Frauen, lasst uns mehr wie Shirin David sein!
Alles, was ich über Shirin David weiß, kann ich in wenigen Sätzen zusammenschreiben. Sie ist Rapperin. Influencerin. Erfolgreiche YouTuberin. Mittlerweile auch TV-Star. Offen für Beauty-Behandlungen, ganz ohne es zu verheimlichen. Feministin und auf keinen Fall auf den Mund gefallen. Vor allem aber Musikerin aus ganzem Herzen. Sie spielt mehrere Instrumente, von Geige und Klavier bis hin zur Oboe. Hat hat Operngesang studiert und jahrelang in der Hamburger Staatsoper gesungen. Eine Randnotiz, die man mit wenigen Klicks erfährt – und ich sogar durch ein paar Artikel und Interviews mit ihr wusste. Ohne, dass ich großer Fan von Shirin David bin. Nur einer, der wusste es nicht. Thomas Gottschalk.
Wusste er es nicht? Hat er schlecht – oder vielleicht gar nicht über seine nächsten Gäst:innen bei der letzten Wetten, dass???-Sendung recherchiert. Oder konnte er es sich nun wahrlich nicht vorstellen, dass eine Influencerin mit hübschem Gesicht, die so ein bisschen rappt, auf seiner Couch sitzt – und gleichzeitig eine klassische Gesangsausbildung sowie Köpfchen hat? Never judge a book by its cover, lieber Tommy!
Was ich weiß: Shirin David ist nicht nur eine herausragende Musikerin und Feministin, sondern vor allem auch: ein Vorbild. Und zwar alle für uns!
Hä, mögt ihr vielleicht sagen – Shirin David, really? Ja, sage ich – und erkläre euch warum!
Es ist kein Geheimnis, dass die meisten von uns ganz unterbewusst nach bestimmten Mustern erzogen werden. Auch wenn sich heute das ganze glücklicherweise langsam auflöst, Mütter wie Väter immer bewusster darauf achten, Mädchen und Jungs gleichermaßen zu erziehen und zu empowern, stecken trotzdem alte Beziehungsmuster und unterbewusst erlernte Mechanismen in uns. Selbst ich, mit mittlerweile Mitte 30, kann sich nicht immer davon freimachen, wie stark ich strukturell geprägt worden bin. Der Unterschied zu früher: Mir fällt es mittlerweile auf.
Und so haben wir alle schon im Kindergarten, von Erzieher:innen, von Eltern und Großeltern, oft gelernt, dass Jungs stark sind, wild sind und vor allem raufen, vielleicht auch eher mal Unfug machen. Mädchen hingegen spielen mit Puppen, werden für ihr hübsches Aussehen gelobt und sollen vor allem eines sein: nett und brav sein. Oh, und bitte lächeln.
Disney, die 90ies-Rom-Coms und selbst Bücher haben uns gelehrt, dass wenn wir nur hübsch genug sind, immer lieb und nett, und auf keinen Fall frech oder laut, dann kommt er, der Prinz, der uns rettet – oder: jemand, der uns liebt.
Natürlich alles überspitzt, aber hey, ich fürchte, keine von uns Frauen kann sich ganz frei machen, schon in Situationen gesteckt zu haben, in denen sie eigentlich schlagfertig antworten wollte, aber aus Harmoniegründen, aus anerzogenen Verhaltensmustern oder aus Perplexheit eines getan hat: gelächelt. Mitgelacht. Oder einfach nichts gesagt.
Ich erinnere mich an Alt-Herren-Witze und misogyne Sprüche in Redaktionen, bei denen ich mit Mitte 20 nur verzerrt lachte. Weil ich nicht wirklich wusste, wie ich darauf reagieren sollte. Es waren meine Chefs, die lachten. Die Frauen bewerteten. Und ich wusste: Richtig ist das nicht. Ihr Verhalten, und mein müdes Lachen.
Heute traue ich mich, Männer zu konfrontieren, ihr Verhalten zu spiegeln und zu sagen, dass man so nicht über oder mit Frauen spricht. Dass ich Mansplaining hasse und alte weiße Männer mit ihren Witzen nicht ernst nehmen kann. Heute bin ich aber auch zehn Jahre älter, selbstbewusster und mir vieler Mechanismen und Strukturen bewusst. Aber: Freund:innen, vor allem unter Männern, mache ich mir damit nicht.
Wie keine einzige Frau, die ich kenne. „Die ist anstrengend“, „Die versteht keinen Spaß“ – oder mein Favorit: „Du bist ja eine Feministin“, das sind die Worte, die man dann gerne mal hören darf. Man ist plötzlich eine anstrengende Frau, die ja wirklich absolut spaßbefreit ist. Eine Feministin, bei der man ja „wirklich GAR NICHTS mehr sagen darf“. Come on!
