Zwischen Freiheit und Familie: meine unabhängigen Dreißiger
Louisa Wölke ist freie Autorin und Texterin aus Hamburg. Sie bezeichnet sich selbst als absoluten Gefühlsmensch, der es nicht nur liebt, in der Natur zu sein oder neue Orte zu entdecken, sondern den es als Nordlicht immer wieder in den Süden zieht. Am liebsten verbringt sie die Zeit mit sich, setzt sich mit moderner Spiritualität auseinander oder sucht Inspiration in Gesprächen mit Freunden und Familie. Für amazed blickt sie auf das Leben als Single in der Großstadt.
Es ist Samstag, neun Uhr. Die Sonne scheint. Ich wache auf, es ist ruhig und ich bin allein. „Ist das schön“, denke ich mir und atme tief durch. Heute kann ich diesen Morgen, so wie er ist, genießen. Doch das tue ich nicht immer. Manchmal gibt es auch jene Tage, an denen ich von Einsamkeit und Selbstzweifel, dem Gefühl, nicht gebraucht zu werden, geweckt werde. Warum das so ist? Tja, das frage ich mich auch. Vielleicht liegt es daran, dass ich in wenigen Wochen 33 Jahre alt werde, Single und kinderlos bin und allein lebe. Meine Gedanken – irgendwo zwischen Freiheit, Tristesse und der Frage, ob ich wohl auch irgendwann ankomme.
Das gesellschaftliche Lebensplanungsorchester
Auch wenn die Zahl der Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, ansteigt, spielt in meinem Kopf hin und wieder das gesellschaftliche Lebensplanungsorchester, geleitet von einem seit Generationen gelebten Selbstverständnis. Sollte man mit 33 nicht voll in der Familienplanung mit dem oder der Partner*in sein, mindestens ein Kind bereits um fünf Uhr im eigenen Bett begrüßt und sich spätestens um zehn Uhr mit dem Coffee to Go auf dem Spielplatz eingerichtet haben? Und was ist eigentlich mit dem Haus am Stadtrand, im familienfreundlichen Umfeld und in Kindergartennähe? Dort, wo sich Nachbar*innen über den Gartenzaun einen guten Morgen wünschen und sich am nächsten Tag über die Grundstücksgrenze streiten. Aktuell kann ich sagen: Nein, danke.
Aber warum schweifen meine Gedanken dann immer wieder ab und erzählen mir, dass mit mir irgendetwas nicht stimmt? Scrolle ich durch meinen Instagram-Feed, finde ich wahrscheinlich einen Teil der Antwort. Irgendwo zwischen Babybäuchen, Hochzeitsfotos und #hausbau scheint sich das perfekte – oder perfekt inszenierte? – Leben abzuspielen. Wer da nicht mithalten kann, hat verloren. Oder? Auch in meinem privaten Umfeld sind mittlerweile teilweise Baby Nummer zwei oder drei auf dem Weg, Freund*innen verloben sich, heiraten und ziehen aus der Stadt raus. Und dann kommen sie – die Vergleiche und die Frage nach dem Warum. Warum gehöre ich nicht zu diesen Frauen? Warum habe ich keine*n Partner*in? Warum bekomme ich das mit dem Familienzirkus nicht hin?
Die Frage nach dem Ob
Doch mein kinderloses Single-Dasein verschafft mir einen Vorteil: die Freiheit, mir noch über eine andere Frage klar zu werden. Die Frage nach dem Ob. Möchte ich diese Normvorstellung einer Frau in den Dreißigern überhaupt erfüllen? Oder glaube ich nur, sie erfüllen zu müssen? Vielleicht, weil es sich besser anfühlt, mich ihr zu fügen und mir keine Gedanken über ein eventuelles „Anderssein“ machen zu müssen. Neulich erst habe ich eine Unterhaltung in meinem ferneren Bekannt*innenkreis mitbekommen, in der es darum ging, was denn mit Freundin „X“ nicht stimme, weil sie immer noch keinen Mann gefunden hätte. Hört man solche Worte, und sicherlich kommt das nicht selten vor, wundere ich mich nicht über Selbstzweifel und den Drang nach Rechtfertigung.
