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Put a bow on it: Von Schleifen-Obsessionen, Märchen-Analogien und die Sehnsucht nach Romantik
Romance is not dead! Denke ich mir aktuell immer häufiger, während ich die gefühlt millionste Person in meinem TikTok und Instagram-Feed mit Bows (everywhere), Rüschen-Details, Spitzen-Strumpfhosen und Bridgerton-Korsage sehe. Gähn, könnte man bei der romantischen Überstimulation meinen. Und trotzdem will ich mehr davon. Mehr Barbiecore. Mehr softe Pinktöne, Cinderellablau, Tüll, Rüschen, Blumenprints und Schleifen. Schleifen, Schleifen, Schleifen. Eben ganz viel romantische Mode. Denn irgendwie gibt mir der Kitsch einen Kick, Lust darauf, auch wieder mehr verspielte Mode zu tragen: cute Kombis, Pastellfarben oder Baby-Doll-Kleidchen – ohne das Gefühl zu haben, „zu süß“, „niedlich“ oder „kindlich“ zu wirken.
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Gib mir die volle Ladung Romantik!
Das Glück scheint hier auf meiner Seite zu sein, denn die Mode ist obsessed mit Romantik! Und das nicht nur im TikTok-Kosmos. Auch auf den Runways sieht man immer mehr Designs, die allesamt nur unter dem Einfluss der rosaroten Brille entstanden sein können. Bei Molly Goddard, Susan Fang, Cecilie Bahnsen und Co. begleitet uns die Romantisierung der Mode schon eine ganze Weile. Erreichte mit dem Bow-Trend Ende des Jahres einen Peak, der das ganze Internet verrückt werden ließ. Denn nichts ist einfacher im DIY, als mit einer Bordüre der Wahl ein, zwei Schlaufen zu legen. Kinderleicht und effektiv verleiht man jedem noch so edgy oder lässigen Look ein süßes Detail. Quasi die Kirsche (oder in dem Fall Schleife) auf der Torte. Klar, dass sich da alle *Girlies* abgeholt fühlen.
Die romantische Mode: Glitter, Gloss, Girly-Glam und mehr
Romancecore, ein Roman Empire!
Doch genau da setzen die Trends mit den Namen Romancecore, Dark Romance, Historical Romace oder Coquette an. Sie rücken girly-sein und Princess-Feelings in den Mittelpunkt – ganz schambefreit. Denn auch wenn vor allem Farbtöne wie Pink, Flieder oder Rot immer mit dem Label „mädchenhaft“ und „kindlich“ stigmatisiert werden, liegt ihr Ursprung eigentlich im Royalen und waren das Sinnbild von männlicher (gottgegebene) Dominanz. Lustig also, dass diese Farbwelten an einem bestimmten Punkt ein Rebranding erfahren haben und mit ihm eine vermeintliche Abwertung. Das wird wiederum als humoristische Anekdote und Klischeebild in der Popkultur verwendet und karikaturisiert. Bekannte Referenzen sind Filme wie „Natürlich Blond“, der Paris Hilton-Hype mit „The Simple Life“ oder ganz aktuell: Greta Gerwigs „Barbie“. Alle drei nutzen das Vorurteil um die Farbe und die durch sie verkörperten Eigenschaften. Stellen sie vielmehr als Stärke heraus. Und drehen den Spieß um, wenn die Protagonisten aufgrund dessen unterschätzt werden. Die Message: girly or nah – am Ende entscheiden wir selbst, was wir daraus machen.
