#representationmatters: So wenig divers sieht die Mode- und Medienlandschaft in Deutschland aus

29. Mai 2019 von in

Dieser Artikel erschien zuerst auf Vogue.de, geschrieben von Dominique Booker

Dominique Booker ist Casting-Direktorin und Fotografin. In ihrem Projekt „Positiv/Negativ“ interviewt sie deutsche Women of Color, um zum Austausch anzuregen und Vorbilder für die nächste Generation zu schaffen. Für uns beschreibt sie, wie sie als Casting Directorin versucht, etwas zu verändern.

Einseitige Vorbilder: Über den Mangel an Diversity

Als ich ein junges Mädchen war, gab es wenig bis gar keine Repräsentation von People of Color* in Deutschland. Die einzigen, die man zu dieser Zeit in den Medien sah, waren Moderator(inn)en in Musikshows, Musiker/-innen, Sportler/-innen oder Schauspieler/-innen, die Rollen besetzten, die mit zahlreichen Stereotypen beladen waren. Leitbilder für Empowering wie die einer Ärztin, Anwältin oder auch einfach nur einer Superheldin oder zuverlässigen Freundin suchte man vergebens. Schwarze Frauen wurden eher als Putzfrauen, Liebhaberinnen oder Prostituierte dargestellt. Das Pendant dazu lieferten Schwarze Männer, die grundsätzlich immer nur die Rolle des Gangsters oder des Problemfalls spielen durften. In Zeitschriften brauchte ich als Teenager jedenfalls nicht damit zu rechnen, ein Gesicht zu entdecken, das meinem ähnelte. Schminktipps für Mädchen mit meinem Hautton oder Frisuren für meinen Haartyp zu finden, waren auch undenkbar. Dass die „coolen Mädchen“ aus den Zeitschriften in Retrospektive gar nicht so cool aussahen, ist wiederum eine andere Geschichte.

Als Woman of Color beeinflusste mich die fehlende Repräsentation von PoC in den deutschen Medien. Dadurch, dass ich während meiner eigenen Entwicklung kaum Vorbilder fand, wurde ich dazu gezwungen, mich mit Menschen zu vergleichen, die nichts mit meinem Spiegelbild oder meiner Geschichte gemeinsam hatten. Das verstärkte nicht selten das Gefühl von „Othering“, also von anderen als fremd und anders klassifiziert zu werden. Das brachte auch einige Unsicherheiten mit sich, welche meine Identitätsfindung betrafen. Selbst wenn ich über die Grenzen Deutschlands hinausschaute, wurde ich nicht immer fündig und mir wurde klar, dass dieses Problem viel größer war, als es mir zuerst erschien.

Wie es das Schicksal so wollte, bin ich beruflich dort gelandet, wo ich diese Sicht ein kleines bisschen beeinflussen kann. Nicht selten habe ich die Möglichkeit, in der Mode-, Musik– und Werbebranche meinen kleinen Beitrag dazu zu leisten, indem ich Models und Darsteller caste. Dabei sehe ich es als meine Aufgabe, eine gewisse Schönheit und Einzigartigkeit zu erkennen und Außergewöhnliches zu beleuchten. Aber auch eine andere Perspektive auf die Welt und auf Deutschland zu vermitteln, indem ich eine größere Repräsentationsfläche für PoC schaffe. Jeder Mensch hat ein anderes, oft erlerntes Empfinden von Schönheit, und ich darf mithilfe dieses Jobs einen winzigen Eindruck von meinem eigenen Mikrokosmos anderen zugänglich machen. So oberflächlich diese Tätigkeit auch erscheinen mag, empfinde ich es als Privileg, einen kleinen Einfluss auf die Medien- und Modebranche zu haben, da jeder Mensch heutzutage irgendwie damit in Kontakt kommt – und das natürlich auch unmittelbar Einfluss auf die Sicht der eigenen Umwelt nimmt. Und sobald man in einem Bereich tätig ist, der eine potenziell große Masse von Menschen beeinflussen könnte, finde ich, sollte man sich seiner Verantwortung bewusst sein und daran arbeiten, eine Verbesserung herbeizuführen.

