Offene Beziehungen: Drei Frauen erzählen von ihren Erfahrungen

7. Juli 2021 von in

Beziehungen sind ein niemals enden wollendes Thema, an dem sich die ganze Welt die Finger wund schreibt und die Zungen wund spricht. Das gemeinsame Leben, romantische Liebe, zwischenmenschliche Beziehungen, Sexualität. Wie kompliziert all diese Themen sind und wie unglaublich breit gefächert, beweisen allein die tausende Ratgeber, wissenschaftliche Theorien und zahlreiche Beziehungskonzepte. Von Letzterem habe ich in letzter Zeit immer öfter gehört. Ich war überrascht, wie viele Menschen in meinem unmittelbaren Umfeld ein Beziehungskonzept führten, das der heteronormativen Norm abweicht. Offene Beziehungen nennt man die Konzepte, die persönliche Grenzen herausfordern, Selbstbestimmung fordern und konventionelle Denkweisen aufbrechen. Natürlich gibt es Paare, die an ihren offenen Beziehungen scheiterten, so auch wie Paare, die an ihren monogamen Formen zerbrachen. Den einen richtigen Weg gibt es sowieso nicht, doch wir alle sollten uns viel öfter die Frage stellen, welcher Weg für uns wirklich richtig wäre.

Deshalb haben wir uns an euch gewandt – hier kommen die Geschichten von drei Frauen, die unterschiedliche Erfahrung mit offenen Beziehungen gemacht haben.

Tabea

Als wir zusammen kamen wusste ich bereits, dass er bi ist, und auch schon viele Erfahrungen gemacht hatte. Er wollte sich aber noch weiterhin ausprobieren und erforschen. Im Laufe des Sommers und des Jahres ging es mir immer mehr gegen den Strich, dass ich so darauf sozialisiert war, „eifersüchtiger“ zu sein, wenn es um Frauen ging und habe unsere Beziehung also auch in die Richtung für ihn geöffnet, um diesen anerzogenen Neid zu verlernen. Er war auch von Anfang an auf grindr und gayromeo unterwegs und hat dort vor allem online Erfahrungen ausgelebt. Jetzt, wo die Inzidenzen gesunken sind, geht es langsam los, dass er sich mit ehemaligen Affären aus seiner Studienzeit trifft oder Leute spontan am See kennenlernt und gemeinsam mit ihnen dann auf queere Partys geht. Er lernt also langsam eine richtig entspannte und spannende Szene kennen. Das tut ihm sehr gut und ist etwas, wovon er nicht genau wusste, dass er es suchte, aber von dem er jetzt weiß, dass es für seine Reise sehr wichtig ist. Gerade geht es da so ziemlich ausschließlich um seine Anziehung zu Männern.

Ich wiederum habe die Möglichkeit letztes Jahr gar nicht nutzen wollen. Ich genieße es normalerweise vor allem, Leute im Club oder unterwegs kennenzulernen, dort eine Chemie zu spüren und dann die Spannung auszukosten. Ganz nach der Frage: „Was passiert heute Nacht noch?“. Das war während der Pandemie nicht wirklich möglich, aber da hat mir und uns auch nichts gefehlt. Mittlerweile gibt es auch einen anderen Menschen in meinem Leben, den ich attraktiv und interessant finde. Diese Schwärmerei macht Spaß, weil ich weiß, ich darf das, ohne mich schuldig oder als Lügnerin fühlen zu müssen.

Das Wissen, nicht in der Blase aus nur einer Beziehung durch die Welt zu laufen, sondern meine Grenzen selbst festlegen zu können, ist für mich unglaublich wertvoll und (ent)spannend.

