In den letzten Wochen ist eines das zentrale Element von weltweiten Diskussionen, die selten so vehement geführt wurden wie jetzt: Der Körper, um genauer zu sein der Körper bestimmter marginalisierter Gruppen, über den sich andere rausnehmen, Entscheidungen treffen zu wollen. Es geht um den Körper von Frauen und Menschen mit Gebärmutter in der Abtreibungsdebatte, und es geht um den Körper von trans Personen in der Debatte um die Abschaffung des Transsexuellengesetztes. Zwei Themen, die so viele Menschen zum Kochen bringen, die Gesellschaften spalten und bei denen sich die Fronten immer mehr verhärten. Und die vieles gemeinsam haben:
Es geht dabei um Macht. Es spricht denjenigen, die es wirklich betrifft, die eigene körperliche Selbstbestimmung ab. Und es geht diejenigen, die darüber entscheiden möchten, eigentlich absolut gar nichts an.
Der Rückschritt der Abtreibungsrechte in den USA
Vor 50 Jahren wurde in den USA ein Grundsatzurteil gefällt: Es sei das fundamentale, verfassungsmäßige Recht von Frauen, über den Abbruch oder die Fortführung einer Schwangerschaft im ersten Trimester selbst zu entscheiden. Dem Urteil zugrunde lag der „Roe vs. Wade„-Fall, in dem eine Anfang-20-Jährige, die bereits zwei Kinder geboren und diese wegen ihrer prekären finanziellen Lage zur Adoption freigegeben hatte, klagte. Sie war nochmals ungeplant schwanger geworden und wollte das Recht haben, selbst darüber zu entscheiden, diese Schwangerschaft auszutragen oder nicht – wissentlich darüber, was es bedeutet, schwanger zu sein und ein Kind in die Welt zu setzen. Natürlich gibt es Stimmen, die hier einhaken und sagen: Wieso ist man dann überhaupt zum dritten Mal schwanger, die Verantwortung beginne bei der Verhütung. Doch wir alle wissen, dass zum einen selbst die besten Verhütungsmittel nicht immer zuverlässig sind, dieser Fehler einfach passieren kann. Und zum anderen an einer ungewollten Schwangerschaft immer auch ein Mann beteiligt ist, der immer das Recht hat, zu gehen – während einer schwangeren Frau zum Zeitpunkt, wenn sie es merkt, dieses Recht verwehrt bleiben soll.
Eine andere ethische Frage ist natürlich, ab wann ein Leben schützenswert ist –
unser Grundgesetz in Deutschland sieht menschliches Leben ab dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Samen- und Eizelle als schützenswert. Darum drehen sich die meisten Debatten, und diese Fragestellung ist auch der Grund, warum auch in Deutschland ein Schwangerschaftsabbruch per se erstmal eine Straftat ist.
Sie bleibt allerdings straffrei, wenn sie innerhalb der Frist von 12 Wochen passiert und mit Beratungen einhergeht, oder wenn es medizinische Gründe gibt.
Das Grundsatzurteil in den USA wurde jetzt, nach 50 Jahren, vom Supreme Court wieder gekippt. Und
obwohl sich Biden per Dekret dagegen stellen möchte, hat er gegen das Urteil des Supreme Courts kaum Möglichkeiten. Jetzt wird jeder Bundesstaat selbst entscheiden können, wie mit Schwangerschaftsabbrüchen umgegangen wird, wie sehr die Rechte dazu eingeschränkt oder ganz verboten werden. Es gibt sogar Bundesstaaten, die in Erwägung ziehen, eine Abtreibung juristisch wie einen Mord einzustufen. Betreffen wird das vor allem Frauen in prekäreren Lebensumständen, die weder die Möglichkeit haben, in ein anderes Land zu reisen, um einen Abbruch vorzunehmen, noch juristischen Beistand haben.
You can never ban abortion, you can only ban safe abortions. Read that again.
