17 Umzüge später: Über das starke Bedürfnis nach regelmäßigen Veränderungen
Die Zahl 17 in direkter Verbindung mit Umzügen scheint schon ziemlich absurd. Höchstwahrscheinlich habe ich sogar ein paar kurze Stationen verdrängt – oder absichtlich ausgelassen. Sagen wir also: Ich bin mindestens 17 Mal in meinem Leben umgezogen. Der letzte Umzug ist gerade einmal fünf Monate her. Und auch wenn mich jeder Wohnungswechsel enorm stresst, ist hier keineswegs Endstation. Klingt verrückt, ist verrückt. Erst vor Kurzem habe ich herausgefunden, was hinter dem maßlosen Drang nach dem Umsiedeln steckt und in welcher Verbindung es zu meinem ausgeprägten Bedürfnis nach Veränderung steht. Und weil ich denke, es könnte einigen Menschen so gehen, möchte ich gerne davon erzählen.
Unzählige Umzüge ohne richtigen Grund
Zuerst muss ich dazu sagen, dass meine Umzüge weder jobbedingt nötig waren, noch in die großen Hauptstädte dieser Welt führten. Ganz im Gegenteil. Der Radius, in dem ich mich seit 30 Jahren, sitzend in unzähligen Umzugswagen, bewege, beläuft sich auf etwa 40 Kilometer. Ich bin sogar zweimal in dieselbe Wohnung gezogen – allerdings war ich damals noch nicht volljährig und somit unschuldig. Die Gründe waren vielfältig: zentraler, ländlicher, doch lieber zentraler, kleiner, größer, hundefreundlicher, schöner, positiver, homeofficiger und so weiter. Dachte ich zumindest.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Ich habe nie ausgerechnet, wie viel Lebenszeit, Geld und Sorgen ich gespart hätte, wenn ich weniger Umzugs-freudig wäre. Ich bin mir aber sicher: Es ist eine große Summe. Zwischen all der unnötigen Ressourcenverschwendung und dem anhaltenden schlechten Gewissen stapelten sich die Umzugskartons immer ziemlich schnell. Sogar als Studentin zog ich oft um. Dabei hatte ich weder Taschengeld noch andere monetär große Sprungmöglichkeiten, sondern lediglich etwas Trinkgeld und den nervigen Willen nach einer neuen Wohnung. Auch durchaus wichtige Gründe für einen Umzug, wie beispielsweise Schimmel im Altbau oder Eigenbedarf spielten eine Rolle. Allerdings nur eine klitzekleine. Was alles nach einem absoluten Luxusproblem klingt (und ist), liegt jedoch tiefer, als ich zunächst glaubte.
Veränderungen = Problemlöser?
Vor Kurzem hatte ich ein Gespräch mit einer Psychologin. Besser gesagt, durfte ich mit reinhören und zwischenzeitlich Fragen stellen. Sie erzählte davon, dass Menschen, die ständig den Drang verspüren umzuziehen, denken, dass sie mit jedem Umzug ihre Probleme hinter sich lassen. Es kann jede noch so kleine, für viele belanglose, Herausforderung sein. In den Köpfen läuft das ungefähr so ab: Problem = ImmobilienScout24 = Umzug = Problem gelöst. Es ist schlicht und einfach das Weglaufen vor Herausforderungen. Ich hätte mir auch einen heldenhaften Grund gewünscht, allerdings beschreibt es das ziemlich präzise, was ich all die Jahre getan habe und hängt – wie so oft – mit vielen weiteren Prägungen aus der Vergangenheit zusammen. Bei mir spielt sicherlich auch eine große Rolle, dass meine Mama, mit der ich aufgewachsen bin, ebenfalls engagiert oft umzieht (Mein Vater hingegen wohnt seit 18 Jahren in derselben Wohnung und ich weiß immer noch nicht, ob ich das bemerkenswert oder verrückt finde).
Die Sucht nach Veränderungen
Ich erfuhr auch, dass es tatsächlich etwas wie die Sucht nach Veränderungen gibt und dass das gar nicht selten vorkommt. Ich habe kurz darauf den treffenden Satz: „Die Sucht nach Veränderung ist eine der wenigen Süchte, die gesellschaftlich sehr anerkannt ist“ gelesen. Das bezieht sich natürlich nicht nur auf Umzüge, sondern zieht sich konsequent durch mehrere Lebensbereiche: der verführerische Sturz in das Unbekannte. Sich jedoch in das Unbekannte stürzen, mit einzig der Absicht, dass alles „besser“ wird, bringt absolut nichts, wenn im Inneren immer noch alles beim Alten ist. Etwas, was ich auch erst nach siebzehn Umzügen begriff: Ich bin mein Zuhause.
Als ich darüber nachdachte, wurde mir schnell klar: Das ständige Streben nach Veränderung bringt Unzufriedenheit mit sich und Unzufriedenheit ist das letzte, was ich in meinem privilegierten und glücklichen Leben empfinden möchte. Daher habe ich stattdessen Platz gemacht, für Achtsamkeit und maximale Dankbarkeit. Zudem möchte ich mich mit Unannehmlichkeiten direkt auseinandersetzen, nicht mehr flüchten.
Schon lange vor dem Gespräch mit der Psychologin, wurde mir immer stärker bewusst, wie kräftezehrend und unnatürlich dieser ständige Drang nach einem neuen Zuhause ist. Jedoch schaffte ihre Erklärung es, mir die Augen vollständig zu öffnen und brachte mich dazu, mich selbst zu reflektieren. Ein wichtiger Schritt für mich. Wenn das Kind beim Namen genannt wird, ist es scheinbar einfacher, sich damit auseinanderzusetzen.
Veränderungen sind heute halt einfach nur eine App entfernt. In viel zu wenigen Klicks ist alles machbar.
