Modern Romance: Love is a Battlefield – zwischen Bindung und Unabhängigkeit

3. Juli 2018 von in

All you need is love, love is a battlefield, love will tear us apart – I wanna know what love is! Kaum ein Thema ist gleichzeitig so allgegenwärtig und so mit Mythen und Missverständnissen verwoben wie die Liebe. Grund genug, sich diesem irrationalsten aller Themen einmal auf analytischer Ebene zu nähern. Denn so mächtig und schön sie auch ist: Auch die Liebe ist nicht frei von kulturellem Wandel. Was die Liebe einmal war, wie sie wurde, was sie heute ist, und was sie in Zukunft werden könnte: Diese Fragen werden in dieser Reihe geklärt – zumindest im Ansatz. Denn ein bisschen mystisch muss die Liebe trotzdem bleiben dürfen.

„In der Liebe findet man eine unbedingte Bestätigung des eigenen Selbst, der personalen Identität. Hier, und vielleicht nur hier, fühlt man sich als der akzeptiert, der man ist – ohne Vorbehalte und ohne Befristung, ohne Rücksicht auf Status und ohne Rücksicht auf Leistungen.“

Das sagt der große Soziologe Niklas Luhmann im Jahr 1969 über die romantische Liebe. Dieses moderne Liebesverständnis als die wichtigste Quelle des Selbstwerts ist heute immer noch gängig – stürzt uns aber in große Bedrängnis, weil uns ein zweiter Aspekt nun mindestens genauso wichtig ist: Die Unabhängigkeit.

 

 

Dass unser Selbstwert heute so stark von romantischem Erfolg abhängt, ist ein modernes Phänomen: Bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhundert war es zwar gesellschaftlich wichtig, eine Familie zu gründen und „unter der Haube“ zu sein – welche Gefühle dabei im Spiel waren und ob man tatsächlich Liebe empfand, interessierte allerdings kaum jemanden. Hauptsache, die Fassade bröckelte nicht. Heute ist das anders: Die romantische Liebe – und zwar möglichst diese tiefe, authentische Sonnenuntergangsliebe, die man aus Film und Fernsehen kennt – ist zur wichtigsten Quelle des Selbstwerts und zum erklärten Ziel des modernen, westlichen Menschen geworden. Dieser Selbstwert und die damit einhergehende gesellschaftliche Anerkennung stehen auf dem Spiel, wenn man an der Liebe scheitert.

 

Zwei Dinge haben sich in der Moderne multipliziert: Die Möglichkeiten und die Erwartungen.

 

Im Laufe der Jahrzehnte haben sich sowohl die Praktiken, mit deren Hilfe man nach einem geeigneten Partner sucht, als auch die Kriterien, die er erfüllen muss, extrem gewandelt. Durch die Befreiung von gesellschaftlichen Erwartungen, die sexuelle Revolution und – seit neuestem – durch das Internet vergrößerte sich außerdem der Pool potentieller Partner ins Unermessliche. Auch die Möglichkeiten, wie man eine romantische Beziehung führen kann, sind inzwischen endlos: Man kann theoretisch mit jeder Person – egal welchen sozialen Stand, welche Hautfarbe oder welches Einkommen er oder sie hat – eine romantische Beziehung führen und diese nach Belieben definieren. Die romantische Liebe und die Sexualität haben sich voneinander entkoppelt und bilden nun zwei getrennte Schauplätze, auf denen der Selbstwert des modernen Menschen ausgehandelt wird: Oftmals allerdings parallel und in Wechselwirkung. Das macht moderne romantische Beziehungen noch komplexer.

 

 

Auch die eigene Identität bildet sich nun nicht mehr über Standeszugehörigkeit, Ethnie oder Herkunft: Der moderne Mensch definiert sich über seinen Individualismus und seine Emotionen – und über seine Beziehungen, allen voran die romantischen. Auch Liebesentscheidungen werden nun nicht mehr ausschließlich – wie es noch bei unseren Großeltern war – in Hinblick auf die Gesellschaft getroffen, sondern gelten als ein Ausdruck der eigenen Individualität. Diese Individualität wird durch nichts besser bestätigt als durch einen romantischen Partner, denn die Liebe ist die gegenseitige Bestätigung von Einzigartigkeit – wie Luhmann schon sagte.

