Regretting Motherhood: Drei Frauen erzählen von der Schattenseite der Mutterschaft
Ein Kind auf die Welt zu bringen ist eines der einschneidendsten Erlebnisse überhaupt. Kein Wunder dass wir in unserem Alter immer häufiger mit der Kinderfrage konfrontiert werden. Ich komme in meinem ersten Jahr der Dreißiger immer häufiger mit dem Thema in Berührung, das noch vor wenigen Jahren ganz weit weg schien. Gute Freund*innen von mir werden Eltern, plötzlich springen auf Geburtstagen Kinder herum und es schlafen Babys im Nebenzimmer. Und ganz ab und zu klingelt die Frage in meinem Kopf: Will ich auch irgendwann einen kleinen Wurm in meinem Leben haben? Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung. Ich liebe Kinder, doch Elternschaft ist für mich nichts, was ich mir sehnlichst wünsche. Gleichzeitig ist es etwas, was ich vielleicht irgendwann erleben will.
Doch ist es soweit, verändert sich das Leben schlagartig. Plötzlich ist da ein Lebewesen, das voll und ganz auf seine Eltern angewiesen ist. Das kostet Zeit und Energie und gerade in den ersten Jahren erleben viele Eltern einen so einschneidenden Shift ihrer Lebensrealität, der nicht immer nur schön ist. Er kann zehrend sein und das Gefühl der Verzweiflung in manchen Momenten so einnehmend, sodass es alles andere überschattet. Regretting Motherhood ist daher eine Bewegung, die vor einigen Jahren in den Umlauf kam. Unter diesem Hashtag erzählen Mütter von den Schattenseiten der Mutterschaft. Einer Seite, von der man ungerne spricht. Da man sich schuldig fühlt und die Angst davor, als schlechte Mutter abgestempelt zu werden, zu groß ist. Dabei ist dieses Gefühl ein sehr natürliches. Es ist nicht alles immer rosarot. Mutterschaft ist anstrengend, zehrend und manchmal erdrückt die Rolle die eigene Identität. Deshalb wollen wir heute einen Raum schaffen für die Personen, die Schwierigkeiten damit haben, Mutter zu sein. Und die offen darüber sprechen wollen.
Regretting Motherhood: Drei Frauen erzählen von der Schattenseite der Mutterschaft
Verena
Als der positive Schwangerschaftstest da war, bin ich aus allen Wolken gefallen. Nicht, weil das Kind nicht geplant war, sondern weil es auf einmal wirklich real wurde. Nicht mehr den Wein auf dem Balkon genießen und eine Zigarette dazu rauchen. Ich hab damit gehadert, dass sich vor allem mein Leben ändern musste – und nicht das des Vaters. Corona machte das natürlich etwas leichter. 2020 schwanger zu sein war, was Partys und gesellige Abende anging, die beste Zeit dazu. Trotzdem war erst einmal alles anders. Mir blieb gefühlt nur noch essen als Genuss, und dann kam auch noch im dritten Trimeon eine Schwangerschaftsdiabetes hinzu. Essen war also auch gestrichen. Schon eine Scheibe Brot hat den erlaubten Wert gesprengt, es gab also nur noch Quark und ab und zu selbst gebackenes „Brot“ zum Frühstück. Jeden einzelnen Tag, bis zur Geburt, sprich drei Monate lang. Dann war es endlich so weit und nach 27 Stunden in den Wehen – ich wollte den Kleinen so gerne natürlich auf die Welt bringen – hat sich der Faulpelz einfach nicht durchs Becken gedreht und es musste doch ein Kaiserschnitt ran.
Im Wochenbett fühlte ich mich von der Schwiegerfamilie wahnsinnig unter Druck gesetzt. Sie fragte, warum sie den Kleinen nicht sehen dürften, denn andere Frauen hätten auch schon Kaiserschnitte gehabt. Der Spruch kam an dem Tag, an dem wir aus dem Krankenhaus entlassen worden waren. Letztendlich waren sie nach sieben Tagen das erste mal da. Wir waren also gerade mal vier Tage zuhause und kamen so langsam an. Besagte Schwiegermutter hat ihren Enkel, obwohl sie in der gleichen Stadt keine drei km entfernt wohnt, in einem Jahr nicht mal 15 mal gesehen, geschweige denn ihre Hilfe angeboten. Und das als Rentnerin mit genügend Ressourcen. Davon bin ich am meisten enttäuscht. 100 Bilder machen, wenn sie ihn sieht, um diese stolz ihren Freundinnen zu zeigen, aber mal ihre Hilfe anbieten? Oder nachfragen, ob sie ihn sehen kann? Nichts.
