu wiederholen, Routinen aufzubauen und uns ein Umfeld zu schaffen, dass uns eine gewisse Struktur und Sicherheit gibt. Hätten wir diese Muster nicht in unserem Leben, wären wir schnell überfordert und könnten nur schwer Entscheidungen treffen. Steht also eine, vielleicht sogar sehr große, Veränderung an, sehen wir unsere sicheren Strukturen und liebgewonnenen Routinen erst einmal in Gefahr.

Natürlich steht auch ein mögliches „Scheitern“ zur Debatte. Wer kennt es nicht: Oftmals malen wir uns eine Situation in unserem Kopf sehr viel romantischer aus, als sie in der Realität tatsächlich ist. Denn wenn die Entscheidung zur Veränderung erst einmal getroffen und in die Tat umgesetzt ist, muss man sie nehmen, wie sie ist. Und in den meisten Fällen begegnen uns dabei auch herausfordernde Situationen. Wir müssen uns an die neuen Umstände erst einmal gewöhnen. Bis sie zu unserer neuen Komfortzone geworden sind. Das gelingt aber nicht immer.

Wenn uns Veränderungen doch aber so sehr aus unserem Wohlfühlbereich befördern, warum wollen wir uns dann überhaupt verändern?

Der einzige Grund kann doch eigentlich nur der sein, dass wir mit der gegenwärtigen Situation unzufrieden sind und hoffen, dass eine Veränderung – wie ein Umzug, ein*e neue*r Partner*in oder ein neuer Job – uns retten wird. Vielleicht ist eine Veränderung also auch ein Stück weit ein Weglaufen vor vermeintlichen Herausforderungen, von denen wir glauben, dass wir sie zusammen mit unserem bisherigen Leben zurücklassen können. Oder halten Veränderungen noch etwas anderes bereit?

Ich persönlich kann die Ängste und das Festhalten-wollen am Bekannten absolut nachempfinden. Gleichzeitig glaube ich aber auch an den sprichwörtlichen Zauber des neuen Anfangs. Ist nicht alles Neue auch irgendwie aufregend und ein bisschen magisch? Außerdem bin ich überzeugt, dass wir an Veränderungen wachsen können. Mit jeder Veränderung lernen wir uns selbst noch einmal anders kennen und stärken unsere Resilienz. All die Probleme und Herausforderungen, all die unangenehmen Situationen, die unumgänglich mit einer Veränderung einhergehen, fordern uns heraus und bringen uns dazu, unsere persönlichen Grenzen zu erweitern, über uns hinauszuwachsen und uns selbst zu beweisen, dass wir sie überstehen und sogar in etwas Positives verwandeln können.

Haben Veränderungen ein Ablaufdatum?

Meine ganz persönliche Veränderungs-Challenge basiert auf der Frage, ob ich noch einmal ein neues Lebenskapitel in einer anderen Stadt, 800 Kilometer entfernt von meinem Zuhause, schreiben möchte.

Seit einigen Jahren schon schlummert dieser Gedanke in mir und wächst seitdem immer weiter heran. Ich habe fast mein ganzes Leben in Hamburg gelebt, mit zwei kurzen Ausnahmen nach der Schule und während des Studiums. Beide Male habe ich genossen, habe aber nach wenigen Monaten immer wieder den Drang in die Heimat gespürt. Umso besser, dass die Zeit meiner Aufenthalte ohnehin begrenzt war. Hamburg ist eine tolle Stadt, sie hat mein Herz und ist für immer meine Heimat. Aber nach drei Jahrzehnten ist mir der Reiz an ihr irgendwie verloren gegangen.

Ich spüre die Lust in mir, noch einmal etwas Neues auszuprobieren, mein Leben einmal auf den Kopf zu stellen und meine eigenen Grenzen auf positive Weise auf die Probe zu stellen. Dieses Mal wäre der Schritt, Hamburg zu verlassen, allerdings eine Entscheidung auf unbestimmte Zeit. Denn ich glaube, nur so kann sich ein echtes Alltagsgefühl am neuen Lebensmittelpunkt einstellen. Leichter wird die Entscheidung dadurch allerdings nicht.

