Mental Load: Warum das Mitdenken gerade in einer Beziehung ohne Kinder entscheidend ist

8. November 2023 von in

Dieser Artikel ist zuerst 2022 erschienen.

Mental Load. Ein Begriff, der überall diskutiert wird, den mittlerweile nicht nur Wokeness-ExpertInnen kennen und der glücklicherweise einen festen Platz im allgemeinen Sprachgebrauch bekommen hat. Ein Begriff mit einer Problematik dahinter, der mir vor ein paar Jahren unwiderruflich die Augen geöffnet und mir wahnsinnig geholfen hat, so vieles zu verstehen und zu ändern. Mir, die schon mehrere Beziehungen geführt hatte, in dem die Thematik immer eine Rolle gespielt hatte – obwohl in keiner dieser Beziehungen je ein Kind existierte. Und doch ist Mental Load ein Terminus, der, wenn man danach sucht, fast ausschließlich mit Müttern, Vätern und einem Leben mit Kindern in Verbindung gebracht wird – was mir immer mehr aufstößt. Denn eigentlich ist die Frage, wer eigentlich wie viel mitdenkt, ein Thema, mit dem man sich weit früher beschäftigen sollte, als zum Zeitpunkt des Kinderkriegens. Tatsächlich sogar völlig unabhängig vom Kinderkriegen.

Mental Load spielt eine Rolle in jeder Beziehung, egal, ob man gemeinsame Kinder hat, irgendwann haben möchte oder ganz einfach zu zweit zusammen leben will.

Mental Load und der Ausweg: Deshalb sollten nicht nur Mütter an alles denken, schreibt dieser Artikel. Ein anderer skizziert Mental Load mit Fragen wie „Die Tochter muss zur U8, der Sohn zum Zahnarzt und für das Kita-Fest muss noch ein Kuchen gebacken werden – was sich liest wie ein wilder Mix aus unzusammenhängenden Fragen ist für die meisten Mütter Alltag“. Und der Deutschlandfunk titelt: „Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingen kann“.

Klar ist: Mental Load wächst dann zu seinem allergrößten Ausmaß an, wenn in den gemeinsamen Alltag kleine Kinder kommen. Menschen, für die man tatsächlich in allen Belangen mitdenken muss, was sich von den großen und offensichtlichen Fragen verästelt in viele, viele kleine Mini-To-Dos und Entscheidungen, die man jeden Tag treffen, koordinieren und planen muss. Vom Pausenbrot über das Geschenk für den Kindergeburtstag bis zur Frage, wo die Pflaster sind.

Doch ist nicht eigentlich sehr viel früher schon der Zeitpunkt, an dem man gemeinsam über die Mental-Load-Frage sprechen sollte?

Zum ersten Mal stolperte ich vor rund fünf Jahren über den Begriff. Jowa zeigte mir den feministischen Comic „Mental Load“ von Emma Clit, der mir komplett die Augen öffnete. Die Protagonistin ist zu Besuch bei einem Arbeitskollegen, der zusammen mit seiner Frau ein kleines Kind hat. Er setzt sich entspannt mit ihr auf das Sofa, während die Frau sich um das Kind kümmert und gleichzeitig kocht, während der Topf schließlich überkocht. Seine Reaktion – „du hättest etwas sagen sollen, ich hätte geholfen“ – kam mir zum damaligen Zeit wahnsinnig bekannt vor. Heute ist daraus sehr viel hervorgegangen, unter anderem die unter FeministInnen feste Regel, dass niemand in der Partnerschaft und vor allem nicht der Mann im Haushalt „hilft“, wenn er oder sie etwas erledigt. Sondern, dass der Haushalt wie jedes andere gemeinsame Projekt oder der gesamte Alltag etwas ist, das beide gleich viel angeht. Und in dem beide Aufgaben haben und selbstständig Aufgaben übernehmen.