„Diversity“ ist im Moment ein großes Buzzword. Man liest und sieht es überall, das Thema ist allgegenwärtig. Endlich bekommen Curvy Models eine richtige Bühne und werden offen zelebriert, Frauen mit religiöser Kopfbedeckung dürfen in High-Fashion-Kampagnen oder für große Sportmarken glänzen, eine Unisex-Kollektion nach der anderen wird mit Freude vermarktet, und Paare unterschiedlicher Herkunft stellen Familien in Werbespots dar. Auch wenn dieser Hype tatsächlich schon eine Weile anhält, gibt es da immer noch diesen negativen Beigeschmack, dass Trends kommen und gehen und die kurze Bewegung nach vorne möglicherweise wieder zum Stillstand kommen könnte. In diesem Falle wäre es nicht nur schade, sondern würde erneut auf dem Rücken von Minderheiten oder Menschen, die nicht dem längst überholten Ideal entsprechen, ausgetragen werden. Natürlich ist es gut, dass sich dort endlich ein Fortschritt zu verzeichnen scheint – aber dass man im Jahre 2019 applaudiert, wenn Vielfältigkeit oder Individualität unterstützt wird, stellt sowieso schon eine Absurdität an sich dar! Warum? Weil Diversität kein Trend ist, sondern Normalität, denn so sieht die Welt nun mal aus – die Realität, in der wir leben.

Doch diese Realität wird von Kunden oft durch andere Augen gesehen. Leider ist es immer noch alltäglich, dass man als mutig gilt, wenn man über den Tellerrand schaut und gegen den Strom schwimmt, indem man sich von Stereotypen und unrealistischen Weltbildern löst. Denn es ist ja viel einfacher, erneut das weiße Mädchen zu casten, weil „das verkauft sich eben besser“ – zumindest für die privilegierte Mehrheitsgesellschaft, in der wir uns befinden.

„Unsere Welt schreit nach Diversity & Inclusion, aber was nicht beachtet wird ist, dass die Rollen, die viele Talente in den Jobs bekommen, immer die gleichen sind. Oft werden PoC in die gleichen Rollen gesteckt. Streetstyle = Black with Braids, immer cool und lässig – oder die schöne Exotin im Bikini am Strand… Wir, die in dieser Gesellschaft leben, haben auch andere Rollen, und es ist wichtig, dass diese auch gezeigt werden.“, Roxane Dia, Casting Director

Bei der Suche nach PoC in deutschen Modelagenturen ist die Auswahl leider immer noch begrenzt, was die kulturelle Vielfältigkeit betrifft. Natürlich hat das vor zehn Jahren noch ganz anders ausgesehen, aber da ist noch Luft nach oben. Wenn man speziell nach „Werbegesichtern“ sucht, dann findet man dort noch die größte Auswahl – je europäischer die Gesichtszüge, desto besser natürlich! Für die klassische Schwarze Schönheit mit großem Afro findet man beispielsweise immer einen Platz, sei es für Dessouswerbung oder den Werbespot, in dem eine Frohnatur mit riesigem Lächeln gezeigt werden soll. Mir stellen sich jedoch immer wieder Fragen wie: „Warum wird diese Rolle nicht durch eine Frau mit indischer oder türkischer Herkunft besetzt? Warum hat niemand daran gedacht, eine Asiatin für diese Werbung zu casten?“ Es ist ermüdend, immer wieder die gleichen Stereotype zu sehen und klar zu erkennen, in welche wiederkehrenden Schubladen einzelne Herkunftsgruppen gesteckt werden und dass sich einfach nichts zu ändern scheint.

Nicht selten kommt es vor, dass es von Kundenseite eine prozentuale Angabe gibt, welche vorgibt, wie viele Models, mit verschiedener ethnischer Herkunft, „gebraucht“ werden. Im Vergleich zu weißen Models ist die Anzahl der PoC meistens die geringere. Gerne werden dann asiatische oder Schwarze Models gecastet und jeglichen anderen Weltbürgern wird die Sichtbarkeit verwehrt, denn mit zwei offensichtlich anderen Herkünften hat man die Quote und das Soll ja bereits erfüllt.