— Ahmed Ali (@MrAhmednurAli) May 3, 2022
Selbst der Papst schließt sich dieser Haltung an und Vergleicht eine
Abtreibung mit einem Auftragsmord. Während in Deutschland gerade eine ganz andere Haltung eingenommen wird: Am selben Tag, an dem das Grundsatzurteil in den USA gekippt wurde, schaffte Deutschland endlich den Paragraphen 219a ab, der ÄrtzInnen bisher das Werben – oder Informieren – über Schwangerschaftsabbrüche verboten hat und es Frauen so erheblich erschwerte, sich fundiert über die Möglichkeit von Schwangerschaftsabbrüchen zu informieren. Und der ÄrtzInnen kriminalisierte, die darüber informieren wollten, ob und mit welchen Methoden sie einen Schwangerschaftsabbruch in ihrer Praxis anbieten.
In
dieser Folge des Podcasts „Feel the News“ wird die Thematik, warum Abtreibungen ein fundamentales Menschenrecht sind, sehr reflektiert besprochen. Und die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang meldet sich darin mit einer interessanten Aussage zu Wort:
Ricarda Lang sagt, die Abschaffung des Paragraphen 219a zeige: „Wir vertrauen Frauen.“
Vertrauen. Genau dieser Begriff zeigt für mich den Kern der Debatte. Des Problems, das sich nicht nur um Abtreibungen dreht, sondern genauso um die zweite aktuell große Debatte um die Selbstbestimmung von trans Menschen.
Ein zentraler Aspekt dieser Debatten und Kämpfe ist die Frage: Ist da Vertrauen? Oder ist da der Wunsch nach Kontrolle, nach Macht und nach Unterdrückung?
Selbstbestimmungsgesetz statt Transsexuellengesetz in Deutschland
Die Ampel-Regierung hat am 30. Juni den Gesetzesentwurf für das neue Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt, das das Transsexuellengesetz von 1980 ablösen soll – dessen Name allein schon zeigt, dass es völlig aus der Zeit gefallen ist. Schließlich hat die die Frage, auf wen man steht, nichts damit zu tun, mit welchem Geschlecht man sich identifiziert. Das alte Transsexuellengesetz war in vielen Teilen verfassungswidrig und diskriminierend.
Ursprünglich, 1980, durfte man nur offiziell im Ausweis sein Geschlecht ändern, wenn man zusätzlich zu mehreren Gutachten nicht verheiratet war, eine geschlechtsangleichende OP vornahm und sich sterilisieren ließ. Eine für mich unfassbare Vorstellung aus heutiger Sicht. Einiges wurde mit der Zeit gestrichen, bislang müssen trans Personen aber immer noch durch ein Gerichtsverfahren, um ihr Geschlecht offiziell im Ausweis ändern zu dürfen. Sie brauchen Gutachten, die entwürdigende Fragen der eigenen Privatsphäre stellen, und müssen alles selbst bezahlen – mehr dazu
hier. Das neue Selbstbestimmungsgesetz will transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen ermöglichen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen. Nach einer solchen Änderung gibt es übrigens eine einjährige Sperre.
Wichtig ist dabei zu differenzieren: Das Selbstbestimmungsgesetz bezieht sich ausschließlich auf die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen im Ausweis. Wer körperliche geschlechtsangleichende Maßnahmen durchführen möchte, braucht wie bisher medizinische Gutachten.
Die essentielle Grundlage des Selbstbestimmungsgesetzes ist wieder: Vertrauen.
Vertrauen darauf, dass ein Mensch selbst am besten weiß, welche Geschlechtsidentität er hat. Vertrauen darauf, dass die Entscheidung wohlüberlegt ist. Und Vertrauen darauf, dass weder trans Personen je nach eigenem sportlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Vorteil ihr Geschlecht hin- und herwechseln, noch, dass Frauen die Pille danach „wie Smarties“ einwerfen,
wie Ex-Gesundheitsminister Spahn es 2014 formulierte.
