Aber diesmal war es ein bisschen anders, denn in den 15 Minuten Sendezeit zur Primetime, die Joko und Klaas von ProSieben zur freien Verfügung bekommen haben, kommen beide Männer keine einzige Sekunde vor. Genau genommen kommen überhaupt keine Männer darin vor. Stattdessen betritt Sophie Passmann einen dunklen Raum und kündigt an, uns nun durch eine Ausstellung namens „Männerwelten“ zu führen. Was dann folgt, sind 15 Minuten, die zwar schwer zu ertragen sind, aber dennoch zumindest knapp die Hälfte der Zuschauer*innen – nämlich die weiblichen – nicht schockieren dürfte. Denn diese Viertelstunde thematisiert eine Realität, auf die Feminist*innen seit mehr als 100 Jahren aufmerksam machen: Ungewollte Annäherungsversuche, gekränkte männliche Egos, sexuelle Übergriffigkeit und Gewalt. Seit jeher der Alltag von Frauen.
#Männerwelten: Eine Ausstellung mit Lücken
TW: Sexuelle Gewalt
Als gestern mal wieder Joko und Klaas auf Twitter getrendet sind, dachte ich: Okay, sie haben wieder irgendwas Irres gemacht, vielleicht ist wieder ein Promi mit Hakenpiercings am Rücken von einer Brücke gesprungen? Hat sich wieder jemand den Mund zugenäht oder sich Silikon in die Stirn spritzen lassen? Für derartige Aktionen sind sie schließlich bekannt.
Leider ein Big Deal
Diese Thematik so ernst aufgearbeitet während der Primetime auf einem deutschen Privatsender zu sehen, ist ein großer Triumph. Daran gibt es nichts zu rütteln. Noch vor wenigen Jahren wäre das undenkbar gewesen; noch vor wenigen Jahren – im Jahr 2012 – waren Joko und Klaas mit ihrer Show Teil des Problems, waren selbst übergriffig und begrapschten Frauen als witzige Mutprobe. Seitdem hat sich einiges getan. Dass Männer nun ihre Plattformen für Frauen und deren Stimmen räumen, sollte nicht so ein Big Deal sein – ist es aber. Und deswegen ist es toll und wichtig, dass es diese Viertelstunde gibt. Aber – es gibt ein Aber.
Feministin sein ist hart, weil man immer ein Aber hat und immer ein Aber haben muss. Wir sind Spielverderberinnen, es ist unser Job. Ja, es ist wichtig, Fortschritt anzuerkennen – aber es ist eben auch wichtig, weiter zu meckern und zu fordern, weil wir ohne Meckern und Fordern niemals so weit gekommen wären und nicht noch weiter kommen können. Deswegen: Hier das Aber.
Wer keine differenzierte Meinung aushält, in der Befürwortung und konstruktive Kritik koexistieren, trägt zu dem Trend bei, dass man heutzutage nur noch schwarz und weiß denken darf… #maennerwelten https://t.co/hEZJW4bMAe
— Madita Oeming (@MsOeming) May 14, 2020
Männer hören Männern zu
Wenn man die Zahlen kennt, macht einen zunächst die Darstellung sexueller Gewalt stutzig, denn bei Joko & Klaas ist vor allem von einer Gefahr von außen die Rede: Internetstalker, Taxifahrer und fremde Männer auf Parties. Diese einseitige Darstellung bedient einen Mythos, denn knapp 77 Prozent aller betroffenen Frauen kannten ihre Peiniger bereits – meist ist es der eigene Partner oder jemand aus dem engsten Umfeld. Gerade diese Tatsache ist es, die besonders Männer dringend realisieren müssen. Männer hören Männern zu – leider. Und erst, wenn Männer anfangen, andere Männer in die Verantwortung zu nehmen, wird sich wirklich etwas ändern. Denn der Vergewaltiger, der Grapscher und der Stalker sind keine unbekannten Weirdos, die in Kellern hausen und nachts aus ihren Löchern kriechen. Es sind die Kumpels, die Arbeitskollegen, Brüder und Väter. Erst, wenn Sätze wie „das hat er nicht so gemeint, eigentlich ist er ein korrekter Typ“ der Vergangenheit angehören, kann Rape Culture ein Ende nehmen. Und damit das passiert, reicht es nicht, Männern die Lebensrealität von Frauen aufzuzeigen. Sie müssen sich mitverantwortlich fühlen, an dieser Situation aktiv etwas zu ändern.
