Selfcare-Fragebogen: Helen vom Diaspora Wellness Club über Community Care und wieso Selbstfürsorge politisch ist
Credit: Ivo Suchomski
Selfcare und Wellness boomen. Egal ob zu Hause, im Internet oder in Workshops, mittlerweile kommt niemand mehr an diesen Themen vorbei. Doch auch bei den Themen Selfcare und Wellness gibt es Unterschiede und vor allem Räume, die nur eine bestimmte Gruppe an Menschen anspricht. Helen, Yogalehrerin aus Berlin, träumt also von einem Ort, „an dem spirituelles Wachstum, mentale Gesundheit, Wellness, Entspannung und Heilung für BIPoC und allen Töchtern & Söhnen der Diaspora normalisiert werden und höchste Priorität genießen“. Willkommen im Diaspora Wellness Club, wo diese Utopie zum Leben erweckt wird, mit einem Angebot, dass sich safespace-mäßig an genau diese Gruppe Menschen richtet. Dafür findet man sie (und ihre Kurse) bei YogaNow und im Lobe Block Berlin sowie unterwegs, auf mehrtägigen Workshops und Retreats für Schwarze FLINTA* – ganz aktuell sogar in Ghana, vom 19.-26. Februar 2023.
Dadurch, dass die Welt, in der wir leben und arbeiten, für Menschen mit Migrationsgeschichte ganz andere Herausforderungen und Stressoren birgt, sollte es als logische Schlussfolgerung auch Räume geben, die im Wellness- und Selfcare-Kontext speziell darauf zugeschnitten sind – so wie den 2021 gegründeten Diaspora Wellness Club. Helen hat eine langjährige Beziehung zu Yoga: Aus einem Hobby, dass sie in Teenagerjahren entdeckt hat, wurde Beruf und Berufung, die sie mit ihrer Ausbildung zur Jivamukti Yoga Trainerin professionalisierte. Seitdem gibt sie Yoga- und Breath-Working-Kurse, betreibt Community-Building und nutzt ihren Space auf Instagram und im echten Leben, um Menschen zu vernetzen sowie BIPoC Akteur:innen der Wellnessszene vorzustellen:
„Es geht viel darum, emphatisch und mit offenen Augen durchs Leben zu gehen, anstatt wie ein Bulldozer alles links und rechts platt zu machen. Beim Yoga habe ich mich zum ersten Mal selbst richtig wahrgenommen. Das hat mich dafür sensibilisiert, grundsätzlich achtsamer durchs Leben zu gehen oder es zumindest immer wieder zu versuchen“.
Helen vom Diaspora Wellness Club spricht mit uns im Selfcare-Fragebogen darüber, wieso Selbstfürsorge politisch ist und die Branche ein Rebranding braucht, was alle mitdenkt – besonders BIPoC und Menschen mit Migrationsgeschichte
Wie kam es zu der Idee des Diaspora Wellness Clubs und wann hast du dich zur Gründung entschieden?
Nach einem längeren Aufenthalt auf den Kanaren brodelte etwas in mir. Heraus kam schließlich die Idee, eine Plattform zu gründen, die sich mit Themen rund um Yoga, Gesundheit und Selfcare explizit für BIPoC auseinandersetzt. Das war im April 2021 und sicherlich auch stark von der zweiten Black Lives Matter Welle nach der Ermordung George Floyds beeinflusst.
Wieso ist es besonders für BIPoC so wichtig, Safe Spaces für Wellness-Routinen zu schaffen?
Mikroagressionen und (Mehrfach-)Diskriminierung gehören für viele BIPoC zum Alltag. Für einige sind Safer Spaces die einzigen Räume, in denen sie endlich mal durchatmen und sich frei fühlen können, da sie keine Blicke, Kommentare oder Anfeindungen zu befürchten haben. Vor allem für Leute, die aus migrantisch geprägten Communitys stammen, kommt noch hinzu, dass Themen rund ums körperliche und mentale Wohlbefinden erst jetzt langsam in ihr Wahrnehmungsfeld treten. Es ist daher super wichtig, dass Vertreter:innen dieser Gemeinschaften Angebote schaffen, die sie abholen.
Empowerment durch Yoga, wie genau kann man sich das vorstellen?