 

Moderne Beziehungen sind ein Drahtseilakt zwischen Autonomie und Bindung.

 

So weit, so gut. Wo liegt nun das Problem? Natürlich ist es gut, dass sich der Selbstwert von der Herkunft entkoppelt hat und wir uns nun stattdessen über unsere Emotionen und Beziehungen definieren können. Es ist eine Begleiterscheinung von zunehmender Diversität, Freiheit und Gleichheit. Problematisch wird es allerdings, wenn man zurückgewiesen wird: Denn dann gerät das gesamte Konstrukt des Selbstwerts ins Wanken. Das haben wir vermutlich alle schon mal am eigenen Leib erfahren: Man bekommt einen Korb und zweifelt unvermeidbar an der gesamten Person, die man ist. Das liegt daran, dass romantischer Erfolg in unserer Zeit die wichtigste, aber auch gleichzeitig wackeligste Säule ist, auf der unsere gesellschaftliche Anerkennung und unser Selbstwert stehen.

Ein fataler Widerspruch macht die ganze Sache seit geraumer Zeit zusätzlich kompliziert – er hat etwas mit unserer Autonomie und Unabhängigkeit zu tun. Denn diese sind in unserer unbeständigen Welt – in der uns Individualität zu dem macht, was wir sind – wertvolle Güter, die wir zu schützen versuchen. Möchte man romantische Anerkennung erfahren, ist es jedoch nötig, Autonomie ein stückweit abzugeben. Das macht moderne, romantische Beziehungen zu einem unglaublichen Drahtseilakt. Die Folge ist das leidige Machtspiel – das ewige Schwanken zwischen Nähe und Distanz – das wir alle schon hundertmal beobachtet haben. Vermutlich scheitern die meisten romantischen Beziehungen heutzutage an diesem Balanceakt zwischen Unabhängigkeit und Autonomie auf der einen, Bindung und Anerkennung auf der anderen Seite – und damit letztlich an einem Kampf um den Selbstwert. Doch dieser bleibt in jedem Fall ständig in Gefahr: Bindung bedroht die Unabhängigkeit – und Unabhängigkeit hindert uns an Bindung. Mit beiden Aspekten steht und fällt der Selbstwert. Und auch jede gescheiterte Beziehung gilt in der Moderne als eine Folge der eigenen Unfähigkeit: Nach der ökonomischen Logik, nach der unsere Welt funktioniert, ist jeder seines Glückes Schmied und jedes Scheitern begründet sich in persönlichem Unvermögen.

 

 

 

Es ist jetzt an uns, die Richtung vorzugeben.

 

Man kann auf Gutdeutsch sagen, dass wir uns ganz schön in die Scheiße geritten haben – oder eher in sie hinein geboren wurden: Die Liebe ist so kompliziert und widersprüchlich wie nie zuvor. Was man dabei allerdings nicht vergessen sollte, ist, dass das der Preis ist, den wir für die neu gewonnene Freiheit zahlen: Denn wer möchte schon zurück in die 50er-Jahre?! Wir als Generation haben – salopp gesagt – die romantische Arschkarte: Es liegt jetzt an uns, die Richtung der weiteren Entwicklung zu bestimmen und Lösungen für die entstandenen Dilemmata zu finden. Der erste Schritt ist hiermit getan: Nämlich das Problem als ein gesellschaftliches anzuerkennen und nicht weiter ausschließlich an sich selbst zu zweifeln. Und im besten Fall: Lernen, unseren Selbstwert von romantischem Erfolg und endloser Autonomie zu entkoppeln – und ihn auf Aspekten zu fußen, die nicht unablässig drohen, einzustürzen. Dann fällt es uns sicherlich auch leichter, Autonomie auch mal auf’s Spiel zu setzen, Rückschläge nicht persönlich zu nehmen und tatsächlich authentischere Liebesentscheidungen zu treffen.

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5 Antworten zu “Modern Romance: Love is a Battlefield – zwischen Bindung und Unabhängigkeit”

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