Man soll aufhören wenn’s am Schönsten ist: Warum ich München verlasse

31. Januar 2018 von in

„Wird aber auch Zeit“, „Ist das dein Ernst?“, „Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen“, „Das passt so viel besser zu dir“, die Reaktionen auf meine Nachricht, ich würde München verlassen, sind gespalten.

Ich habe München die letzten 25 Jahre gleichermaßen geliebt und gehasst, und doch habe ich vor allem eines: mich mit der Stadt identifiziert. Alle meine ersten Male habe ich in München erlebt, ich habe mich in der Kulturszene seit nunmehr zehn Jahren eingebracht, ich habe Parties veranstaltet, sie besucht, Ausstellungen kuratiert, das The Stu mitgegründet, unendlich viele Bekanntschaften und selbstverständlich Freunde gefunden.

München und ich, das war so, wie ich mir eine Langzeitbeziehung vorstelle. Ich hatte mit der Stadt meine Höhen und Tiefen, wir kennen uns in- und auswendig.

Ich habe München oft gehasst. Aus tiefstem Herzen. Da geht es los mit der politischen Lage. München, Hauptstadt des Freistaats Bayern und der Inbegriff des konservativen Wohlstands. Diese Politik ist in München natürlich auch an jeder Straßenecke zu spüren. Fest vorgegebene Öffnungszeiten der Läden, dementsprechend fast keine Spätis, extrem viel Polizei, kaum Obdachlose oder geflüchtete Menschen auffindbar. Nicht, weil es sie nicht gibt. Sie werden gut versteckt. Da gibt sich die Stadt schon sehr viel Mühe, an der Oberfläche hübsch und ordentlich auszusehen.

Weiter geht es mit der Kunst- und Kulturszene in München, die zwar da ist, aber sehr klein. Das hat seine Vor- und Nachteile. Manchmal sehe ich die Vorteile, manchmal die Nachteile. In den Phasen, in denen ich München gehasst habe, habe ich selbstverständlich nur die Kehrseite gesehen. Man kann kaum mit Unterstützung der Stadt rechnen, es ist demnach wenig los, und es passiert weniger als in manch anderen Städten. München ist ruhig, und das kann einen schon mal in den Wahnsinn treiben.

Ein weiterer Punkt ist die Unoffenheit des Münchners. Viele Menschen haben sich der Stadt verschrieben, leben die meiste Zeit ihres Lebens dort und haben ihre festen Freundschaften. Sie sehen im Umkehrschluss keine Notwendigkeit, neue Menschen kennenzulernen. Und so bleiben Bekanntschaften mit ganz großer Wahrscheinlichkeit Bekanntschaften. Es ist auch keine Überraschung, dass die letzte Handvoll Menschen, die ich in München etwas besser kennengelernt habe, erst seit kurzer Zeit in München wohnt.

Zu guter Letzt: München ist TEUER. Und wie. Studenten können sich fast keine Wohnungen in der Innenstadt mehr leisten, und so prägt der Wohlstand das Bild der Münchner Straßen. Von einer bunten Mischung kann hier nicht die Rede sein: In München regieren die Reichen und die Alten. Für junge Kreative ist fast kein Platz. Das kann einen ganz schön ankotzen, das sage ich euch.

Mit dem Hass und der Wut folgt die Rebellion. Ich habe in den letzten zehn Jahren mehrmals mit dem Gedanken gespielt, die Stadt zu verlassen. Mal, um nach Schottland zu ziehen, mal, um nach Kopenhagen zu ziehen und mal, um nach Berlin zu ziehen. Ich habe es nicht mehr ausgehalten in der ruhigen, hübschen Stadt. Ich war wütend und enttäuscht von meiner Heimat. Berge hin oder her. In meinem Groll häuften sich die Städtetrips mit Milena, die für mich die einzige Möglichkeit waren, die Enttäuschung und die Langeweile unter Kontrolle zu bekommen. Irgendwann habe ich mich dann abgeregt und konnte München wieder lieben. Und blieb.