Schließlich bräuchte es sonst die zusätzliche Aufgabe des Projektmanagements, das alle Aufgaben koordiniert, plant und verteilt. Und genau das ist Mental Load: Das Projektmanagement zu übernehmen, ohne es bewusst zu bemerken, und letztendlich immer alles im Kopf zu haben, zu koordinieren oder, der Einfachheit halber, schnell selbst zu erledigen.

Während der oder die PartnerIn sich wie ein sorgloser Arbeitnehmer verhält, der darauf wartet, Aufgaben zu bekommen – ohne selbst mitzudenken.

Woher das kommt, ist natürlich klar. Vor einem halben Jahrhundert war es üblich, dass die Frau das komplette Projektmanagement des Haushalts und der Kindererziehung übernahm, während der Mann arbeiten ging und das Geld nach Hause brachte. Eine klare Aufteilung, die natürlich ganz andere Problematiken wie den kompletten Verlust von Unabhängigkeit mit sich brachte. Aber die, was die Arbeitsaufteilung angeht, fairer war als heute. Denn heute gehen Frauen häufig auch arbeiten, übernehmen aber zusätzlich das Projektmanagement des gemeinsamen Lebens trotzdem oft ganz unbewusst.

Und bekommen dann gesagt: „Du hättest etwas sagen sollen, ich hätte geholfen.“

In die Mental-Load-Falle tappt man schnell, das wurde mir klar, als ich selbst über all meinen früheren Beziehungen nachdachte. Je älter ich geworden war, desto gestresster und belasteter war ich in der Gesamtheit. Weil ich zwar zum einen immer mehr Arbeitsverantwortung trug und auch quantitativ mit den Jahren mehr arbeitete. Aber mich zum anderen in meinen Beziehungen verhielt wie immer: Im Zweifel organisierte ich. Große Dinge wie Unternehmungen, aber auch all die klitzekleinen Dinge wie die Gaszählerstandübermittlung, das Abstauben entlegenerer Stellen in der Wohnung, oder die simple tägliche Frage, was es eigentlich zu essen gibt.

„Was wollen wir heute essen“, schrieb ich in vergangenen Beziehungen auf Whatsapp. Als Antwort kam meist „keine Ahnung, entscheide du“. In dieser eigentlich harmlosen Situation steckt für mich bis heute der Kern des Mental Loads. Denn auch die eigentlich schönen Alltagsaufgaben können zur Belastung werden, wenn sie immer an einer Person hängenbleiben. Mir an einem vollen Tag ausdenken zu müssen, was wir essen könnten, ist für mich der pure Stress. Wie bei der Frage, was man denn auf Netflix schauen könnte, löst die Frage nach dem Essen in mir erstmal einen Blackout aus. Um auf sinnvolle Ideen zu kommen, muss ich Rezepte-Apps durchscrollen oder nachgrübeln, was es in der letzten Zeit so gab. So gern ich koche und nach Rezepten suche, im Stress unter der Woche ist es mir meistens völlig egal, was es gibt. Hauptsache, es gibt irgendwas – und ich muss es nicht entscheiden.

Irgendwann wurde das zu meinem größten Wunsch: dass der Andere einfach selbst entscheidet, was wir essen.

Die Zutaten vielleicht sogar einkauft und auf dem Weg mitbringt, und im allerbesten Fall auch einfach mal selbst kocht. Eine Reihe an Aufgaben und Entscheidungen, die ich in früheren Beziehungen meistens einfach selbst übernommen habe: entscheiden, was es gibt, im Homeoffice mal eben einkaufen gehen, und abends alles auch noch schnell selbst kochen. Drehte ich das Ganze um und wünschte mir all das von meinem Partner, kam ich mir erstmal vor wie jemand, der viel zu viel verlangt. Doch als mein jetziger Freund mir eröffnete, dass er Einkaufen liebt, und seitdem 95% unserer Einkäufe übernimmt – und das dank gemeinsamer Einkaufs-App auch noch, ohne mich zu fragen, was er kaufen soll – merke ich: Mir fällt eine riesige Last von den Schultern.

