What is love? Die romantische Liebe braucht ein neues Image 

10. Februar 2023 von in

– ein Artikel aus dem amazed-Archiv –

Ich war elf oder zwölf Jahre alt, als ich mich das erste Mal so richtig verliebte. Er war dieser Crush, an den man sich sein Leben lang erinnern kann. Jahrelang war ich damit beschäftigt, ihn zu lieben und zugleich zu hassen. Dieses herzzerreißende Begehren begleitete mich ewig. Wir kamen insgesamt dreimal zusammen, und sein Name füllte die Seiten von insgesamt vier Tagebüchern. Die erste große Liebe nahm irgendwann ein Ende und mit ihr auch die Erkenntnis, dass Liebe allgemein irgendwann zu Ende geht. Und mit dieser Erkenntnis, ob ich überhaupt geliebt hatte und was Liebe sein soll. Bis ins Erwachsenenalter habe ich mich falsch gefühlt, diese Einstellung zu vertreten und meine Frage nie beantworten können. Es gab keine Zeit in meinem Leben, in der ich nicht dachte, dass eine Beziehung irgendwann zu Ende gehen würde. Als fatalistisch wurde ich bezeichnet, als zu romantisch bezeichnete ich sie. Und versteht mich nicht falsch, ich habe kein grundsätzliches Problem mit Romantik. Lange Zeit wusste ich ehrlich gesagt selbst nicht, womit ich überhaupt ein Problem hatte. 

Ich bin schon seit einer Ewigkeit als bi Person geoutet, doch mit der Queerness und dem queeren Leben über meine Sexualität hinaus beschäftige ich mich erst seit ungefähr einem Jahr. Also um genauer zu sein mit der Frage: Wer bin ich als queere Person – unabhängig von Sex und Begehren? Seitdem verstehe ich langsam, woher dieser scheinbar „fatalistische“ Gedanken bezüglich Beziehungen kommt. Oder soll ich lieber sagen: patriarchal geprägten heteronormativen Beziehungen. Nie wollte ich heiraten, da ich nicht daran glaubte, dass ich in einer hetero und monogamen Beziehung für immer und ewig glücklich leben könnte. So eine konventionelle Ehe scheint mir bis heute zu viel verlangt: eine Partner:innenschaft zu führen, in welcher man monogam nur diese eine Person begehren, gleichzeitig die beste Freundin und Lebenspartnerin sowie Mutter eines gemeinsamen Kindes sein soll. Versteht mich nicht falsch: Sicherlich ist das alles in irgendeiner Ehe möglich, jedoch, so glaube ich, in den seltensten Fällen.

 

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Das Konzept der romantischen Liebe, die für immer währen soll, gibt es noch gar nicht so lange.

Durch das verhältnismäßig neu geborene Konzept der heteronormativen Ehe ist eine Co-Abhängigkeit entstanden, die die weiblich gelesene Person für das Zuhause und die männlich gelesene Person der Öffentlichkeit zuschreibt. Jetzt mal ganz einfach formuliert: Die Mutter soll in der Küche stehen und der Vater das Geld reinbringen. Unter der Öffentlichkeit versteht man jedoch nicht nur Job und Geld, sondern auch Politik und Gesellschaft. Also alles, was das soziale Leben außerhalb des privaten Raums definiert. Somit waren Frauen vor 1919 nicht wahlberechtigt, und erst im Jahr 1957 beschloss der Deutsche Bundestag das „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des Bürgerlichen Rechts“, also das Gleichberechtigungsgesetz.

Zuvor durften Frauen nur mit Erlaubnis ihres Ehemanns arbeiten gehen. 

