Marie Kondo made me do it

14. Januar 2019 von in

22.18 Uhr an einem Mittwoch. Draußen tobt ein Schneesturm, und auch in meinem Schlafzimmer sieht es so aus, als hätte ich die Fenster einen Moment lang zu lang offen gelassen. Die Schranktüren sind aufgerissen, auf meinem Bett türmen sich die Klamottenberge und auch der Boden ist noch gerade so zu erkennen.

Machen wir uns nichts vor. Ich wusste, ich besitze viele Klamotten. Obwohl ich regelmäßig ausmiste, sind meine Schränke gut befüllt. Wäre ich nicht Modejournalistin, sondern Politik-Korrespondentin würde ich weitaus weniger besitzen. Die lahmste Ausrede aller Zeiten, aber dennoch: Ich besitze unfassbar viele Kleidungsstücke. Das macht mir dieser Berg an jenem Mittwochabend klar.

Zwei Stunden zuvor hatte ich eigentlich vor, einen gemütlichen Abend auf dem Sofa zu verbringen. Dann kamen Netflix und Marie Kondo.

Das Buch der japanischen Aufräumweltmeisterin habe ich vor Jahren schon gelesen, mein Ausmist-Gen wurde damals nur bestätigt. So richtig zur Sache ging es in meiner Wohnung aber nicht. Schließlich miste ich schon immer regelmäßig aus, anders halt. Die neue Netflix-Serie ließ mich also erst einmal kalt. „Menschen beim Aufräumen zusehen? Wie langweilig.“ Was für eine Fehleinschätzung!

Räumt die wundervolle Marie Kondo noch in der ersten Folge bei einem Ehepaar auf, das aufgrund der Haushaltsteilung und der zwei kleinen Kids kaum zum Aufräumen kommt, geht es in den nächsten Folgen schon mehr zur Sache. Ich sage nur, Zimmer voller Weihnachtsdeko, Kinokarten-Sammlungen und Garagen, gefüllt mit allerlei Krimskrams, den keiner mehr braucht. Natürlich auch die berühmt berüchtigten Umzugskartons, die nie ausgepackt wurden. Dinge, an denen längst das Herz nicht mehr hängt, weil man gar nicht mehr weiß, dass man sie besitzt. Kennen wir alle, oder?

Mein Ausmist-Gen starb so einige Tode, allein beim Zugucken. So viele Sachen? Meine Wohnung gleicht dagegen einer leerstehenden Galerie. Aber: Wer einmal ausmistet, kommt auch langsam zum Ziel. Bei vielen Sachen dauert es nur sehr viel länger.

Ich wusste ja schon, Ausmisten ist befriedigend, aber Menschen beim Ausmisten zuzusehen, ohja, das auch. So führt die Aufräum-Weltmeisterin durch die Sendung, begrüßt gemeinsam mit ihnen meditativ das Haus, bevor es ans Eingemachte und ihre Marie-Kondo-Methode geht. Die wichtigste Frage der 34-Jährigen: „Does it spark joy to you?“. Bereitet dir das Stück noch Freude?

Eine Frage, die wir uns alle bei unseren Besitztümern stellen sollten. Wenn wir sie nicht sowieso schon längst in der Masse derer vergessen haben. Es ist so süß, mitanzusehen, wie sich manche Menschen ohne Probleme von Dingen trennen können, während andere mit fast schon gequält-frustrierter Stimme sagen: „Everything sparks joy“.

Hachja, niemand hat gesagt, Ausmisten ist leicht.

Ein wenig hämisch grinste ich in mich hinein. Schließlich bin ich eher Person A, die gerne Dinge weitergibt. Zugern hätte ich also mitausgemistet und so manchem Paar dabei geholfen. „Weg damit“, rief ich innerlich mehrmals.

Ich versank im Ausmist-Zuguck-Wahn, schmunzelte über die unterschiedlichsten Eindrücke und verfiel jener Doku bis aufs letzte Haar. Wenn Marie Kondo wie eine kleine japanische Fee durchs Haus hüpft, strahlt – und sie strahlt immer -, wird man automatisch gut gelaunt. Wenn dann noch die Menschen in der Sendung Schritt für Schritt glücklicher werden, wird einem das Herz warm. Versprochen. Während ich bei manchen Häusern immer noch – trotz Aufräumaktion – viel zu viele Dinge sah, erkannte ich doch bei allen langsam etwas mehr Ordnung im Chaos.

