Short Cut: Die erste Massage
Ich finde, es macht keinen Unterschied, ob mir jemand die Kniescheibe massiert oder die Brüste (ungewöhnlich, angenehm, außer man macht es falsch). Das denke ich mir während der ersten Massage meines Lebens. Die Masseurin eine Frau, rothaarig, vermutlich Anfang dreißig. Sie massiert meine Waden, Füße, jeden einzelnen Zeh, Oberschenkel, Rücken, Nacken, Hände, Arme, Schulter, Schläfe. Sie drückt ihren Ellbogen an einen Nerv unterhalb meines linken Schulterblattes, und es fühlt sich gut an. Sage ich, dass sich das gut anfühlt? Macht man das bei Massagen oder nur beim Sex? Ich sage nichts und drehe mich um, während sie das Handtuch, das meinen Körper verdeckt, auf ihre Augenhöhe hebt.
Ich erkenne ihr Gesicht nicht, als ich mich auf den Rücken lege. Danach bedeckt sie mein Gesicht mit einem nach Lavendel duftenden Handtuch. Ich höre und sehe sie in der gesamten Stunde nicht. Sie massiert Schienbein und Kniescheibe. Frage: Merkt sie gerade, dass ich an Sex denke? Findet sie den Moment gerade auch unangenehm intim? Haben Männer eine Erektion, wenn sie sich nach der Hälfte der Massage auf den Rücken legen müssen? In diesem Moment sehe ich zur Abwechslung einen Vorteil darin, eine Frau zu sein. Ich glaube, ich belästige gerade sexuell, weil ich darüber nachdenke, ob es einen Unterschied macht, würde meine Masseurin statt meiner Kniescheibe meine Brüste berühren.
Ich versuche mental das Thema zu wechseln und denke an Wäsche. Ich muss Wäsche aufhängen, sobald ich zu Hause bin. Die Waschmaschine ist bestimmt mittlerweile fertig, denke ich. Mehr fällt mir zum Thema Wäsche nicht ein. Wie viel Uhr es wohl gerade ist? Die Massage dauert laut Homepage eine Stunde – das fand ich von Anfang an recht viel. Die Vorstellung, einen kleinen Raum für 60 Minuten mit einer fremden Person zu teilen, fand ich abschreckend. Aber da gab es so ein günstiges Angebot im Internet. Das habe ich nun davon. Ich liege nackt in einem leeren Raum, während eine angezogene Person meine Schienbeine und Schulterblätter berührt. Ich räuspere mich ganz leise, um meiner Masseurin klar zu machen, dass ich noch lebe. Eigentlich sollte ich etwas sagen, wie „etwas fester bitte“, aber dieser Satz kommt mir selbst gedanklich vulgär vor. Vielleicht auch „bitte nicht ganz so fest“, aber das macht es auch nicht besser. Schon oft habe ich Menschen gesehen, die massiert werden – im Fernsehen früher bei Taff oder in Filmen. Ich weiß nur nicht, ob das im echten Leben auch so funktioniert, also räuspere ich. Ähnlich wie beim Tatort: Muss man im echten Leben die verstorbene Person wirklich vor der Autopsie ansehen und identifizieren? Denke ich gerade über tote Menschen in der Autopsie nach, während ich massiert werde?
Meine rothaarige Masseurin unterbricht die Stille und erklärt mir, dass sie nun den Raum verlassen wird, und ob ich etwas trinken möchte. Ich sage „nein, danke“. Das kam selbstbewusst und entspannt. Ich bin stolz. Dann schließt sie die Tür hinter sich und ich liege nackt und alleine in einem leeren Raum. Danke auch, Groupon.
7 Antworten zu “Short Cut: Die erste Massage”
Ein herrlicher Text, Amelie. So ganz entspannt war das ganze dann bei dir auch noch nicht, aber vielleicht braucht es dazu etwas Übung? Ich habe mich in deinen Worten erkannt und fand so eine Massage schon gut, wenn auch extrem ungewohnt.
Wie witzig!!! Wir waren gerade im Urlaub und im Hotel gab es auch Massage Gutscheine. Ich habe lange überlegt, mich dann aber gegen die Massage entschieden, denn ich wusste ganz genau, dass ich nicht entspannt sein werde… Total bescheuert irgendwie, aber ich glaube, ich könnte mich selbst bei einer wildfremden Frau nicht entspannen. Bei einem Masseur natürlich schon dreimal nicht, wenn ich daran denke, werde ich ja schon rot. Jetzt muss abends also weiterhin mein Freund meinen verspannten Nacken durchkneten, der Arme ;)
Liebste Grüße und danke für diesen ehrlichen Text,
Neele
Hahaha <3
Haha, i feel you! Und so schön pointiert geschrieben!
Hihi, schöner Text, liebe Amelie!!
ich kann dich absolut verstehen. beim ersten mal ist es immer komisch :) du kannst ruhig offen sagen, ob du es lieber fester oder schwächer magst!
ich habe lange zeit in China gelebt und dort gibt es etliche studios, die auch 24h geöffnet haben. dieses Angebot habe ich reichlich genutzt und gönne mir mittlerweile auch in Deutschland monatlich eine Massage :)
[…] versuche ich zu entspannen. Eine Stunde nur für mich. Raus aus dem hektischen Alltag, rein in den Massageraum. Hier will ich abschalten und einfach was für mich tun. Selfcare. Weg von der ewig langen […]