Allein schon Tatsache, dass ich mir nicht mehr jeden Tag über das Essen Gedanken machen muss, sondern etwas aus dem, was wir eben da haben oder was er sich überlegt hat, koche, ist für mich eine riesige Erleichterung. Dazu kommt das Wissen, dass er sich in gleichem Maß wie ich für unseren gemeinsamen Haushalt und Alltag verantwortlich fühlt. Dass er eigenständig an Dinge denkt, fehlende Glühbirnen besorgt oder Daueraufträge in unserem gemeinsamen Konto einrichtet. Erst jetzt, wo das Gefühl von mir abfällt, den Großteil der Verantwortung zu tragen und immer mitdenken zu müssen, merke ich, was das für einen Unterschied macht. Und dass es mir besser geht. Ich mich weniger überfordert fühle, mehr Kraft für mich und auch für meine Arbeit habe. Und die Dinge, die ich im Haushalt mache, viel lieber tue als früher.

Warum also ist Mental Load ein Thema, das meist nur in einem Atemzug mit dem Kinderhaben besprochen wird?

Im besten Falle sollte man doch völlig unabhängig von Kindern einen gemeinsamen Weg der Arbeitsaufteilung finden. Denn das ist für jede Beziehung wichtig, auch für alle Beziehungen ohne Kinder. Schon wenn man nicht zusammen wohnt, kristallisiert sich schnell heraus, ob immer nur einer mitdenkt oder beide. Und wer zusammenlebt und einen gemeinsamen Haushalt führt, der hat auch ohne Kinder genügend To-Dos, an die entweder nur einer oder beide denken können. Ein Bewusstsein für Mental Load ist deshalb, so finde ich, gerade in Beziehungen ohne Kinder so essentiell. Denn hier ist es nicht so offensichtlich, dass es so viele große und kleine Dinge gibt, an die gedacht, die organisiert und getan werden müssen.

Wer sich ohne Kinder gegenseitig das Gefühl geben kann, genauso wie der andere Verantwortung zu übernehmen, der kann das auch in einem Alltag mit Kindern. Und wer überhaupt keine Lust auf Kinder hat, dem sollte es trotzdem genauso vergönnt sein, einen Partner zu haben, der mitdenkt. Tatsächlich hat mir das Thema Mental Load nicht nur in Bezug auf Beziehungen die Augen geöffnet, sondern auch in Bezug auf Freundschaften. Je weniger der Begriff mit Kindern, Vätern und Müttern assoziiert wird, desto mehr spricht er auch alle anderen an – denn für jeden kann das Thema augenöffnend sein.

Dieser Artikel erschien zuerst am 12. Oktober 2022

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5 Antworten zu “Mental Load: Warum das Mitdenken gerade in einer Beziehung ohne Kinder entscheidend ist”

  1. Stimme dir absolut zu, ich merke das auch in meiner Beziehung. Und auch, dass ich aktiv daran arbeiten muss, dass er den Mental load überhaupt wahrnimmt. Wenn man drüber redet und Strukturen aufzeigt, wird es , zumindest bei uns zum glück besser.

  2. Oh ich finde es richtig klasse, dass dieses Thema auch im Zusammenhang mit „nicht Mama sein“ aufgegriffen wird! Wie du schreibst es ist inzwischen oft so, dass die Mamas mit Kind, Haushalt und Arbeit hauptsächlich mit Stress und zu großen Mental Load in Verbindung gebracht werden. Wenn man als Nicht-Mama mit stressigem Job, Beziehung und Zuhause mal über eine heftige Zeit klagt passiert es mir häufiger, dass es heißt ich wüsste nicht was Stress ist. Ich finde es wichtig nicht zu vergleichen, sondern jedes Gefühl und jedes Situation so stehen zu lassen wie der andere sie empfindet. Schön, dass in deinem Artikel einfach klar wird, dass JEDER etwas dazubeitragen muss, damit der Mental Load weniger wird. Egal in welcher familiären Situation man nun zusammen lebt 😊

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