Wir Menschen suchen immer nach Bestätigung im Außen. Sei es über Arbeit, Geld, Sex oder Status. Yoga lehrt uns, dass nichts, was im Außen geschieht, von Dauer ist und daher nicht wirklich dafür taugt, langfristig glücklich und zufrieden zu sein. Die Sache ist, dass die meisten nicht einmal merken, was sie antreibt, weil sie sich selbst nicht richtig wahrnehmen. Yoga und Meditation eignen sich ganz hervorragend dazu, sich selbst mal unter die Lupe zu nehmen und zu reflektieren, warum wir denken und handeln, wie wir es tun. Es geht nicht darum, immer perfekt zu sein, wir bauen alle Scheiße. Die Frage ist nur: Kannst du es ownen? Von diesem Ort der Selbsterkenntnis heraus zu agieren, ist für mich ein wichtiger Aspekt der Selbstermächtigung.
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Wie sieht so ein Workshop aus und was empfiehlst du den Teilnehmer:innen für ihre eigenen Routinen zu Hause?
Da ich in den letzten Monaten unterschiedliche Konzepte ausprobiert habe, lässt sich die Frage nicht einheitlich beantworten. Mal stand Yoga im Vordergrund, das andere Mal ätherische Öle und Hautpflege. Mal hab ich mit Breathworkern kollaboriert, mal Kunst einfließen lassen. Bald gibt es zum Beispiel den ersten „Yoga meets Afro Dance“-Workshop. Was alle Events gemeinsam haben, ist, dass die Community-Erfahrung an erster Stelle steht. Für eigene Routinen zu Hause empfehle ich immer, sie so simpel wie möglich zu gestalten. Lieber jeden Tag dreimal tief durchatmen und einen Sonnengruß machen, anstatt sich zu viel vorzunehmen und es nach der anfänglichen Motivationsphase nie wieder aufzunehmen.
Community-Events und Gruppen-Workshops: Wieso sind gerade solche gemeinsamen Erfahrungen wichtig?
Was Wellness angeht, erleben wir gerade eine Revolution. Selfcare wird ergänzt durch Community Care. Vor allem Covid hat uns nochmal vor Augen geführt, dass wir trotz aller technischen Innovationen immer noch soziale Wesen sind, die ganz doll auf zwischenmenschliche Interaktionen angewiesen sind, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen.
„When I is replaced with We, even illness becomes wellness“ soll Malcolm X gesagt haben. In meiner Lebensrealität zeigt sich, dass da auf jeden Fall was dran ist.
Redefining Wellness: Was wünschst du dir von der bestehenden Wellness-Industrie?
Anstatt zu hoffen, dass sich die Wellness-Industrie zu unseren Gunsten ändert, fokussiere ich mich lieber darauf, selbst Angebote zu entwickeln, die den Bedürfnissen von BIPoC gerecht werden. Dabei ist es mir sehr wichtig, Räume zu schaffen, die offen und einladend sind und in denen ehrlicher menschlicher Kontakt und Authentizität zählen. Ich denke, dass die Wellness-Industrie sowieso nachzieht, weil diese Werte immer wichtiger werden.
Was bedeutet Selbstfürsorge für dich?
Unterm Strich bedeutet es für mich, die Verantwortung für mein Wohlergehen zu übernehmen. Das kann viele Formen annehmen: Nein sagen, absagen, Hilfsangebote annehmen, schlafen, ausgewogen essen, sich ausreichend bewegen, abgammeln, Eis essen, wegfahren, Handy am Abend ausschalten und so weiter.
An dieser Stelle möchte ich aber nicht unerwähnt lassen, dass das Thema Selbstfürsorge auch problematische Dynamiken annehmen kann, wenn zum Beispiel strukturelle Probleme nicht mitbedacht werden.
Da wird schnell das Individuum zur Verantwortung gezogen, wenn wir uns eher fragen sollten, wo wir als Gesellschaft versagt haben, bestimmte Personengruppen ausreichend zu unterstützen.
Menschen, die (unbezahlte) Care-Arbeit verrichten, Alleinerziehenden, älteren Menschen, Geflüchteten oder Personen mit mentalen oder körperlichen Krankheiten fehlen oft die Ressourcen oder richtige Rahmenbedingungen, um Selbstfürsorge betreiben zu können. Daher finde ich es wichtig, nicht so auf dieser Individualitätsebene hängenzubleiben, sondern auch den kollektiven Blick zu schärfen.
Warum ist Selfcare und Selbstfürsorge politisch?
