Ich muss es endlich lernen: Über die Kunst, Nein zu sagen
Ich bin eine Ja-Sagerin. Und das war ich eigentlich schon immer. Es fing eigentlich in der Grundschule an – schon da hatte ich Probleme, meinen Freund*innen abzusagen, meinen Eltern gegenüber eine eigene Meinung zu äußern oder mal in der Schule Nein zu sagen. Für die meisten Kinder ist das jetzt nichts Neues, denn Grenzen setzen und Nein-Sagen lernt man ja irgendwie im Laufe des Lebens. Nur ich habe das ehrlich gesagt verschlafen.
Bestimmt gibt es zahlreiche Gründe für mein Ja-Sager-Tum, aber heute soll es mal nicht um die Ursachen gehen – sondern darum, wie ich schmerzlichst akzeptieren musste, dass People Pleasing nicht nur super ungesund für mich selbst ist, sondern auch irgendwie unsympathisch anderen gegenüber.
Von Unsicherheiten und Schwächen: die People Pleaser
In der Schule war ich ziemlich schüchtern. Ich habe mich selten getraut, so richtig aus mir herauszukommen, und das Ich-selbst-Sein war für mich bis zum Abitur keine Option. Dementsprechend war ich immer sehr umgänglich und einfach „nett“. Natürlich kannten mich meine besten Freundinnen so, wie ich eigentlich war, aber auch bei denen hatte ich immer starke Probleme, meine Meinung ehrlich zu äußern. Ich erinnere mich deshalb an viele Situationen, in denen ich frustriert war und deshalb dann aus unerklärlichen Gründen mehrere Tage Abstand nahm.
Da es von mir nie eine Erklärung gab, war das alles immer bisschen komisch, aber irgendwie hatten sie für sich akzeptiert, dass ich „einfach so“ bin. Wenn ich aber ehrlich bin, hatte ich häufig das Gefühl, dass auch zwischen meinen allerbesten Freundinnen und mir eine gewisse Distanz besteht.
Ich fand Menschen, die unapologetically sie selbst sind immer total faszinierend und irgendwie auch inspirierend. Als ich dann aus der Schul-Atmosphäre raus in die Uni kam, änderte sich das alles ein wenig. Ich war plötzlich viel offener, konnte an meiner Schüchternheit arbeiten und habe angefangen, meine Meinung zu sagen und den Menschen um mich herum mitzuteilen, was ich denke. Allerdings habe ich das immer nur dann gemacht, wenn ich wusste, dass ich mit dem Gesagten niemandem auf den Schlips trete.
Und ich fand das eigentlich auch gut so. Denn so konnte ich mir selbst das Gefühl geben, *endlich* ich selbst zu sein, ohne, dass ich wirklich die Konsequenzen des Ich-Selbst-Seins trage – denn nicht jeder kommt mit jedem klar. Und gerade in der Uni ist das ja auch total egal, denn man hat genug Menschen, mit denen man sich anfreunden kann, den Alltag teilt und tatsächlich ehrliche Beziehungen führt. Aber ich wollte nicht, dass Menschen sich von mir abwenden, wenn ich ihnen widerspreche oder für sie unangenehme Meinungen äußere.
Bis ich vor einer Weile von einer sehr ehrlichen Person gesagt bekommen habe, dass ich fake sei. Nicht fake in einem Highschool-Drama-Sinne. Sondern fake im Sinne von nicht ganz Ich-Selbst.
„Du bist irgendwie fake.“
Wie bitte? Ich dachte doch, dass ich super angenehm, umgänglich und trotzdem cool wäre. Aber sich für andere zu verbiegen oder ihnen stillschweigend zustimmen, obwohl man eigentlich etwas anderes denkt, ist ehrlicherweise ziemlich uncool. Und wenn jemand das von außen merkt, auch gar nicht mal so sympathisch. Ich war ertappt.
Es geht natürlich nicht darum, besonders sympathisch zu sein. Das Ziel ist es, sich so wohl zu fühlen, dass man ehrlich und authentisch sein kann. Dass Menschen das auch cool finden, ist ja nur Nebensache. Aber für einen People Pleaser wie mich irgendwie ein totales Dilemma. Denn man traut sich nicht, seinem Gegenüber etwas Unangenehmes, aber doch Ehrliches zu sagen, weil man Angst hat, auf Ablehnung zu stoßen. Weil man sich nicht traut, wirkt man im Umkehrschluss vor allem uncool.