Aber: Muss, kann und sollte es denn das Lebensziel sein, eine*n Partner*in zu finden, sesshaft zu werden und eine Familie zu gründen? Gibt es im Leben nicht noch mehr? Oder sagen das nur Menschen wie ich, die sich eben nicht in einer Beziehung befinden und deren rosige Zukunft zwischen vollen Windeln und Familiensonntagen eben noch ganz weit weg scheint? Basiert das Infragestellen dieses Lebensmodells nur auf der Tatsache, dass ich den richtigen Menschen noch nicht gefunden habe oder resultiert es aus einer Überzeugung, die in den letzten Jahren in mir gewachsen ist? And the Gedankenspirale goes on…
Meine Zeit für mich
Tatsächlich ist es so, dass ich in meiner letzten, langjährigen Beziehung, die endete als ich 29 Jahre alt war, schon einmal an einem anderen Punkt war. Ich hatte diese Vorstellung von Kindern und einer gemeinsamen Zukunft als Familie. Heute bin ich froh, dass daraus nichts geworden ist und ich damals die Chance bekommen – oder mir genommen – habe, mir erst mal Zeit für mich zu nehmen. Die letzten drei Jahre waren ein Auf und Ab, in meinem Leben hat sich einiges verändert, positiv wie negativ. Und natürlich macht man sich mit Anfang 30 andere Gedanken als mit Anfang 20. Zum Glück, denn das Leben ist meiner Meinung nach ein nie endender Weg, auf dem es so vieles zu entdecken gibt.
Eine meiner wohl besten Entdeckungen: das Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse. Nur durch die neue Freiheit, die ich in eben diesem Alter erlangt habe, habe ich angefangen, mich mit Themen wie alten Glaubens- und Verhaltensmustern und meinen Wünschen ans Leben auseinanderzusetzen. Das Großartige ist, dass sich die Dreißiger mit diesem Wissen über sich selbst noch einmal ganz anders erleben lassen. Die meisten meiner kinderlosen Single-Freund*innen – ja, es gibt noch mehr von meiner Sorte – und ich sind uns einig, dass dieses Jahrzehnt noch einmal ganz andere Möglichkeiten bereithält. Vor allem, wenn man es ohne größere Verpflichtungen leben kann. Wir verdienen durchschnittlich gutes Geld, sind unabhängig und die Welt liegt uns zu Füßen. Erinnere ich mich an mein Studentinnen-Ich in den Zwanzigern, sah das etwas anders aus. Also warum das Leben nicht mit mehr finanzieller Freiheit und mehr Plan von sich selbst genießen, anstatt sich – mit Babybrei übersät – mit Bauklötzen und Hausaufgaben zu beschäftigen?
Hier geht es nicht darum, das Beste aus einer „ach so bedauerlichen“ Situation zu machen, sondern darum, tatsächlich einmal zu hinterfragen, welches Lebensmodell für einen persönlich das richtige ist. Möchte ich mein Leben von einem kleinen, schutzbedürftigen Wesen für immer umkrempeln lassen und mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit bis ins Rentenalter und darüber hinaus nie wieder so sorgenfrei wie jetzt sein? Möchte ich für meine Kinder raus aus der Stadt ziehen, in ein Reihenhaus in einem eng bebauten Neubaugebiet, das sich wahrscheinlich im unteren Drittel der Immobilienpreise bewegt und mich trotzdem in lebenslange Schulden stürzt?
Welchen Vorteil hat die Freiheit?
Der Gedanke an all das löst in mir zum jetzigen Zeitpunkt eher Beklemmung und Panik aus. Ich fühle mich noch nicht bereit für diese Schritte, für dieses neue Leben. Aber angesichts der häufig getätigten Aussage aus meinem Umfeld, dass man sich nie ganz bereit dazu fühle, sollten wir uns vielleicht besser die Frage stellen, welchen Vorteil uns die Freiheit im Hier und Jetzt bringt. Welche Alternativen uns das Leben zu bieten hat. Denn es könnte ja sein, dass uns diese viel besser gefallen als das „ganz große Familienglück“.
Ich habe in den ersten Jahren meiner Dreißiger viel über mich selbst gelernt. Vieles, was ich in meinen Zwanzigern, sicherlich auch aufgrund von Beziehungen und viel zu großer Anpassung an eine*n Partner*in, nicht lernen konnte, habe ich erst später herausgefunden. Mit etwas mehr Lebenserfahrung kommt man zum Beispiel dem Wissen darüber näher, wer man eigentlich selbst ist, was man vom Leben erwartet, welche Werte man vertritt. Was inspiriert mich, was geht für mich gar nicht? In den letzten Jahren habe ich schon einige Antworten auf diese und andere Fragen gefunden.