Die Idee, dass Selbstfürsorge ‚ein Akt der politischen Kriegsführung‘ sei, stammt von Audre Lorde, einer Schwarzen Schriftstellerin und Ikone des queer-feministischen Widerstands. Sich in einer Welt, die einem das Menschsein abspricht, trotzdem um sein eigenes Wohlergehen zu kümmern, sei demnach ein Akt des Widerstands. Seit Lordes Tod sind einige Jahrzehnte vergangen und Selfcare ist angesagter denn je. Was einst als gemeinschaftliche Überlebensstrategie gegen Rassismus und Unterdrückung entwickelt wurde, wird heute aber eher mit Luxus und Individualismus assoziiert.
Schuldgefühle beim Abschalten: Wie kann man damit umgehen und was sind deine Tipps, die im Umgang damit helfen können?
Für mich war es ganz wichtig, erstmal herauszufinden, warum ich Schuldgefühle empfinde. Zwei Sachen sind mir dabei besonders aufgefallen. Zum einen kannte ich es von zu Hause nicht, dass sich Erwachsene Zeit für sich selbst nehmen. Meine Eltern habe immer sehr hart gearbeitet, damit es uns Kindern gut ging. Hobbies oder Me-Time waren für sie nicht drin, was sie auch aus ihrer Kultur gar nicht anders kannten. Zum anderen habe realisiert, dass ich meinen Selbstwert sehr stark an meine Produktivität geknüpft hatte. Das Phänomen kennen natürlich viele, aber bei Menschen mit Migrationsgeschichte kann das nochmal auf einer ganz speziellen Ebene mit rein wirken.
Mir hat es sehr geholfen, mich mit anderen darüber auszutauschen. Allein dadurch fällt es mir schon leichter, ohne schlechtes Gewissen abzuschalten. Es ist aber ein Prozess und es gibt immer noch Momente, in denen Schuldgefühle hochkommen. Ich versuche mich dann daran zu erinnern, dass es ganz wichtig ist, dass ich mir selbst die Erlaubnis gebe, Freude zu empfinden und dass es okay ist, das Leben zu genießen, ich es mir nicht erst verdienen muss und auch nicht verwehren sollte, weil es anderswo Menschen gibt, denen es schlechter geht. Das Problem mit Schuldgefühlen ist auch, dass sie einen passiv machen und überhaupt nichts zu irgendeiner Lösung beitragen.
Ich würde allen empfehlen, erst einmal ihre eigenen Akkus aufzuladen und dann von dort aus zu schauen, was sie persönlich tun können, um das Leben anderer zu bereichern.
Was machst du am liebsten, wenn du allein bist und runterkommen willst?
Lesen, Film gucken, einen Nap einlegen, Musik hören, singen, baden (wenn ich eine Wanne zur Verfügung habe), im Bett liegen und aus dem Fenster schauen.
„Ich bin eine große Befürworterin von Naps. Ich kenne nichts simpleres, was so einen astronomisch geilen Effekt hat.“
Welche Dinge helfen dir allgemein dabei, dich geerdeter, ruhiger und geordneter zu fühlen?
Im Spätsommer hatte ich eine Phase, in der ich mehrere Wochen am Stück weder Yoga praktiziert, noch meditiert habe. Was soll ich sagen – ich kann’s nicht empfehlen! Nach der ersten Klasse, die ich anschließend wieder besuchte, dachte ich nur so: „Wasssssssss? So fühl es sich also an?? Wow, ich muss allen davon erzählen!“. Ich habe mich wirklich das erste Mal wieder bei mir gefühlt und mich daran erinnert, warum ich das eigentlich zu meinem Lebensmittelpunkt gemacht habe.
Was sind deine Notfallschritte, wenn du merkst, du hast zu viel Stress und wirst dünnhäutiger?
Wenn ich gestresst bin, löst der Gedanke, neben meinen Verpflichtungen Freizeitpläne zu haben, noch mehr Stress aus. Selbst wenn es sich um tolle Aktivitäten oder Treffen mit guten Freud:innen handelt. Daher: So viel wie möglich absagen. Allein zu wissen, dass ich einen Tag oder mehrere Stunden am Stück absolut nichts zu tun habe und nirgendwo hin muss, reguliert mein Nervensystem schon ein bisschen.
Wie schaffst du es, zu Hause zur Ruhe zu kommen?