Es folgte das letzte Jahr, 2017, das entscheidende Jahr für mich in meiner Stadt, die ich trotz seiner negativen Seiten so abgöttische liebe. Ich hatte eines der besten Jahre überhaupt. Die Kunst- und Kreativszene lehnte sich gerade in diesem Jahr besonders auf. Es entstanden neue Plätze für junge Leute. Plötzlich passierte das, was ich mir immer gewünscht hatte: Abwechslung. Veranstaltungen unterschiedlicher Art. Ich lernte einen Haufen neue Menschen kennen, die auch offen für neue Menschen waren. Gleichzeitig reiste ich im letzten Jahr so viel durch die Gegend, dass ich jede einzelne Sekunde in München genoss. München ist verdammt schön, die Kreativszene stark und eingeschworen. Die Stadt kann enormen Spaß machen, wenn man nur wirklich will. Ich entdeckte meine Liebe zurück, jedes Mal, wenn mich Freunde und Bekannte mit „Servus“, „Griaß di“ und „Habe die Ehre“, begrüßten, jedes Mal, wenn wir donnerstags im The Stu Weißwurstfrühstück machten, jedes Mal, wenn ich den Gerhard Polt – den einzig wahren Satiriker – zitierte und jeder wusste, wovon ich sprach, jedes Mal, wenn ich mein Tegernseer Helles in der Hand und meine Füße in die Isar hielt.

Man soll aufhören, wenn’s am Schönsten ist.

München zu verlassen ist plötzlich keine Rebellion mehr, sondern ein Bedürfnis, das unabhängig von meiner Liebe zu München da ist. Das Bedürfnis, eine neue Stadt kennen und lieben zu lernen. Das Bedürfnis nach Veränderung. Ich mache keinen Stadtwechsel aus einer Unzufriedenheit heraus, sondern vielmehr aus einer Zufriedenheit heraus. Der Schritt fühlt sich richtig und wichtig an – und das nicht nur, weil ich ihn zusammen mit meinem Freund gehe. Schon so lange spukt diese Idee in meinem Kopf herum, und jetzt scheint der richtige Zeitpunkt für mich gekommen zu sein. Und gleichzeitig bedeutet das selbstverständlich kein richtiger Abschied.

amazed bleibt nach wie vor erhalten. Die Meetings mit Milena und Antonia werden nur häufiger über Skype stattfinden, als in Persona. Die Freundschaft zu beiden ist so tiefgehend und innig, dass ich mir darüber keine Gedanken mache. Ich bin tief verwurzelt mit meiner Stadt München und das nicht nur wegen meiner Arbeit. Meine Freunde und meine Familie, diese gottverdammten Berge, die Ruhe, und der München-Hass selbst (was sich liebt, das neckt sich). Ein richtiges Goodbye ist es also nicht – eher ein kleiner Stadtwechsel, jetzt gibt’s ja eh die schnelle Zugverbindung zwischen Berlin und München, gell.

Weil ja, ab Frühling schreibe ich aus meinen eigenen vier Berliner-Wänden die Texte für amazed. Aber mehr dazu bald.

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20 Antworten zu “Man soll aufhören wenn’s am Schönsten ist: Warum ich München verlasse”

  1. Sehr cool! Ich würde auch sagen, ohne dich zu kennen, dass Berlin super zu dir passt. Außerdem bringt ein Ortswechsel immer frischen Wind ins eigene Leben. Ich wünsche dir einen stressfreien Umzug und einen tollen Start in Berlin :)
    Viele Grüße

  2. Toll! Passt! Freu mich auf frischen Wind aus der Hauptstadt. Der Perspektivwechsel lässt einen meist erst erkennen, was einem die Heimat doch gibt. Eben gerade weil man nicht mehr dauerhaft dort ist <3
    Viel Glück in B!

  3. Toll! Passt! Freue mich auf frischen Wind aus der Hauptstadt. Manchmal lässt einen so ein Perspektivwechsel erst erkennen, wie schön Heimat doch ist <3
    Viel Glück in B!

