Schulden wir den Menschen, die wir ghosten, eine Erklärung?
Wenn sich die Person, die man gedatet hat, auf einmal nicht mehr meldet, überkommt einen in der Regel kein wohlig-warmes oder blumig-schönes Gefühl. Eher das Gegenteil ist der Fall: Es gibt meist eine ganze Reihe von Sachen, über die man sich aufregen könnte.
Wenn sich in der Vergangenheit jemand klammheimlich aus meinem Leben verabschiedet hat, habe ich normalerweise erst mal angefangen, mich über die nun scheinbar verschwendete Zeit zu beschweren. Darüber, dass ich all die Zeit, die ich in die Dates – ins Fertigmachen, Hinfahren, ins darüber Nachdenken – investierte, schlichtweg aus dem Fenster geschmissen habe. Anstatt hier meine Zeit zu vergeuden, hätte ich sie auch sinnvoller nutzen können, indem ich einfach auf der Couch sitzen geblieben, Pizza gegessen und dabei Seinfeld geschaut hätte. Obwohl die Zeitverschwendung allein also schon Grund genug gewesen wäre, mich aufzuregen, hat mich immer auch etwas anderes zum Kochen gebracht: Jedes Mal, wenn mir klar wurde, dass ich geghostet wurde, musste ich mich fragen: „Wieso hat der Typ eigentlich noch nicht mal den Mut mir zu sagen, dass er mich nicht mag?!“
Wieso hat der Typ eigentlich noch nicht mal den Mut mir zu sagen, dass er mich nicht mag?!
Ich weiß, dass ich mit diesem Gedanken nicht allein bin. Die vielen Gespräche mit meinen Freunden und Freundinnen, die sich um genau dieses Phänomen gedreht haben, kann ich an zwei Händen schon nicht mehr zählen. Mein Postfach ist bis oben hin voll mit Geschichten, die immer mit der gleichen Zeile enden: „Warum sagen die mir nicht, was nicht gestimmt hat?“
Ich verstehe den Impuls, wissen zu wollen, was los war. Wenn ich heute zurückblicke, sehe ich, dass mein Wunsch zu verstehen, wieso meine Dates mich abserviert haben, mehr mit mir als mit ihnen zu tun hatte. Tatsächlich habe ich damals gedacht, dass ich dadurch herausfinden könnte, was mit mir nicht stimmt, und dass ich das Problem dann beheben könnte. Damit es mit der nächsten Person, die in meinem Bumblefeed auftaucht, besser läuft. Wie man sich aber vorstellen kann, waren diese Gespräche nie besonders konstruktiv. Nichtsdestotrotz wollen viele Leute sie mit denjenigen, die sie mal unverbindlich gedatet haben, führen. Die Frage ist nur: Schulden uns die Leute, die wir ein-, zweimal gedatet haben, überhaupt eine Erklärung?
Für die Geghosteten scheint die Antwort klar: Selbstverständlich. Nur sind das oft die gleichen Leute, denen, wenn sie selbst mal eine unverbindliche Sache am Laufen habe, keine Ausrede zu schlecht ist, um sich davor zu drücken, ihren Dates zu sagen was Sache ist. „Also, wir haben uns ja kaum gedatet. Da will sie/er jetzt bestimmt nicht von mir hören, dass ich sie/ihn nicht mehr sehen möchte.“ Nicht besonders überzeugend, oder?
In den meisten Fällen wäre eine kurze Nachricht schön. Einfach, damit man sich nicht fragt, ob der Andere eventuell in der Zwischenzeit gestorben ist und man jetzt eigentlich Blumen schicken müsste.