Das mit dem Fake-Sein schwirrt mir auch heute noch sehr oft im Kopf rum. Gerade jetzt, wo ich aus der Uni raus bin und in der Medienbranche arbeite, frage ich mich oft: Was ist höflich und wird erwartet? Und ab wann bin ich fake?
Hinzu kommt, dass ich als Freelancerin immer ein wenig in Unsicherheit um meine Einnahmen und Lebensgrundlage lebe. Das habe ich mir ein Stück weit selbst ausgesucht und will mich darüber nicht beschweren, denn selbstständig zu sein ist auch superschön. Aber diese Angst hat mich gerade am Anfang dazu verleitet, jeden Job und jede Möglichkeit anzunehmen – auch wenn diese absolut nicht gepasst hat. Das hat nicht nur dazu geführt, dass ich einige Jobs gemacht habe, die mir eigentlich keinen Spaß gemacht haben. Sondern auch, dass ich Anfang des Jahres einen Punkt erreicht hatte, an dem ich maximal überfordert war und meine Freizeit auf ein Minimum runterfahren musste. Der Grund: Ich konnte einfach nicht Nein sagen.
Break the cycle!
Und das sind diese Situationen, an denen mir einfach klar wird, dass die ganze Ja-Sagerei nicht nur nervig ist und sich unehrlich anfühlt, sondern auch an meiner Psyche nagt. Inzwischen konnte ich mich beruflich wieder aufraffen und habe Tätigkeiten gefunden, die mir wirklich Spaß machen (so wie hier bei amazed!). Aber es ist echt nicht leicht, potenziellen Arbeitss- und Auftraggebern Nein zu sagen.
Aktuell versuche ich auch privat den Cycle zu brechen. Ich übe mich darin, meinen Freund*innen und meiner Familie die ehrliche Meinung zu sagen – auch wenn ich weiß, dass sie das potenziell stören könnte.
Trotz des Erwachsenseins fällt mir das immer noch schwer, aber ich weiß, dass ich da durch muss. Und was mir total hilft, sind die Reaktionen auf meine Ehrlichkeit. Denn bis jetzt war niemand beleidigt, sauer oder verletzt – ganz im Gegenteil. Nicht nur schätzen Menschen, dass man ehrlich zu ihnen ist. Ich habe auch das Gefühl, ernster genommen zu werden.
Erst kürzlich hatte ich eine Situation, in der ich mit einer meiner engsten Freundinnen aus der Schulzeit unterwegs war und wir uns über ein kontroverseres Thema unterhielten. Ich bin weiterhin ganz anderer Meinung als sie – und habe mich dann gezwungen, ihr das auch ehrlich zu sagen. Als ich dann irgendwann alleine war, habe ich eine Weile darüber nachgedacht. Ich habe mich gefragt, ob das schlimm war und ob sie nun keine Lust mehr auf mich hätte (nach zwölf Jahren Freundschaft).
Spoiler: Natürlich hat sie meine Meinung nicht gestört. Als wir uns ein paar Tage später wieder trafen, sagte sie mir, wie schön sie es fand, dass wir uns trotz unserer verschiedenen Ansichten so gut verstehen. In diesem Moment habe ich verstanden, dass meine Unsicherheiten und Ja-Sagerei teilweise einfach absurde Ausmaße angenommen haben.
Man will ja selbst nichts mit Menschen zu tun haben, die keine Neins und gegenteilige Meinungen akzeptieren. Ich habe ja auch kein Problem damit, dass nicht jeder das Gleiche denkt wie ich oder sich für mich verbiegt – wieso sollten die anderen eins haben?
Ich versuche mir das aktuell immer wieder klarzumachen. Und auch wenn mein Gehirn es noch nicht so ganz akzeptieren kann, habe ich das Gefühl, mit jedem Nein ein wenig weiterzukommen. Einfach ist es weiterhin nicht – aber alles, was einen im Leben weiterbringt, ist erst mal schwer.
3 Antworten zu “Ich muss es endlich lernen: Über die Kunst, Nein zu sagen”
[…] abgespeichert haben. Und ich dachte mir, nachdem ich mich kürzlich noch selbst hier auf amazed analysiert habe, ist es diesmal an der Zeit, mal einen kleinen Tauchgang Richtung Popkultur zu mache und sich das […]
[…] nicht in eine Box zwängen kann, in die ich eigentlich nicht möchte. Und dass ich nicht zu allem ‚Ja‘ sagen muss, um glücklich zu sein und andere glücklich zu […]
[…] nie Nein sagt, sagt umso öfter Nein zu sich […]