Leider ist es so, dass viele Kunden noch zu sehr in Marktanteilen denken. Das bedeutet, dass z.B. nur 15 Prozent ihrer Käufer einen asiatischen Hintergrund haben und dementsprechend das Casting angepasst wird. Das ist nicht mehr zeitgemäß, besonders heutzutage, wo sich so viele Ethnien „vermischen“. Man kann keine klaren Trennungen mehr machen, deswegen muss endlich über den Tellerrand geschaut werden und daran gearbeitet werden, seine Repräsentation nicht an Zahlen auszurichten.“, Affa Osman, Casting Director

Wenn ich nach Models suche, die für Editorials einsetzbar sind, wird es noch enger. Oft führt das dazu, dass ich immer wieder mit den gleichen Models arbeite und vielen anderen der Weg nicht geöffnet werden kann. Natürlich freue ich mich, wenn ich bekannte Gesichter immer wieder empfehlen kann und sie wachsen sehe, aber es gibt noch so viel zu tun und ich möchte so viele Talente einbeziehen, wie es mir nur möglich ist. Bei Gesprächen mit Models, speziell Women of Color, hörte ich bis vor nicht allzu langer Zeit auch wiederholt, dass ihnen empfohlen wurde, sich beispielsweise Agenturen in London zu suchen, da dort ein größeres Angebot an Jobs für sie sei. Warum suchen wir also in anderen Ländern? Das ist schnell zu beantworten: Da viele Agenturen international schon einige Schritte weiter sind und dadurch ein weitaus größeres Angebot an Diversität geboten wird.

Deutschland hat noch einiges an Arbeit vor sich, wenn es um die Repräsentation von kultureller Diversität in Mode, Film und Werbung geht. Gleichzeitig darf aber auch der Fortschritt nicht ignoriert werden, der bis zum heutigen Tage stattgefunden hat. Doch wenn es um Bewegung geht, kann es in meinen Augen nie schnell genug gehen, und wir sollten uns nicht mit dem bisherigen Status zufriedengeben, sondern vehement weiter daran arbeiten, eine Veränderung vom Trend hin zur Normalität zu bewirken – damit die nächsten Generationen nicht auch nonstop dazu gezwungen werden, Ausschau über die Grenzen der eigenen Heimat halten, wenn diese Gesichter doch auch in der eigenen Nachbarschaft zu finden sind.

„Ich erinnere mich an einen Moment, als meine Cousine elf Jahre alt war. Wir haben bei meiner Tante Magazine durchgeblättert und sie hat bei jeder Werbung immer gesagt: ‘Guck mal, wie hübsch diese Frau ist! Sie sind alle so schön, und ich bin so hässlich!’ Die Frauen, die ihr gefielen, waren Frauen, die nicht aussahen wie sie – sie waren weiß und hatten langes, glattes Haar. Ich sagte ihr: ‘Du kannst dich doch nicht mit solchen Frauen vergleichen, ihr habt doch gar nichts gemeinsam!’ Das Ganze machte mich wütend und traurig, gleichzeitig habe ich mitgefühlt, weil ich in dem Alter nichts anderes gemacht habe. Das war der Moment, in dem mir klar geworden ist, dass ich in meinem Beruf, in der Modebranche, wirklich etwas verändern möchte. Ich möchte, dass meine Cousine, wenn sie irgendwann mal so alt ist wie ich, in Zeitschriften schaut und Frauen entdeckt, die so aussehen wie sie selbst, damit sie endlich das Gefühl bekommt, dass auch sie irgendwie dazugehört.“ Joanna Legid, Fotografin

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2 Antworten zu “#representationmatters: So wenig divers sieht die Mode- und Medienlandschaft in Deutschland aus”

  1. so, so wichtig!! vielen dank fürs teilen! ich schauspiele und bin halbtürkin und bin immer viel entsetzter vom unterschwelligen rassismus, dem ich bei castings etc. begegne, von menschen und (kultur-)institutionen, die ja eigentlich nicht rassistisch sind, sich selber so auch nicht wahrnehmen, als von offensiven und offensichtlichen anfeindungen von menschen, die man einfach als „doof“ abtun kann.
    da wird in der spielzeit am stadttheater schön regelmäßig ein stück nach dem anderen zu themen wie flucht, heimat, nsu weginszeniert, aber menschen mit migrationshintergrund oder POC möchte man dann trotzdem nicht im ensemble haben. caster und regie posten instapics darüber, wie schlimm ausländerfeindlichkeiten sind, casten dann aber nur biodeutsche für den nächsten tatort und schauspielschulen demonstrieren gegen fremdenfeindlichkeiten, haben aber jahrgänge an kunstunis, die aussehen wie der traum jedes zweifelhaften sächsischen politikers.

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