Der Aufschrei allerdings, den auch dieser Gesetzesentwurf mit sich bringt, ist gewaltig. Es wird
der Mythos in die Welt gesetzt, dass die bisherigen Geschlechter abgeschafft werden sollen. Dass Teenager jetzt ihr Geschlecht umoperieren lassen würden wie Schönheits-OPs – dabei hat das Selbstbestimmungsgesetz mit geschlechtsangleichenden OPs nicht mal etwas zu tun und ändert am bisherigen Prozedere nichts. Dass lüsterne Männer künftig ihr Geschlecht im Ausweis ändern könnten, um in Frauenumkleiden oder Frauenhäuser einzudringen, oder sich im Frauensport Vorteile zu verschaffen. Im Sport sollte und würde man sicherlich noch weitere Regelungen einführen als die bloße Geschlechtsänderung auf Papier, in Umkleiden gelangt man im Zweifel auch, ohne seinen Ausweis herzeigen zu müssen. Allein schon die Tatsache, dass auch ohne eigene Änderung des Geschlechts schon viel mehr Gewalt von Männern gegenüber Frauen ausgeht, als man denkt, entkräftet diese Argumentation.
Auch hier ist das entscheidende Element das absolut fehlende Vertrauen in das Urteilsvermögen von trans Menschen.
Genausowenig wie ungewollt schwangeren Frauen wird trans Personen von einem großen Teil der Gesellschaft das Vertrauen entgegengebracht, Entscheidungen fundiert zu treffen. Und schon selbst am besten zu wissen, ob man gerade in der Lebenssituation ist, einem Kind ein gutes Leben ermöglichen zu können. Oder mit welchem Geschlecht man sich identifiziert – eine Frage, die nicht mal jegliches anderes, ungeborenes Leben mit einbezieht und doch nun wirklich die eigene Angelegenheit sein sollte. Auch der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin Dr. Achim Wüsthof
unterschreibt in diesem Spiegel-Kommentar, dass bei einer Änderung des Namens und Geschlechts auf Papier nichts schiefgehen kann. Im schlimmsten Fall wird es revidiert und war nur eine pubertäre Identitätskrise, im besten Fall erleichtert es das Leben eines Menschen, das vor allem in der Pubertät extreme Prägungen bekommen kann. Doch der große Aufschrei vieler bleibt, die Diskussionen und Kämpfe hören nicht auf.
Und nun frage ich mich: Wie kann all das möglich sein? Wie können sich Menschen so vehement dagegen wehren, andere über sich selbst, den eigenen Körper, die eigene Identität entscheiden zu lassen? Worum geht es dabei eigentlich?
Um den Schutz des Babys, des ungeborenen Lebens? Warum wird sich dann vor allem in den USA nicht für Krankenversicherung für Mutter und Kind, für Mutterschutz, Elternzeit und kostenlose Betreuung eingesetzt – sondern Frauen zu rechtsfreien Körpern degradiert, für die von außen entschieden wird, jedes Kind austragen zu müssen, ohne Hilfe und Unterstützung anzubieten?
Geht es in der trans Debatte wirklich um die vermeintliche Angst, trans Menschen könnten ihre Geschlechtsänderungen bereuen? Geht es um die absurde Angst, Kinder würden angesichts diverser Geschlechter dazu verführt, ihres sofort selbst infrage zu stellen? Oder geht es vielmehr darum, an Regeln einer Gesellschaftsordnung festzuhalten, in denen die Gruppe der cis Männer den Großteil der Macht und Entscheidungsfreiheit besitzt – und keine bisher marginalisierten Gruppen mehr Rechte bekommen sollen, eigene Entscheidungen zu treffen?
Ein Zitat von Simone de Beauvoir sagt: „Vergesst nicht, es genügt eine politische, ökonomische oder religiöse Krise – und schon werden die Rechte der Frauen wieder infrage gestellt. Diese Rechte sind niemals gesichert.“
Genau das ist gerade in den USA passiert, und ein fundamentales Recht von Frauen, das 50 Jahre bestand, wurde einfach wieder ausradiert. Den Begriff „Frauen“ kann man in diesem Zitat erweitern mit allen marginalisierten Gruppen, zu denen genauso trans oder nonbinäre Personen zählen. Jedes Gesetz, was die Rechte und die Selbstbestimmung dieser Gruppen sichert, stärkt und voranbringt, ist ein wertvolles Gut für unsere Gesellschaft. Jeder Schritt in ein freiheres, selbstbestimmteres Leben marginalisierter Gruppen zeigt, dass unsere Gesellschaft sich weiterentwickelt. Und für jedes dieser Gesetze sollte sich eingesetzt und gekämpft werden, denn wir sehen, sie können jederzeit wieder ausradiert werden.