Das Schöne ist nämlich auch: Bestseller-Autorin Marie Kondo propagiert in keinster Weise Minimalismus, wie wir es von Instagram und halbleeren Berliner Loftwohnungen kennen. Die Dinge, die wir besitzen, sollen uns nur am Herzen liegen. Wir sollen sie ehren, kennen und miteinbeziehen. Eine Beziehung zu ihnen aufbauen. Weg vom Horten hin zum Leben. Bei dem einen ist das wenig, bei anderen sehr viel mehr. Beruhigend – und somit auch für alle Nicht-Minimalisten etwas.

Befreiend ist das Trennen von Besitztümern sowieso. Man schafft Raum für Neues – und Ordnung gibt einem Sicherheit, Zufriedenheit und Ruhe.
Ob nun jene Aufräum-Aktion wirklich alle Probleme der Serien-Protagonisten lösen konnte, oder so mancher doch wieder ein Zimmer voller Weihnachtszwerge einrichtete, bleibt ungewiss.

Denn natürlich dürfen wir hier nicht vergessen: It’s a tv show!

So bezweifle ich, dass man eine Ehe rettet, in dem man gemeinsam aufräumt, gleichberechtige Aufgabenteilung in allen Ehen Einzug hält, man sein ganzes Leben samt Job, Ernährung und Liebe wieder im Griff hat dank Ausmistaktion oder die Eltern stolz macht, nur weil sie sehen, dass man nicht im Vollchaos lebt. Aber: Es ist ein Anfang, und gemeinsames Aufräumen mit der Familie, das gemeinsame Auseinandersetzen mit Dingen, das Schaffen von Ordnung, bringt auch Ordnung im Kopf. Herrscht Chaos in den eigenen vier Wänden, herrscht auch oft Chaos im Leben. Seien es Stress, Überforderung, zu viele Baustellen oder einfach andere emotionale Dämpfer. Mit dem Schaffen von Ordnung schafft man sich eben wieder Luft und Platz – auch für das Innerste.

Deine Wohnung ist auch immer Spiegel deiner Seele und Gefühle.

So stand ich also nach 5 Folgen Binge-Watching im Schlafzimmer, nahm alle Kleidungsstücke einzeln in die Hand und räumte Schritt für Schritt meinen Schrank wieder ein. Einiges blieb draußen liegen. Dinge, die weder Joy noch irgendeine andere Gefühlsregung in mir auslösten. Dinge, die schon viel zu lange auf der „trage ich irgendwann wieder“-Liste standen. Dinge, die vom ersten Moment an Fehlkäufe waren.

Verratet es nicht: Aber ich habe nicht zu jedem Teil Danke gesagt, dass künftig jemand anderem Freude bereiten soll. Das war mir doch zu viel. Sorry, Marie!

Ihre Faltmethode hingegen, die ich damals schon im Buch las, aber bislang nur auf Reisen umsetze, ziert jetzt auch meinen Schrank. Wahnsinn, wie viel mehr Platz nun in meinen Schubladen ist. Müde fiel ich nach zwei Stunden in meinem wieder aufgeräumten Schlafzimmer ins Bett.
Am nächsten Tag musste gleich meine Küche dran glauben. Popcornmaschine adieu! Mein Badezimmer sowie so manche Schublade schreien auch noch nach mir, und dann wäre da noch meine Steuer 208, aber erstmal gucke ich die Staffel zu Ende.

Pünktlich zum Jahresbeginn hat Netflix also mir und vielen tausend anderen einen Motivationsschub geschickt. Für mich gleicht Ordnung schaffen immer ein wenig Wellness. Ich mag es – und somit bin ich vermutlich das Paradebeispiel für die Zielgruppe der Sendung.
Wer nicht aufräumen oder ausmisten will, kann auch einfach die Doku ansehen. Spätestens beim Anblick der übervollen Garagen der Amerikaner vergeht einem sowieso jeder Konsum – und das Gefühl des Lebens-im-Griff-haben stellt sich ein. Das nennt man dann wohl den verhassten Reality-Show-Effekt.

Aber nie war eine Reality-Show liebevoller und so voll positiver Energie. Dank der leichtfüßigen Fee namens Marie Kondo.

