Let’s play a Love Game: Machen uns Dating-Apps süchtig?
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Let’s play a Love Game: Are you in the game?
Choose your Character: Passende Bildauswahl. Profilinformationen. Präferenzen. Profilfragen. Was früher mal mit wenigen Klicks möglich war, wird mittlerweile als eine Art Instrument genutzt, die Match-Qualität zu verbessern. Digital auf noch tiefsinnigere Ebenen vorzudringen: weniger oberflächlich, persönlicher. Denn die Annahme ist: desto transparenter die Infos, desto vollständiger das Profil, desto größerer wird der Online-Dating-Erfolg – versprochen! Der Gewinn: eine langfristige Bindung. Der Endgegner: der eigene Einsatz und das Durchhaltevermögen. Denn auf dem Weg zum Ziel gibt es natürlich eine unendliche Anzahl an ablenkenden Sidequests, mit der die Swiper bei Laune gehalten werden: Weniger zielführendeTreffen, kurzfristige körperliche Arrangements, Situationships. Alles failed missions. Doch keine Sorge, denn für jedes Bedürfnis gibt es gleich mehrere maßgeschneiderte Formate aka unterschiedliche Apps mit anderen Namen und Designs. Die sind mittlerweile mehr Zeitvertreib geworden als alles andere. Ja, sicher gibt es Ausnahmen. Aber wer 2024 noch an der romantisierten Illusion festhält, dass man zwischen all den Unentschlossenen, nach „nix Festem“, „Abenteuer“ oder „Ego-Booster“ Suchenden wirklich den 10er im Lotto holt, sollte sich schleunigst einem Reality-Check unterziehen.
Ego-Booster-Sucht Gefahr! Machen uns Dating-Apps süchtig?
Noch einen Schritt weiter geht die kürzlich in den USA erhobene Klage gegen die Match Group (Tinder, Hinge, OkCupid), die die Dating-Apps mit Games vergleicht, ihnen eine Spielsucht förderndes Nutzungsverhalten vorwirft mit „Dopamin-manipulierenden Produktfunktionen“, welche die Nutzungszeit mit spielerischen Gadgets verlängern und zum Kauf teuer Abonnements und exzessivem Anwenden führen sollen. Das mit Hilfe von psychologischer Belohnung, die Dating zu einer von Algorithmen getriebenen Gaming-Experience macht. Ein lukratives Geschäftsmodell, auf das immer mehr neue Anbieter aufspringen, mit kostenpflichtigen Abo-Modellen und hinter Pay Walls versteckten Premiuminhalten. Alles mit der Prämisse, dass wir es doch noch ein klein wenig länger zu versuchen sollten. Denn hinter dem nächsten Swipe, der nächsten Zahlung, könnte ja das perfect Match warten. Klar!
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Die Dating-Gamification: Ein Spiel mit unseren Sehnsüchten
Ready Player one. Hängt also der Slogan beim Öffnen jeder Dating-App sprichwörtlich im Raum. Vor einem die Entscheidung: Probiere ich es auf eigene Faust oder hole ich mir einen zusätzlichen Boost? Das unschlagbare Angebot Special Power zu erkaufen, blinkt alle paar Minuten in einer Eigenwerbung auf, die vorschwärmt, noch mehr aus der Dating-Experience herausholen zu können. Bessere Matches, Unlimited Likes. Weltweites Swipen und mehr. Love is a Matching-Game. Die Benutzeroberflächen mittlerweile so designt, dass sie intuitiv dazu einladen, sie daueroffen zu haben. Man wie beim Gamen in einen Sog gezogen wird, aus dem man nach einigen Stunden wie aus einem Tunnel hervorkommt. Noch ein letztes Profil anschauen, eine weitere Bio lesen. Manche Apps locken sogar mit Extras wie Videos und Sprachaufnahmen. Verteilen die verschiedenen Funktionen gezielt. Also geht es weiter: Nachrichten checken. Promts überlegen. Chatten. Treffen?
In-App-Games und Co.: Bereit für das nächste Level?
Auch In-App-Games haben die Dating-Anwendungen bereits für sich entdeckt. So ist unter anderem die Vibes-Funktion bei Tinder, eine wahre Meisterleistung, um die Community spielerisch zu aktivieren. Seit der Pandemie kann man an den sogenannte „In-App-Event“ partizipieren, die es den „User:innen ermöglichen, sich auf eine neue Art und Weise zu präsentieren“. Quizmäßig gelangt man wie in einer Game-Show zum Match. So als wäre das Swipen allein nicht schon genug Gamification! Und trotzdem spielten 2023 rund 77 Prozent der 16 bis 29-Jährigen in Deutschland mit. Bei den 30 bis 49-Jährigen gaben rund zwei Drittel an, mal partizipiert zu haben. Macht uns das also alle zum Teil des Problems und auf die ein oder andere Art süchtig nach dem berauschenden Dopamin-Kick, der durch die casinoartige „It‘s a match“-Optik über den Handyscreen flackert. Es fällt schwer, sich der nächsten Runde zu entziehen, die wie in einem Computerspiel neue Level freischaltet: Vom Match zum Chat zum Date und dann? Bleiben die Trophäen im Chat-Reiter liegen? Werden sie zu einer unglamourösen Wall-of-Fame, einer lieblosen Panini-Sammlung, die die eigene Begehrlichkeit stilisiert? Klein das Interesse, sich weiter mit den Menschen hinter den Matches zu beschäftigen. So wirkt es zumindest.