Bei unserem zweiten Date bin ich mal betrunken mit einem Typen in einer Kellerbar gelandet, und wir haben wild zu Justin Bieber getanzt. Leider fand ich ihn aber nicht besonders attraktiv, und so beschloss ich, ihn nicht weiterzudaten. Er hat mir nach dem Date zwar geschrieben, aber mich nie wieder nach einem Date gefragt. So konnten wir die Sache natürlich auslaufen lassen. Drei Monate später trafen wir uns zufällig auf der Straße. Wir hatten einen kleinen Smalltalk, doch auf einmal fragte er mich: „Wieso hast du mich eigentlich geghostet?“ Ich war total schockiert. Ich hatte gedacht, dass er mich nicht nach einem dritten Date gefragt hatte, hatte bedeutet, dass er genauso wenig daran interessiert gewesen war wie ich. Als ich ihm das erzählte, entgegnete er, dass er mich schon sehr gerne wiedergesehen hätte. Er hatte nur gedacht, wenn ich ihn hätte wiedersehen wollen, hätte ich mich schon gemeldet. Klar, ich hatte seine Nachrichten jetzt nicht komplett ignoriert oder ihn offiziell geghostet, aber ich wusste ja, dass ich nicht an ihm interessiert war. Es hätte mich nicht umgebracht ihm eine kurze Nachricht zu schicken, und zu sagen, dass ich zwar Spaß hatte, aber für uns beide keine Zukunft sehe.
Die Situation ist also komplizierter, als man zunächst annehmen könnte. Wir können nie wissen, was in den Köpfen der Menschen, die wir daten, vor sich geht. Was ich bei dem Typen als Gleichgültigkeit interpretiert hatte, war in Wirklichkeit nur Schüchternheit gewesen. Er hatte auf ein Zeichen von mir gewartet, um mich noch einmal um ein Date zu bitten. Ich hatte seine Nachrichten also komplett falsch verstanden. Mir wurde klar, dass ich, wäre ich an seiner Stelle gewesen, auch eine Entschuldigung von mir erwartet hätte.
Heute versuche ich, mit solchen Situationen anders umzugehen. Ich frage mich, wie ich gerne behandelt werden würde, säße ich am anderen Ende. In den meisten Fällen wäre eine Nachricht schön. Einfach, damit man sich nicht fragt, ob der andere eventuell in der Zwischenzeit gestorben ist und man jetzt eigentlich Blumen schicken müsste. Deswegen sende ich mittlerweile eine personalisierte Version meiner Standardnachricht ab: Hey, es war schön, dass wir uns getroffen haben, und es hat Spaß gemacht dich kennenzulernen. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das mit uns funktioniert. Vielen Dank dir für die Drinks und alles Gute für dich. Das Ganze kostet mich etwa fünf Sekunden meines Lebens und ich tu was für mein Karma. Wenn ich mal wieder in die entgegengesetzte Situation komme, bekomme ich dann ja vielleicht auch eine erklärende Nachricht. Es gibt allerdings auch Ausnahmen: wenn die andere Person einfach ein Arsch war oder ich mich auf welche Art auch immer unsicher mit ihr gefühlt habe, bekommt auch sie die Auswirkungen von Karma zu spüren. Dann sollte sie nämlich auf immer und alle Zeiten geghostet werden.
Ich habe als Single immer dann am meisten gelernt, wenn mir bewusst geworden ist, dass ich mich gerade heuchlerisch verhalte und ich diesen Zustand ändern wollte. Plötzlich habe ich gesehen, dass Beziehungen nichts sind, was mir einfach so passiert. Vielmehr sind sie Partnerschaften, die man mit einem anderen menschlichen Wesen führt, das, genau wie man selbst, auch Gefühle hat. Das verlangt von mir eine aktive, verantwortungsbewusste Teilnahme am Geschehen. Interessanterweise hat das dazu geführt, das ganze Dating-Ding nicht mehr ganz so ernst zu nehmen. Manchmal fühlt man eine Verbindung zu einem anderen Menschen, aber oft eben auch nicht. Das gehört einfach dazu, wenn man auf der Suche nach einem Partner ist. Indem man andere Leute so behandelt, wie man selber behandelt werden möchte, hat man immerhin schon seinen Beitrag dazu geleistet, dass Dating für alle Beteiligten ein bisschen angenehmer wird.