Ja, das ist alles schon ein paar Jährchen her, und das wissen die meisten von euch wahrscheinlich schon. Wenn man aber bedenkt, wie lange die Menschheit schon existiert, sind diese 60 bis 100 Jahre noch nicht so fern. Das Machtgefälle zwischen Ehemann und Ehefrau – also die Tatsache, dass der Ehemann die Ehefrau beherrscht – ist zwar heute in Deutschland offiziell illegal, allerdings durch einen Gesetzesentwurf, der vor rund 60 Jahren entstand, nicht hinfällig. Ohne mich damals tiefergehend mit dem Patriarchat in Bezug auf romantische Liebe und Ehe auseinandergesetzt zu haben, sträubte sich schon damals in mir etwas, was ich nicht deuten konnte. Da ich meine Queerness mittlerweile nicht mehr nur auf Sexualität beziehe, sondern auf meine Weltanschauung, Gender und meine Art zu leben, werden meine scheinbar fatalistische Einstellungen zum Thema Ehe und Liebe viel verständlicher für mich. Kurz: Ich will einfach keine heteronormative Ehe führen, in der ich für immer dieser einen Person versprochen bin und umgekehrt. Ich will alternative Gedanken zu diesem Konzept. Und diese Wege abseits der Norm werden in queeren Kreisen schon seit Ewigkeiten beschritten.

Die US-amerikanische Wissenschaftlerin bell hooks stellt sich in ihrem Werk „Alles über Liebe“ die Frage, was Liebe bedeutet und wie Menschen lernen können, zu lieben.

Wie kann eine lieblose Gesellschaft das Lieben lernen, ohne sich dabei in festgefahrene Muster zu zwängen? Weiter noch definiert sie romantische Liebe mit aktiver Fürsorge, innerer Freiheit und Gemeinschaft. Gleichzeitig distanziert sie sich von den Stereotypen wie Romantik, Sex und Sehnsucht. Also genau die Begriffe, die ich mit meiner ersten großen Liebe in Verbindung bringen würde. „Fürsorgearbeit und Abhängigkeit werden als Liebe missverstanden. Die wahre Liebe müsse ein Handeln sein, das das eigene Recht und das des Anderen auf Freiheit und die bestmögliche Entfaltung seiner Möglichkeiten zum Ziel hat.“, so spricht bell hooks in ihrem Buch.

„Was wir für Liebe halten, hat mehr mit Arbeit und Kontrolle zu tun“, so formulierte es die SZ im Beitrag über bell hooks.

Das Konzept der Ehe verschleiert die so oft entstehende Co-Abhängigkeit zwischen zwei Partner:innen so gut, dass sie gar nicht mehr auffällt. Diese Co-Abhängigkeit kann auch funktionieren, sofern sie von beiden Parteien bewusst gewählt und austariert wurde: „(…) Doch unsere Nation wird nicht nur von der Sehnsucht nach Liebe getrieben, sondern auch von sexuellem Verlangen. Es gibt keinen Aspekt der Sexualität, der nicht untersucht, besprochen oder demonstriert wird. Für jede Dimension der Sexualität gibt es Ratgeber und Kurse, selbst für Masturbation. Schulen der Liebe findet man hingegen keine. Wir gehen alle davon aus, instinktiv zu wissen, wie man liebt. Obwohl so unfassbar viel dagegenspricht, erkennen wir immer noch die Familie als die wichtigste Schule der Liebe an.“, mir gefällt dieses Zitat von hooks aus „Alles über Liebe“ deshalb so gut, weil es Liebe von Sexualität entkoppelt, und sie als eigenständiges Subjekt sieht. Wenn wir Liebe von Sex entkoppeln, dann eröffnet uns das völlig neue Wege. Vor allem aber: Wenn wir aufhören, die Liebe der Familie als unangefochtenes und instinktives Merkmal von Liebe anzusehen, das es nachzueifern gilt.

Mindestens genauso legitim wie das klassische Familienmodell sind die Beziehungskonzepte, die über „Mutter, Vater, Kind“ hinaus gehen, und sich im Sinne von bell hooks einen neuen Weg suchen, zu lieben. Und das, egal wen, wie und wie viele. Die Frage nach der „richtigen Beziehung“ und der wahren Liebe ist am Ende nicht, in welchem Rahmen wir eine Beziehung führen: ob monogam, polygam, gleichgeschlechtlich, mehrgeschlechtlich, heteronormativ oder queer.

Die Frage ist nicht, wen wir lieben. Die Frage ist, wie wir lieben. 

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2 Antworten zu “What is love? Die romantische Liebe braucht ein neues Image ”

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