Wenn man einen intersektionalen Anspruch verfolgt – also Diskriminierungen jeder Form bekämpfen möchte –, dann ist der folgende Kritikpunkt offensichtlich. Alle Frauen, die nicht Teil der sogenannten Mehrheitsgesellschaft sind, haben mit mehr als nur einer Diskriminierungsform zu kämpfen. Sie erleben nicht nur Sexismus, sondern etwa auch Rassismus, Queer- und Transfeindlichkeit, Islamophobie. Ihre Stimmen werden noch seltener gehört, sie sind noch mehr Kalkül und Belästigung – online wie offline – ausgesetzt als weiße Cis-Frauen. 15 Minuten reichen aus, um diese Tatsache wenigstens zu erwähnen oder zumindest eine diverse Gruppe an Frauen zu Wort kommen zu lassen. Representation matters – und es hätte sicher vielen Frauen viel bedeutet, wenn ihre Geschichte in dieser Viertelstunde auch endlich gehört werden würde. Wenn auch nur für ein paar Sekunden.
Nicht besonders konsequent
Dass bei „Männerwelten“ kein intersektionaler Anspruch verfolgt wird, wird auch durch die Kooperation mit der Organisation „Terre des Femmes“ klar, die immer wieder sowohl durch islam– und transfeindliche Tendenzen als auch durch die Verteufelung von Sexarbeit aufgefallen ist und Feminist*innen weltweit spaltet.
Naja, und wenn wir schon mal dabei sind: Auch eine deutliche Triggerwarnung wäre sinnvoll gewesen. Lediglich der Satz „Die kommenden Minuten können auf empfindsame Zuschauer verstörend wirken“ lässt nämlich keinen Rückschluss auf die Thematik zu und schützt jene Frauen nicht, die beispielsweise kein Problem mit Horrorszenen haben, aber von sexueller Übergriffigkeit traumatisiert sind. Mal ganz abgesehen davon, dass Frauen selbst in einem Beitrag über sexuelle Gewalt gegen Frauen als „Zuschauer“ mit gemeint sind. Und das, obwohl es eigentlich inzwischen weitreichend bekannt ist, dass genau diese Diskriminierung, die der Beitrag anprangert, bei der Sprache beginnt. Das ist nicht besonders konsequent und sollte auch ProSieben-Zuschauer*innen zugetraut werden.
Neue Verbündete
All das mag für viele wie Jammern auf hohem Niveau klingen, wenn man bedenkt, wie revolutionär es leider immer noch ist, dieses Thema so prominent platziert zu sehen. Aber, wie gesagt: Nur, wenn wir mehr verlangen, werden Dinge besser. Ist es deswegen schlecht, dass Joko und Klaas sich entschlossen haben, ihre 15 Minuten diesem Thema zu widmen? Nein, überhaupt nicht. Ich bin froh und dankbar und es stimmt mich hoffnungsvoll, dass Männer mit einer derartigen Reichweite nun unsere Verbündeten sein wollen. Diese Entwicklung zeigt, dass sich die Arbeit von Feminist*innen auszahlt. Auch, wenn es mich gleichzeitig wütend macht, dass es immer einen Joko oder einen Klaas braucht, bis bestimmte Menschen (Let’s face it: meist Männer) Probleme anerkennen, die Frauen schon seit Ewigkeiten anprangern und bekämpfen. Wen dieses Video schockiert, der hat Frauen bisher nie zugehört. Es macht mich auch sauer und müde, dass Frauen ihren Schmerz immer wieder derart drastisch performen und sich derartig verwundbar machen müssen, um Gehör zu finden. Aber das ist die Realität – und so lange das so ist, bin ich froh über jeden Schritt in die richtige Richtung. Aber das ist kein Grund, nicht mehr zu verlangen.