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Softness-Stimulation zum Anziehen
Bei diesem Gedankengang setzt auch die Mode an und nutzt die romantischen Einflüsse für eine subtile Wellbeing-Bewegung. Denn zwischen den ganzen schlechten Nachrichten und Krisen des Weltgeschehens bietet die romantische Mode als Fashion-Oase Erholung für die Sinne. Ein Mittel gegen Reizüberflutung. Hier werden wir noch stilecht in Zuckerguss getunkt, betüdelt, gepolstert und in drapierte Lagen gehüllt, die uns wiederum mit Schleifen um den Finger wickeln und alles Drumherum für einen Augenblick dämpfen. Es ist eine Einladung, die uns zugesteht: Relax Yourself. Daran erinnert, den Ernst mal beiseite zu legen und uns im Kitsch, dem Simpen, der Fantasie und Märchen zu verlieren. Das alles auch für To-Go, eben zum Anziehen. Denn Kleidung ist und bleibt auch immer ein Panzer, der uns von der Welt abschirmt und uns als Pufferzone im Alltag begleitet. Eigenschaften, die die Mode schon immer zu einem kreativen Zufluchtsort machen. Dem grenzenlosesten Platz für Selbstausdruck für alle, die sich sonst wie Aschenputtel fühlen. Und viele Designer:innen-Erfolgsgeschichten gleichen nicht umsonst einem klassischen Märchen, an dessen Ende sich immer alles fügt.
Es war einmal: Mausipop, Anti-Märchenwelt-Songs und pinke Fußballtrikots
Doch es geht noch viel weiter: In anderen Disziplinen und Bereichen sieht man die Sehnsucht nach dem „happily ever after“ und Luftschlössern ebenfalls. Mit Hypes um Serien wie „Bridgerton“, Real-Life-Märchenverfilmungen wie „Ariel“ oder der selbstbestimmten Rolle von Elodie (gespielt von Millie Bobby Brown) im dystopischen Fairytale „Damsel“. Auch musikalisch sind Märchen-Analogien beliebt. Werden unter anderem von Newcomerin Paula Hartmann als Metapher genutzt, um auf gesellschaftlich relevante Themen aufmerksam zu machen. Euphemistisch verpackt in ein an Retro-Kassetten erinnerndes Artwork („Nie verliebt“-Album), entführt sie uns in dystopische (Grimm-)Anti-Märchenwelten. Wir Großstadtprinzessinnen und jede fremde Person der Wolf. Sehr viel rosiger geht es beim sogenannten Mausipop zu, der auf TikTok durch die Decke ging. Charakteristisch von einer überpitchten (beinahe quietschend babyhaften) weiblichen Stimme getragen wird, untermalt von schnellen Synthesizern. Wie in „Baby Blizzard“. Ein ziemlich süßer Spitzname für Hyperpop mit 2000er-Anleihen. Damals war die Welt und ihre Looks Glossy, voll highlightet und ikonischen Girl-Icons, die genau das aktuell romantisierte Ideal von „Girlhood“ zelebriert haben – shameless.
Die romantische Mode ist ein Softness Sanctuary
Die Sehnsucht nach Softness ist kaum zu übersehen. Warum schwingt also immer noch so viel Klischee und Vorurteil mit? Der beste Beweis dafür, wie stark Mode und das, was wir tragen, mit gesellschaftlichem Geschehen verknüpft ist, wird ganz aktuell in der Debatte um das Pink-/Lilafarbene EM-Trikot der Männer-Fußballmannschaft sichtbar. Für viele skandalös. Für andere eine Emanzipation der Farben, die trotz ihrer universellen Einsetzbarkeit immer wieder die Gemüter spalten. Doch davon wollen wir uns hier klar distanzieren, mit der Feststellung: romantische Mode ist für alle da, in all ihren Farben und Formen.
Denn im Grunde brechen Kitsch und Klischee, Schleifen, Spitze, Rüschen, Bonbonfarben und Co. die Komplexität des Zeitgeistes auf eine raffinierte Art und Weise herunter und bieten eine modische Flucht. Erschaffen ein modisches Momentum mit Happiness-Garantie. Ein Softness Sanctuary, dass uns daran erinnert: Kitsch, Cuteness und Girlhood ist keine Schwäche oder zu belächeln. Sondern der stilistische Balsam für unsere Seelen. Eine Stärke, ein Panzer, der uns beschützt und dabei hilft, den Zugang zu unserer kindlichen Seite, der unbeschränkten Fantasie und den Träumereien nicht zu verlieren. Be bold, be soft – oder halte beides mit einer Schleife (gekonnt) zusammen. Ganz getreu des Mottos: If you like it then you should but a bow on it!
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