Ich bereue das Muttersein nicht – aber ich fühle mich trotz eines soliden Netzwerks aus anderen Müttern, das ich mir über die Monate aufgebaut habe, oft alleine gelassen.
Von der Schwiegerfamilie sowieso, aber auch häufig berufsbedingt von meinem Mann. Als selbstständiger Geschäftsführer hat er natürlich einen hohen Workload und wenn Not am Mann ist nimmt er sich auch frei. Aber am Ende kann er jeden Tag die Me-Time zum Sport machen haben, dann 8 – 12 Stunden arbeiten und den Abend auf der Couch beenden. Bis zu dem Zeitpunkt habe ich mich von 7 bis 19 Uhr (plus das nächtliche Stillen) ununterbrochen um unseren Sohn gekümmert. Ohne zwei Stunden Me Time, die ich am liebsten mit Schlafen verbringen würde. Und all das ab sofort ohne einen Cent Geld, da das Jahr bezahlte Elternzeit seit Mai rum ist. Aber wir sind gerade erst mit der Kita-Eingewöhnung gestartet, dann kommen bald drei Wochen Schließzeiten hinzu und schwups haben wir August. Ich bin gespannt, wie es läuft, sobald ich meinen Job wieder antrete.
Am Ende des Tages ist die Schwangerschaft und die Mutterrolle für die Frau – egal, wie emanzipiert jemand ist – einschneidend und auch einschränkend.
Es macht ganz viel mit einem. Es gibt so viel Positives und ich bin jeden Tag stolz auf den kleinen Menschen, den ich hier überwiegend alleine versuche so gut es geht groß zu ziehen. Aber es schlaucht auch ungemein. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie Mütter das sogar alleinerziehend hinbekommen, denn so wenig mein Mann auch da sein kann, wenn er da ist versucht er immer so viel wie möglich abzunehmen. Sowieso Respekt an jede Mutter (und jeden Vater aber sein wir ehrlich, das ist immer noch eine Seltenheit), die tagtäglich diesen 24 Stunden Job bewältigt.
Katja
Ich bin keine leibliche Mutter, oder sagen wir: Noch nicht. Aber ich wurde vor zwei Jahren sozusagen Bonus-Mama eines 7-jährigen Jungen. Den ich mittlerweile liebe wie mein eigenes Kind. Oftmals wird mir gesagt, dass ich ja keine „richtige“ Mama bin und eine Zeit lang habe ich das auch geglaubt. Ich habe mir selbst die Gefühle, die mit der ganzen Sache zusammenhängen, nicht erlaubt. Die Gefühle des Erschöpft-seins, manches Mal Eifersucht am Anfang, weil ich die Einheit zwischen meinem Mann und seinem Sohn gesehen habe und das Gefühl hatte, nicht dazuzugehören.
Unser Sohn lebt eine Woche bei uns und eine Woche bei seiner leiblichen Mama. Insofern hatten mein Mann und ich eigentlich keine wirkliche „Zeit“, die man sonst so als „freier“ Mensch hat, sich kennenzulernen. Das zweite gemeinsame Wochenende war schon mit Sohn und das war ein ganz schöner Überfall für mich und einfach völlig neu. Angst, etwas falsches zu machen und diese riesige Verantwortung für ein Kind, das so schon in schwierigen Umständen lebt und mit seinen Gefühlen sicherlich oft durcheinander ist, auf dem Lebensweg zu begleiten.
Wir hatten Glück, denn wir mochten uns von Anfang an und sind in Windeseile zusammengewachsen. Das hat aber auch viel Stress und viele Diskussionen zwischen mir und meinem Mann hervorgerufen. Ich habe ihn gebeten, einen aktiven Beitrag zu leisten, er war das Bindeglied. Nachdem das besser funktionierte, haben wir immens schnell zusammengefunden. Und nun – da ist unser Kleiner ständig bei mir, wir bringen ihn gemeinsam ins Bett, ich tröste ihn, wenn es ihm schlecht geht, spiele mit ihm. Ich trage die ganze Care-Arbeit – inkl. der für meine gesamte Familie, oft für Freunde und die Schwiegereltern auch, die mit bei uns auf dem Hof wohnen. Wir mussten – um unserem Kleinen eine Stabilität zu geben – auch schnell zusammenwachsen und der zweite Urlaub war schon ein Familienurlaub. Eine völlig andere Planung mit Kind.