Zeit mit mir und für mich selbst
Eine sehr wichtige Erkenntnis war für mich, dass ich richtig gut alleine, mit mir selbst, sein kann. Lange Zeit dachte ich, dass mich das ins Unglück stürzen würde. THANK GOD, dass ich heute schlauer bin. Im Gegenteil, ich habe es lieben gelernt, Dates mit mir selbst zu haben. Ob ein gutes Buch, Binchwatching auf Netflix – okay, das sollte nicht überhand nehmen, aber hin und wieder ist es einfach zu gut –, in die Natur gehen, meditieren. Zeit mit mir und für mich selbst ist mir heute extrem wichtig und ich bin froh und dankbar, dass ich das über mich selbst lernen durfte. Hätte ich heute Kinder, Haus und Ehemann, würde das vielleicht noch anders aussehen. Denn sind wir mal ehrlich: Wie viel Zeit bleibt einem noch für sich selbst mit Kind und Kegel? Nicht selten höre ich von Müttern, dass sie dankbar für jede fünf Minuten sind, in denen sie sich kurz hinsetzen und einfach mal nichts tun können. Dass sie abends um 20 Uhr vor Erschöpfung gemeinsam mit den Kindern einschlafen. Dass die Energie für einen ehrlichen, wertvollen Austausch mit dem oder der Partner*in oft nicht ausreicht. Mit Sicherheit macht die allseits bekannte „einzigartige Liebe, die man von seinen Kindern zurückbekommt“ vieles wieder gut. Aber sie gibt einem eben auch die Zeit nicht wieder zurück.
Dankbar für meine Möglichkeiten
Schaue ich auf mein aktuelles Leben, bin ich, trotz manchmal emotionaler Unbeständigkeit, dankbar. Dankbar für die Freiheit, die Flexibilität, die Möglichkeiten, die mir das Leben bietet. Möchte ich eventuell noch einmal in eine andere Stadt ziehen? Go for it, Girl. Vielleicht habe ich spontan Lust auf einen Städtetrip. Warum nicht? Ist es an der Zeit für eine berufliche Veränderung? Zum Glück kann ich das für mich allein entscheiden, ohne für die Existenz einer Familie verantwortlich zu sein. Lasst uns die Freiheit zelebrieren, sich nach einem anstrengenden Tag abends einfach auf‘s Sofa legen zu können, morgens auch mal auszuschlafen oder mitten am Tag ein spontanes Workout einzulegen. Die Möglichkeiten sind nahezu unendlich, wenn ich meinen Wünschen und Bedürfnissen die oberste Priorität geben kann. „Ich mach‘ mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Schon Pippi wusste, dass das der Weg zum Glück ist.
Natürlich kann ich auch mit Kindern und Familie Dinge verändern, ein neues Hobby für mich entdecken, umziehen und all das. Aber die Umstände machen es nicht einfacher. Bin ich jetzt egoistisch? Ich denke nicht. Ich bin sogar froh und auch ein bisschen stolz darauf, dass ich mich mittlerweile klarer dieser ganzen Thematik gegenüber positionieren kann. Ob ich Zukunftsängste habe? Klar! Vor allen Dingen der Gedanke, im Alter allein zu sein, macht mir Angst, sehe ich doch an meiner eigenen Familie, wie schön es ist, sich gegenseitig zu haben. Doch das sollte in meinen Augen niemals der Grund dafür sein, eine Familie zu gründen. Außerdem leben wir heute und das Heute ist doch viel zu wertvoll, um es sich mit Sorgen um das Morgen zu verderben.
Was bedeutet Ankommen?
Das bedeutet nicht, dass meine Gefühle und ich nicht manchmal wankelmütig sind oder dass ich es ausschließe, eines Tages Mutter zu werden, zu heiraten und vielleicht auch ein Häuschen auf dem Land zu haben – wohnen im Neubaugebiet und Hecken-Talk mit dem Nachbarn schließe ich trotzdem aus! Und auch das Gefühl, irgendwann irgendwo anzukommen, ist sicherlich schön.
Aber sind wir doch mal ehrlich: Kommen wir überhaupt jemals wirklich an? Egal ob mit oder ohne Familie, ob in einer Partnerschaft oder als Single – das Leben ist doch immer eine Reise auf unbekannten Wegen. Und genau das ist es doch, was sie so aufregend macht. Daher sollte „Ankommen“ vielleicht gar nicht unbedingt das Ziel sein. Viel wichtiger finde ich, das Leben im Hier und Jetzt zu genießen und die Möglichkeiten zu nutzen, die uns gegeben sind. Zum Welt entdecken, für Neuanfänge, Abenteuer oder einfach nur zum Sein.
Eine Antwort zu “Zwischen Freiheit und Familie: meine unabhängigen Dreißiger”
Tolle Worte, stolz kannst du auf dich sein. Wer gut klar kommt mit sich selbst, hat im Leben viel richtig gemacht. Und, wer weiß – vermutlich kommt irgendwann, ganz ohne Erwartung jemand über deinen Weg gelaufen mit dem dann alles passt. Und zum Trost, auch mit Partner und Kinderwunsch am Horizont, kann ich es mir nicht vorstellen meine Freiheit aufzugeben – oder raus zu ziehen. 30 sind die neuen 20! You Go, Girl!