So call me maybe: Ich will (wieder) telefonieren!
„Wie jedes Jahr schenke ich dir keinen Anruf zum Geburtstag.“, diese Nachricht bekomme ich jedes Jahr von meiner Freundin Jowa. Ein Insiderwitz, der viel Wahrheit in sich trägt. So ziemlich alle meine Friends dürften den Fakt bestätigen, dass ich Telefonieren Zeit meines Lebens hasste. Es fing schon an als kleines Kind. Wenn das Familientelefon klingelte, ging ich zwar ran, doch auch schon als Neunjährige griff ich nur widerwillig nach dem Hörer. Denn schnell musste ich lernen, dass Anrufe entweder schlechte Neuigkeiten bedeuten, oder irgendwas mit entfernten Verwandten zu tun hatten, die die Gunst der Stunde nutzten, um mit der kleinen Amelie zu reden. Die kleine Amelie war allerdings Frühpubertär und hatte keine Lust, mit ihnen zu plaudern. Die pubertäre Abneigung gegen das Telefonieren sollte jedoch nie aufhören, da sich die Angst vor den schlechten Nachrichten in mein Hirn einbrannte.
Wenn das Handy klingelte, starrte ich teilweise sekundenlang auf den Bildschirm in der Hoffnung, dass es schnell wieder aufhörte zu klingeln. Ich vermutete Bad News oder war überfordert von den Spontananrufen. Was wollten die Personen wohl von mir? Wieso konnten sie mir nicht einfach kurz eine Nachricht schreiben? So ein Anruf erforderte ein hohes Maß an schnellem Reaktionsvermögen und Abgrenzungsfähigkeiten. Zwei Eigenschaften, mit denen ich mir schwer tat.
Back in the days: Als Chatrooms noch richtig Spaß gemacht haben
Umso dankbarer war ich für den Ausweg des Chatrooms, dem ich mich in meiner späten Kindheit und Jugend mit Hingabe widmete. Der Chat vereinte meine Freude am Schreiben mit meiner fehlenden Abgrenzungsfähigkeit und langsamem Reaktionsvermögen. Beim Chat konnte man mal eine Minute überlegen, ohne eine unangenehme Stille überstehen zu müssen. Im Chat konnte ich über meine Reaktionen nachdenken und bedachter antworten. Ein Chatroom war vor allem eines: FUN. Man denke nur an ICQ, MSN, knuddels.de, frühe Facebookchat-Zeiten. Sie waren der erste Ausweg aus den Zeichenbegrenzungen bei SMS. Hach, Chats. The good old times. Sie waren unbegrenzter Chat-Spaß für alle – und vor allem für mich.
Die früheste Chat-Ära war eine unbeschwerte Zeit, in der ich mich in Schlafanzug und großer Schüssel Kelloggs Frosties so richtig austoben konnte. Es war die Zeit, in der es für mich endlich möglich war, Informationen auszutauschen und Spaß dabei zu haben. Im Internet, dem Ort, der damals ein Vergnügungspark ohne Erwachsenen war. Dort wurde ich garantiert nicht auf ICQ von entfernten Verwandten angechattet oder vom Schuldirektor. Hier war plötzlich ein Safe Space für alle Teenager, die ihre Ruhe von der Realität wollten, eine Auszeit von Verantwortungen und To Do’s. Bis WhatsApp alles versaute.
WhatsApp revolutionierte den Chatmarkt. Als sich in meinem ersten iPhone über mobiles Internet und WhatsApp immer ein Chatroom in meiner Hosentasche befand, wurde alles anders. Was sich wie eine Befreiung anfühlte, entwickelte sich zum Marathon.
Heute konzentriert sich ein Großteil meiner Kommunikation auf den Chat. Das ist praktisch und ich bin dankbar, auf so einfachen Weg in Kontakt mit anderen treten zu können. Doch es ist auch belastend, da mich die Dauererreichbarkeit überfordert. Slack, WhatsApp, Signal, Telegram, Facebook Direct, Instagram dm, Tiktok Nachrichten, Mails. Ich benutze sie alle und die Apps tragen täglich dazu bei, dass sich meine Screentime in die Unendlichkeit erstreckt. Mein sozialer Akku ist dadurch an machen Tagen erschöpft, bevor ich überhaupt das Haus verlassen habe.