Ja, Männer, vor allem ältere Herrschaften, sind es nicht gewohnt, dass Frauen immer öfter für sich einstehen. Ihr Verhalten sehen, reflektieren und auch mal zurechtweisen. Das bedeutet aber keinesfalls, dass die Frau etwas falsch macht, sondern dass es eben ungewohnt ist, wenn eine Frau nicht nur nett lächelt und alle Sprüche über sich ergehen lässt, sondern einfach auch das Wort ergreift, eine Meinung hat und diese kundtut. Etwas, was, während ich es aufschreibe, schon fast absurd wirkt, normal sein sollte. Wir wurden nur Jahrhunderte lang anders erzogen. Frauen hatte nichts zu sagen. Jetzt tun sie es. Und das ist gut. Sorry, Männer!
Was mich zu Shirin David und einer ganz neuen Generation führt. Denn Shirin David, die so fabelhaft aussieht, die so klug und eloquent ist, und am Ende auch noch finanziell unabhängig und erfolgreich in der Medien-Branche ist, hat uns allen etwas voraus.
Da sitzt sie Samstagabend auf der Couch von Wetten, dass???, einer Couch, auf der jahrzehntelang erfolgreiche Frauen saßen, und so manchen Alt-Herren-Witz über sich ergehen lassen mussten. Eine Couch, die im deutschen TV so wichtig war, dass sie ganze Karriere zerstören oder zumindest schwierig machen konnte. Wir erinnern uns an Sarah Connors Auftritt mit ihrem Kleid, über das wir heute 20 Jahre später nur noch müde lächeln. Skandale waren andere, den Mund aufgemacht, hat damals niemand. Weil: Diese Couch war wichtig. Ein Millionenpublikum, ein unantastbarer Showmaster – und das Damoklesschwert, das entscheidet über Erfolg oder Misserfolg.
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Und da sitzt sie nun, Shirin David, und wird von Showmaster Thomas Gottschalk gefragt, was sie eigentlich so mache. Wie frech kann man sein? Und dass sie gar nicht wie eine Feministin aussehe? Bevor ich Thomas Gottschalk frage, wie denn seiner Meinung nach eine Feministin auszusehen habe, kontert schon die deutsche Erfolgs-Rapperin und fragt ihn, ob sie denn keine Feministin sein könne, weil sie gut aussehe? Der alte Showmaster gerät ins Schwanken – und Shirin David ergreift das Wort. Belehrt nicht nur den in die Jahre gekommenen Thomas Gottschalk, sondern vor allem auch das Millionenpublikum.
„Als Feministin können wir gut aussehen, klug sein, eloquent und wunderschön. Beides kann nebeneinander existieren, das eine schließt das andere nicht aus.“
Fertig ist Shirin David damit noch lange nicht. Anschließend haut sie ihm noch ihr Wissen, um Komponist Johann Strauß um die Ohren. Mit ruhiger Stimme und einem Lächeln auf dem Gesicht. Quot erat demonstrandum. Oder auch: Mic drop.
Sie lächelt. Sie bleibt ruhig. Aber sie erhebt die Stimme. Für sich. Für Frauen. Zur Prime Time im Fernsehen, vor einem Millionenpublikum. Sie widerspricht der festen Instanz, steht für sich ein und weist den alten, weißen Mann zurecht. Unerwartet, aber mit so viel Wucht.
Es ist ein kleiner Moment in einer Show, die voll von Misogynie, alte weiße Männer-Witze und längst vergangene Zeiten ist. Aber es ist ein so wichtiger Schritt für alle von uns.
Für die Fans von Shirin David. Für Mädchen. Und für Frauen. Shirin David zeigt, dass wir uns nicht alles gefallen lassen müssen. Dass wir selbst in einer TV-Show jemanden zurechtweisen können, wenn er uns bloßstellen will.
Wir müssen nicht immer nett lächeln und höflich sein, nur weil man das von Mädchen und Frauen erwartet. Und wir müssen das auch nicht, selbst wenn einer der größten Showmaster der 90er Jahre vor uns sitzt und ein Millionenpublikum zusieht.
Wir müssen und dürfen für uns einstehen. Wir müssen uns nichts gefallen lassen. Weder Misogynie noch Sprüche noch irgendwas, was Männer in ihrer patriarchalen Welt glauben, sich herausnehmen zu können. Das darf sich ändern – egal, was RomComs, Disney und Co. uns erzählen. Lasst uns mehr wie Shirin David sein!