Ich will jedoch vermeiden, aus einem Wettbewerbsgedanken heraus zu Daten. So nach dem Motto: Du triffst viele Leute und hast viel zu erzählen, also will ich das jetzt auch. Ich wäge also genau ab, aus welchen Motiven ich mich nun eigentlich für ein Treffen entscheide. Das Thema Regeln ist da eine Sache für sich. Für uns beide ist es die erste ernsthafte und lange Beziehung, wir brachten also kein Wissen darüber mit, was für uns überhaupt möglich ist, was Eifersucht auslöst oder Sicherheit gewährleistet. Wir sind also gleichzeitig dabei, überhaupt herauszufinden, was eine Beziehung für uns bedeutet, und erforschen die Grenzen der Monogamie. Ich zum Beispiel habe in letzter Zeit gemerkt, dass es tendenziell mehr Eifersucht oder flaues Gefühl in mir auslöst, viele Details über die Personen zu wissen, mit denen mein Freund schläft. Als er versuchte, mir vorsichtiger und weniger von seinen Erfahrungen zu erzählen, führte das dazu, dass ich mich manchmal belogen fühlte.

Der Konsens, der zwangsweise Schmerz bedeutet, heißt also: Grenzen austesten.

Manchmal habe ich das Gefühl, seine queeren Erfahrungen könnten zu einem Defizit in unserer Beziehung führen, weil ich nicht dabei sein kann. Aber ich weiß auch, dass er keine Schuld an meiner Fomo hat, sondern meine eigenen Unsicherheiten sie hervorrufen. Und damit habe ich einen neuen Ansporn, an mir selbst zu wachsen, mir meiner Sexualität sicherer zu werden, auszuprobieren, selbst neue Dinge zu erfahren. Knoten platzen zu lassen. Und das alles mit ihm an meiner Seite. In einer Beziehung, in der wir uns gegenseitig Rückendeckung geben. Letztendlich nbedeutet unsere offene Beziehung genau das: Neues zu erfahren und anhand dessen neu zu fühlen und zu kommunizieren. Klar bedeutet das Arbeit, aber es bringt eine so große Welt an neuen Möglichkeiten für Wachstum, Freiheit, Intimität und Liebe miteinander, dass es das wert ist.
Alessia
Mein Exfreund und ich waren damals über fünf Jahre zusammen und er war mein erster Freund, als wir beschlossen, unsere Beziehung zu öffnen. Wir haben die Beziehung dann über den Sommer geöffnet, es war aber klar, dass das irgendwann wieder endet. Wir haben ein paar Regeln festgelegt, ohne die funktioniert es meiner Meinnung nach auch nicht, da irgendeiner dann immer verletzt ist. Beispielsweise gehörte zu diesen Regeln, dass wir keine Leute aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis treffen durften, dieselbe Person nicht öfter als drei Mal treffen durften und auch nicht bei uns daheim mit dieser fremden Person schlafen. Wir haben das so geregelt, dass man auf „Dates“ gehen durfte. Es ging also nicht nur um spontanen Sex mit fremden Menschen.
Nach kürzester Zeit entstanden Probleme, was zum Teil auch damit zu tun hatte, dass mein Exfreund nicht mit der Situation zurecht kam. Obwohl er derjenige war, der eine offene Beziehung vorgeschlagen hatte. Eines der größten Hindernisse war es, dass wir in derselben Stadt lebten und wir enorm aufpassen mussten, den Partner nicht mit den Dates oder Treffen zu konfrontieren. Wir haben die Situation nämlich so geregelt, dass wir die Treffen voreinander geheim gehalten haben, damit beim anderen kein Kopfkino entsteht. Mein Exfreund hat mir ziemlich viel vorgeworfen, wie und auf welche Weise ich die Treffen gehandhabt habe, obwohl ich mich immer innerhalb des „Regelwerks“ bewegt habe. Das ging dann teilweise bis hin zum leichten Slutshaming. War nicht sehr cool. Man muss auch dazu sagen, dass ich mit der Situation extrem gut zurecht kam.
Ich habe mich sehr frei gefühlt und fing deshalb an, Zweifel an der Beziehung zu entwickeln.
Das konnte ich nicht lange verstecken und irgendwann musste ich die Beziehung beenden. Das war sehr schwer, und heute weiß ich nicht, ob ich eine offene Beziehung zukünftig noch einmal wagen würde. Ich denke, dass beide Partner:innen wirklich hinter dem Konzept stehen müssen. Regeln sind sehr wichtig, damit keiner zu sehr verletzt wird. Kommunikation ist außerdem das A und O. Es ist wichtig, die Chacne zu haben, immer ehrlich sagen zu können, was einen stört oder ob man etwas verändern will.
Rückblickend kann ich noch dazu sagen, dass mir es persönlich gar nicht darum ging, mit vielen verschiedenen Männern zu schlafen, sondern mal wieder auf Dates zu gehen, die Aufregung und leichte Nervosität zu spüren und etwas Neues zu erleben. Das war meine Sehnsucht damals. Am Ende funktionierte es aber aus anderen Gründen nicht mehr. Die offene Beziehung hat die Probleme nur schneller und stärker zum Vorschein gebracht.