Und es kommt ein weiterer Faktor hinzu, der meine Entscheidungsgrundlage erschwert. Mit Anfang 30 befinde ich mich natürlich in einer anderen Lebensphase als mit Anfang 20. Ich stehe – mehr oder weniger – mit beiden Beinen im Leben und habe mir in Hamburg etwas aufgebaut, vor allem mein soziales Umfeld und mein heißgeliebtes Zuhause. Wechsele ich die Stadt, fange ich von vorne an. Und das ist heute nicht ganz so einfach, wie vor zehn Jahren. Die obligatorischen Kennenlern-Hotspots von damals, die Uni oder die WG, gibt’s nicht mehr. Zur Studienzeit kam man gar nicht drum herum, neue Menschen kennenzulernen. Heute sieht das etwas anders aus. Es erfordert mehr Eigeninitiative, den Freundeskreis zu erweitern. Und bedarf der Offenheit der Menschen am neuen Wohnort. Auf Semesterfeiern, Studienreisen, und WG-Parties kann ich heute nicht mehr setzen.

Im Gegenteil: Mit 33 bin ich an einem Punkt im Leben, an dem viele Menschen sesshaft werden, Familie gründen und sich als „angekommen“ betrachten. Und ich?

Soll ich jetzt nochmal alles umwerfen? Möchte ich das wirklich? Oder ist es nur ein Teil in mir, der denkt, ich könnte mit einem Umzug in eine andere Stadt irgendetwas kompensieren? Was, wenn ich es wage und nach ein paar Monaten merke, dass es eine Fehlentscheidung war? Wenn das Heimweh einfach nicht vorübergehen will und mich Tag für Tag die Einsamkeit heimsucht? Und was würde eigentlich meine Familie dazu sagen? Wir sind es seit jeher gewohnt, nicht länger als eine Stunde voneinander entfernt zu leben, uns regelmäßig zu sehen. Wäre es also überhaupt so gut, sich woanders etwas Neues aufzubauen oder sogar an einem weit entfernten Ort Wurzeln zu schlagen und tatsächlich doch sein Glück dort zu finden?

Moment mal, und was ist eigentlich mit meiner Wohnung? Meinem Lieblingsplatz, nach dem ich so lange gesucht und den ich mir über Jahre hinweg geschaffen habe. Wie könnte ich das einfach aufgeben? Wer weiß schon, ob ich in einer anderen Stadt jemals wieder etwas so Schönes finde, ob ich mich dort genauso wohlfühlen könnte?

Sind einige Veränderungen nicht vielleicht doch an ein Ablaufdatum geknüpft, nachdem man lieber die Finger davon lassen sollte?

Einmal Overthinking und zurück

Und da wären wir. Willkommen im Gedankenkarussell. Zerdenk-Modus an, und ab geht die wilde Fahrt. Was hätte, wäre, könnte, wenn… Die Zweifel, das Kopfkino, die Ängste – sie sind echt. Echt überwältigend. Und der Endgegner meiner Euphorie. Immer wieder erfindet mein Kopf neue Gründe dagegen. Doch mein Bauch und mein Herz werden nicht leiser. Manchmal verstummen sie für ein Weile, doch irgendwann melden sie sich wieder zu Wort.

Ein Gedanke, der meiner Zerrissenheit eine kurze Pause gönnt und mich etwas ruhiger werden lässt: Du kannst jederzeit zurück. Nur weil wir eine Entscheidung treffen, heißt es nicht, dass wir sie nicht revidieren dürfen. Wir sind nicht in ihr gefangen, denn wir müssen niemandem etwas beweisen. Wir können uns unserer persönlichen Herausforderung stellen, etwas ausprobieren, was wir schon lange ausprobieren wollten. Wenn es schiefgeht, geht es eben schief. Was ist dann schon passiert? Wir sind um ein paar Erfahrungen reicher und können zumindest darauf stolz sein, dass wir es versucht haben. Dass wir auf unser Bauchgefühl gehört und einfach mal gemacht haben.

Wie sagt man so schön: Bereuen wir nicht immer nur das, was wir nicht getan haben?

Sicherlich lässt sich das nicht leichtfertig auf jede Art von Entscheidung adaptieren, aber auf viele können wir diese, wie ich finde sehr beruhigenden, Gedanken anwenden und machen uns den Veränderungsprozess damit vielleicht ein Stückchen einfacher.

Auch, wenn ich nach wie vor keine finale Entscheidung für mich getroffen habe, so merke ich doch, dass ich nach und nach klarer werde. Dass sich eine Richtung für mein Herz und vielleicht auch irgendwann meine sieben Sachen und mein Leben ergibt. Und wer weiß, selbst wenn dieser Prozess nur zum Resultat hat, dass ich mich neu in meine Heimatstadt verliebe und ihre schönen Seiten wieder mehr zu schätzen weiß, dann hat er sich doch schon gelohnt.

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