Der Chatroom von früher ist kein Vergnügungspark mehr, er ist eine Verlagerung vom Offlineleben ins digitale. Schlechte Neuigkeiten gibt’s hier mittlerweile auch, die Person, mit der ich eigentlich nicht sprechen möchte, ebenso. Hier mache ich Steuer, hier arbeite ich, hier streite ich und diskutiere ich. Natürlich habe ich hier auch meine guten Zeiten, fruchtbare Gruppen- und Einzelgespräche. Doch der unbeschwerte Spielplatz ist weg. Und meine Screentime viel zu hoch. Was für ein Hobby war, ist heute eine Notwendigkeit. Und Notwendigkeiten machen keinen Spaß.
Die Nostalgie des Telefonierens
Mittlerweile romantisiere ich das Telefonieren. Es hat etwas unzeitgemäßes, Menschen einfach so anzurufen. Telefonieren ist Nostalgie. Telefonieren ist Popkultur. Denke ich an Telefonie, sehe ich die Anrufbeantworter in Sex and the City vor mir. Die Telefonszenen in Clueless, Gilmore Girls oder Mean Girls. Telefonieren war sexy in den späten Neunzigern und frühen Zweitausendern, den Filmen und Serien aus der Zeit nach zu urteilen. Ob in Gilmore Girls am Handy mit einem Kaffeebecher in der Hand, oder in Sex and the City, während Carrie verträumt auf dem Bett liegt und Zigaretten raucht. Der Charme des Telefonierens ist spätestens jetzt bei mir angekommen. Jetzt, wo das Telefonieren immer unwichtiger wird.
Praktisch und oldschool: Anrufe statt Calls
Neben der Nostalgie ist das Telefonieren aber auch weitaus praktischer als viele andere Kommunikationsmittel. Keine Ahnung, warum alle neuerdings so heiß auf Calls sind, aber ich persönlich habe sie satt. Wieso muss jede Kleinigkeit in einem großen Zoom Call besprochen werden? Versteht mich nicht falsch, ich bin bei einem Call dabei, sobald er im größeren Rahmen wichtig ist. Ein Meeting, eben. Alles andere darüber hinaus ersetzte ich gerne mit einem einfachen Telefonat. Es ist unglaublich, wie viel Zeit man sich mein einem einfachen Anruf oft sparen kann. Selbst meine Therapeutin schlug bei einem Termin vor, den wir ausnahmsweise online abhandeln mussten, mich mittels Zoom zu kontaktieren. Als ich sie vorsichtig fragte, ob wir auch telefonieren könnten, sagte sie nur erleichtert: ja. Da sie mit diesen Calls sowieso immer überfordert wäre. Erleichtert telefonierte ich also in dieser Stunde mit ihr gemütlich auf dem Sofa, statt am Schreibtisch vor meinem Laptop zu hängen.
Telefone werden obsolet. Sie sind die Faxe unserer Zeit, die sich langsam aber sicher von der Prioriätenliste verabschieden. Das macht sie emotional wertvoll und schön. Sie werden unnötiger, und können somit eine neue Rolle annehmen. Eine, romantische Rolle, eine, die Spaß macht. Die sozial ist. Eine, die nur wenig mit Verpflichtung zu tun hat. Und die oft praktischer und unkomplizierter ist als ein Zoom-Call.
So ist es also offiziell: Ich will häufiger telefonieren. Vielleicht wird es mein Vorsatz fürs nächste Jahr, für das sich Jowa leider ein neues Geschenk überlegen muss. Sorry Jowa, aber die Zeiten meines Telefonie-Hasses sind Geschichte.
2 Antworten zu “So call me maybe: Ich will (wieder) telefonieren!”
[…] Komponenten fallen von vornherein weg. Addiert man dann die für Gen Z und Millennials so typische Angst vorm Telefonieren, ist der Weg in die Sackgasse vorprogrammiert. Zusätzlich glänzen die Pusher-Handy-Boys oft mit […]
[…] Nachdem ich also manchmal nicht ganz sicher bin, wie genau es in meinem Leben gerade weitergeht, bin ich zum ersten Mal auch ganz allein Herr über meine Haushaltsangelegenheiten. Das ist cool, aber auch beängstigend. Zwischen Inflation und Energiekrise, Mietspiegel und allerhand Organisatorischem fühlt man sich oft etwas unsicher. Und überhaupt, was macht man, wenn auf einmal der Abfluss am Waschbecken leckt oder die Küche keinen Platz für eine Waschmaschine hat? Aber auch da ergibt sich alles nach und nach. Schließlich ist man damit ja nicht alleine und kann sich im Freund:innenkreis kurzschließen. Denn auch wenn wir alle mittlerweile ganz schön verstreut leben, haben wir eine Standleitung, mit der wir uns täglich über alles updaten. Per Facetime, Nachrichten oder Telefongesprächen. […]