Fotohintergrund: Unsplash

 

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10 Antworten zu “Marie Kondo made me do it”

  1. Als das Buch von Marie so gehypt war, habe ich es mir auch zugelegt. Teilweise fand ich es gut, was ich las, teilweise dachte ich mir, ob es normal sei, bereits im Kindesalter einen „Ordnungswahnsinn“ zu haben.
    Ob und wie man ihre Tipps umsetzt, ist zum Glück jedem selbst überlassen.
    Nachdem ich das Buch gelesen habe, habe ich meine Winterpullover auch zusammengerollt aufbewahrt – das mache ich nicht mehr. Mittlerweile sind sie wieder ordentlich mit Seidenpapier zusammengefaltet.
    Ein volles Bücherregal war vor einiger Zeit pures Glück. Nun bin ich an dem Punkt angelangt, an dem ich mich frage, wozu ich Bücher behalte, die ich kein zweites Mal in die Hand nehmen werde. Um anderen zu zeigen, wie belesen ich bin? Mein Bücherschrank hat sich halbiert und ich werde mich wieder in der Bibliothek anmelden.

    • Tatsächlich hat mich das Buch auch nicht so gekickt. Vielleicht auch, weil die Übersetzung nicht so gut war. Die Serie hingegen hat mich echt gepackt :)
      Aber: Jeder soll die Tipps so für sich umsetzen, wie man mag. Meine Pullover hängen auch weiterhin und meine Socken werden so gefaltet, wie ich es seit Jahren mache. Bei Tshirts & Jeans finde ich es aber super hilfreich, habe jetzt einen viel besseren Überblick.
      Bei Büchern hadere ich noch ein wenig – die sind aber definitiv als nächstes dran und müssen weg! :) Münchens Wohnungen sind einfach zu klein für riesige Bibliotheken :)

  2. Habe am Wochenende auch das Buch angefangen – bin ziemlich late to the party.
    Hat mich bisher auch nicht umgehauen, aber fand ihre Reihenfolge beim Ausmisten und vor allem ihre Beziehung zu unserem Besitz schon sehr spannend. Freue mich drauf, sie in der Serie mal in Aktion zu erleben, deine Beschreibung macht auf jeden Fall Lust drauf. :)

  3. Danke für den Artikel!
    Auch ich bin dem Wahn verfallen und habe inspiriert von der Sendung meinen kompletten Kleiderschrank aussortiert und aufgeräumt. Ein tolles Gefühl. Und nein, ich habe auch nicht zu jedem Stück Danke gesagt. Ich glaube ehrlich gesagt zu gar keinem.;)
    Und die Faltmethode finde ich toll, nutze sie schon länger.
    Bücher sind auch eine interessante Sache. Ich habe bei meinem Umzug unglaublich viele Bücher aussortiert, teilweise verkauft und kistenweise gespendet. Und auch jetzt gehe ich regelmäßig durch’s Regal und sortiere Bücher aus. Mein Plan ist es, nur noch Bücher aufzuheben, in die ich immer wieder reingucke, z.B. Lieblingsromane, Theaterstücke (brauche ich für meinen Job eh ständig), Fachliteratur oder Bildbände.

  4. Ha, wie lustig! Ich hab mich schon vorab schwer auf den Netflix-Start am 1.1. gefreut. Ich liiiebe einfach gut gemachte Vorher-Nachher-Shows. Und zum Glück ist die hier wirklich gelungen dank Strahlekondo und netten (sehr diversen) Aufräumkandidaten. Lustigerweise hat die Sendung ebenfalls einen Aufräumschub bei mir ausgelöst. Allerdings folge ich nicht wirklich der Kondo-Methode, sondern arbeite mich von Raum zu Raum vor, gefaltet wird auch nicht. Danke sage ich aber :-) Undcglücklich bin ich auch über diecwieder besser sortierten und luftigeren Bereiche. Minimalistisch wird’s bei mir trotzdem nie. Das ist einfach eine Typfrage, denke ich, oder? Ich liebe meine (auch nicht so irre vielen) Klamotten und meine Bücher (die ich immer wieder lese) und meine Kunst und meinen Krimskrams. In halbleeren Zimmern oder mit Caspsule Wardrobe würde ich mich unwohl fühlen. Und solange man seine Sachen kennt und schätzt, sie immer wieder und lange nutzt, ist es auch völlig wurscht, ob man drei Shirts oder 20 hat. Finde ich jedenfalls. Danke für den netten Artikel, der mich wegen des Wiedererkennungsfaktors schmunzeln ließ!

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