Ena

Zwar haben wir anfangs über Polyamorie gesprochen, führen momentan jedoch noch eine offene Beziehung, die sich auf das Sexuelle beschränkt. Wir wollten von Anfang an in eine offene Beziehung, da wir beide wussten, dass Monogamie momentan nichts für uns ist und ich mir nicht sicher bin, ob ich das überhaupt je möchte. Wir waren aber der Ansicht, dass wir uns erst richtig gut kennen müssen, um irgendwann eine polyamore Beziehung führen zu können. Dafür braucht es einfach mehr Vertrauen und ein anderes Zeitmanagement, da es schon allein zeitlich nicht so einfach ist, sich auf jemand anderen emotional einzulassen. Darum geht es in unserer offenen Beziehung erstmal „nur“ um Sex.
Wir haben dabei ein paar Regeln abgesteckt, die unter anderem besagen, dass man auch eine Person mehrmals treffen darf. Allerdings sind wir da gerade am Grenzen austesten, da wir beide noch nicht wissen, wie tief diese Beziehungen zu anderen Menschen dann gehen würden. Mein Freund ist zum Beispiel kein „Partytyp“ oder „Aufreißer“, er braucht eher tiefere Gespräche. Deshalb haben wir geklärt, dass Daten außerhalb der Beziehung okay ist. Allerdings muss mit den jeweiligen Personen klar kommuniziert werden, dass es nur um Sex geht und nicht um eine weitere Beziehung. Wir benutzen auch Apps, und wenn wir diese aktiv nutzen, sagen wir es uns. Damit die andere Person auch weiß, wo sie steht und worauf sie sich einlässt. Das sind in etwa die Regeln, die wir haben.
Die Grundregel ist und bleibt dabei aber, dass wir immer ehrlich kommunizieren und uns auch gegenseitig updaten, wie sich unsere Gefühle und Bedürfnisse verändern.
Damit wir beide wissen, was gerade im Leben des anderen außerhalb der Beziehung passiert. Zwar gehen wir nicht zu tief ins Detail, aber beispielsweise erzähle ich meinem Freund, wenn ich andere Leute treffe und auch, wenn etwas läuft. Ich persönlich möchte ich die Details lieber nicht wissen. Doch trotzdem verändert sich sowas ja auch immer, weshalb wir immer kommunizieren und uns updaten, ob es gerade gefühlstechnisch für uns beide stimmt und ob wir uns noch wohlfühlen in der Beziehung. Es geht schließlich darum, immer zu prüfen, ob wir die Vertrauensebene, die wir uns beide erbaut haben, auch halten können. Oder ob wir das Gefühl haben, dass das Dating mit anderen Menschen eventuell etwas kaputt macht, und wir uns dann womöglich nicht mehr wohlfühlen. Es ist ein ständiges Ausbalancieren und Besprechen der Bedürfnisse.

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