Hätte das noch deutlich besser sein können? Vermutlich.
Hätte ich von Pro-7-Prime-Time-Dödeln erwartet, dass sie begreifen, was es ausmacht, seine Plattform anderen zu geben? Nein.
Bin ich dankbar, dass sie es zumindest versuchen? Himmel, ja.
— Heike Lindhold (@Symposiarchin) May 14, 2020
7 Antworten zu “#Männerwelten: Eine Ausstellung mit Lücken”
Toller Artikel! Vielen Dank dafür. Was ich gerade nur echt anstrengend finde, ist es eine Alternative zu tdf zu finden. Überall wird diese Organisation zu recht kritisiert. Aber ich fände es so toll, wenn man nach der Kritik halt auch einfach Gegenvorschläge mit Organisationen bringt, die die Beachtung und Unterstützung dringend benötigen und verdienen. Habt ihr nicht paar Vorschläge?
Danke dir :)
Es stimmt, es gibt wenige Frauenrechtsorganisationen mit der Reichweite wie Terre des Femmes, aber mir würde beispielsweise Pro Quote und He For She Deutschland einfallen.
Danke für diesen Artikel! Hatte beim schauen der 15 min immer wieder das gefühl, dass da „was nicht stimmt“. Und als ich deinen Artikel gelesen habe dachte ich: On Point! Danke dafür :) Schön in dem schnellen „Hype“ um das Video direkt eine reflektierte Perspektive darauf zu lesen.
Ich teile die hier formulierte Kritik an Joko & Klaas und der Einseitigkeit des Videos in weiten Teilen, allerdings ist bei der Beschreibung des ’nordischen Modells‘ ein grober Fehler im Text enthalten: Keineswegs geht es hier um eine ‚komplette Kriminalisierung‘, das Modell zeichnet sich ja gerade dadurch aus, die zu zu bestrafen, die die sexuelle Dienstleistung kaufen und nicht die Personen, die sie anbieten.
Der sogenannte Nachweis, dass dies zu mehr Gewalt an Frauen führt, wird hier im Text auch nicht weiter belegt, aber falls damit die Studie aus Nordirland aus dem letzen Jahr gemeint ist: Die dort analysierten Daten stammen zum Teil von Escort Ireland, einem Anbieter von Escort-Services, d.h. sie sind mit Vorsicht zu genießen. Hier auch ein Artikel aus dem Independent mit mehr Hintergründen dazu: https://www.independent.co.uk/voices/northern-ireland-prostitution-nordic-model-trafficking-a9113436.html
Gerade im Kontext eines intersektionalen Ansatzes sollte es zudem auch zu Denken geben, dass (genau wie im Video von Joko und Klaas) die marginalisierten Gruppen in dieser Studie nicht befragt wurden. Die Aussagekraft dieser Studie darüber, ob das ’nordische Modell‘ sinnvoll ist, darf also allgemein angezweifelt werden.
Liebe Vera, danke dir für den Hinweis! Diesen Satz werde ich entsprechend umformulieren :)
[…] Ich danke Gilda Sahebi für diese neue, andere Perspektive, die in der Diskussion – auch mit Männerwelten – so wichtig ist. Hier geht’s zum […]
[…] erneut durchlebten. Zum anderen, wenn die Leistung der Frauen erwähnt wurde, dann bloß, um die mangelnde Intersektionalität zu thematisieren, wenngleich dies völlig zurecht bemängelt wird. Auch mir ist beim Schreiben […]