Polly Roche, wie ist es 17 zu sein – im Jahr 2020?
© Photographer: Patrice Brylla, Art Director: Oliver Tippl, Styling: Marian Schlicker,
Hair & Make-Up: Philipp Verheyen mit Produkten von L’Oréal Paris und Dr. Barbara Sturm
Polly Roche über das Lebensgefühl ihrer Generation,
das Jungsein in Zeiten von Corona und ihre Zukunftsträume.
Dieser Artikel von Ann-Kathrin Riedl erschien zuerst auf Vogue.de
17 – ein weichenstellendes Alter, auch in oder trotz Corona-Zeiten. Model Polly Roche kann davon ein Lied singen. Gerade ist sie von Köln nach Berlin gezogen. Wir haben die Tochter von Schriftstellerin Charlotte Roche in ihrer neuen Wohnung besucht und mit ihr über das Lebensgefühl ihrer Generation, das Jungsein in Zeiten von Corona und ihre Zukunftsträume gesprochen.
Wo und wie bist du aufgewachsen? Und was hat dein Leben bisher am stärksten geprägt?
Ich bin in Köln aufgewachsen mit meinen vier Eltern – den zwei leiblichen und deren PartnerInnen. Bis Anfang des Jahres war ich noch auf der Schule, und seit etwa einem Jahr modele ich nebenbei, das ist also noch ziemlich neu für mich. Meine Cousine ist schon mit 16 von zu Hause ausgezogen, ich fand das cool und wollte es auch so machen. Vor meinem Umzug war ich eigentlich gar kein großer Berlin-Fan. Aber als mein Freund hierher wollte, dachte ich: „Warum nicht? Warum sollte ich meine Vorurteile nicht überdenken?“ Ich kenne noch nicht viele Leute hier, aber ich fühle mich trotzdem nicht fremd. An meinem ersten Morgen war ich mit meinem Freund gemeinsam in einem winzig kleinen Café in Kreuzberg, dort haben wir Croissants gegessen. Das war ein Moment, der sich bei mir eingebrannt hat, weil es sich für uns beide so surreal angefühlt hat. Wir haben uns angeschaut und gesagt: „OK, this is it.“ Wir fahren nicht morgen wieder nach Hause, wir bleiben hier.
Mit welchen Gefühlen bist du denn von zu Hause ausgezogen? Worauf hast du dich am meisten gefreut und wovon denkst du, dass du es vermissen wirst?
Auszuziehen war nicht so emotional, wie ich erwartet hatte, weil alles sehr schnell ging und ich ja weiß, dass ich zu Hause immer anrufen und vorbeikommen kann. Das vorherrschende Gefühl war eher Freude, weil ich hier noch nichts kenne, also mit 17 alles ganz neu entdecken kann und weil ich jetzt allein wohne. Das hat einen ziemlichen Thrill. Was ich vermissen werde, ist das Gefühl, komplett entspannt zu sein. Ich glaube, es wird etwas dauern, bis ich das hier auch habe. An meinem letzten Abend in Köln bin ich von meinem Freund aus zu mir nach Hause gefahren, da wurde ich emotional und dachte mir, dass mir solche Routen fehlen werden – von einem vertrauten Ort zum anderen vertrauten Ort. Genau zu wissen, wo man lang muss.
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Für das Fotoshooting haben wir dich in deiner neuen Wohnung besucht. Wie war es, sich zum ersten Mal selbst einzurichten? Bist du ein Mensch, der an Dingen hängt, oder lebst du lieber minimalistisch?
Ich bin mit nur einem Koffer nach Berlin gekommen und in eine möblierte Wohnung gezogen. Die Einrichtung gefällt mir aber richtig gut, und sie ist sehr nahe an meinem eigenen Stil: alte Kinosessel, ein riesiger Holztisch … Da war nichts, von dem ich gedacht habe, dass es schnellstmöglich wegmuss. Aber ich werde mich auch auf Flohmärkten umschauen und, wenn es dann irgendwann wieder möglich ist, hoffentlich auch von Reisen schöne Dinge mitbringen. Mein Traum ist es, irgendwann ein großes Haus zu haben und das von null auf einzurichten. Ich würde niemals einen Interior Designer wollen, sondern alles selbst machen. Mein Stil ist bunt, aber irgendwie trotzdem clean. Jedes Stück hat eine Funktion, bei mir steht kein Krimskrams herum. Ich liebe Stein und Leder. Und ich muss jedes Stück wirklich mögen, ich würde nie etwas kaufen, nur weil ich schnell etwas brauche.
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Wie fühlt es sich eigentlich an, wenn man gerade durchstarten will und plötzlich wegen Corona nichts mehr ist, wie es einmal war? Macht dich das wütend oder kannst du auch positive Aspekte darin sehen?
Als ich noch in der Schule war, hatte ich nie einen konkreten Plan, was danach kommt. Es gab nur eine Sache, bei der ich mir absolut sicher war: Ich wollte eine große Reise machen, ein halbes Jahr oder vielleicht auch ein ganzes. Vietnam war mein Traum. Zu realisieren, dass das nicht passieren wird – oder zumindest erst einmal nicht –, ist mir ziemlich schwergefallen. Klar kann man alles nachholen, aber dieses Gefühl von „Die Schule ist aus, jetzt lege ich los“ fehlt dann. Es hat gedauert, bis ich mich damit arrangiert habe. Ich war aber trotzdem von allen Leuten in meinem Alter um mich herum am wenigsten wütend deswegen. Die vergangenen Monate haben mir beigebracht, geduldig zu sein – das war bisher immer mein größtes Problem. Mittlerweile bin ich zuversichtlich, dass sich alles fügen wird. Wenn man das tut, worin man gut ist und woran man Spaß hat, werden früher oder später die richtigen Leute kommen und das wahrnehmen.
Und was denkst du generell über deine Generation und ihre Zukunft? Wenn du mit FreundInnen zusammen bist, was sind die Themen, über die ihr diskutiert und die euch beschäftigen?
Ich bin ziemlich stolz, Teil meiner Generation zu sein, weil ich das Gefühl habe, dass sie bereit ist, für viele überfällige Veränderungen zu kämpfen. Zum Beispiel gegen Rassismus, für Gleichberechtigung … Meine FreundInnen sind so wach. So wissbegierig. Sie lesen viel und wollen sich informieren. In Köln waren mein Freundeskreis und ich bei jeder Fridays-for-Future-Demo. Wenn man nicht demonstrieren gegangen ist, fiel das richtig auf. Das ist sicherlich extrem und eine Blase, weil man sich ja auch mit Menschen befreundet, deren Ansichten man teilt. Aber es ist trotzdem schön. Dass man sich für etwas einsetzen sollte, haben mir meine Eltern mitgegeben, die sind selbst ja sehr politisch. Sie finden es toll, was in meiner Generation passiert.
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