People Pleaser season is over: Über Selbstfindung und Therapiemomente

27. April 2022 von in

Ich hatte neulich einen Therapiemoment. Es war einer einer dieser Momente im Laufe einer Therapie, die man wahrscheinlich als Schlüsselmoment bezeichnen könnte. Ein kleiner Breakthrough, um dessen Thematik ich zwar schon lange kreise, sie aber nie wirklich fühlen konnte. Als stünde mein Problem auf einem Blatt Papier, doch praktisch fand ich keinen Zugang zu meinen Gefühlen, die mit diesem Problem verknüpft waren. In diesem Moment klickten das theoretische Problem und das praktische Gefühl zusammen wie kleine Zahnräder, die ich nun zu ölen und pflegen versuche. In diesem Moment verstand ich, dass ich mich nicht kannte. Zumindest nicht so gut, wie ich es gerne wollte. Und das nicht, weil ich nicht reflektiert war. Tatsächlich würde ich mich selbst als ziemlich reflektierten Menschen bezeichnen. Das Problem lag darin, dass ich so damit beschäftigt war, die Bedürfnisse anderer Personen zu erfüllen, dass ich gar keine Zeit hatte, über meine eigenen nachzudenken.

People Pleaser ist so ein Trendbegriff, mit dem alle gerne um sich werfen, und von dem möglicherweise viele nicht verstehen, was er in der Praxis genau bedeutet. Die einfachste Beschreibung ist: People Pleaser haben den Drang, anderen Menschen zu gefallen. Das ist ein erstmal recht natürlicher Drang. Ich würde behaupten, die meisten Menschen mögen es, von anderen gemocht zu werden. Zu einem gewissen Grad ist es in meinen Augen sogar gut, sich anpassen zu wollen. Ein hohes Maß an Verträglichkeit kann helfen, ein erfolgreiches Leben zu führen. Eben alles im Griff zu haben. Kooperativ, empathisch oder rücksichtsvoll zu sein sind außerdem in meinen Augen unglaublich wertvolle Eigenschaften, die auch ich sehr in anderen Menschen schätze. Deshalb sei vorab so viel gesagt: Ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen ist löblich. Doch nimmt es überhand, verliert man sich dabei selbst. Es kann selbstschädigend werden. Denn wer nur noch die Erwartungen anderer erfüllt, entwickelt selbst keine Erwartungen mehr.

Entschuldige ich das Fehlverhalten anderer schneller als umgekehrt?

Ich war stets damit beschäftigt, ein bestimmtes Bild von mir selbst zu erfüllen. Das Bild einer Person, die es allen recht macht. Die ihr Leben im Griff hat, freundlich und empathisch ist, und keinem Menschen auf die Finger tritt. Die ihr Bestes gibt, nicht negativ aufzufallen. Die Parameter, also was „negativ auffallen“ bedeutete, setzte ich mir selbst. Heute weiß ich, dass diese Verhaltensmuster von den Gefühlen Scham und Schuld besetzt sind. Das merke ich immer deutlicher. Entweder schäme ich mich dafür, etwas scheinbar „falsch“ gemacht zu haben, oder ich habe große Schuldgefühle deshalb. Schon die kleinsten Kleinigkeiten, die nicht meinem starren Selbstbild entsprechen, machen mir Gänsehaut. Banalitäten.

Zu spät kommen, zum Beispiel. Lieber komme ich 30 Minuten zu früh als 5 Minuten zu spät. Das Gefühl, jemanden auf mich warten zu lassen, war für mich lange Zeit fast unerträglich. In diesen seltenen Momenten hetzte ich so gestresst zum Treffpunkt und entschuldigte mich tausendmal. Versteht mich nicht falsch: Ich schätze Pünktlichkeit. Aber man kann auch übertreiben. Berlin hat mir beigebracht, mich in diesem Punkt wenigstens ein klein wenig zu entspannen. Hier kommen alle zu spät und ich bin es leid, immer die Wartende zu sein. Denn – Überraschung! – ich liebe es nicht, zu warten.

People Pleaser season is over

Ein banales Beispiel, ich weiß. Doch hier fängt es schon an, zu viel zu werden. Ich stecke lieber ein, als dass ich austeile. Dieses Bedürfnis verfolgt mich und trage ich immer in mir. Mein kleiner Schatten, den ich besser kennenlernen will und aus ihm schlau werden. Was steckt hinter diesem Verhalten? Wieso ist es so schlimm für mich, die Gefühle anderer zu verletzen, dass ich mich davon tagelang nicht erholen kann? Wieso passe ich mich an? Was will ich wirklich und was denke ich, wollen andere von mir? Achte ich mehr auf die Bedürfnisse anderer als die eigenen? Entschuldige ich das Fehlverhalten anderer schneller als umgekehrt?

Was sind meine Prioritäten im Leben?

Die letzte Frage kann ich nicht so einfach beantworten. Es ist eine Kunst für sich, herauszufiltern, was aus mir kommt und welche Handlung dem Bedürfnis entspringt, anderen zu gefallen. Und mit dem Älterwerden kommen die schwerwiegenderen Entscheidungen: Kind oder kein Kind? Welches Leben will ich führen? Karriere oder nicht? Welchem Job will ich nachgehen? Ist mir Sicherheit im Leben wichtiger als Kreativität? Mit welchen Menschen will ich mich umgeben? Was erfüllt mich? Was macht mir Spaß? Was sind meine Prioritäten im Leben? Die Fragen, um die sich meine Gedanken drehen, werden größer und entscheidender, was meine gesamte Lebensplanung betrifft. Umso wichtiger ist es, aufzuhören, der People Pleaser zu sein. Aufhören, ständig nach links und rechts zu sehen. Anfangen, sich selbst wichtig zu nehmen. Um die Version von mir selbst sein zu können, mit der ich mich wohl fühle.

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7 Antworten zu “People Pleaser season is over: Über Selbstfindung und Therapiemomente”

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