Mein Leben hat sich sehr verändert – von frei und der absoluten Entscheidungsautonomie zu Kind-first. Obwohl ich den Kleinen unendlich liebe und mir die Mutter-Rolle – wenn man das so möchte – liegt und ich es schön finde, so bin ich manchmal wirklich enorm erschöpft. Nicht unbedingt vom Muttersein, aber damit trage ich auch die ganzen Probleme mit der leiblichen Mutter, die das scheußlich findet, dass wir uns alle so gut verstehen, die mich anzeigt wegen Belästigung und Nötigung, weil sie nicht möchte, dass wir hier alle gemeinsam in einem Bett schlafen, wenn der Kleine wieder wechseln muss und sich in den Schlaf weint, und so weiter. Eigentlich dreht sich alles um den Kleinen oder die Expartnerin.
Die Care-Arbeit ist ein riesiger Rucksack, den ich mittlerweile gut schleppen kann, bei dem mir aber hin und wieder unter dem Gewicht die Beine weg knicken.
Alle sagen: Oh wie schön, was ihr für ein Glück habt, dass ihr so eine harmonische Familie geworden seid, dass ihr euch gut versteht und dass ihr euch so lieb habt. Und das freut mich auch. Aber das ist nicht so gekommen, weil die Entlein das wollten. Das kam so, weil ich dafür sehr viel geopfert habe, weil ich mein Leben aufgegeben habe und es hier kein „aufeinander zu kommen“ gab, wie vielleicht in anderen Beziehungen. Weil ich mich integriert und dann mitgestaltet habe.
Das ist ein Kraftakt und das ist vor allem ein Akt größter Liebe und die Umwelt sieht das nicht mal. Die sagen dann am Ende: Du bist ja nicht mal eine richtige Mutter. Und das schmerzt.
Außerdem ist es auch heftig, wenn man nicht mit dem Großwerden des Kindes als Elternteil mitwachsen kann, sondern einfach auf einmal da ein Kind hat, das einfach von anderen Menschen geprägt ist und wird. Und das ist auch noch mal eine andere Hausnummer, wie ich mal sagen muss. Es fällt mir zum Glück leicht und ich bin froh, dass der Kleine so viel Vertrauen zu mir hat und dafür bin ich jeden Tag dankbar. Aber es gibt auch Momente, da würde ich vor Frust am liebsten weinen, wenn er alles vergessen hat, was wir ihm beibringen, wenn er nach einer Woche bei seiner Mama wieder hier ist. Das ist manchmal alles gar nicht so einfach, in so einem Konstrukt zu leben. Und dann wünscht man sich manchmal, einfach mehr gesehen zu werden.
Marion
Ich hatte keine schöne Schwangerschaft, musste ab Woche 28 liegen, war häufig im Krankenhaus, mein Sohn kam vier Wochen zu früh, ich musste zwei Wochen im Krankenhaus bleiben, ich hatte ständig erhöhte Entzündungswerte und dazu hat mich der Vater verlassen als mein Sohn 4,5 Monate war. Mittlerweile ist er 2,5 und ein Goldschatz. Und obwohl ich auch wieder einen Partner habe, ist es oft einfach furchtbar anstrengend und das ist die Realität. Viele schöne Momente die man geschenkt bekommt, aber auch viele Falten die man dazu bekommt.
Als Mutter bin ich oft so körperlich erschöpft, dass ich nicht mehr kann.
Schwierige Nächte, die einem schlaflose Nächte verpassen und einem diese heftige Verantwortung bewusste machen. Einen Job machst du 9-5. Für ein Kind bist du 24/7 verantwortlich. Besonders zehrend sind die Momente, in denen vom Kind nichts zurück kommt. Manchmal wird man einfach nur angemault und bekommt alles ab, als Mutter und nahestehendste Person sowieso. Aber in diesen Momenten immer „drüber“ zu stehen und sich zu sagen „er ist ein Kind“, fällt schwer.
Manchmal möchte ich auch einfach ein frustriertes trauriges Kind sein und nicht die starke Mama.
Außerdem vermisse ich freie Wochenenden und Couch-Sonntage von früh bis spät, an denen man nicht schon wieder an später denkt. Der mental load ist heftig und eigentlich kann man nie entspannen. Denn wenn man mal zwei freie Stunden hat, überlegt man natürlich, wie man diese am besten sinnvoll nutzt. Es ist dann schwer, eine Balance zwischen entspannen und etwas als Frau und nicht als Mutter zu erleben.