Von Dating-Minions und Tamagochis
Auch die Profilfragen, die den Prozess noch intimer, besser, optimierter machen sollen, sind eigentlich eine Art Armutszeugnis darüber, dass sich viele Menschen meiner Generation ohne Dating-Apps vermutlich nie mit der Frage auseinandergesetzt haben: Was will ich eigentlich in einer Partner:innenschaft? Während vor allem meine weiblich gelesenen Freund:innen sich in dem Bezug recht klar und sicher sind, haben viele meiner männlichen Freunde Probleme, sie für sich zu definieren. Bleiben lieber schwammig, unterschlagen das oft mitgemeinte „Mit dir“, wenn sie über aktuelle Bindungsunlust philosophieren. Und mit solchen Matches stößt man dann aufeinander, lässt sich von einem halb ersnt gemeinten „Vielleicht“ einlullen und ignoriert die eigenen Boundaries für ein klein wenig Zuneigung. Nach der wird klassischerweise nicht mehr nur auf einer Anwendung gesucht, sondern gleich auf mehreren. Fast pingpongmäßig zwischen Mails, Wetter und Nachrichten gecheckt, ob eine:r der „Dating-Minions“ geschrieben hat. Die Tamagochi-Matches noch leben – man sie wieder mit Geplänkel füttern muss oder der Chat endgültig gestorben ist.
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Investitionsfrage: Wie hoch willst du setzen?
Das datenbasierte Match-Making hat es zwar geschafft, den Dating-Pool zu vergrößern, aber „The Fish in the Sea“ wird dadurch nicht automatisch mehr – geschweige denn besser. Denn statt die Komplexität der Partner:innensuche zu erleichtern, gibt es neue Probleme. Suggerierte Dauerverfügbarkeit oder der unausgesprochene Konsens, dass Romantik sekündlich in unseren Tagesablauf integriert werden kann. Bei all der Optimierung gerät aber in Vergessenheit, dass zwischenmenschliche Bindungen immer einen Anker im Realen brauchen, um langfristig funktionieren zu könne. Und den kann man sich schlecht virtuell erswipen. Sondern der muss real aufgebaut werden, indem man auch mal die eigene Komfortzone verlässt und etwas wagt. Zum Beispiel einen Vertrauensvorschuss einräumt, der einer ungewissen, weniger einer sicheren Wette nahekommt. Wer will das schon riskieren? Dann lieber einen Mix an Dating-Apps downloaden, beinahe apathisch durch das Angebot scrollen und Jury für das eigene (Liebes-)Glück spielen. Irgendwann so automatisiert, dass sich die Frage stellt:
Restart oder Reset? Zurück zum Anfang?
Bei der Gamification des Datings kann man also nur verlieren. Denn egal wie viele Add-ons und Spielereien zur Verfügung gestellt werden, läuft es am Ende immer auf die Frage hinaus: Wie hoch ist dein Einsatz? Wie weit würdest du gehen? Oder nutzt du die erstbeste Chance, den Reset-Knopf zu drücken und wieder von vorne zu beginnen? Einfach, weil nicht nur eine, sondern gleich mehrere Möglichkeiten bestehen, genau das zu tun. Immer jemand anderes wartet in der langen Liste der potentiellen Matches. Verlustfrei verliert man dabei keine kostbaren Leben, opfert nur die Gefühle einer anderen, real existierenden Person. Aber was kostet das schon. Überhaupt sieht man sich ja eh nie wieder, wenn man keine identischen persönlichen Radien (abseits der App) hat. Also zurück zum Anfang. Ready Player One und ab in die nächste Runde. Wenig zielführend – zumindest langfristig. Was die These einer meiner Freundinnen stützt, die davon überzeugt ist. Dating-Apps sind Schuld an dem Übel der Bindungsunwilligen Nutznießer:innen, die es gewohnt sind, recht wenig zu investieren und mit einem mittelinteressierten „sup?“ (What’s up?) Erfolge erzielen. Noch weiter: Menschen miteinander verbinden, die unter realen Umständen nie einen Berührungspunkt gehabt hätten.
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Unterhaltung mit Sucht- oder NPC-Gefahr
Auch ich habe die Apps über die letzten Jahre aus einer Vielzahl an Gründen genutzt. Anfang vielleicht noch mit Euphorie, alles neu und aufregend, später wurde es eine lustige Beschäftigung bei Sit-ins mit Freund:innen oder Mittel zum Zweck. So um eine neue Stadt, ihre Szenen und Menschen besser kennenzulernen. München, Berlin, europäisches Ausland, es ist spannend, wie man so relativ unkompliziert Anschluss finden kann, den Abend und Wochenenden füllen. Doch irgendwie hat es sich ausgeswipt. Ziemlich stolz kündigte ich meinen Freund:innen im Sommer an: „Ich habe alles gelöscht“. Nach einer Reihe uninspirierender Begegnungen, dem Recap der letzten Jahre, kam ich zu dem Fazit, das Dating Apps und ich nicht funktionieren. Wir brauchten Abstand voneinander. Doch here I am. Bin hier für die Unterhaltung (Swipen, Chatten) mit Glück ein gutes Date – ein positiver Nebeneffekt.
Pay Plan und Pay Wall: Das Spiel mit der Liebe
Nichts desto trotz sind da hämmernde Fragen in meinem Hinterkopf: Was macht diese Gamification mit uns, mit mir? Macht uns das Nutzen der Dating-Apps (wirklich) süchtig? Ist das der Grund, wieso immer mehr müde sind vom Swipen, Chatten, Reseten? Frustriert von dem Gefühl, ohne Premiummitgliedschaft und Extraleben keinen Schritt weiter zu kommen. Immer nur wieder an ähnlichen Punkten zu landen. Was entsteht, ist ein verzerrtes Bild, in dem Liebe (und Dating als der Weg zum Ziel) zu einer monetären Investition wird, in der die, die sich exklusive Zugänge kaufen, immer einen Schritt voraus sind.