Vielleicht erkennt sich der ein oder andere in meinem alten Verhaltensmuster wieder: Dinge, die wir uns vornehmen, von denen wir träumen, setzen wir noch nicht um, weil derzeit die Gegebenheiten einfach nicht passen. Das ist natürlich nur ein sehr komfortabler Vorwand. Wir warten oft auf den perfekten Moment, um etwas zu beginnen oder zu ändern. „Ja, ich würde mich gerne wieder kreativer ausleben, aber dafür muss ich erstmal umziehen und Platz schaffen“, oder auch sehr beliebt: „Ich kann erst wieder zum Sport gehen, wenn ich zentraler wohne“, und so geht es immer weiter.
Auch ich habe meine Umzüge genutzt, um wegzulaufen, und mit dem Neuen, Unbekannten, alles perfekter machen zu wollen. Dass das nicht funktioniert, habe ich immer schnell bemerkt, jedoch später erst begriffen.
Muss man jeden Wunsch nach Veränderung direkt ausleben?
Heute beantworte ich das ganz klar mit einem Nein. Ich finde, es ist auch durchaus angebracht und absolut wichtig, ein paar Tage, Wochen, Monate oder auch Jahre – je nach Ausmaß der Entscheidungsstärke – über Veränderungen nachzudenken, bevor sie angegangen werden. Nicht zerdenken, jedoch überdenken. Will ich die Veränderung wirklich oder möchte ich davonlaufen? Sollte sich der Wunsch nach Veränderung immer noch weiter durchziehen, dann ist er es allemal wert. Veränderungen sind eben was Tolles, ich habe sie nur zu oft übers Bein gebrochen.
Wie reagiert das Umfeld?
Ich wäre gerne immer klammheimlich umgezogen. Jedoch war das nicht möglich. Also gab es zu jedem Umzug ein Goodie in Form von stillem und lautem Feedback: Von meiner Mama gab es immer wieder ein verständnisvolles Nicken, von meinem Papa ein verständnisloses Kopfschütteln, von meinen Freunden ein: „Schon wieder? Ok, wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid!“ (Damit meinten sie Hilfe beim Schleppen, dachte ich zumindest, bis ich den Satz geschrieben habe – war das eine versteckte Botschaft?). Andere wiederum erfuhren erst davon, wenn es schon vollbracht war und sparten sich die Bemerkungen im Nachgang, was ohnehin nichts brachte, denn ich konnte es in ihren Augen lesen. Und wenn doch mal nachgefragt wurde, wieso ich so oft umziehe, hatte ich mir immer schon jede Menge Argumente zurechtgelegt. So, dass es immer wieder Sinn ergab.
Selten zog ich alleine um. Demnach gab es immer wieder Teilnehmer, an dem Umzugsrekord, den ich scheinbar brechen wollte. Den tierischen Mitbewohnern war es immer ganz gleich, wohin die Reise ging. Hauptsache Futter, unbegrenzte Couch–Erlaubnis und eine schnüffelwürdige Wiese in der Nähe. Ein wichtiger menschlicher Mitbewohner, mein Mann, hat das alles auch anstandslos mitgemacht. Mit kleinen Zwischenfragen, aber ohne großes Tamtam. Ich bekam letztens mit, wie er danach gefragt wurde, wie es ist, in fünf Jahren Beziehung schon vier Mal umgezogen zu sein. Er antwortete mit: „Es wird nie langweilig!“. Nun ja, jetzt möchte ich aber so langsam langweilig sein.
(M)ein Zuhause schaffen
Was mich dazu gebracht hat, mich nach Langweile und Ankommen zu sehnen? Wahrscheinlich eine Mischung aus all den Erlebnissen und Gesprächen. Bestimmt werde ich in ein paar Jahren nochmal umziehen. Aber eben erst in ein paar Jahren, wenn es nötig ist, wenn es lang überlegt ist, wenn es sich richtig anfühlt und wenn es an der Zeit ist. Aber ich weiß auch, dass ich jetzt bleiben möchte. Dass ich aus meiner Wohnung ein Zuhause machen möchte. Statt die Wohnung auszutauschen, nehme ich mir Zeit, für all die Dinge, stecke Liebe und Arbeit hinein (hier an dieser Stelle freue ich mich schon sehr auf das DIY von Antonias Couchtisch) und mache es zu dem Ort, der mich widerspiegelt. Ich suche keine Ausreden oder Vorwände mehr und renne nicht mehr davon. Das schenkt mir Ruhe und Geborgenheit und lässt zu, dass ich mich auf die wichtigen und wesentlichen Dinge in meinem Leben konzentrieren kann, während ich meinen Freundinnen einfach mal mit „Nein, es gibt absolut nichts Neues in meinem Leben“ antworten kann.
2 Antworten zu “17 Umzüge später: Über das starke Bedürfnis nach regelmäßigen Veränderungen”
Ganz grosses Kompliment an Desirée für ihre Artikel, die immer sehr zum Nachdenken anregen & sich trotzdem leicht lesen! <3
Dieses Jahr wollte ich umziehen, so richtig klappt es aber nicht, obwohl ich schon insgesamt zwei Mietverträge unterschrieben habe. Bei beiden Wohnungen kam was dazwischen.
Aktuell steht mit viel Glück eine neue Wohnung an und ich plane, da zu bleiben. Durch die ganzen Umstände will ich mich trotzdem mehr mit den Gründen für meinen Umzugswunsch auseinandersetzen. Dieser Artikel hat mir sehr geholfen, damit schon mal zu starten und einen Blick hinter die Fassade zu werfen. Wem es genauso geht wie mir oder der Autorin: mach dich nicht fertig. Du machst es so gut du kannst. Alles Liebe!