  4. Aaahhh, du kommst nach Berlin, wie geil! Ick als Ur-Berlinerin heiße dir janz herzlich willkommen, dit wird ne dufte Zeit hier!
    Und falls du mal Theater spielen willst … ich hab da was im Angebot.;)

    Viele Grüße,

    Sarah

  5. Ach, die beschriebenen Gefühle kenne ich nur zu gut… Ich bin ebenfalls geborene Münchnerin und habe ‚meine‘ Stadt gehassliebt, bis ich sie aus belgischer, österreichischer, kalifornischer, italienischer und schweizer Ferne betrachtet wieder ins Herz schließen-, bzw.feststellen konnte, dass wir nach all der Zeit friedlich miteinander koexistieren können. Ich wünsche dir im Allgemeinen – und für Berlin im Speziellen – nur das Allerbeste und freue mich, dich Freitag kennen zu lernen!
    Bisou
    ‚Claire‘

  6. Im Jahr 2018 kann man nicht mehr einfach umziehen, weil der Freund halt in einer anderen Stadt wohnt die nicht total fad ist. Das ist natürlich immer mit einer tieferen Reflexion und einem wichtigen Statement verbunden. ;-)

  7. Ich finds schon echt lustig dass Berlin immer als der Place to be gehandelt wird. Ich würde München + Umgebung niemals eintauschen wollen gegen diese Stadt.. „pulsierendes Künstlerleben“ hin oder her.. um hier gerne leben zu wollen sollte man halt schon Natur- und bergverbunden sein… wie kann man die Seen, die Berge jemals eintauschen wollen gegen BERLIN?

    Bin gespannt wie Dein Resümee ausfällt nach Deinem Umzug. Schade dass es mit so einer Rechtfertigung hier passieren musste. So nach dem Motto sorry Leute ich weiss Jahr ihr bleibt zurück aber mich zieht es jetzt halt doch in die coole Hauptstadt. Aber ist nicht schlimm denn München hat sich ja gemacht und ist eig. ganz toll aber ich geh jetzt halt trotzdem. Und vor allem ist es ja wegen dem neuen Freund, nicht aus eigenem Antrieb.. Narf.

    • Oh wow, liebe Mel, bitte nicht gleich so persönlich werden. Das sollte eigentlich ein versöhnlicher Beitrag werden – wollte dich und deine Münchner Umgebung dabei sicherlich nicht angreifen :). Ich liebe München nach wie vor. Liebe Grüße, Amelie

      • Wirklich schade, dass diese Berlin-München-Konkurrenz immer noch so präsent in vielen Köpfen ist. Warum kann man immer nur eine der Städte toll finden und muss automatisch die andere bashen?
        Ich denke mir immer: mein Herz ist groß genug für beide. Ich liebe Berlin UND München aus tiefster Seele, gerade wegen ihrer Unterschiede. Denn wie so oft im Leben: beide Städte haben ihre Glanzlichter, beide Städte können zum Kotzen sein.
        Liebe Amelie, ich wünsche dir einen wundervollen Neustart, hau rein!

  8. Also mit München verbindet mich auch, seitdem ich ins Münchner Umland gezogen bin, eine Hassliebe. Ich bin mehrmals im Jahr in Berlin, weil dort einige meiner Freunde leben, und da fällt mir dann immer im direkten Vergleich besonders auf, was mir in München so fehlt. Und wenn ich nach mehreren Tagen in Berlin erst zwei Michael Kors-Handtaschen gesehen habe, aber dafür umso mehr Jutebeutel und Vintagelederhandtaschen, dann feiere ich das schon sehr :)
    Ist vielleicht ein blödes Beispiel, aber ich denke du verstehst, was ich meine.
    Auf jeden Fall wünsche ich dir einen guten Start und eine tolle Zeit im Dicken B an der Spree!

    Viele liebe Grüße,
    Yvonne

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