Es gibt Dinge, die gesund sind und mir guttun, für die ich aber nicht immer die Disziplin habe, um sie durchzuziehen. Dazu gehören: mich um meine Pflanzen kümmern, Tagebuch schreiben, Yin Yoga praktizieren, Yogi-Tee Kurkuma Chai trinken, für Ordnung und angenehmes Ambiente sorgen mit Kerzen, Räucherstäbchen oder guter Musik, eine Dokumentation oder einen anspruchsvollen Film schauen. Und dann gibt’s noch die Dinge, die nicht so gesund sind, aber die ich mir trotzdem manchmal gönne. Wie zum Beispiel vegane Nuggets mit einer großen Portion Curlyfries zu verspeisen und dabei irgendetwas Seichtes zu Bingen. Oscar Wilde hat gesagt: „Everything in moderation – including moderation“. Immer einen auf healthy zu machen, macht genauso wenig Spaß, wie nur ungesunde Bewältigungsmechanismen zu haben.
Helen’s liebste Selfcare-Podcasts:
Hast du liebste Yoga-Übungen, die dir gut tun?
Am liebsten mag ich Jivamukti Yoga, das ist ein spezieller Stil, in dem ich auch ausgebildet bin. Ansonsten bin ich auch ein ganz großer Yin Yoga Fan. Beim Meditieren halte ich es ganz klassisch, am liebsten einfach im Sitzen, mit geschlossenen Augen und einer ganz simplen Technik.
Gibt es eine Entspannungstechnik, die immer hilft?
Viertaktatmung: Vier Takte einatmen. Vier Takte Atem anhalten. Vier Takte ausatmen. Und dann wieder vier Takte Atem anhalten. Ein paar Minuten lang wiederholen. „The Breathing App“ hat auch eine sehr simple Atemübung für diejenigen, die sich etwas mehr Anleitung wünschen.
Welche Songs geben dir immer ein gutes Gefühl?
Ich habe einen sehr eklektischen Musikgeschmack, daher kommt es immer auf meine jeweilige Tagesform an. Vom deutschen Gangsterrap bis Klassik ist alles mit dabei. Was tatsächlich immer funktioniert, ist RnB der Anfang 2000er, wie Destiny’s Child und dergleichen.
Was hilft dir abends beim ins Bett gehen, richtig gut zu schlafen?
Am liebsten würde ich natürlich sagen, nie das Handy mit ins Bett zu nehmen, aber das wäre von meiner Seite nicht aufrichtig. Mir hilft es auf jeden Fall, nicht zu lange drauf zu starren. Ich habe auch einen Blaulichtfilter eingestellt, der automatisch um 22 Uhr angeht. Frische Bettwäsche und ein aufgeräumter Schlafbereich sind Gamechanger. Dazu abgedunkelte Fenster und gute Nacht.
Was machst du nach dem Aufwachen am liebsten?
Erstmal nachschauen, ob Sonne scheint. Dann kommt es echt auf meine Stimmung an und darauf, wie viel Zeit ich zur Verfügung habe. Die Zeiten, in denen ich einer festen Morgenroutine nachgehe, sind lange vorbei.
Was hilft dir, mehr Achtsamkeit in deinen Alltag zu bringen?
Regelmäßig tief durchzuatmen und dabei aktiv die Muskeln zu entspannen kann wahre Wunder bewirken.
Hast du Lieblingsprodukte für Beauty-Selfcare-Rituale?
Früher war ich total DIY-mäßig unterwegs, heute fehlt mir dazu oft die Muße. Ab und zu probiere ich mal eine Gesichtsmaske aus, ansonsten versuche ich nicht zu abhängig von irgendwelchen Produkten zu sein – außer Sheabutter, die gibt’s bei mir immer. Meine meiste Aufmerksamkeit gilt meinen Haaren. Für die müssen es auch bestimmte Produkte sein, weil die sonst leider einfach ausdünnen und ausfallen.
Was kochst du dir, wenn du dir etwas richtig Gutes tun willst?
Curry, Curry und nochmal Curry. Mal vietnamesisch angehaucht und mal im indischen Stil. Dazu Reis und ich bin happy. Meine Lieblings-Insta-Köchin ist die 16-jährige Maya (@fitgreenmind). Wenn ich richtig motiviert bin, koche ich was von ihr.
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Welche Orte außerhalb deines Zuhauses geben dir das Gefühl, richtig entspannen und auftanken zu können?
Ganz klassisch: das Vabali Spa. Ansonsten Strände, Wälder und Seen.
Und zum Schluss: 5 kleine Dinge, die dir immer guttun
- Veganes Croissant vom Biobäcker mit einem selbstgemachten Cappuccino
- Quality Time mit meinen Freund:innen oder Geschwistern verbringen
- Massiert werden
- Matcha Latte am Morgen
- Flugzeugmodus aktivieren
Bildcredits: Katharina Behling
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